Arzneimittel und Therapie

Wenn Cortison das Gehirn schrumpft

Neuropsychiatrische Corticoid-Nebenwirkungen können Folge direkter Veränderungen sein

Glucocorticoide zählen trotz ihrer Nebenwirkungen zu den am häufigsten verordneten Medikamenten. Neben metabolischen, kardiovaskulären und muskuloskelettalen un­erwünschten Effekten können neuropsychiatrische Symptome wie Depressionen auftreten. Inwiefern sich auch das Volumen und das Diffusionsvermögen im Gehirn verändern, wurde nun in einer Querschnittsstudie untersucht. Hierbei wurde nicht nur die systemische Exposition, sondern auch die in­halative Aufnahme von Glucocorticoiden analysiert. Beides zeigte Auswirkungen auf das Gehirn.

Anhand von Patienten mit Morbus Cushing ist bekannt, dass die chronische Überexposition von Glucocorticoiden mit einer Gehirnatrophie einhergeht. Zudem konnten mehrere kleine Studien zeigen, dass die dauerhafte Exposition systemischer Glucocortico­ide als Arzneimittel zu einer Volumenabnahme bestimmter Gehirnregionen führt. Als Nebenwirkungen der Cortison-Einnahme sind außerdem neuropsychiatrische Beschwerden wie Depression, Delir, Manie und erhöhte Suizidraten bekannt.

Erstmals wurde nun in einer größeren Querschnittsstudie anhand von Daten der UK Biobank untersucht, ob systemische und inhalative Glucocorticoide Einfluss auf Gehirnvolumen und Diffusionsvermögen haben. Hierbei wurden Daten von Kernspintomografie und Diffusion-Tensor-Bildgebung verwendet, um mehrere Gehirnregionen zu analysieren. In die Studie eingeschlossen wurden 222 Patienten mit systemischer Glucocorticoid-Exposition, 557 Patienten mit inhalativen Glucocorticoiden und 24.106 Kontrollpersonen.

Insgesamt zeigt sich bei systemischer Glucocorticoid-Aufnahme eine signifikante Volumenzunahme (p = 0,0023) im Nucleus caudatus – eine Gehirnregion, welche wichtige Funktionen im extrapyramidal-motorischen System übernimmt. Bei der Exposition gegenüber inhalativen Glucocorticoiden wurde hingegen ein signifikant geringeres Volumen (p = 0,0052) der grauen Gehirnsubstanz im Bereich der Amygdala festgestellt. Die Amygdala reguliert als Teil des limbischen Systems Emotionen wie Angst und Wut. Während bei dem Gehirnvolumen nur in einzelnen Regionen Unterschiede festgestellt wurden, waren in fast allen untersuchten Hirnregionen Diffusionsveränderungen zu bemerken. Besonders stark erhöhten hierbei systemische Glucocorticoide das Diffusionsvermögen, während der Effekt bei inhalativen Glucocorticoiden weniger ausgeprägt war.

Foto: Pschoshadow/AdobeStock

Häufiger Depressionen

Gleichzeitig gaben Patienten mit Cortison-Einnahme signifikant häufiger an, unter Depressionen (Odds ratio OR 1,76; 95%-Konfidenzintervall: 1,25 – 2,43), Desinteresse (OR 1,84; 95%-KI: 1,29 – 2,56), Anspannungen (OR 1,78; 95%-KI: 1,29 – 2,41) und Müdigkeit (OR 1,90; 95%-KI: 1,45 – 2,50) zu leiden. Bei der inhalativen Aufnahme von Glucocorticoiden zeigten die Patienten hingegen nur eine signifikant erhöhte Müdigkeit (OR 1,35; 95%-KI: 1,14 – 1,60).

Die Studienautoren schlussfolgern, dass die gemessenen Veränderungen im Gehirn die neuropsychiatrischen Nebenwirkungen von Glucocortico­iden erklären könnten. Allerdings könnten auch die zugrunde liegenden Erkrankungen, für welche die Glucocorticoide verordnet werden, wie rheumatoide Arthritis, COPD oder Autoimmunerkrankungen auch selbst die Ursache für eine schlechtere mentale Gesundheit sein. Aufgrund der Studiendaten empfehlen die Autoren, dass vor allem bei langdauernder systemischer Cortison-Therapie die psychische Gesundheit der Patienten im Blick behalten wird. Bei der Entwicklung neuropsychiatrischer Nebenwirkungen sollte wenn möglich auf andere Medikamente umgestellt werden. |

Literatur

van der Meulen M, Amaya JM et al. Association between use of systemic and inhaled glucocorticoids and changes in brain volume and white matter microstructure: a cross-sectional study using data from the UK Biobank. BMJ Open 2022;12:e062446

Apothekerin Dr. Karin Schmiedel

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