Gesundheitspolitik

Schlaglichter der Gesundheitspolitik

ks | 2022: Die Corona-Krise ist noch immer nicht überwunden, überdies ist das Jahr von den Folgen des seit Ende Februar wütenden Kriegs in der Ukraine überschattet. Karl Lauterbach (SPD) wird in seinem ersten Amtsjahr als Bundesgesundheits­minister auf die Probe gestellt. Es reicht nicht mehr, der große Mahner mit wissenschaftlicher Expertise zu sein, sondern er ist als Macher gefragt – und das auch noch in einer Ampel-Koalition. Die Bilanz seines Hauses nach einem Jahr Regierungsarbeit sind neun federführend auf den Weg gebrachte Gesetze und nahezu 50 Verordnungen. Vieles davon dient weiterhin der Eindämmung der Pandemie, doch im Laufe des Jahres wendet sich Lauterbach auch anderen Bereichen des Gesundheitswesens zu. Für die Apotheken ist nicht nur Schönes dabei.

Zu Jahresbeginn ist Corona noch das beherrschende Thema für die Gesundheitspolitik. Zwar hatte die Ampel-Koalition schon zum 25. November 2021 die epidemische Lage von nationaler Tragweite für beendet erklärt. Doch die Pandemie ist nicht vorbei, im neuen Jahr steigen die Fallzahlen mit der Omikron-Variante wieder rasant – erst Ende März ebbt die Welle allmählich wieder ab. Bevor der Ukraine-Krieg die Pandemie in den Nachrichten und auch in der Wahrnehmung der meisten Menschen zurückdrängt, bleibt vor allem das Impf- und Testgeschehen in Bewegung.

Impfungen in der Apotheke

2022 ist das Jahr, in dem Impfungen flächendeckend in die Apotheken einziehen – mögen sich Ärztevertreter noch so sehr dagegen wehren. Die Modellprojekte zu Grippeschutzimpfungen, die 2020 in einigen Regionen starteten, haben die Politik offenbar überzeugt. Zunächst kommen Anfang des Jahres die COVID-19-Impfungen hinzu. Nachdem die Grundlagen hierfür bereits Ende 2021 von der frisch angetretenen Ampel-Koalition für eine befristete Zeit (bis Ende 2022) ins Gesetz gegossen wurden, sind noch die Details in der Coronavirus-Impfverordnung zu regeln. Mitte Januar stehen die rechtlichen Rahmenbedingungen, inklusive der Vergütung, die für Apotheker genauso angesetzt wird wie für Ärzte: Grundsätzlich gibt es für jede durchgeführte Impfung 28 Euro, an Wochenenden und Feiertagen 36 Euro. Zudem müssen impfwillige Apothekerinnen und Apotheker eine ärztliche Schulung absolvieren. Wirklich losgehen kann es mit COVID-19-Impfungen im Februar. Laut ABDA erfüllt zu diesem Zeitpunkt „eine vierstellige Zahl“ von Apotheken die Voraussetzungen. Das neue Angebot startet zwar mit großem Medienecho, aber dennoch im übersichtlichen Umfang. Die ABDA fordert schon im Sommer den Übergang in die Regelversorgung. Den Anfang macht der Gesetzgeber aber bei den Grippeimpfungen: Im Rahmen des Pflegebonusgesetzes, das Ende Juni in Kraft tritt, werden diese gesetzlich verstetigt. Die ABDA signalisiert: Die Apotheken stehen bereit. Mit Start der Grippesaison im Herbst können bundesweit geschulte Apotheker, die die nötigen Räumlichkeiten aufweisen können, Grippeimpfungen anbieten. Die Weichen für dauerhafte COVID-19-Impfungen in Apotheken stellen die Ampelfraktionen dann zum Jahres­ende über einen Änderungsantrag zum Gaspreisbremsengesetz – zugleich sollen die COVID-19-Impfungen schrittweise Regelleistung der Krankenkassen werden. Deutscher Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband werden nach Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2023 aufgerufen sein, binnen drei Monaten einen Vertrag über die Durchführung von Grippe- und COVID-19-Schutz­impfungen zu schließen, inklusive Vergütung. Bis dahin, also bis Anfang April 2023, gelten weiterhin die bis­herigen Vergütungsregeln der Coronavirus-Impfverordnung, die aber teilweise als Übergangsregelungen ins Sozialgesetzbuch V (SGB V) verschoben werden.

Wirren um COVID-19-Zertifikate

Erinnern Sie sich noch an die 2G- und 3G-Regelungen? Zuweilen auch noch mit einem „+“ dazu? Unter anderem, um Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen zu erhalten, musste man nachweisen, geimpft oder genesen und ggf. auch getestet zu sein. Die nötigen Zertifikate gibt es auch Ende 2022 noch in der Apotheke – nur haben sie im Laufe des Jahres für die Bürger ihre Bedeutung verloren. Anfang 2022 sorgt Karl Lauterbach allerdings erst noch mit umgestrickten Verordnungen (COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, Coronavirus-Einreiseverordnung) für Wirbel – auch in den Apotheken: Die Kriterien, wann ein Impf- und ein Genesenenzertifikat ausgestellt werden kann, soll fortan die Wissenschaft bestimmen; die einschlägigen Verordnungen verweisen nun auf Vorgaben des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). Das hat u. a. die Folge, dass der Genesenen­status quasi über Nacht von sechs Monaten auf 90 Tage verkürzt wird. Lauterbach bringt der Schritt viel Ärger ein. Es herrscht ein gewisses Informationschaos, das sich auch in den Apotheken niederschlägt. Hinzu kommen ganz praktische Probleme bei der Ausstellung der Zertifikate – die ABDA ist beständig gefordert, ihre Handlungshilfen anzupassen. Zu Frühlingsbeginn im März entspannt sich nach einer weiteren Anpassung des Infektionsschutzgesetzes die Lage. Genesenen- und Impfzertifikate ver­lieren im Alltag ihre Bedeutung. Und wie lange sie gültig sind, wird nun ebenfalls direkt im Gesetz geregelt.

Neue Corona-Regeln zum Frühlingsbeginn

Zum 19. März laufen die gesetzlichen Grundlagen für die im Winter 2021/22 noch zahlreichen Schutzmaßnahmen aus. Lauterbach steht vor der Herausforderung, eine von FDP-Justizminister Marco Buschmann mitgetragene Anschlussregelung zu finden. Kurz vor knapp gelingt dies auch – der Einfluss der FDP ist deutlich. Ab dem 20. März enthält das Infektionsschutzgesetz einen deutlich abgespeckten Maßnahmenkatalog. Bundesweit sind nur noch zwei Basismaßnahmen vorgesehen: die Maskenpflicht in bestimmten Einrichtungen (inbes. Arztpraxen, Kliniken, Pflegedienste, Pflegeheime) und im öffentlichen Personennahverkehr sowie Testpflichten in Kliniken, Heimen, Schulen und einigen weiteren Einrichtungen. Darüber hinaus können die Länderparlamente in „Hotspots“ weitergehende Maßnahmen anordnen. Bis 1. April machen allerdings die Länder noch Gebrauch von einer Übergangsregelung und lassen ihre bisherigen Schutzverordnungen weiterlaufen.

© Kai Felmy

Die Debatte um eine COVID-19-Impfpflicht

Im Februar startet die große Debatte um eine allgemeine COVID-19-Impfpflicht. Fünf unterschiedliche fraktionsübergreifende Initiativen gehen aus dem Bundestag hervor. Minister Lauterbach ist ein glühender Befürworter der Impfpflicht für alle ab 18. Hierzu legt eine Gruppe, zu der u. a. Janosch Dahmen (Grüne), Heike Baehrens (SPD) und Agnes Strack-Zimmermann (FDP) zählen, einen Gesetzentwurf vor. Eine andere Gruppe um Andrew Ullmann (FDP) plädiert für eine Impfpflicht ab 50 Jahren ab Herbst – vorher sollen mit Beratungen möglichst viele Menschen animiert werden, sich freiwillig zu impfen. Die Union bringt einen Antrag für ein „Impfvorsorgegesetz“ ein. Er sieht den Aufbau eines Impfregisters vor sowie einen „gestuften Impfmechanismus“, den Bundestag und Bundesrat bei verschärfter Pandemielage in Kraft setzen könnten. Dann wäre auch eine Impfpflicht möglich, aber nur für bestimmte besonders gefährdete Bevölkerungs- und Berufsgruppen. Zudem gibt es zwei Anträge, die eine Impfpflicht gänzlich ablehnen – einen von der AfD und einen um den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Kurz vor der Abstimmung im Bundestag tun sich die beiden Gruppen, die eine Impfpflicht wollen, zusammen. Der Kompromiss sieht erstaunlicherweise eine Impfpflicht für Ab-60-Jährige ab Oktober vor, jüngere Erwachsene sollen sich bis dahin einer Impfberatung unterziehen. Zudem soll ein Impfregister aufgebaut werden – man hofft so auf Stimmen aus der Union. Anfang April wird nochmals leidenschaftlich im Bundestag debattiert – in der anschließenden Abstimmung findet jedoch keine der Initiativen eine Mehrheit. Das Thema allgemeine Impfpflicht ist damit begraben. Die Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, die schon im Vorjahr aufgegleist wurde und Mitte März in Kraft tritt, sorgt übers Jahr immer wieder für (Rechts-)Streitigkeiten. Vor dem Bundesverfassungsgericht hat sie jedoch Bestand. Zum Jahresende läuft die Regelung aus – und niemand hält eine Verlängerung für sinnvoll.

Testverordnung: Mehr Aufwand, weniger Geld

Mehrmals wird 2022 die CoronavirusTestverordnung nachgefeilt und verlängert. Bis zum Jahresende sind wir bei der 5. Änderungsverordnung an­gelangt. Testende Apotheken sind also immer wieder mit Neuerungen konfrontiert. Zu den Bürgertests in Form der PoC-Antigentests kommen Anfang des Jahres PoC-NAT-Tests – denn PCR-Tests jeder Art sind auf dem Höhepunkt der Coronawelle sehr gefragt. Auch diese können Apotheken anbieten, wenn die nötigen Geräte vorhanden sind. Allerdings ist die Vergütung mit 30 Euro knapp angesetzt. Die Bürgertests machen ebenfalls einige Wandlungen durch. Ab 1. Juni hat nicht mehr jeder Bürger ohne Symptome Anspruch auf einen kostenlosen Test. Es gibt sie nur noch für bestimmte Personengruppen, etwa kleine Kinder, Schwangere im ersten Trimenon und Personen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Zudem für Besucher in Krankenhäuser und Pflegeheimen. Hinzu kommen Ansprüche, bei denen die Getesteten eine Eigenbeteiligung von drei Euro leisten müssen – etwa für Menschen, die größere Veranstaltungen oder Personen über 60 Jahren besuchen wollen. Damit kommen auf die testenden Apotheken neue Prüf- und Dokumentationspflichten zu. Einher gehen diese zu ihrem Ärger auch noch mit einer Absenkung der Vergütung von 11,50 Euro auf 9,50 Euro je Test bzw. 6,50 Euro bei Tests mit Eigenanteil. Auch die Kassenärztlichen Ver­einigungen (KVen) schlagen Alarm, da sie nun gefordert ist, die kleinteiligen Voraussetzungen zu prüfen. Tatsächlich finden sie auch Gehör bei Lauterbach, es wird nochmals an der Ver­ordnung geschrubbt, tiefergehende Plausibilitätsprüfungen übernimmt ab September das RKI. Kurz bevor die Testverordnung Ende November erneut ausläuft, beschließt das BMG eine weitere Verlängerung. Zugleich wird der Anspruch auf Bürgertests abermals eingeschränkt. Weiterhin anspruchsberechtigt sind insbesondere Personen, die in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Reha-Einrichtungen, Tageskliniken, Obdachlosenunterkünften behandelt oder betreut werden sowie Personen, die diese Einrichtungen besuchen. Ebenso kann man sich nach einer Infektion noch „freitesten“ lassen. Diejenigen Testansprüche, die zuvor noch mit einer Eigenbeteiligung verbunden waren, fallen ganz weg. In gewohnter Manier wird trotz deutlichem Widerspruch der ABDA erneut die Vergütung für die Leistungserbringer gesenkt: Ab 1. Dezember gibt es statt der bisherigen 7 Euro nur noch 6 Euro für die Durchführung von PoC-Antigentests. Und für die Sachkosten werden statt 2,50 Euro nur noch 2 Euro gezahlt. Ebenso reduziert sich der Verwaltungskostensatz für die KVen: von bisher 2 Prozent auf 1,6 Prozent des Gesamtbetrags der Abrechnungen. Mit Ablauf des 28. Februar 2023 sollen dann alle Anspruchsgrundlagen der Test­verordnung außer Kraft treten. Die Verordnung bleibt dennoch bis Ende 2023 bestehen, um die Abwicklung und Abrechnung der Tests sicherzustellen.

COVID-19-Schutzgesetz – Vorbereitung auf den Corona-Winter

Im Sommer starten im BMG die Vorbereitungen auf den Herbst und Winter 2022/23. Ende November werden erneut diverse Rechtsgrundlagen für Corona-Sonderregelungen auslaufen und es sind Anschlussregeln im Infektionsschutzgesetz gefragt. Denn die Corona-Fallzahlen sind noch immer beachtlich, auch wenn die meisten Infektionen glimpflich verlaufen. Lauterbach und Buschmann müssen also abermals einen gemeinsamen, mit dem Grundgesetz austarierten Weg finden, den überdies die Länder nicht gänzlich torpedieren. Im September beschließt der Bundestag das COVID-19-Schutzgesetz, das neue Grundlagen für Schutzmaßnahmen vom 1. Oktober 2022 bis zum 7. April 2023 (Karfreitag) schafft. Bundesweit gilt dann nur noch eine FFP2-Maskenpflicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, dort sind außerdem regel­mäßige Corona-Tests verpflichtend. Eine FFP2-Maskenpflicht für Patienten bzw. Besucher gilt überdies bundesweit in ambulanten medizinischen Einrichtungen wie Arztpraxen, Tageskliniken, Dialyseeinrichtungen und bei Rettungsdiensten. Auch im Fernverkehr von Bus und Bahn muss weiterhin eine FFP2-Maske getragen werden. Darüber hinaus erhalten die Länder die Möglichkeit, bis 7. April 2023 je nach Infektionslage in zwei Stufen weitere Schutzvorkehrungen eigenständig anzuordnen. In die erste Stufe fällt beispielsweise eine Maskenpflicht an Schulen für Schüler ab der fünften Klasse oder im öffentlichen Personennahverkehr. In Innenräumen können die Länder ebenfalls eine Maskenpflicht anordnen – hier sind aber noch Ausnahmen für Getestete, frisch Geimpfte und Genesene möglich. Besteht bereits eine konkrete Gefahr für die Funktionstüchtigkeit des Gesundheitssystems oder die kritischen Infrastrukturen, können nach einem entsprechenden Landtagsbeschluss in den konkreten Gebieten in einer zweiten Stufe noch weitere Maßnahmen ergriffen werden. Das können etwa weitere Maskenpflichten (ohne Ausnahmen), Abstandsgebote oder die Festsetzung von Personenobergrenzen in Innen­räumen sein. Von diesen Möglichkeiten macht jedoch bis Jahresende kein Land Gebrauch. Zugleich werden mit dem Gesetz die Ermächtigungsgrundlagen für die Coronavirus-Impfverordnung und die Testverordnung sowie die Geltungsdauer der Impfverordnung bis Jahresende 2022 verlängert. Zudem behalten Apotheker, Zahnärzte und Tierärzte noch bis zum 30. April 2023 ihre Berechtigung, COVID-19-Impfungen zu verabreichen (für Apotheker folgt, wie bereits erwähnt, die Verstetigung zum Jahresende).

Paxlovid

Für Unmut bei den Apothekern sorgt Lauterbach im Juli mit seinem Paxlovid-Vorstoß: Er will Hausärzten ermöglichen, das antivirale Arzneimittel selbst an ihre Patienten abzugeben. Immerhin hat der Bund eine Million Therapieeinheiten beschafft – doch verordnet wird Paxlovid nur zögerlich. Bevor die Arzneimittel verfallen, will Lauterbach also Anreize schaffen. Ohnehin soll das Arzneimittel so schnell wie möglich nach Symptombeginn eingenommen werden – wieso soll es da nicht gleich in der Arztpraxis abge­geben werden? ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening spricht von „verant­wortungslosem Aktionismus“ – die Paxlovid-Abgabe über Apotheken erfolge schließlich ebenfalls schnell, gegebenenfalls via Boten. Doch Lauterbach bleibt bei seinen Plänen. Er passt die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung an, in der die Ver­gütung und Abrechnung der oral an­zuwendenden antiviralen COVID-19-Arzneimittel geregelt ist. Die für Apotheken für die direkte Abgabe an Patienten vorgesehene Vergütung in Höhe von 30 Euro wird für diese Fälle hälftig aufgeteilt: Hausärzte, die von dem neuen Dispensierrecht Gebrauch machen, erhalten 15 Euro, Apotheken, die ihnen das Arzneimittel zu diesem Zweck liefern, ebenfalls. Zudem bestimmt nun die Allgemeinverfügung zum Bezug und zur Anwendung monoklonaler Antikörper und zum Bezug und zur Abgabe antiviraler, oral ein­zunehmender Arzneimittel gegen COVID-19, dass Hausärzte Paxlovid begrenzt vorrätig halten (fünf Einheiten pro Praxis) und direkt an ihre Patienten abgeben können. Zudem dürfen vollstationäre Pflege­einrichtungen das Arzneimittel bevorraten (fünf Einheiten bzw. zehn, bei mehr als 150 Bewohnern) und – nach ärztlicher Verordnung – an ihre betreuten Patienten abgeben.

Pandemie-Sonderregeln für die Arzneimittelabgabe

Die seit Ende April 2020 geltenden Sonderregelungen für die Arzneimittelabgabe werden auch 2022 verlängert, sobald das Ablaufdatum der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung in greifbare Nähe rückt. Im Mai zunächst bis Ende November, dann nochmals – im Zuge des COVID-19-Schutzgesetzes – bis zum 7. April 2023. Immer wieder ruft die ABDA nach einer Verstetigung der Regelungen, die Apotheken ihren von Lieferengpässen geprägten Arbeits­alltag erleichtern und dabei nicht dazu führen, dass die Rabattvertragseinsparungen der Kassen sinken. Jedenfalls was die Sonderregelungen zur Substitutionsbehandlung Opioid­abhängiger in der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung betrifft, macht das BMG Anfang November einen Aufschlag. Es legt den Entwurf zur Änderung zur Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung vor, der eine Verstetigung vorsieht. Die Erfahrung habe gezeigt, dass dieses Plus an Flexibilität in den Behandlungs­abläufen den Therapieerfolg fördern könne, ohne die Sicherheit im Betäubungsmittelverkehr zu beeinträchtigen, erläutert dazu das BMG. Beschlossene Sache ist diese Verordnung zum Jahresende aber noch nicht.

© Kai Felmy

Der Schlag ins Gesicht: Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

Nach zwei Jahren Pandemie mit all ihren Belastungen, einschließlich zahlreicher Sonderaufgaben für Apotheken, sorgt im März ein erster inoffizieller und unabgestimmter Entwurf für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz für allgemeines Entsetzen. Das Papier aus dem BMG sieht zahlreiche Sparmaßnahmen für Leistungserbringer, Pharmaindustrie und auch die Krankenkassen vor. Zwei Maßnahmen schockieren die Apothekerschaft besonders: Der von den Apotheken zu leistende Kassenabschlag soll zwei Jahre lang von 1,77 Euro auf 2 Euro erhöht werden, zudem ist eine Mehrwertsteuerabsenkung auf Arzneimittel auf 7 Prozent vorgesehen. Für Apotheken ist dies eine doppelte Belastung, weil der Kassenabschlag als Bruttobetrag festgelegt ist und der Nettobetrag bei niedrigerer Mehrwertsteuer höher liegt. ABDA-Präsidentin Overwiening spricht von einem „Schlag ins Gesicht der Apothekerinnen und Apotheker“ – gerade vor dem Hintergrund der vielen zusätzlichen Leistungen, die sie in der Pandemie erbracht haben. Im BMG wiegelt man erst einmal ab, der Entwurf hätte gar nicht an die Öffentlichkeit kommen sollen. Es folgen Monate angespannter Ruhe. Das Defizit der GKV wird für 2023 auf 17 Milliarden Euro prognostiziert – entwickelt das BMG neue Ideen, wie diese Summe auszugleichen ist? Und zwar ohne Leistungskürzungen für Versicherte – denn dieses Versprechen gab Lauterbach schon bei Amtsantritt. Und wie spielt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit, der auf der Schuldenbremse steht und zugleich immer wieder Geld für Entlastungen in diesem Krisenjahr locker machen muss? Ende Juni stellt Lauterbach endlich seine Eckpunkte für das Spargesetz vor. Lindner setzt den Rahmen für die Beteiligung des Bundes: Der zusätz­liche Steuerzuschuss soll 2023 nur noch 2 Milliarden Euro betragen – statt zuletzt 14 Milliarden Euro. Hinzu­kommen soll ein Bundesdarlehen von 1 Milliarde Euro. Die im Koalitions­vertrag versprochene auskömmliche Finanzierung der GKV-Beiträge von Beziehern von Arbeitslosengeld II durch den Bund wird dagegen aufgeschoben. Dafür soll der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz um 0,3 Prozentpunkte steigen. Die Kassen sollen ihre Reserven abschmelzen und last noch least sollen 3 Milliarden Euro „Effizienz­reserven“ gehoben werden – bei den pharmazeutischen Unternehmen und den Leistungserbringern. Was Apotheken genau erwartet, erfahren sie eine Woche später: Auch im Referentenentwurf bleibt es beim temporär erhöhten Kassenabschlag – die Mehrwertsteuersenkung ist hingegen verschwunden. Für den Pharmabereich hält er zahlreiche einschneidende Maßnahmen parat – neben einer Solidarabgabe und einem verlängerten Preismoratorium soll zudem das AMNOG-Verfahren nachjustiert werden. Auch die Kassen werden zum Sparen angehalten, sie müssen ihre Reserven abschmelzen und ihre Verwaltungskosten dürfen nur noch begrenzt steigen. Ärzten soll der Zuschlag für Neu­patienten gestrichen werden. Der Aufschrei ist bei allen Betroffenen groß – selbst bei den Kassen, die ja eigentlich Nutznießer des Gesetzes sein sollen. Bleibt die Hoffnung, dass im parlamentarischen Verfahren noch Änderungen vorgenommen werden. Doch bevor das Spargesetz den Bundestag erreicht, knirscht es auch noch im Kabinett. Ende Juli steht der Regierungsentwurf, der aus Apothekensicht keine wesentlichen Änderungen enthält. Gewisse Nachjustierungen gibt es aber. So erwartet die Pharmaunternehmen nun statt einer 2-Milliarden-Euro-Solidarabgabe ein für ein Jahr erhöhter Herstellerrabatt. Nach dem Kabinettsbeschluss berät zunächst der Bundesrat über das geplante Spargesetz – und die Länder sparen nicht an Kritik. In einer Stellungnahme sprechen sie sich u. a. gegen die zahlreichen Belastungen für die Industrie aus, aber auch den erhöhten Kassen­abschlag lehnen sie ab. Letzterer stehe den Bestrebungen der Bundesregierung, die Apotheken vor Ort zu stärken, diametral entgegen, stellen die Länder dazu fest. Die Bundesregierung lehnt die Änderungsvorschläge des Bundesrats jedoch ab – da das Gesetz nicht zustimmungsbedürftig ist, hat sie nicht viel zu befürchten. Der Deutsche Apothekertag im September in München ist geprägt von den Diskus­sionen um das Gesetz. Dass Lauterbach kurzfristig erklärte, nur per Videoschalte für ein Grußwort und einige Fragen zur Verfügung zu stehen, kommt bei den Delegierten nicht gut an – noch weniger, dass er darauf beharrt, dass „Effizienzreserven“ bestünden, die zu heben sind. Ende September erreicht der Gesetzentwurf das Parlament. Hier wird tatsächlich noch einiges feinjustiert, die Stoßrichtung ändert sich allerdings nicht. Lauterbach verspricht den zahlreichen Kritikern: Im nächsten Jahr soll eine Struktur­reform folgen. Am Ende bewegt sich am Apothekenabschlag nichts – daran können auch die medienwirksamen Protestaktionen vieler Apotheken in Brandenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein und dem Saarland kurz vor der Verabschiedung des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes durch den Bundestag nichts ändern. Am 12. November tritt das Gesetz in weiten Teilen in Kraft. Jetzt steht fest: Die Apotheken müssen vom 1. Februar 2023 bis 31. Januar 2025 einen Kassenabschlag von 2 Euro je Rx-Arzneimittel zahlen. Das bedeutet für alle Apotheken zusammen eine jährliche Belastung in Höhe von 120 Millionen Euro (netto).

Cannabis zu Genusszwecken

Mit Spannung erwartet die Öffentlichkeit in diesem Jahr, wann und wie die Ampelkoalition ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umsetzt, „die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ einzuführen. Der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD) führt zunächst einen „Konsultationsprozess“ durch: Es gibt fünf Treffen mit Experten aus Suchtmedizin, Suchthilfe, Rechtswissenschaften, Wirtschaft und Verbänden sowie Vertretern von Ländern, Kommunen, Bundesministerien und Bundesbehörden. Ende Oktober beschließt das Bundeskabinett dann ein Eckpunktepapier. Demnach sollen Cannabis und Tetrahydrocannabinol (THC) künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden. Genusscannabis, Medizinalcannabis und Nutzhanf sollen vollständig aus dem Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes ausgenommen werden – stattdessen sollen die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen in einem gesonderten Gesetz festgelegt werden. Vorgesehen ist weiterhin, dass Erwachsene bis zu 30 Gramm Cannabis legal kaufen und besitzen können sollen; der Konsum soll im privaten, wie auch im öffentlichen Raum erlaubt sein. Das in Deutschland angebaute Cannabis soll über lizenzierte Geschäfte von sachkundigen Personen abgegeben werden – ggf. auch über Apotheken. Mit Fachgeschäften und Apotheken könnte der Schwarzmarkt wegen des breiteren Angebots, ins­besondere auch im ländlichen Raum, effektiver zurückgedrängt werden, heißt es. Lauterbach erklärt allerdings, dass er nicht unbedingt damit rechnet, dass tatsächlich Apotheken zu Abgabestellen werden. „Wenn es ausreichend Angebote durch zertifizierte Geschäfte gibt, dann wird die Unterstützung durch die Apotheken nicht notwendig sein.“ Ob und inwieweit der Versandhandel an Privatpersonen erlaubt werden soll, soll im Rahmen einer Evaluierung nach vier Jahren geprüft werden. Eine besondere Herausforderung sind europa- und völkerrechtliche Vorgaben, die zu berücksichtigen sind und die den Plänen entgegenzustehen scheinen. Doch Lauterbach sieht hier Interpretationsspielraum und will seine Eckpunkte zunächst von der EU-Kommission prüfen lassen. So einfach geht das allerdings nicht, wie sich zeigt. Der korrekte Weg wäre, der Kommission einen Gesetzentwurf vorzulegen, der dann ein Notifizierungsverfahren durchläuft. Ende November kündigt der Minister an, ein Gutachten in Auftrag zu geben, „um die EU-Kommission davon zu überzeugen, dass durch unser geplantes Gesetz der Cannabis-Konsum begrenzt werden kann“. Parallel werde der Gesetzentwurf erarbeitet, der dann zur Notifizierung vorgelegt werden kann. Ob die Pläne der Ampel am Ende dem Brüsseler Urteil standhalten werden, muss sich also noch zeigen.

Gesundheitskioske

Im September legt Lauterbach Eckpunkte für die im Koalitionsvertrag angekündigten Gesundheitskioske in sozial benachteiligten Regionen vor. Hauptaufgabe der niedrigschwelligen Beratungsangebote soll es sein, den Zugang von Patienten mit besonderem Unterstützungsbedarf zur Gesundheitsversorgung zu verbessern und die Versorgung zu koordinieren. Arzt- und andere Termine sollen vermittelt werden, einfache medizinische Routineaufgaben, z. B. Blutdruck und Blut­zucker messen, vor Ort vorgenommen werden. Das Personal soll zunächst aus examinierten Pflegefachkräften bestehen. Insgesamt 1000 Gesundheitskioske sollen in den kommenden Jahren entstehen. Finanzieren sollen das Ganze vor allem die Kranken­kassen. Die privaten Versicherer sollen 5,5 Prozent der Kosten, die Kommunen 20 Prozent tragen. Die Pläne stoßen auf viel Widerspruch – nicht zuletzt bei den Kassen. Aber auch die Apotheker lehnen sie in einem Apothekertagsbeschluss klar ab. Besser sollten die etablierten Strukturen der ambulanten Gesundheitsversorgung gestärkt werden, als unnötige und teure Parallel-Strukturen zu schaffen, so ihr Argument. Zum Jahresende liegt noch kein Gesetzentwurf aus dem BMG vor.

Krankenhauspflegeentlastungsgesetz: Schub für Digitalisierung

Im August wird ein Gesetzentwurf bekannt, der vor allem das Pflegepersonal in Kliniken entlasten soll. Das „Gesetz zur Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus sowie zur Anpassung weiterer Regelungen im Krankenhauswesen und in der Digitalisierung“ hat aber, wie seinem langen Namen zu entnehmen ist, auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen im Blick. Es ist damit Lauterbachs erstes „Digitalisierungsgesetz“. Sein Vorgänger Jens Spahn (CDU) hatte zuvor mit mehreren Gesetzen den Druck erhöht, doch nicht alles läuft, wie gedacht. Die Technik und der Datenschutz sorgen immer wieder für Rückschläge – insbesondere die elektronische Patientenakte (ePA) und das E-Rezept kommen nicht so schnell in die Versorgung, wie gewünscht. Lauterbach will nun einige Regelungen nachjustieren und neue Möglichkeiten schaffen. Im Dezember beschließen Bundestag und Bundesrat das Gesetz. Ein erklärtes Ziel ist es, die Nutzerfreundlichkeit digitaler Anwendungen zu stärken und ihnen so einen deutlichen Schub zu geben. Angesichts der Verzögerungen beim E-Rezept-Rollout werden zum Beispiel die gesetzlichen Fristen für den Start der elektronischen BtM- und T-Rezepte um ein Jahr verschoben werden. Außerdem können Apotheken künftig für Versicherte Identifizierungsverfahren anbieten – um ihnen so Zugang in die digitale Gesundheitswelt zu verschaffen. Genaueres hierzu muss noch von der Gematik – im Einvernehmen mit den Bundesdatenschutzbehörden – sowie durch eine Rechtsverordnung des BMG festgelegt werden. Klar ist: Apotheken sind nicht verpflichtet, ein solches Verfahren anzubieten. Eine Vergütung soll es aber geben. Weiterhin wird ein eigener Paragraf für E-Rezept-Schnittstellen ins Sozialgesetzbuch V eingefügt. Konkret benannte Institutionen, die an die TI angeschlossen sind – z. B. Apotheken, Krankenkassen und Vertragsärzte –, sollen Verordnungsdaten von E-Rezepten zu bestimmten Zwecken erhalten können. Dabei geht es stets um „Mehrwerte“ für die Versicherten. Apotheken bekommen die Daten etwa, sofern sie „im Rahmen des Apothekenbetriebs zur Unterstützung der Versorgung der Patienten erforderlich sind“. Ausdrücklich klargestellt wird aber auch, dass die elektronischen Zugangsdaten, die die Einlösung eines E-Rezepts ermöglichen, also die Token, nicht über die besagten Schnittstellen übermittelt werden dürfen. Eine weitere neue Norm soll Hürden abbauen, die derzeit aufgrund von Beschränkungen durch Software-Anbieter und Hersteller im Rahmen der TI bestehen. Sie werden verpflichtet, diskriminierungsfrei Dienste und Komponenten aller Anbieter in ihr System einzubinden, ohne hierfür zusätzliche Gebühren zu verlangen. Nicht zuletzt wird das bisherige Verfahren zur Finanzierung und Erstattung der TI-Komponenten und Dienste für Apotheken und Ärzte umgestellt. Ab dem 1. Juli 2023 soll es hierfür monatliche Pauschalen geben. Das Nähere zur Höhe und Abrechnung der TI-Pauschale für die Apotheken sollen DAV und GKV-Spitzenverband bis zum 30. April vereinbaren. Sofern diese Frist nicht eingehalten wird, legt das BMG den Vereinbarungs­inhalt binnen zwei Monaten fest.

Gesetz gegen Lieferengpässe

Pandemie, Ukraine-Krieg, steigende Kosten an allen Ecken und Enden: Auch wenn Lieferengpässe die Apotheken seit Jahren begleiten – 2022 scheinen sie einen Höhepunkt zu erreichen. Im Frühjahr fehlt es an Tamoxifen, in der Folge vor allem Schmerz- und Fiebermittel für Kinder. Doch die Defekte treten noch in viel mehr Indikationen auf. Selbst die Publikumsmedien berichten regelmäßig über die fehlenden Medikamente. Ende des Jahres kündigt Lauterbach an, noch vor Weihnachten den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, das sich dem eigentlich schon lange bekannten Problem der Engpässe annehmen soll. Es soll zunächst um kurzfristige Maßnahmen gehen. Mittelfristig soll auch zusammen mit dem Wirtschaftsministerium das Vergaberecht angepasst werden. Zudem soll es Anreize geben, die noch in Europa vorhandene Arzneimittel- und Wirkstoffproduktion zu halten. |

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