Arzneimittel und Therapie

Besseres Therapieansprechen, aber mehr Nebenwirkungen

Immunassoziierte Nebenwirkungen als prognostischer Parameter

Der Einsatz von Checkpoint-Inhi­bitoren bei Tumorerkrankungen kann immunassoziierte Neben­wirkungen hervorrufen, die sich von der Art und dem Eintreten der Begleiterscheinungen einer klassischen Chemotherapie unterscheiden. Die Nebenwirkungen einer immunonkologischen Therapie weisen noch eine Besonderheit auf: Sie können offenbar als gutes Omen für den günstigen Verlauf einer Tumortherapie gewertet werden.

In den letzten zwei Dekaden hat sich die Immunonkologie als vierte Säule der Tumortherapie etabliert. Der Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren hat bei manchen Tumorentitäten zu früher kaum vorstellbaren Behandlungsergebnissen geführt (Tab. 1). So konnten – um nur ein Beispiel zu nennen – mit einer kombinierten Immuntherapie beim metastasierten Melanom langfristige Überlebensvorteile erzielt werden, und die früher erreichte durchschnittliche Überlebenszeit von rund acht Monaten konnte durch ein Viel­faches verlängert werden.

Tab. 1: In Deutschland zugelassene Checkpoint-Inhibitoren. CTLA-4 = cytotoxic T-lymphocyte-associated Protein 4, PD-L1 = Programmed cell death ligand-1, PD-1 = Programmed cell death protein 1, NSCLC = Non-small-cell lung cancer (nicht kleinzelliges Bronchialkarzinom), SCLC = small-cell lung cancer (kleinzelliges Bronchialkarzinom)
Wirkstoff (Handelsname)
Target
Indikationen (Beispiele)
Atezolizumab (Tecentriq)
PD-L1
Urothelkarzinom, NSCLC
Avelumab (Bavenico)
PD-L1
Urothelkarzinom, Merkelkarzinom
Cemiplimab (Libtayo)
PD-1
kutanes Plattenepithelkarzinom, Zervixkarzinom, NSCLC
Dostarlimab (Jemperli)
PD-1
Endometriumkarzinom
Durvalumab (Imfinzi)
PD-L1
NSCLC, SCLC, biläre und hepatozelluläe Karzinome
Ipilimumab (Yervoy)
CTLA-4
Melanom, NSCLC
Nivolumab (Opdivo)
PD-1
Melanom, NSCLC, Urothelkarzinome
Pembrolizumab (Keytruda)
PD-1
NSCLC, Urothelkarzinome, Melanom
Tremelimumab (Imjudo)
CTLA-4
NSCLC (Zulassung April 2023)

Eine Therapie mit Immunonkologika ist mit einigen Besonderheiten asso­ziiert:

  • mit bestimmten Nebenwirkungen (immunassoziierte Nebenwirkungen, immun-related adverse events, IrAE),
  • mit einer Latenzzeit bis zum Wirkungseintritt und
  • mit einem Mangel an prognostischen Parametern.

Welcher Patient tatsächlich von einer Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren profitiert, ist derzeit nicht abschließend geklärt. Allerdings sind einige Prädiktoren für ein mögliches Therapieansprechen bekannt. Dazu gehören tumorbasierte Biomarker wie die Expression von PD-L1 (Programmed cell death ligand-1) bzw. PD-L-Expression, die Mutationslast des Tumors und die Mikrosatelliteninstabilität. Ferner scheinen klinische Charakteristika die Wirksamkeit von Immunonkologika zu beeinflussen. So ist die Einnahme von Steroiden aufgrund ihrer immunsuppressiven Eigenschaften mit einem ungünstigen Therapieverlauf assoziiert. Antibiotika, die das Darmmikrobiom beeinflussen, scheinen ebenfalls den Benefit einer Immuntherapie zu mindern. Die stärkste Assoziation zwischen der Wirksamkeit einer immunonkologischen Therapie und deren Erfolg besteht aber im Auftreten oder Fehlen immunassoziierter Nebenwirkungen. Es besteht also eine Beziehung zwischen der Anti-Tumorwirkung und der körpereigenen immunologischen Antwort. So verdichten und bestätigen sich die Hinweise, dass das Auftreten immunassoziierter Begleiterscheinungen mit einem besseren Ansprechen auf eine immunonkologische Therapie korreliert. Die prognostische Bedeutung immunassoziierter Nebenwirkungen wurde bei Melanom-Patienten bereits mehrfach beschrieben, trifft aber auch auf weitere Tumorentitäten zu [1, 2].

Besonderheiten immun­assoziierter Nebenwirkungen

Immunassoziierte Nebenwirkungen können jedes Organsystem betreffen (s. Tab. 2). Sie sind meist nur leicht ausgeprägt; schwerwiegende Verläufe müssen jedoch rechtzeitig erkannt werden. Dies ist unter Umständen aufgrund der unspezifischen Symptomatik erschwert. Immunassoziierte Nebenwirkungen treten häufiger unter einer Anti-CTLA-4-Therapie sowie unter einer Kombinationstherapie aus Inhibitoren von CTLA 4 und PD-1/PD-L1 auf. Grundsätzlich können sämt­liche Nebenwirkungen in allen Sub­stanzklassen auftreten, aber es bestehen gewisse Zusammenhänge zwischen der Wirkstoffgruppe und der klinischen Manifestation. So sind CTLA-4-Inhibitoren eher mit Hypophysitis und Kolitis assoziiert, PD-1- bzw. PD-L1-Blocker eher mit Thyreoiditis, Pneumonitis und rheumatischen Manifestationen. Die unterschiedlichen Nebenwirkungen zeigen sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach Beginn der Therapie: Erscheinungen an der Haut finden sich typischerweise eher zeitnah nach Therapiebeginn, während endokrinologische Nebenwirkungen eher später im Therapieverlauf auftreten. Generell können immunassoziierte Nebenwirkungen aber nicht nur während, sondern auch nach dem Ende einer Therapie auftreten und werden dann als delayed immune-related events (DIRE) bezeichnet.

Die Einstufung immunassoziierter Nebenwirkungen erfolgt nach der CTCAE(Common Terminology Criteria für Adverse Events)-Klassifikation mit Abstufungen von eins bis fünf (1 = mild, 5 = Tod). Das Management der Nebenwirkungen richtet sich nach dem betroffenen Organsystem, generell sollte aber ab moderaten CTCAE-Beeinträchtigungen (CTC-Grad ≥ 2) überlegt werden, systemische Glucocorticoide einzusetzen und notfalls die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren zu unterbrechen oder ganz abzubrechen [3]. Aktuelle Hinweise zum Umgang mit immunassoziierten Begleiterscheinungen finden sich beispielsweise in der ESMO-Leitlinie 2022 „Management of toxicities from immunotherapy“ [4].

Tab. 2: Immunvermittelte Nebenwirkungen unter einer Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren (Auswahl); ihre Häufigkeit ist abhängig von der Art der eingesetzten Wirkstoffe (PD-1- bzw. PD-L1-Inhibitor oder CTLA-4-Inhibitor) und ob Mono- oder Kombinationstherapien vorliegen. Sie können zahlreiche Organsysteme betreffen (nach [12]).
betroffenes Organ
Inhibitoren des cyto­toxic T-lymphocyte-associated Protein 4 (CTLA-4-Inhibitoren)
Inhibitoren des Programmed cell death ligand-1 (PD-L1-Inhibitoren) bzw. des Programmed cell death protein 1 (PD-1/PD-L1-Inhibitoren
Haut
Ausschlag
24%
15%
Juckreiz
25% bis 35%
13% bis 20%
Magen-Darm-Trakt
Diarrhö
27% bis 54%
sehr niedrig
Kolitis
8% bis 22%
Lunge
Husten / Atemnot
sehr niedrig
20% bis 40%
Pneumonitis
2% bis 4%
Leber
5% bis 10%
5% bis 10%
Endokrine Organe
Auswirkungen auf die Schilddrüse
1% bis 5%
5% bis 10%
Hypophysitis
1%
sehr selten

Paradebeispiel Melanom

Ein Zusammenhang zwischen immunvermittelten Nebenwirkungen von Checkpoint-Inhibitoren und einem längeren Überleben ist für unterschied­liche Tumorentitäten beschrieben, so auch für das metastasierte Melanom. Die Ergebnisse einer jüngst veröffentlichten Arbeit mit knapp 500 Patienten zeigen dies eindrücklich. Diese retrospektive Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen immunvermittelten Nebenwirkungen unter einer Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren und dem Gesamtüberleben. Berücksichtigt wurden dabei Mono- und Kombinationstherapien sowie die Notwendigkeit einer Hospitalisierung aufgrund schwerer immunvermittelter Nebenwirkungen. Das Ergebnis war eindeutig: Patienten, die immunassoziierte Begleiterscheinungen entwickelten, hatten unabhängig von der Art der Therapie und unabhängig von Krankenhausaufenthalten ein längeres Gesamtüberleben als Patienten ohne immunvermittelte Begleiterscheinungen (56,3 vs. 18,5 Monate). Auch eine Wiederaufnahme der immunonkologischen Therapie nach deren vorübergehendem Absetzen aufgrund immunassoziierter Nebenwirkungen verringerte den Benefit der Behandlung nicht. Im Gegenteil: Die Patienten mit erneuter Therapie hatten im Median länger überlebt als Patienten, bei denen auf eine erneute Behandlung verzichtet wurde (56,3 vs. 31,5 Monate) [5].

Benefit auch bei weiteren Tumorarten

Zu einer ähnlichen Aussage kam auch eine Metaanalyse, die auf der Auswertung von 52 Studien mit mehr als 9000 Patienten beruht. Sie untersuchte die Assoziation immunbezogener Nebenwirkungen unter einer Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren und dem Krankheitsverlauf von Krebspatienten, die an unterschiedlichen soliden Tumoren erkrankt waren. Patienten, die immunassoziierte Nebenwirkungen entwickelten, wiesen ein längeres progressionsfreies und ein längeres Gesamtüberleben auf als Patienten ohne immunassoziierte Begleiterscheinungen (Hazard ratio für das Gesamtüberleben 0,51; 95%-Konfidenzintervall 0,41 bis 0,59). Eine robuste Assoziation zwischen einem besseren klinischen Verlauf und aufgetretenen immunassoziierten Nebenwirkungen fand sich bei Melanomen und nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen. Der Benefit zwischen immunassoziierten Nebenwirkungen und einem günstigeren Krankheitsverlauf scheint unter einer Therapie mit PD(L)1-Inhibitoren größer zu sein als beim Einsatz des CTLA-4-Inhibitors Ipilimumab [6].

Die Bedeutung immunvermittelter Nebenwirkungen als prognostisch günstiger Parameter konnte für mehrere Tumorentitäten gezeigt werden. So etwa beim NSCLC, bei Kopf-Hals-Tumoren, gastrointestinalen Krebs­erkrankungen und Nierenzellkarzinomen [7, 8, 9].

Viele Fragen, unterschiedliche Antworten

Weitere Studien befassten sich mit der Frage, ob Schwere und Art immun­assoziierter Nebenwirkungen den Krankheitsverlauf beeinflussen. So zeigte eine Metaanalyse der Daten von mehr als 8000 Lungenkrebspatienten, dass auch die Art der Nebenwirkungen den Benefit der Therapie bestimmt. Das Auftreten dermatologischer, endokriner und gastrointestinaler immunvermittelter Nebenwirkungen waren die günstigsten Vorzeichen für einen Therapieerfolg [10]. Eine jüngst publizierte Metaanalyse auf der Datenbasis von rund 42.000 Patienten mit unterschiedlichen Tumorerkrankungen sieht hingegen in dem Auftreten immunassoziierter Nebenwirkungen lediglich einen schwachen Surrogat­parameter für den Verlauf einer immunonkologisch therapierten Erkrankung. Die Korrelation zwischen Nebenwirkungen und günstigem Krankheitsverlauf war lediglich schwach ausgeprägt, und die Art der Nebenwirkungen sowie deren Stärke hatten keinen Einfluss [11].

Mit der Frage, ob sich der Zeitpunkt, wann die immunassoziierten Nebenwirkungen einsetzen, auf den Therapieverlauf auswirkt, befasste sich eine weitere Studie. Diese verglich das Gesamtüberleben von Tumorpatienten nach einer Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren in Abhängigkeit der Zeit, wann unerwünschte Wirkungen auftraten. Manifestierten sich diese erst nach drei Monaten, war das Gesamtüberleben länger als bei einem früheren Auftreten [2]. |

 

Literatur

 [1] Schweizer C. Prospektive Evaluation der prognostischen Bedeutung immunassoziierter Nebenwirkungen von Patienten mit soliden Tumorerkrankungen (außer Melanom) in Behandlung mit PD-1/PD-L1-Inhibitoren mit oder ohne begleitender Radiotherapie. Dissertation 2021

 [2] Hsiehchen D et al. Association between immune-related adverse event timing and treatment outcomes. Oncoimmunology 2022;11(1):2017162, doi: 10.1080/2162402X.2021.2017162, PMID: 35003896

 [3] Braun GS et al. Nebenwirkungen neuer onkologischer Immuntherapien [Side effects of novel cancer immunotherapies]. Nephrologe. 2020;15(3):191-204. German, doi: 10.1007/s11560-020-00424-8, Epub 29. April 2020, PMID: 32351619

 [4] Haanen J et al. Management of toxicities from immunotherapy: ESMO Clinical Practice Guideline for diagnosis, treatment and follow-up. www.annalsofoncology.org/article/S0923-7534(22)04187-4/fulltext

 [5] Watson AS et al. Association of Immune-Related Adverse Events, Hospitalization, and Therapy Resumption With Survival Among Patients With Metastatic Melanoma Receiving Single-Agent or Combination Immunotherapy. JAMA Netw Open 1. Dezember 2022, e2245596, doi: 10.1001/jamanetworkopen.2022.45596

 [6] Fan Y et al. Association of Immune Related Adverse Events With Efficacy of Immune Checkpoint Inhibitors and Overall Survival in Cancers: A Systemic Review and Meta-analysis. Front Oncol 2021;11:633032, doi: 10.3389/fonc.2021.633032, PMID: 33912454

[7] Foster CC et al. Immune-related adverse events are associated with improved response, progression-free survival, and overall survival for patients with head and neck cancer receiving immune checkpoint inhibitors. Cancer. 2021 Dec 15;127(24):4565-4573, doi: 10.1002/cncr.33780, Epub 21. September 2021, PMID: 34547103

 [8] Hara Y et al. Immune-related adverse events and prognosis in patients with upper gastrointestinal cancer treated with nivolumab. J Gastrointest Oncol. 2022 Dec;13(6):2779-2788, doi: 10.21037/jgo-22-281, PMID: 36636073

 [9] Paderi A et al. Association between Immune Related Adverse Events and Outcome in Patients with Metastatic Renal Cell Carcinoma Treated with Immune Checkpoint Inhibitors. Cancers (Basel) 2021;13(4):860, doi: 10.3390/cancers13040860, PMID: 33670634

[10] Wang D et al. Immune-Related Adverse Events Predict the Efficacy of Immune Checkpoint Inhibitors in Lung Cancer Patients: A Meta-Analysis. Front Oncol 2021;11:631949, doi: 10.3389/fonc.2021.631949, PMID: 33732650

[11] Amoroso V et al. Immune-related adverse events as potential surrogates of immune checkpoint inhibitors‘ efficacy: a systematic review and meta-analysis of randomized studies. ESMO Open 2023;8(2):100787, doi: 10.1016/j.esmoop.2023.100787, Epub ahead of print, PMID: 36842300

[12] Was sind Immuntherapie-bedingte Nebenwirkungen? ESMO-Patientenleitlinienprogramm auf Grundlage der ESMO-Leitlinien für die klinische Praxis. www.esmo.org/content/download/133758/2490221/1/DE-ESMO-Patientenleitlinie-Immuntherapie-bedingte-Nebenwirkungen-und-ihr-Management.pdf]

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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