Aus den Ländern

Der Weg zum AMTS-Apotheker

26. Fachtagung Sozialpharmazie in Münster fokussiert auf ältere multimorbide Menschen

Über zehn Jahre ist es her, seit die nordrhein-westfälische Landes­gesundheitskonferenz (LGK) 2012 eine Entschließung zur „Arzneimitteltherapiesicherheit als elementarer Baustein einer guten und sicheren gesundheitlichen Versorgung der Bürgerinnen und Bürger“ ver­abschiedet hat. Viele Empfehlungen adressierte die LGK seitdem an ihre Mitglieder, wie Ärzteschaft, Apothekerschaft, Krankenkassen, Öffentlicher Gesundheitsdienst.

Die Zahl der älteren Menschen steigt, mit zunehmendem Alter nimmt auch die Zahl der eingenommenen Medikamente zu. Arzneimittelwechselwirkungen und Unterversorgung sind häufig die Folge. Umso wichtiger wird ein individueller Blick auf die Arzneimitteltherapiesicherheit der Patienten. Aus diesem Grund stand das Thema im Fokus der diesjährigen 26. Sozialpharmazietagung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes am 3. und 4. Mai 2023 in Münster.

Interdisziplinäre Zusammen­arbeit ist notwendig

Prof. Dr. Marjan van den Akker, Inhaberin des Lehrstuhls für Multimedikation und Versorgungsforschung am Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität, Frankfurt am Main, berichtete über die Herausforderungen der Multimedikation in unserer älter werdenden Gesellschaft. Multimorbidität führt zu einer zunehmenden Komplexität der Versorgung, sinkenden Lebensqualität und zu einer steigenden Mortalität. Die Zahl der verordnenden Ärzte steigt und damit kommt es zum Teil zu widersprüchlichen Behandlungsempfehlungen und oft zur sogenannten Multi­medikation, wenn mindestens fünf Arzneimittel gleichzeitig eingenommen werden. Diese hohe Zahl an Medikamenten führt zu diversen Problemen, jede sechste Krankenhauseinweisung ist auf unerwünschte Arzneimittelwirkung zurückzuführen, wobei 40% vermeidbar wären. Eine individualisierte Versorgung, eine gemeinsame bzw. partizipative Entscheidungsfindung sowie im Idealfall eine auf Interdisziplinarität ausgerichtete Zusammen­arbeit aller Beteiligten sind daher die Ziele. Individuelle Fähigkeiten und Präferenzen des Patienten, seine Persönlichkeit, Religion, Ethnizität, die finanzielle Situation und der Bildungsgrad spielen hierbei eine wichtige Rolle. Wenn Patientinnen und Patienten in Entscheidungen bezüglich ihrer Behandlung einbezogen werden, kann die Adhärenz verbessert werden.

Mit pharmazeutischen Dienstleistungen auf Patienten zugehen

Dr. Olaf Rose, Apothekenleiter und vehementer Verfechter einer patientenorientierten statt arzneistofforientierten Ausbildung und Berufstätigkeit von Apothekerinnen und Apothekern, stellte Erreichtes und Nichterreichtes seit der LGK-Entschließung 2012 vor. Positiv zu vermerken sind die Einführung der fünf pharmazeu­tischen Dienstleistungen 2022, sowie die angestoßene Weiterentwicklung der Approbationsordnung. Allerdings gibt es auch Rückschritte: Zeitmangel aufgrund von Personalnotstand und COVID-19, hohe Krankenstände, steigende Bürokratie sowie sinkende Ressourcen. Die Optimierung durch pharmazeutische Dienstleistungen wird in 2023 zunehmend durch die ABDA etc. forciert werden, und erste Studien zur Medikationsanalyse werden veröffentlicht. Doch viele Apotheker sind es gewohnt, dass die Patienten zu ihnen kommen; daraus resultiert oftmals eine Zurückhaltung, die Dienstleistungen aktiv anzubieten und bekannt zu machen. Weiterhin wirkt sich die arzneistofforientierte statt patientenorientierte Ausrichtung des Studiums und mangelnder Wille der Hausärzteschaft zur interprofessionellen Zusammen­arbeit hemmend aus. Auch in Einrichtungen der Langzeitpflege ist nach Rose keine ausreichende Fokussierung auf die Patienten gegeben. Neuverblistern könne hierbei eine Möglichkeit zur Sicherstellung einer ordnungs­gemäßen Therapie sein, vor allem im Hinblick auf den Personalmangel im Heim. In Bezug auf die universitäre Ausbildung gibt es zahlreiche Hilfskonstrukte, um den „eigentlichen Lehrinhalt“ – gemeint sind Pharmakotherapieberatung nach Medikationsanalyse – nachzuholen.

Elektronische Patientenakten können Rose zufolge Fortschritte ermöglichen, allerdings werden Patientinnen und Patientinnen weiterhin oft nicht als Inhaber der Daten betrachtet und kaum in Entscheidungen einbezogen. Er plädierte für einen Wandel in den Köpfen durch eine neue Ausbildung, Patientenzentrierung sowie durch eine Hebung des Niveaus als Folge einer Einführung von Pharmakotherapie und interprofessioneller, klinischer Ausbildung. Zudem sollte mehr Verantwortung im Gesundheitswesen an Apothekerinnen und Apotheker übertragen sowie indikationsspezifische Netzwerke implementiert werden.

Amtsapothekerinnen und -apotheker als AMTS-Motivatoren

Ilka Fleer und Stephanie Trutwin-Bornhoeft, Amtsapothekerinnen im Regierungsbezirk Köln, referierten über die wichtige Rolle, die Amtsapotheker für die Arzneimitteltherapie­sicherheit (AMTS) spielen. AMTS sei mehr als nur die Sicherheit des Arzneimittels, sondern betreffe den gesamten Medikationsprozess. Amtsapotheker haben direkten Kontakt zu öffentlichen Apotheken und fungieren als Multiplikator bei Inspektionen, indem sie wichtige Informationen weitergeben. Sie dienen als Orientierungshilfe, Informationsquelle und stehen für Kontaktaufnahmen zur Verfügung. Zusätzlich arbeiten sie in lokalen Arbeitsgruppen mit, wie zum Beispiel in der AG Sucht und Substitution oder der AG Gerontopsychiatrie. In Vorträgen zu Themen wie Cannabis, BtM-Fragestellungen, Substitu­tion, Arzneimitteltherapie im Alter, Polymedikation und Anticholinergika klären sie über wichtige Aspekte der Medikation auf. Außerdem beraten sie Prostituierte zu Themen wie Verhütung und sexuell übertragbaren Krankheiten sowie zur Präexpositionsprophylaxe bei HIV.

Die beiden Amtsapothekerinnen betonten auch die enorme Bedeutung der Mitwirkung von Apothekerinnen und Apothekern an der AMTS. Dies wurde durch die Aussagen unterstrichen, dass 45% der Asthma-Patienten, die sich im Krankenhaus vorstellen, ihr Gerät falsch anwenden, dass die inhalative Applikation bei 79% der Patienten fehlerhaft ist und dass bei mindestens 30% der Hypertoniker der Blutdruck nicht kontrolliert wird.

In der Stadt Hamm konnte durch die gute Vernetzung der Sozialpharmazie mit der Abteilung Gesundheits­planung/Koordination das Projekt über das arzneimittelbezogene Entlassmanagement in der Kommunalen Gesundheitskonferenz vorgestellt werden, wie die dortige Amtsapothekerin Carola Hiltawsky berichtete. Dort wurde das Projekt mit Vertretern des Krankenhauses, Apothekern und ambulant tätigen Ärzten diskutiert. Es konnten Probleme identifiziert werden und so eine Verbesserung der Versorgung an den Schnittstellen zwischen dem ambulanten und stationären Sektor auf den Weg gebracht werden.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wird vor allem eines deutlich: Arzneimitteltherapiesicherheit ist ein enorm wichtiger Bestandteil der Therapie und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Eine weitere Implementierung der Prozesse ist also unbedingt notwendig und sollte auch weiterhin vorangetrieben werden. |

Dana-Louisa Weber, Münster

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