Arzneimittel und Therapie

Erdnuss zum Aufkleben

Kleinkinder mit Erdnussallergie profitieren von epikutaner Immuntherapie

„Kann Spuren von Erdnuss enthalten.“ In verarbeiteten Lebensmitteln verstecken sich häufig Kleinstmengen der Hülsenfrucht durch Kreuzkontamination aufgrund alternierend genutzter Produktionsanlagen. Bereits geringe Mengen reichen aus, um bei Allergikern schwerwiegende oder lebensbedrohliche Symptome auszulösen. Nun macht ein „Erdnusspflaster“ vor allem für Kleinkinder Hoffnung, für die bislang keine zugelassene Immuntherapie existiert.

In Deutschland sind 0,5 bis 1,1% der Kinder von einer Erdnussallergie betroffen [1, 2]. Erdnussallergene stellen in diesem Alter die häufigste Ursache für lebensbedrohliche anaphylaktische Reaktionen dar. Mangels zugelassener Therapieoptionen beschränkte sich die Behandlung bis Ende des Jahres 2020 auf eine strikte Vermeidung von Erdnüssen mit medikamentöser Symptomlinderung bei versehentlicher Exposition [2]. Seit Dezember 2020 ist die orale Immuntherapie (OIT) Palforzia® in der EU für Kinder zwischen vier und 17 Jahren zugelassen. Ziel der Behandlung ist eine Desensibilisierung, bei der die Immun­toleranz für das Allergen schrittweise erhöht wird (s. Kasten „Was ist eine Desensibilisierung?“). Nach einer initialen Aufdosierung erhalten die Patienten täglich über 22 Wochen Erdnussproteinpulver in oraler Dar­reichungsform in aufsteigender Dosierung. Anschließend folgt eine 24-monatige Erhaltungsphase mit 300 mg Erdnussprotein pro Tag [3].

Foto: Данияр Айбеков/AdobeStock

Finger weg von Erdnüssen! Bislang gibt es keine zugelassene Immuntherapie für unter Vierjährige mit Erdnussallergie. Was als einzige präventive Maßnahme bleibt, ist eine strikte Allergenkarenz.

Orale Immuntherapie überzeugt nicht

In einer frühen Nutzenbewertung attestierte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheits­wesen (IQWiG) der Behandlung lediglich einen geringen Nutzen gegenüber einer Allergenkarenz mit bedarfsweise eingesetzter Symptombehandlung bei Allergenexposition [4]. Dieser Beschluss wurde durch ein Stellungnahmeverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) im April 2022 bestätigt [5]. Das IQWiG begründete seine Entscheidung damit, dass die orale Immuntherapie lediglich einen Vorteil in einem artifiziellen Surrogatendpunkt zeige. In den patienten­relevanten Endpunkten gebe es ausschließlich Nachteile gegenüber einer reinen Erdnuss-vermeidenden Diät.

Das häufige Auftreten unerwünschter Ereignisse führe zudem zu einer höheren Abbruchrate als unter Placebo [4].

Epikutane Therapie als Alternative?

Ein anderer Ansatz ist eine epikutane Immuntherapie (EPIT), bei der das Erdnussallergen aus einem Pflaster über die Haut aufgenommen wird. Im Gegensatz zur oralen Therapieform liegen die abgegebenen Allergen­dosierungen im Mikrogrammbereich. Bei Kindern im Alter von vier bis elf Jahren konnte bereits eine gute Wirksamkeit der pflasterbasierten Therapie gezeigt werden. Fehlende Behandlungsoptionen für Kleinkinder sowie Hinweise für ein effektiveres Ansprechen früh durchgeführter Desensibilisierungen veranlassten ein internationales Team aus Wissenschaftlern, die Wirksamkeit und Sicherheit der epikutanen Immuntherapie bei Kindern im Alter von ein bis drei Jahren zu prüfen.

„Erdnusspflaster“ zeigt gute Wirksamkeit

In einer länderübergreifenden klinischen Phase-III-Studie wurde 244 Kleinkindern täglich über zwölf Monate ein Pflaster mit 250 µg Erdnuss­protein zwischen die Schulterblätter appliziert. Die Dosierung entspricht etwa einem Tausendstel einer Erdnuss. 118 Kinder erhielten ein Placebopflaster. Mithilfe eines Provokationstests, bei dem aufsteigende Erdnussprotein-Dosierungen allergische Reaktionen gezielt hervorrufen, wurde die Wirksamkeit der Intervention nach einem Jahr überprüft. Die Studienergebnisse wurden nun im New England Journal of Medicine veröffentlicht.

67,0% der Kinder, die ein Erdnuss­protein-haltiges Pflaster erhielten, sprachen auf die Therapie an. Die Placebogruppe zeigte dagegen eine Ansprechrate von lediglich 33,5% (Differenz = 33,4%; 95%-Konfidenz­intervall [KI] = 22,4 bis 44,5; p < 0,001).

Die Wirksamkeit der epikutanen Immuntherapie war damit der Placebo­behandlung signifikant überlegen.

Zudem konnten in der Verumgruppe sinkende Erdnuss-spezifische Immun­globulin-E(IgE)- sowie steigende IgG-Werte gezeigt werden. In der Placebogruppe kam es dagegen zu einer Erhöhung der IgE-Werte.

Ein Ansprechen auf die Behandlung wurde als erfolgreich definiert, wenn der nachträglich durchgeführte Provokationstest deutlich höhere Allergendosierungen im Vergleich zur Ausgangssituation erforderte, um eine allergische Reaktion zu provozieren.

So stieg die auslösende kumulative Allergendosierung nach erfolgreicher Desensibilisierung auf bis zu 3444 mg Erdnussprotein.

Die häufigsten unerwünschten Ereignisse waren Hautreaktionen an der Klebestelle, die in beiden Gruppen beobachtet wurden. Ein Kind (0,4%) entwickelte unter der Erdnuss-Immun­therapie ein periorbitales Ödem. Ausschließlich in der Verumgruppe traten bei vier Patienten (1,6%) anaphylaktische Reaktionen auf [1].

Was ist eine Desensibilisierung?

Bei einer Desensibilisierung erhält ein Allergiker über einen definierten Zeitraum aufsteigende Dosen eines Aller­gens. Die geringen Mengen, die zu Beginn der Behandlung eingesetzt werden, führen zu einer Bildung von IgG- und IgA-Antikörpern, die das Allergen binden und so die IgE-vermittelte allergische Reaktion abschwächen oder verhindern. Diese Form der Immuntherapie zielt darauf ab, die Immuntoleranz des Organismus gegenüber dem Allergen zu erhöhen und dadurch das Risiko lebens­bedrohlicher anaphylaktischer Reaktionen bei Allergen­exposition zu senken [7].

Was sagen Experten?

Prof. Dr. Randolf Brehler, Oberarzt der Klinik für Hautkrankheiten des Allergologischen Studienzentrums am Universitätsklinikum Münster, äußerte sich gegenüber dem Science Media Center [6] positiv zu den neuen Ergebnissen: „Die jetzige Studie zeigt, dass die Behandlung bei Kindern im Alter von einem bis drei Jahren durchaus klinische Erfolge zeigt, Kinder vertragen nach epikutaner Immuntherapie mehr Erdnussallergen als vorher“. Jedoch gab er zu bedenken, dass die insgesamt vertragene Menge „relativ klein“ sei und unter der Therapie durchaus Nebenwirkungen aufgetreten sind. Wie auch bei einer oralen Immuntherapie müsse vermutlich auch unter der epikutanen Immuntherapie eine Diät weitergeführt werden, und wie lange die Therapie an sich erfolgen müsse, sei unklar.

Für die Leiterin des Kinderallergologischen Studienzentrums der Charité - Universitätsmedizin Berlin, Prof. Dr. Kirsten Beyer, ist ebenfalls die Frage von Bedeutung, wie lange die Immuntherapie durchgeführt werden muss. Darüber sage der Wirksamkeitsendpunkt von einem Jahr erst einmal gar nichts aus. In ihrem Statement wies sie auch darauf hin, dass Patienten mit oraler Immuntherapie gegebenenfalls nach einigen Jahren auf echte Erdnüsse umgestellt werden könnten. Eine weitere Frage, die sich stellt, ist, ob das bei einer epikutanen Immuntherapie auch möglich ist. „Solche Fragen stellen dann natürlich vor allem die Zulassungsbehörden beziehungsweise hierzulande auch der Gemein­same Bundesausschuss, der dann darüber entscheiden muss, ob diese Therapie Kassenleistung wird“.

Insgesamt ist Beyer froh über jede weitere Therapieoption, sieht aber andere Ansätze als „noch erstrebenswerter als die orale oder die epikutane Immuntherapie mit nur einem Allergen“, nämlich „ein multisystemischer Ansatz, zum Beispiel eine Multi-Erdnuss/Nuss-OIT oder -EPIT, eine Anti-IgE-Therapie oder auch die Kombination hiervon“. Denn viele Kinder mit Erdnussallergie hätten nicht nur eine Nahrungsmittelallergie. |

Literatur

[1] Greenhawt M et al. Phase 3 Trial of Epicutaneous Immunotherapy in Toddlers with Peanut Allergy. N Engl J Med 2023;388(19):1755-1766, doi: 10.1056/NEJMoa2212895

[2] AR101, entfettetes Pulver von Arachis hypogaea L., semen (Erdnüsse) (Palforzia®): Dossier zur Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V. Modul 3 A, Gemeinsamer Bundesausschuss, Oktober 2021

[3] Fachinformation Palforzia®. Stand: August 2022

[4] Hyposensibilisierung mit AR101 bei Erdnussallergie: Beleg für einen geringen Nutzen. Pressemitteilung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitssystem (IQWiG), 17. Januar 2022

[5] Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Erdnussprotein als entfettetes Pulver von Arachis hypogaea L., semen (Erdnüsse) (Erdnussallergie, ≥ 4 Jahre). Gemeinsamer Bundesausschuss, Beschlussfassung: 7. April 2022, www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/748/#beschluesse

[6] Pflaster gegen Erdnussallergie bei Kleinkindern. Informationen des Science Media Centers, 10. Mai 2023

[7] Murphy K, Weaver C. Janeway Immunologie. 9. Auflage 2018, Springer Spektrum Berlin

Apothekerin Judith Esch

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.