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Diskussion der Bioäquivalenz-Leitlinie
„Open Forum“ zur Harmonisierung der Anforderungen für die Zulassung von Humanarzneimitteln
Die Co-Vorsitzenden der Konferenz, Prof. Dr. Erem Bilensoy von der Hacepette University (Ankara/Türkei) für die EUFEPS und Prof. Dr. Sandra Klein von der Universität Greifswald für die APV, stellten in ihrer Begrüßung im Airport Center Frankfurt fest, dass weite Bereiche der neuen Guideline den allgemein anerkannten Stand von Wissenschaft und Technik korrekt widerspiegeln und daher keiner weiteren Auseinandersetzung bedürfen. Die Rationale für manche neuen, zwischen den Regionen harmonisierten Regulierungen müsste jedoch diskutiert und gegebenenfalls modifiziert werden. Besonders intensiv wurden unter anderem folgende Aspekte des Leitlinienentwurfs diskutiert und zum Teil heftig wissenschaftlich kritisiert:
- Ist es notwendig, Frauen und Männern in Bioäquivalenzstudien einzubeziehen?
- Müssen Prüfpräparate vor der Studie mithilfe von In-vitro-Untersuchungen charakterisiert werden?
- Sind Unterschiede im Wirkstoffgehalt zwischen Prüfchargen und Test- bzw. Referenzpräparat relevant?
- Sind auch bei nicht-retardierten Präparaten Bioäquivalenzstudien nach Nüchternapplikation und Einnahme nach einer Mahlzeit erforderlich?
- Ist die Extrapolation von Bioäquivalenzbefunden zwischen verschiedenen Dosisstärken möglich?
- Was tun mit Probanden, bei denen bereits vor Applikation der Studienmedikation Arzneistoffkonzentrationen im Plasma gemessen wurden?
- Sind zusätzliche Untersuchungen bei Arzneistoffen mit pH-Wert-abhängiger Löslichkeit erforderlich?
Männer und Frauen in Bioäquivalenzstudien?
Während früher Bioverfügbarkeitsstudien fast ausschließlich mit männlichen Probanden durchgeführt wurden, wird seit Ende der 1980er-Jahre die Einbeziehung sowohl von Frauen als auch von Männern empfohlen. Eine entsprechende Regelung ist auch für die ICH-M13-Leitlinie vorgesehen. Diese Regelung wurde kritisiert, da Analysen ergeben haben, dass Unterschiede im Bioäquivalenzergebnis zwischen Männern und Frauen eher nicht zu erwarten seien. In diesem Zusammenhang wurde auf ein wesentliches Grundprinzip von Bioäquivalenzstudien verwiesen, nach dem die meistens an jungen, gesunden Probanden erhobenen Befunde als übertragbar auf andere Gruppen angesehen werden. Dies gilt vor allem für die eigentliche Zielgruppe der Arzneimittel, also Patienten, aber auch für Ältere. Eine Übertragung auf Personen anderen Geschlechts sollte dann genauso problemlos möglich sein. Die vorgetragenen Argumente waren nachvollziehbar, jedoch wurde darauf hingewiesen, dass der Zugang zu Studien grundsätzlich allen Personen unabhängig vom Geschlecht offenstehen müsse.
Was ist die „M13-Bioäquivalenz-Leitlinie“?
Die Leitlinie M13 „Bioequivalence for Immediate-Release Solid Oral Dosage Forms” ist der Versuch, unterschiedliche Ansichten und Kriterien zum Design von Bioäquivalenzstudien zu harmonisieren. So soll im Sinne einer rationalisierten globalen Arzneimittelentwicklung erreicht werden, dass Produktentwickler in verschiedenen Regionen nicht unterschiedliche Ansätze verfolgen oder zusätzliche Bioäquivalenzstudien durchführen müssen. Diese Leitlinie für schnell freisetzende orale Arzneiformen wird drei Teile umfassen, von denen der erste und insgesamt Hauptteil (M13A) als Entwurf vom International Council for Harmonisation of Technical Requirements for Pharmaceuticals for Human Use (ICH) zur Kommentierung durch die Fachkreise vorgelegt wurde. Der ICH hat weltweit 20 Mitglieder, darunter die USA, Kanada, EU, UK, Japan, China, Indien, Brasilien sowie Argentinien. Bis Ende Mai 2023 konnten Kommentare eingereicht und Änderungen vorschlagen werden, die durch die regional zuständigen Behörden – in Deutschland durch die European Medicines Agency (EMA) – gesammelt werden. Die verabschiedeten Regulierungen sind weltweit gültig und werden sukzessive in die nationalen bzw. überregionalen Leitlinien übernommen.
Was tun bei Gehaltsunterschieden zwischen Prüfpräparaten?
Intensiv wurde diskutiert, wie umfangreich die Prüfpräparate vor der Studie mithilfe von In-vitro-Untersuchungen charakterisiert werden müssten. Grundsätzlich einigte man sich darauf, dass die in die Studie einbezogenen Chargen repräsentativ für die entsprechenden Produkte sein müssten, damit die Ergebnisse auch für die spätere therapeutische Anwendung der Präparate gültig sind. Dies müsse im Fall der generischen Testpräparate anhand von mehreren Chargen nachgewiesen werden. Warum diese Forderung nicht auch für die Referenzpräparate gelte, sondern dort weniger strikte Empfehlungen gemacht werden, wurde als nicht akzeptabel kritisiert. Strittig war vor allem der Umgang mit Ergebnissen aus Vergleichsuntersuchungen der Prüfpräparate. Die Leitlinie sieht vor, dass die Gehaltsunterschiede zwischen den Chargen einen Wert von 5% nicht überschreiten sollten. Wenn jedoch aufgrund der am Markt befindlichen Chargen eines Referenzpräparates diese Forderung nicht eingehalten werden kann, dann wäre auch eine „Dosisnormierung“ zulässig, wobei die pharmakokinetischen Ergebnisse der jeweiligen Präparate auf deren Gehalt „normiert“ und erst dann für die Bioäquivalenzbewertung herangezogen werden. Die mit Nachdruck vorgetragene Empfehlung, das Verfahren der Dosisnormierung zum Grundprinzip der Bioäquivalenzentscheidung zu erheben, weil dadurch die Übertragbarkeit der Befunde auch auf spätere Produktionschargen mit abweichendem Gehalt eher sichergestellt werden könne, wurde mit Interesse zur Kenntnis genommen. Für eine direkte Übernahme in die Leitlinie fehlten aber noch Evidenzen, z. B. in Form von Belegen aus Simulationsuntersuchungen.
Bioäquivalenz bei Einnahme nüchtern bzw. nach dem Essen?
Müssen auch bei schnell freisetzenden Produkten ohne komplexe galenische Formulierungen Bioäquivalenzbelege in jedem Fall sowohl nach Nüchterneinnahme als auch bei Gabe nach einer Mahlzeit erbracht werden? Die Diskussion ließ erkennen, dass bei Anwesenheit bestimmter kritischer Hilfsstoffe oder bei besonders komplexen Formulierungen Bioäquivalenzbelege in beiden Fällen erforderlich sind. Aber auch diese Regelung wurde unter Verweis auf Präparate kritisiert, deren Einnahme nur unter einer Anwendungskondition (z. B. nur nüchtern oder nur nach dem Essen) empfohlen wird. In diesen Fällen sollte es ausreichend sein, nur eine Untersuchung unter den empfohlenen Einnahmebedingungen durchzuführen.
Zusätzliche Untersuchungen bei pH-Wert-abhängiger Löslichkeit?
Die Bioverfügbarkeit von Arzneimitteln mit pH-Wert-abhängiger Löslichkeit der Wirkstoffe kann in Abhängigkeit von wechselnden pH-Wert-Verhältnissen im Magen variieren. In manchen Fällen wird versucht, dieser Problematik durch komplexere galenische Formulierungen entgegenzuwirken. Entsprechende Maßnahmen können sich zwischen Präparaten (z. B. „Originator“ und seinen generischen Alternativen) unterscheiden, wodurch in bestimmten Anwendungssituationen, die mit verschiedenen pH-Wert-Verhältnissen im Magen einhergehen, es zu Unterschieden in der Bioverfügbarkeit kommen kann. Der Entwurf der neuen ICH-Guideline sieht daher für solche Fälle zusätzliche Untersuchungen unter Kombination mit Arzneimitteln vor, die den Magen-pH-Wert modifizieren, z. B. Protonenpumpeninhibitoren.
„Die Kombination mit einem PPI kann die Bioverfügbarkeit von Arzneimitteln mit pH-Wert-abhängiger Löslichkeit erheblich verändern.“
Diese neue Anforderung in der ICH-Guideline wurde unter anderem mit dem Hinweis kritisiert, dass eine Erhöhung des Magen-pH-Wertes auch durch Applikation nach dem Essen erreicht werden könne. Insofern wäre die Problematik bereits durch die oben genannten Forderungen nach Untersuchungen mit Nüchterneinnahme sowie Gabe nach einer Mahlzeit bei den Produkten mit komplexen Formulierungen abgedeckt. Dem wurde entgegengehalten, dass die pH-Wert-Erhöhung, die bei einer Einnahme nach dem Essen erreicht wird, geringer ausfällt und vor allem deutlich weniger lange anhält als bei Gaben von Protonenpumpeninhibitoren.
Was tun bei Auffälligkeiten in den Plasmaprofilen?
Bei manchen Bioäquivalenzstudien gibt es Besonderheiten in den Plasmaprofilen, die eine spezielle Behandlung erfordern. Dies trifft z. B. zu, wenn bereits in den vor der Applikation abgenommenen Blutproben Konzentrationen des Arzneistoffs nachgewiesen werden. Überschreiten diese Pre-dose-Konzentrationen einen Wert von 5% des jeweiligen Cmax-Wertes, werden die betreffenden Plasmaprofile aus der Bioäquivalenzauswertung herausgenommen. Eine solche Regelung mit Festlegung eines maximal tolerierten Grenzwertes macht angesichts der Tatsache Sinn, dass manche Arzneistoffe (z. B. Diclofenac) bereits im Trinkwasser ubiquitär enthalten und daher Pre-dose-Konzentrationen nahezu unvermeidbar sind. In jedem Fall sollten solche Ereignisse sorgfältig betrachtet werden, vor allem wenn diese in der zweiten Studienperiode gehäuft auftreten. Dann nämlich könnte es sich um sogenannte Carry-over-Effekte handeln, die bei ausreichend langer Auswaschphase vermeidbar sein sollten.
Fazit und Ausblick
Die Diskussionen während des Open Forums waren konstruktiv und wurden auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau geführt. Die Vertreter aus Industrie und Hochschule sowie von sonstigen Forschungseinrichtungen haben die Möglichkeit sehr begrüßt, ihre Positionen in den offenen Debatten darstellen und begründen zu können. Die Vertreter der ICH-Gruppe bedankten sich für die vorgetragenen Argumente, die für sie wichtige Denkanstöße darstellen, um sie auch in die weiteren Beratungen mit den Vertretern der anderen Regionen einzubringen. |
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