Arzneimittel und Therapie

Auf Spurensuche

Welches Potenzial in Tests auf zirkulierende Tumor-DNA steckt

Tumoren hinterlassen ihre Spuren, die sich aus vielen Körperflüssig­keiten extrahieren lassen – unter anderem zirkulierende Tumor-DNA. Ihre spezifische Bestimmung könnte eine zunehmende Rolle bei der Überprüfung des Therapieerfolges bei verschiedenen Krebserkrankungen mittels Flüssigbiopsie (Liquid ­Biopsy) spielen. Der zirkulierenden Tumor-DNA wird aber noch weit größeres Potenzial bei Screening und Prognose zugetraut. Dieser ­Beitrag bietet eine Übersicht.

Ein einfacher Bluttest – oder besser noch ein Speicheltest, so simpel wie ein COVID-19-Test –, der zuverlässig ein Ergebnis darüber liefert, ob jemand Krebs hat. Und wenn ja, gleich noch welche Art von Krebs das ist. Das ist bislang im Wesentlichen noch eine Zukunftsvision.

Foto: Gorodenkoff/AdobeStock

Um eine Krebserkrankung festzu­stellen, werden üblicherweise mittels einer Biopsie gewonnene Gewebe­proben analysiert [1]. In den letzten Jahren rückte jedoch vermehrt das Verfahren der Liquid Biopsy bzw. Flüssigbiopsie in den Fokus (s. Kasten „Liquid Biopsy“). Dabei handelt es sich im Gegensatz zu einer klassischen Biopsie um ein nicht invasives Verfahren, mit dem Zellbestandteile von Tumoren zur Analyse gewonnen werden können. Einer dieser Zellbestandteile ist etwa die frei im Blut zirkulierende ctDNA (ct für circulating tumor), die von Tumorzellen freigesetzt wird. Diese lässt sich bei Tumorpatienten neben zellfreier zirkulierender DNA (cfDNA, cf für circulating free) finden, die im Blut jedes Menschen vorkommt. Allgemein handelt es sich dabei um DNA-Fragmente von verschiedener Größe, die etwa bei der Apoptose oder Nekrose aus Körperzellen freigesetzt werden. Bei einigen Krebserkrankungen, aber auch bei Virusinfektionen, erhöht sich der Anteil dieser freien DNA-Bruchstücke im Blut, da etwa durch die vom Immunsystem gesteuerte Apoptose entartete respektive infizierte Zellen vermehrt zugrunde gehen. Die Freisetzung von zirkulierender Tumor-DNA in den Blutkreislauf geschieht aber nicht nur passiv durch Zelltod, sondern zum Teil auch aktiv in extrazellulären Vesikeln oder gebunden an Lipoproteinkomplexe [4].

Anhand der Gensequenzen und zum Teil unterschiedlicher Methylierung der DNA lassen sich ctDNA von verschiedenen Tumorarten differenzieren sowie von „gesunder“ zellfreier zirkulierender DNA abgrenzen. Allerdings scheint es keine allgemeingültige feste Gesetzmäßigkeit zu geben, ob und wie viel zirkulierende Tumor-DNA bei einer Krebserkrankung im Blut zu finden ist. Das unterscheidet sich je nach Tumorart und auch von Patient zu Patient. Doch dies ist kein Hinderungsgrund dafür, die Detektion zirkulierender Tumor-DNA schon jetzt zu nutzen.

Liquid Biopsy

Der Begriff Liquid Biopsy bzw. Flüssigbiopsie meint ganz allgemein die (nicht invasive) Entnahme einer Blutprobe (oder einer anderen Körperflüssigkeit), um diese auf Zellbestandteile hin zu untersuchen, die im Zusammenhang mit einem Tumor stehen. Im Fokus sind dabei neben zellfreier zirkulierender DNA auch etwa RNA, spezifische Proteine, Tumorantigene, zirkulierende Tumorzellen und epigenetische Veränderungen wie DNA-Methylierungen [2, 3]. Zellfreie zirkulierende DNA etwa lässt sich aber nicht nur im Blut finden, sondern teilweise auch im Urin, der Cerebrospinalflüssigkeit, im Stuhl, Sperma und Vaginalsekret sowie in Pleura- und Peritonealflüssigkeit und im Speichel [3].

Tests zur Früherkennung

In den USA sind bereits Früherkennungstests für mehrere Krebsarten, sogenannte Multi-Cancer Early Detection Tests, kommerziell erhältlich. So auch der Galleri®-Test des Unternehmens Grail, der von Patienten in der Regel selbst bezahlt werden muss – bei einem Preis von rund 950 US-Dollar (Stand: Juli 2023) [5]. Der Test verspricht, über die Detektion zellfreier zirkulierender DNA im Blut auf mehr als 50 verschiedene Krebsarten screenen zu können, und ist damit einer der umfassendsten der mindestens 18 Früherkennungstests für mehrere Tumor­arten, die in den USA bereits auf dem Markt oder kurz davor sind [2]. Doch wie funktioniert ein solcher Test konkret? Im Fall des Galleri®-Tests wird die aus aufbereiteten Blutproben gewonnene zellfreie zirkulierende DNA amplifiziert und sequenziert, wobei nach tumorspezifischen Methylierungsmustern gesucht wird. Die Auswertung erfolgt dabei computergestützt, zum Teil unterstützt durch Maschinenlernen als Form von künstlicher Intelligenz [6]. Diagnostische Verfahren lassen sich jedoch mit dem Galleri®-Test nicht sparen. Der Hersteller betont, dass es sich um ein Screening-Tool handelt, das einen Hinweis auf eine Tumorerkrankung und deren Lokalisation geben kann. Zur endgültigen Diagnosestellung sind nach einem detektierten Krebssignal weiterhin entsprechende Untersuchungen notwendig.

In der ersten Studie (PATHFINDER) mit einer früheren Version des Galleri®-Tests wurden über 6000 Personen mit einem Mindestalter von 50 Jahren untersucht [7]. Bei 92 Probanden wurde ein Krebssignal detektiert, jedoch wurde nur bei 35 von ihnen später eine Krebsdiagnose gestellt (positiver prädiktiver Wert = 38,0%). Das heißt, dass bei knapp zwei Dritteln der Probanden mit positivem Ergebnis fälschlicherweise der Verdacht auf eine Tumorerkrankung entstand. Der Anteil der Personen mit negativem Ergebnis, die tatsächlich an keiner der mehr als 50 untersuchten Krebserkrankungen litten – der negative prädiktive Wert – lag bei 98,6%.

Von den 35 Probanden mit richtig positivem Testergebnis hatten 25 (71%) eine Tumorart, für die es bislang kein routinemäßiges Screening gibt. Der Galleri®-Test ist als Ergänzung zu den bestehenden Krebsvorsorgeuntersuchungen gedacht. Weitere Studien werden aktuell durchgeführt oder sind in Vorbereitung [8].

Tests zur Verlaufskontrolle und Prognose

Bevor Tests zur Krebsfrüherkennung im Rahmen von Präventionsprogrammen empfohlen werden können, muss durch weitere Studien eine breitere Evidenzbasis geschaffen werden [2]. Auch im Bereich der Therapiekontrolle und Prognose gibt es vielversprechende Ansätze, die auch schon in der klinischen Anwendung sind. So wird zirkulierende Tumor-DNA international bereits bei einigen Krebsarten, z. B. gastrointestinalen und urologischen Tumoren, routinemäßig genutzt, um den Behandlungsverlauf zu kontrollieren [9]. Dagegen ist in Deutschland nur ein Test zugelassen, mit dem vor einer Therapie mit einem Tyrosinkinase-­Inhibitor bei nicht kleinzelligem Lungenkarzinom auf eine EGFR-Mutation getestet werden kann. Die Verwendung von zirkulierender Tumor-DNA wird in der aktuellen S1-Leitlinie „Tumorgenetik – Diagnostik im Kontext maligner Erkrankungen“ als Ergänzung zur gewebebasierten Analytik gesehen, die dann zum Einsatz kommen kann, wenn nicht ausreichend Gewebeproben verfügbar sind [10].

In mehreren Studien hat sich zirkulierende Tumor-DNA als vielversprechender prognostischer Biomarker gezeigt, der hilft, insbesondere unentdeckten Residuen oder Rezidiven auf die Spur zu kommen [9]. Bis ein solcher Test beispielsweise für die Anwendung bei Kopf-Hals-Tumoren in den klinischen Alltag kommt, bedarf es aber laut Autoren einer deutschen Publikation Erfahrungen aus größeren Studien­kollektiven, und zudem müssten die Kosten sinken [9].

Andere Studien belegen etwa für vier Arten von metastasierendem oder fortgeschrittenem Krebs (Prostata-, Brust-, nicht kleinzelliger Lungen- und Darmkrebs), dass sich anhand einer quantitativen ctDNA-Analyse Prognosen über den Verlauf und Behandlungserfolg machen lassen [11].

Weiterhin gibt es für mehrere Tumor­arten bereits ausreichend Evidenz durch verschiedene Studien, dass eine adjuvante Chemotherapie davon abhängig gemacht werden kann, ob zirkulierende Tumor-DNA zu finden ist oder nicht. Ein Beispiel hierfür ist eine Studie zum Kolonkarzinom, die ergab, dass sich abhängig vom Vorkommen von zirkulierender Tumor-DNA eine adjuvante Chemotherapie reduzieren ließ – und damit die Patienten geschont werden konnten –, ohne das Rezidiv-freie Überleben zu gefährden [12].

Standard ist die Analyse von ctDNA bislang nicht. In vielen forschenden Einrichtungen, in denen Krebspatienten behandelt werden – wie etwa der Berliner Charité –, laufen aber Forschungsprojekte und Studien dazu [13].

Zusammenfassung und Ausblick

Früherkennungstests für mehrere Krebsarten sind in den USA bereits kommerziell erhältlich – auch wenn noch Ergebnisse weiterer Studien ausstehen. Mit sich stetig verbessernden Analysemethoden, unterstützt von künstlicher Intelligenz und Maschinenlernen bei der Auswertung und sinkenden Untersuchungskosten werden ctDNA-Tests wahrscheinlich bei Diagnostik und Prävention wichtig werden. Spezifisch für verschiedene Krebsarten ist es denkbar, dass die Analyse von zirkulierender Tumor-DNA standardmäßig ein Teil der Therapiekontrolle und Prognose wird. Allerdings ist noch Forschung notwendig, um bestimmen zu können, warum die Menge an ctDNA stark variieren kann. Aussagen, die von der Quantität dieser DNA-Fragmente im Blut oder anderen Körperflüssigkeiten abhängen, sind damit nur für bestimmte Tumoren möglich. Die rein qualitative Analyse, also ob zirkulierende Tumor-DNA vorhanden ist oder nicht, könnte zukünftig für die Vorhersage von Rezidiven, z. B. bei Darmkrebs eine Rolle spielen [14].

Zukünftig könnte auch zirkulierende Tumor-RNA (ctRNA) vermehrt in den Fokus kommen, hier steht die Forschung aber noch am Anfang. Wissenschaftler erhoffen sich, mithilfe von ctRNA Rückschlüsse auf die Mikroumgebung und Entwicklung von Tumoren ziehen zu können [4]. |

Literatur

 [1] Liquid Biopsy – eine Revolution in der Diagnostik und Therapie von Krebs? Informationen der Deutschen Krebsgesellschaft, Stand 3. Oktober 2022, www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/diagnosemethoden/liquid-biopsy.html

 [2] Doubeni CA, Castle PE. Multicancer Early Detection: A Promise Yet to Be Proven. Am Fam Physician 2023;107(3):224-225, www.aafp.org/pubs/afp/issues/2023/0300/editorial-multicancer-early-detection.html

 [3] Tivey A et al. Circulating tumour DNA — looking beyond the blood. Nat Rev Clin Oncol 2022;19(9):600-612, doi: 10.1038/s41571-022-00660-y

 [4] Stejskal P et al. Circulating tumor nucleic acids: biology, release mechanisms, and clinical relevance. Mol Cancer 2023;22, doi: 10.1186/s12943-022-01710-w

 [5] Go further with cancer screening. Informationen der Firma Grail zu Galleri®-Test, www.galleri.com/

 [6] Liu MC et al. Sensitive and specific multi-cancer detection and localization using methylation signatures in cell-free DNA. Ann Oncol 202031(6):745-759, doi: 10.1016/j.annonc.2020.02.01

 [7] Schrag D et al. 903O A prospective study of a multi-cancer early detection blood test. Ann Oncol 2022;33(Sup. 7):961

 [8] Clinical studies. Informationen der Firma Grail, grail.com/clinical-expertise/

 [9] Blaurock M und Busch C-J. Aktueller Stand zu „liquid biopsy“ und Diagnostik – Beiträge vom ASCO und ESMO 2022. HNO 2023;71(7):425–430, doi: 10.1007/s00106-023-01303-z

[10] Tumorgenetik – Diagnostik im Kontext maligner Erkrankungen. S1-Leitlinie unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik und der Deutschen Gesellschaft für Pathologie. AWMF-Registernummer: 078-017, Stand: 31. Dezember 2021

[11] Reichert et al. Prognostic value of plasma circulating tumor DNA fraction across four common cancer types: a real-world outcomes study. Ann Oncol 2023;34(1):111-120, doi: 10.1016/j.annonc.2022.09.163

[12] Tie J et al. Circulating Tumor DNA Analysis Guiding Adjuvant Therapy in Stage II Colon Cancer. N Engl J Med 2022;386(24):2261-2272, doi: 10.1056/NEJMoa2200075

[13] Liquid Biopsy. Informationen der Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie, radioonkologie.charite.de/forschung/labor_fuer_strahlenbiologie_und_translationale_radioonkologie/liquid_biopsy/

[14] Mo S et al. Early Detection of Molecular Residual Disease and Risk Stratification for Stage I to III Colorectal Cancer via Circulating Tumor DNA Methylation. JAMA Oncol 2023;9(6):770–778, doi: 10.1001/jamaoncol.2023.0425

Diplom-Biologe Volker Budinger

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