Arzneimittel und Therapie

Verzerrte Körperwahrnehmung verändern

Psilocybin könnte bei dysmorphen Störungen helfen

Bei einer Dysmorphophobie ist nicht nur die Körperwahrnehmung gestört, auch Depressionen, Zwangs- und Angststörungen sowie eine hohe Suizidalität werden bei dieser Erkrankung beobachtet. Bis dato ist die Therapie auf wenige Optionen beschränkt. Autoren einer kleinen Pilotstudie untersuchten kürzlich, ob künftig das Psychedelikum Psilocybin zur Behandlung ein­gesetzt werden könnte.

Die Dysmorphophobie zählt zum Kreis der somatoformen Störungen. Etwa 1,7% bis 2,9% der Allgemeinbevölkerung sind betroffen und leiden unter einer verzerrten Selbstwahrnehmung. Menschen mit dieser Erkrankung beschäftigen sich übermäßig intensiv mit dem eigenen Körper. Körperteile wie die Nase, die Brust oder der Penis werden als Makel oder gar als entstellt wahrgenommen. Aufgrund der intensiven Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Körperteil kann es sogar zu Missempfindungen in der Körperregion kommen. Die Erkrankung beginnt meist im frühen Erwachsenenalter und ist mit einem hohen Leidensdruck verbunden. Nicht selten ziehen sich Betroffene sozial zurück, leiden an Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen oder Suizidgedanken [1, 2].

Eine dysmorphe Störung wird auch als körperdysmorphe Störung bzw. Dysmorphophobie bezeichnet. Menschen mit dieser Erkrankung haben eine verzerrte Körperwahrnehmung. Sie empfinden einen Teil ihres Körpers als hässlich oder fehlerhaft und beschäftigen sich stark mit diesen Gedanken.

In bisherigen Studien haben sich zur Therapie von körperdysmorphen Störungen (englisch: body dysmorphic disorder, BDD) bisher nur selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Clomipramin und kognitive Verhaltenstherapien als wirksam gezeigt. Dass die Behandlung auf diese wenigen Optionen begrenzt ist, ist insbesondere dann eine Herausforderung, wenn sich der Krankheitsverlauf als therapieresistent erweist. Es ist also höchste Zeit, nach neuen Behandlungsansätzen zu suchen und Betroffenen weitere Therapiemöglichkeiten zu erschließen.

Pilotstudie mit zwölf Patienten

In diesem Zusammenhang untersuchten Forscher aus den USA, Kanada und Irland die Wirkung von Psilo­cybin bei Patienten mit einer behandlungsresistenten körperdysmorphen Störung (s. auch Kasten „Psilocybin in weiteren klinischen Studien“). In die Pilotstudie wurden zwölf Patienten im Alter von 18 bis 55 Jahren mit einer moderaten bis schweren dysmorphen Störung ohne Wahnvorstellungen eingeschlossen, die nicht mehr auf Serotonin-Wieder­aufnahmehemmer oder Clomipramin ansprachen. Da es sich um eine offene Studie handelte, waren alle Beteiligten bezüglich der Studienmedikation informiert. Die Teilnehmer wurden vor Studienbeginn in vier psychotherapeutischen Sitzungen auf die Effekte der psychedelischen Substanz vorbereitet. Anschließend erhielten sie einmalig 25 mg Psilo­cybin und wurden nach der Einnahme für sieben bis acht Stunden engmaschig überwacht. Einen Tag und eine Woche nach der Einnahme erfolgte ein erneutes psychotherapeutisches Treffen. Insgesamt wurden die Patienten vom Tag vor der Psilocybin-Gabe bis zwölf Wochen danach beobachtet. Primärer Endpunkt der Studie war die Wirksamkeit der Intervention auf die Symptomschwere der körperdysmorphen Störung. Um diese zu bewerten, wurde eine modifizierte Form der Yale-­Brown Obsessive Compulsive Scale (BDD-YBOCS, BDD für body dysmorphic disorder) eingesetzt. Je höher der Wert auf dieser Skala (0 bis 48 Punkte), desto schwerer die Erkrankung.

Psilocybin in weiteren klinischen Studien

Aus mehreren randomisierten klinischen Studien geht hervor, dass das Tryptamin-Alkaloid Psilocybin effizient bei der Therapie von Depressionen ist. Auch wurden in Studien positive Effekte in der Therapie von Zwangsstörungen und Suchterkrankungen beobachtet. Zusätzlich konnte bei einem an Dysmorphophobie erkrankten Patienten, der auf eigene Verantwortung Psilocybin konsumiert hatte, eine Verbesserung seiner gestörten Körperwahrnehmung verzeichnet werden [1].

Psilocybin wird im Körper zur aktiven Form Psilocin umgewandelt und wirkt als partieller Agonist an 5-HT2A- und 5-HT1A-Rezeptoren. Eine Publikation aus dem Jahr 2022 legt nahe, dass das Psychedelikum seine antidepressive Wirkung entfalten könnte, indem es die Effizienz und Flexibilität neuro­naler Netzwerke mit einer hohen 5-HT2A-Rezeptor-Dichte erhöht [3].

In den Medien wird Psilocybin teilweise als „Wundermittel der Psychiatrie“ bezeichnet. Doch der Wirkstoff hilft längst nicht jedem Patienten. Gegenüber dem Science Media Center er­klärte die Leiterin der Arbeitsgruppe Pharmaco-Neuro­imaging and Cogni­tive-Emotional Processing an der Universität Zürich, PD Dr. Katrin Preller: „Einige Patienten profitieren sehr stark von der Therapie, aber nicht alle. Es hat sich auch gezeigt, dass einige Patienten sehr lange profitieren, während bei anderen Depressionen zum Beispiel nach wenigen Wochen wieder zurückkehrten. Die Ursachen dafür müssen noch genauer untersucht werden.“ Die Erkenntnisse in der Indikation Depression sieht Preller als „grundsätzlich vielversprechend“, zumal diese nicht nur aus unkontrollierten, sondern auch aus randomisierten, kontrollierten Studien gewonnen wurden. Dennoch würden große Phase-III-Studien fehlen. Wie Prof. Dr. Gerhard Gründer, Leiter der Abteilung Molekulares Neuro­imaging am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim, gegenüber dem Science Media Center berichtet, plane die britische Firma COMPASS zwei Phase-III-Studien. Von einer Zulassung in der EU sei man seiner Meinung nach, aber „noch viele Jahre“ entfernt. Anders ist dies in Australien, wo Anfang Juli 2023 Psilocybin und Methylendioxy-N-­methyl­amphet­amin (MDMA) zur Behandlung psychiatrischer Erkrankungen legalisiert wurden [4]. Konkret dürfen dort autorisierte Ärzte Psilocybin bei behandlungsresistenten Depressionen und MDMA bei posttraumatischen Belastungsstörungen verordnen [5].

Signifikante Besserung

Gemessen an der BDD-YBOCS-Skala führte die einmalige Psilocybin-Einnahme zu einer signifikanten Ver­besserung der körperdysmorphen Störung. Im Schnitt lag der Wert in Woche zwölf um -13,33 Punkte niedriger als der Ausgangswert (95%-Konfidenzintervall = -3,43 bis -23,23). 58% der Studienteilnehmer (n = 7) wurden in Woche zwölf als Responder gewertet, da sich ihr Wert auf der BDD-YBOCS­-Skala um mindestens 30% reduziert hatte. Zudem besserten sich über zwölf Wochen signifikant Symptome wie negative Affekte und Beeinträchtigungen. Während der gesamten Studiendauer kam es zu keinen schweren unerwünschten Ereignissen. Keiner der Studienteilnehmer zeigte suizidale Absichten, auch lagen keine Veränderungen in Labor- und Vitalparametern vor. In fünf Fällen wurde Erschöpfung beschrieben, in drei Fällen kam es zu Kopfschmerzen, Übelkeit wurde in zwei Fällen beobachtet und jeweils einmal beklagten Studien­teilnehmer Schläfrigkeit, Schlafstörungen oder Benommenheit. In einem Fall traten eine reduzierte Libido, Gefühlsschwankungen und vereinzelte Halluzinationen auf. Letztere wurden von dem Probanden nur als leicht störend empfunden. Insgesamt postulierte das Autorenteam, dass die Einmalgabe von 25 mg Psilocybin als sicher und gut verträglich eingestuft werden kann.

Mehr Studien und Daten erforderlich

Die vorliegenden Daten sind vielversprechend, müssen aber mit Vorsicht bewertet werden. Zum einen fand die Studie nicht unter kontrollierten Bedingungen statt. Konkret bedeutet dies, dass Studienteilnehmer vorein­genommen gewesen sein könnten. Erwartungen an die Wirksamkeit der neuen Substanz hätten somit den Effekt beeinflussen können. Zum anderen war die Studienpopulation mit nur zwölf Teilnehmern relativ klein und sozioökonomisch wenig divers. Die psychotherapeutische Betreuung während der Studie hätte laut der Studienautoren die Ergebnisse ebenfalls beeinflussen können.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Psilocybin in Kombination mit psychologischer Begleitung als Behandlungsoption für therapierefraktäre Dysmorphophobien geeignet sein könnte. Besonders in Situationen, in denen ein Patient oder eine Patientin auf bisher übliche Therapieformen nicht angesprochen hat, eröffnet das Psychedelikum neue Möglichkeiten. Die halluzinogene Wirkung sollte bei der Therapieplanung beachtet werden, die Indikationsstellung muss dementsprechend vorsichtig erfolgen. Insgesamt sind weitere Studien nötig, um robuste Daten zu erhalten und abschließende Empfehlungen abzugeben. |

 

Literatur

[1] Schneier FR, Feusner J, Wheaton MG et al. Pilot study of single-dose psilocybin for serotonin reuptake inhibitor-resistant body dysmorphic disorder. J Psychiatr Res 2023;161:364-370, doi: 10.1016/j.jpsychires.2023.03.031

[2] Moore J. Körperdysmorphe Störung (KDS). Pschyrembel Online, Stand: November 2022, www.pschyrembel.de/Körperdysmorphe%20Störung/K0RFP

[3] Daws RE, Timmermann C, Giribaldi B et al. Increased global integration in the brain after psilocybin therapy for depression. Nat Med 2022;28(4):844-851, doi: 10.1038/s41591-022-01744-z

[4] Psilocybin – Neues Wundermittel der Psychiatrie? Informationen des Science Media Centers, 28. Juli 2023

[5] MDMA and psilocybin. Informationen der Therapeutic Goods Adminstration. www.tga.gov.au/products/unapproved-therapeutic-goods/mdma-and-psilocybin

Magdalena Geretto, Ärztin und freie Autorin

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