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Medizin
Diagnose Hirntumor
Entstehung und Behandlung des Glioblastoms
Glioblastoma multiforme (GBM) ist eine bösartige Neubildung des Gehirns, die aus Gliazellen entsteht (s. Abb. 1). Es zählt zu den Gliomen, zu denen auch andere hirneigene Tumoren, wie Astrozytome, gehören. Es ist eine Erkrankung, die zugleich vergleichsweise selten und häufig ist. Selten ist sie in Bezug auf ihre Prävalenz – rund 3 von 100.000 Personen erkranken jährlich in Deutschland an einem Glioblastom. Häufig ist die Erkrankung verglichen mit anderen hirneigenen Tumoren – hier stellt das Glioblastoma multiforme mit rund 50% den größten Anteil der bösartigen hirneigenen Tumoren dar [1]. Auch ist es der aggressivste Hirntumor mit einer Zwei-Jahres-Überlebensrate von 18,5%, einer Fünf-Jahres-Überlebensrate von 6,8% [2] und einer extrem hohen Rezidivrate. Zumeist sind die Patientinnen und Patienten bei der Erstdiagnose zwischen 55 und 65 Jahre alt, Männer sind häufiger betroffen als Frauen (1,6 : 1). Die Ursache für die Entstehung dieser Krebsart ist weitgehend ungeklärt, als gesichert kausal gelten bislang nur ionisierende Strahlung und wenige seltene Erbkrankheiten (Neurofibromatose Typ 1 und 2, Turcot-Syndrom und Li-Fraumeni-Syndrom). Die WHO hat ein Klassifizierungssystem für Hirntumoren eingeführt (Klassen I bis IV), um ein Maß für die klinische Prognose zu haben. Diese Klassifizierung ist abhängig von der Histologie, Morphologie und Molekulargenetik des Gewebes. Hier wird Glioblastoma multiforme in die WHO-Klasse IV eingestuft – und damit einer schlechten klinischen Prognose [3, 4]. Erste Symptome sind in der Regel unspezifisch (siehe Abb. 2).
Zurückzuführen sind manche der Symptome auf eine Erhöhung des Hirndrucks durch die Raumforderung des Tumors, andere Symptome sind spezifisch auf seine Lokalisierung zurückzuführen. So kann eine tumorbedingte Druckkompression im Bereich der Area postrema Übelkeit und Erbrechen auslösen, im Bereich des Frontallappens Wesensveränderungen provozieren und im Bereich der Wernicke- oder Brocaregion zu Problemen in der Artikulation führen. Keines dieser Symptome ist spezifisch einem Hirntumor zuzuordnen und die Symptome können isoliert oder miteinander auftreten. Wichtig ist, bei auftretenden Symptomen nicht vom Schlimmsten auszugehen – in den seltensten Fällen sind die genannten Symptome tatsächlich auf Hirntumore zurückzuführen. Sollten die Symptome jedoch anhalten oder sich gar intensivieren, muss die Ursache in jedem Fall ärztlich abgeklärt werden. Klinisch wird zumeist die neurokognitive Leistungsfähigkeit mittels Mini-Mental-Status-Test (MMST) erfasst, die Schwere der Symptome wird nach dem Karnofsky-Index (generell für Krebsentitäten) und/oder der NANO-Skala (spezifisch für neuroonkologische Fälle) eingeteilt. Zur diagnostischen Abklärung werden bildgebende Verfahren angewandt. Hier ist das MRT Mittel der Wahl, selten wird auch ein CT eingesetzt, das mit Röntgenstrahlen arbeitet und dadurch den Körper belastet. Sollte eine Bildgebung mittels MRT nicht möglich sein (z. B. aufgrund von magnetisierbaren Implantaten wie künstlichen Gelenken oder Schrittmachern) wird auf ein CT zurückgegriffen.
Symptomkontrolle
Um die ersten Symptome zu kontrollieren (oder als Vorbereitung einer Operation) muss zunächst der Hirndruck gesenkt werden. Mittel der Wahl ist hierzu das Glucocorticoid Dexamethason. Um die Akutsymptomatik zu lindern, können bis zu 40 mg Dexamethason i. v. als Bolus gegeben werden, gefolgt von 16 mg p. o. täglich. Noch höhere Dosierungen führen zu keiner klinischen Verbesserung [2]. Die perorale Gabe von Dexamethason sollte aufgrund der langen Halbwertzeit einmal täglich, an den circadianen Rhythmus angepasst morgens erfolgen. In der Regel stellt sich eine Verbesserung der Symptome sehr schnell ein, die maximale Wirkung entfaltet das Glucocorticoid nach rund zwei bis drei Tagen. Sollte die Wirkung der Glucocorticoide nicht ausreichen, kann zusätzlich ein osmotisch wirksamer Arzneistoff wie Mannitol antiödematös eingesetzt werden (Tab. 1). Bei Patienten mit Krampfanfällen sollte vor und während der Operation mit Antikonvulsiva gearbeitet werden, vorzugsweise Levetiracetam, Lacosamid, Valproinsäure oder Benzodiazepine i. v. Phenytoin wird aufgrund seiner psychiatrischen Nebenwirkungen nicht mehr empfohlen, ferner kann es unter Phenytoin (selten) zu einer Methämoglobinämie kommen. Nach der Entfernung des Tumors kann das Glucocorticoid wieder ausgeschlichen werden. Die erhöhte Neigung zu Krampfanfällen besteht postoperativ weiterhin. Prophylaktisch ist hier die Gabe von Antikonvulsiva nicht indiziert. Sollte es nach der Operation zu einem Krampfanfall kommen, muss eine antikonvulsive Therapie für mindestens ein Jahr erfolgen. Bei Personen, die präoperativ bereits an Krampfanfällen litten, sollte die antikonvulsive Medikation postoperativ für mindestens drei Monate aufrechterhalten werden, bevor ein Ausschleichversuch gestartet werden kann. Dies sollte nur erfolgen, wenn nach der Operation kein Krampfanfall auftritt.
Indikation/Wirkstoffklasse | Beispiele | Dosierung |
---|---|---|
präoperative Senkung des Hirndrucks | ||
Glucocorticoide | Dexamethason | Bolus: max. 40 mg i. v., danach maximal 12 mg p. o. |
Prednisolon | ||
Osmotika | Mannitol 20% | dreimal täglich 125 ml i. v. |
Antiemese | ||
5-HT3A-Antagonisten | Ondansetron (kurze HWZ) | 8 bis 16 mg p. o., einmal täglich |
Tropisetron (mittlere HWZ) | 5 mg p. o., einmal täglich | |
Granisetron (mittlere HWZ) | 2 mg p. o., einmal täglich | |
Palonosetron (lange HWZ) | 0,5 mg p. o., einmal täglich | |
NK1-Antagonist | Aprepitant | 125 mg an Tag 1, danach 80 mg, p. o. |
D2-/5-HT3-Antagonist | Metoclopramid | bei Bedarf, p. o., 0,5 mg/kg KG, max. dreimal 10 mg täglich |
(postoperative) Thromboseprophylaxe | ||
niedermolekulare Heparine | Enoxaparin, Dalteparin o. ä. | 3000 IE s. c., einmal täglich |
direkte orale Antikoagulanzien | Apixaban | 2,5 mg p. o. zweimal täglich (bei GFR > 30) |
Rivaroxaban | 10 mg p. o. einmal täglich (bei GFR > 30) | |
Chemotherapie | ||
Alkylanz | Temozolomid (TMZ) | 75 mg/m2 Körperoberfläche täglich p. o. während Bestrahlung, danach 150 bis 200 mg/m2 Körperoberfläche (Tag 1 – 5) pro Zyklus (28 Tage), sechs Zyklen |
Nitrosoharnstoffe | Lomustin (CCNU) | verschiedene Schemata, meist 110 mg/m2 Körperoberfläche p. o. alle sechs Wochen |
Carmustin (BCNU) | ||
Nimustin (ACNU) |
Biopsie oder Resektion?
Oft stellt sich die Frage, ob zuerst eine Biopsie zur Diagnoseabklärung erfolgen oder ob die in der Bildgebung gefundene Raumforderung gleich reseziert werden soll. Diese Entscheidung muss individuell erfolgen. Operiert wird meist mithilfe eines Fluoreszenzmarkers, 5-Aminolävulinsäure (5-ALA, Gliolan®). Durch die Fluoreszenz erhält der Operateur ein optisch klarer umrissenes Bild des Tumors, der entfernt werden muss. Im postoperativen Management muss beachtet werden, dass das Thromboserisiko signifikant höher ist, als nach sonstigen Operationen (bis zu 60% der Patientinnen und Patienten leiden nach dem Eingriff an einer tiefen Venenthrombose [5]). Dies liegt vermutlich unter anderem an Veränderungen der Gerinnungseigenschaften im Laufe der Krebserkrankung, aber auch daran, dass die Tumorresektion mit sehr langen Operationen verbunden ist. Die postoperative Thromboseprophylaxe sollte gemäß der S2k-Leitlinie „Gliome“ mit niedermolekularen Heparinen oder direkten oralen Antikoagulanzien durchgeführt werden, um eine Lungenembolie zu vermeiden [2].
Postoperativ wird in der Regel eine histologische sowie molekulardiagnostische Bestimmung, vor allem von zwei Markern durchgeführt, die über die Differenzialdiagnose, den weiteren chemotherapeutischen Weg sowie die klinische Prognose entscheiden:
- Eine Mutation der Isocitratdehydrogenase (IDH) ist üblicherweise günstig für die Prognose. IDH-Wildtyp-Tumoren neigen dazu, aggressiver zu wachsen.
- Der Methylierungsstatus des O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase(MGMT)-Promotors lässt eine Aussage über die Reparaturfähigkeit der Zellen für geschädigte DNA zu. Ist der MGMT-Promotor methyliert, kann geschädigte DNA weniger gut repariert werden. Dies wirkt sich positiv auf das Ansprechen auf eine Chemotherapie aus.
An die möglichst vollständige Resektion des Tumorherds schließen sich in der Regel Bestrahlung und Chemotherapie an. Sollten die Patienten in gutem Allgemeinzustand sein, kann beides parallel erfolgen. Da sowohl die Chemotherapie als auch die Bestrahlung zu einer anhaltenden Übelkeit und zu Erbrechen führen kann, ist eine Antiemese hier von erheblicher Bedeutung. Eine falsche Antiemese kann im schlimmsten Fall zu antizipatorischem Erbrechen und damit unter Umständen zum Abbruch der Therapie führen. Die beiden in der Chemotherapie des Glioblastoms zumeist eingesetzten oralen Chemotherapeutika Temozolomid (TMZ) und Lomustin (CCNU) haben laut Leitlinie ein moderates emetogenes Potenzial [6], welches allerdings bei gleichzeitiger Bestrahlung erhöht wird. Standardmäßig sollte die Antiemese mit einem 5-HT3A-Antagonisten als Dauermedikation sowie Metoclopramid als Bedarfsmedikation durchgeführt werden. Sollte dies nicht ausreichen, kann zusätzlich Aprepitant (oral, 125 mg an Tag 1, danach 80 mg), gegeben werden. Als 5-HT3A-Antagonist empfiehlt sich Ondansetron, da es mit einer Halbwertzeit von drei Stunden kurz wirksam ist. Initial können hier einmal täglich Dosierungen von 8 bis 16 mg oral verwendet werden, entweder eine Stunde vor der Einnahme des Chemotherapeutikums oder einen Tag vor Beginn der Radiochemotherapie. Sollte die Antiemese nicht ausreichen, kann auch auf Setrone mit einer längeren Halbwertszeit wie Tropisetron (HWZ: ca. 8 Stunden, orale Dosierung: 5 mg), Granisetron (HWZ: ca. 9 Stunden, 2 mg) und Palonosetron (HWZ: ca. 40 Stunden, 0,5 mg) gewechselt werden. Auf Glucocorticoide, die bei anderen Tumorarten als Antiemetika zur Stabilisierung der Area postrema eingesetzt werden, sollte bei der Chemotherapie von Hirntumoren wenn möglich verzichtet werden [7]. Glucocorticoide stabilisieren die Blut-Hirn-Schranke und dichten diese ab, sodass die Chemotherapeutika nicht mehr in ausreichendem Maße ins Hirn kommen. Metoclopramid (MCP) sollte aufgrund der extrapyramidalen Nebenwirkungen so wenig wie möglich angewandt werden, empfohlen wird eine Dosierung von 0,5 mg/kg Körpergewicht bei maximal dreimal 10 mg täglich [6]. Aufgrund der obstipativen Nebenwirkungen sowohl der Antiemetika als auch der Chemotherapeutika sollten die Patientinnen und Patienten dazu beraten werden, wie sie mit möglicherweise auftretenden Verstopfungen umgehen können. Eine frühzeitige Intervention mit Macrogol, Bisacodyl, Lactulose oder Ähnlichem in Verbindung mit ausreichender Hydrierung kann hier bei chronischer arzneimittelinduzierter Obstipation Abhilfe schaffen.
Bestrahlung und Chemotherapie
Die Bestrahlung erfolgt üblicherweise als stereotaktische Bestrahlung, bestrahlt werden die Tumorhöhle sowie Reste des Tumors nach der Resektion oder aber nicht operable Tumoren. Dabei sollte die Strahlentherapie spätestens drei bis fünf Wochen nach der Operation erfolgen. Standardmäßig werden hier Gesamtstrahlenbelastungen von bis zu 60 Gray angewandt, wobei diese in Tagesdosen von nicht mehr als 2 Gray verabreicht werden. Sowohl während der Bestrahlung als auch im Nachgang, manchmal gar viele Monate später, können Radionekrosen sowie Ödeme im bestrahlten Bereich auftreten. Da diese ebenfalls Symptome hervorrufen und eine Progression imitieren können, muss das bei erneut auftretenden Symptomen berücksichtigt und abgeklärt werden.
Das parallele Behandeln mit Zytostatika und Bestrahlung attackiert die Krebszellen von mehreren Seiten und ist (bei gutem Zustand der erkrankten Person) das bevorzugte Verfahren. Mittel der Wahl ist das orale Alkylanz Temozolomid. Es ist ein Prodrug, seine Wirkform Methylhydrazin kann basische Anteile der DNA methylieren und damit die Replikation stören und den Zelltod herbeiführen. Als dosislimitierende Nebenwirkung ist die Thrombozytopenie zu nennen, die Blutbildung im Knochenmark wird unter Temozolomid gestört. Um diese (sowie die mögliche Hepatotoxizität) monitoren zu können, sollte bestenfalls wöchentlich während der Einnahme von Temozolomid eine Blutbildkontrolle erfolgen. Temozolomid sollte nach dem sogenannten Stupp-Schema eingenommen werden: während der Bestrahlung täglich 75 mg/m2 Körperoberfläche [8]. Nach der Radiotherapie werden dann (idealerweise) sechs weitere Zyklen Temozolomid eingenommen. Ein Zyklus umfasst hier 28 Tage, an den ersten fünf Tagen werden 150 bis 200 mg Temozolomid pro m2 Körperoberfläche eingenommen, gefolgt von 23 einnahmefreien Tagen. Die Blutbildkontrolle sollte auch während der einnahmefreien Zeit weiter erfolgen und besonders auf Symptome einer sich anbahnenden Thrombozytopenie (Einblutungen, Blut in Stuhl, Urin oder Ähnliches) geachtet werden.
Rezidivtherapie
Infolge der hohen Neigung der Resistenzentwicklung von Glioblastomen wird bei einem Rezidiv oft die Chemotherapie gewechselt. Als Zweitlinien-Therapie werden Nitrosoharnstoffe wie Lomustin eingesetzt. Diese werden in der Regel einmal alle sechs Wochen verabreicht (z. B. 110 mg/m2Körperoberfläche). Auch hier sollte das Blutbild regelmäßig kontrolliert werden, es können Thrombozytopenien und Leukopenien auftreten, in seltenen Fällen auch Lungenfibrosen. Die Leitlinie erwähnt ebenfalls eine Kombination aus Lomustin mit Procarbazin und Vincristin, vom Einsatz von Irinotecan und Platinverbindungen wird abgeraten [2].
Aufgrund des hohen Stellenwertes oraler Chemotherapie in der Glioblastom-Behandlung kommt nicht nur den Pharmazeutinnen und Pharmazeuten im Krankenhaus, sondern auch jenen in der Offizin eine besondere Verantwortung zu. Die Schemata der oralen Therapie sind oft komplex (vor allem für Personen mit kognitiven Einschränkungen aufgrund der Erkrankung oder für Personen, die alleine leben) und die hochpotenten Zytostatika bergen viele Risiken. Hiermit sei auf die Studie Safety First verwiesen, bei der die AMTS bei oralen Zytostatika durch die Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern verbessert werden soll [9].
Weitere Behandlungsoptionen
Eine weitere Behandlungsoption ist die Anwendung von Tumorbehandlungsfeldern (Tumor Treating Fields, TTF), eine Behandlungsmethode, bei der elektromagnetische Impulse über eine auf dem Kopf sitzende Kappe abgegeben werden. Dabei werden sich schnell teilende Zellen in der Phase der Mitose gestört und die betroffenen Zellen sterben ab [10]. Durch die Kombination dieser Strategie mit Temozolomid konnte eine leichte, aber signifikante Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (6,7 vs. 4,0 Monate) sowie des Gesamtüberlebens (20,9 vs. 16,0 Monate) bei Erstdiagnose gezeigt werden [11]. Es muss einschränkend dazu gesagt werden, dass Personen, die sich Magnetfeldern nicht nähern dürfen (z. B. Personen mit älteren Modellen von Herzschrittmachern) dieses Behandlungsangebot eventuell nicht in Anspruch nehmen können.
Auftreten von „Scheintumoren“
Differenzialdiagnostisch sollte auch immer die Möglichkeit des Auftretens von (seltenen) Gliosen in Betracht gezogen werden. Dies ist eine erhöhte Anzahl an Gliazellen in einem bestimmten Bereich des Hirns z. B. nach einer Verletzung. In bildgebenden Verfahren sind diese sehr schwer bis nicht von Tumoren zu unterscheiden und werden daher auch „tumorsimulierend“ beschrieben. Insbesondere demyelinisierende Geschehnisse, wie sie z. B. bei multipler Sklerose auftreten können, können sowohl klinisch als auch in bildgebenden Verfahren nach einem Tumor aussehen [12]. Auch bei Autoimmunerkrankungen, z. B. dem primären Sjögren-Syndrom, kann es zu Entzündungsreaktionen und Läsionen kommen, welche als tumorsimulierende Entitäten in MRT oder CT erscheinen können [13]. Nach einer Biopsie bzw. Resektion ist hier ein besonderes Augenmerk auf den Proliferationsmarker Ki-67 zu legen, insbesondere wenn die Isocitratdehydrogenase nicht mutiert ist und die O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase unmethyliert vorliegt. Dieser liegt bei gesundem Gewebe oder Gliosen bei unter 1% [12], stark erhöhte Werte deuten auf eine hohe Proliferation und damit vermutlich auf einen Tumor hin. Sollte die Diagnose eines malignen Tumors gesichert sein, ist hier jedoch ein höherer Ki-67-Wert nicht gleichzusetzen mit einer schlechteren Prognose bezüglich des Gesamtüberlebens [14, 15].
Patientinnen und Patienten sollten aktiv auf die Möglichkeit hingewiesen werden, an Studien teilzunehmen [2]. Dies ist besonders wichtig, da die Chemotherapie nur eine limitierte Wirkung zeigt und die Erkrankung eine hohe Rezidiv- und Resistenzrate aufweist. Dazu sollte auch eine genauere, molekulardiagnostische Untersuchung des Tumorgewebes angestoßen werden. Dies lohnt sich, um die Mutationen des Tumors genauer adressieren zu können und damit von einer zielgerichteten Therapie profitieren zu können. Eine Übersicht über mögliche Mutationen und deren pharmazeutisch-therapeutische Ausnutzung ist in Tabelle 2 gelistet.
Wirkstoff/Strategie | Ziel/Mutation |
---|---|
Tyrosinkinase-Hemmer mit Dexamethason wirken Tyrosinkinase-Hemmer (Sunitinib) bei Glioblastom eventuell stärker [7] | |
Dovitinib | FGFR, VEGFR |
Axitinib | VEGFR1-3, PDGFR, KIT, FLT-3 |
Anlotinib | VEGF, FGFR, PDGFR |
Gefitinib | EGFR, PTEN |
BIBF1120 | VEGFR, FGFR, PDGFR |
Erlotinib | EGFR |
Imatinib | KIT, ABL1, PDGFRB |
Bafetinib | PD-L1 |
Lenvatinib | VEGF, FGFR, RET |
Abemaciclib | CDK4/6 |
Palbociclib | CDK4/6 |
Afatinib | EGFR |
Antikörper manche Antikörper können die Blut-Hirn-Schranke nicht allein überwinden und benötigen besondere Transportsysteme | |
Bevacizumab | VEGF |
Aflibercept | VEGF |
Cetuximab | EGFR |
Onartuzumab | c-Met |
Tanibirumab | VEGFR2 |
Nimotuzumab | EGFR |
ITM-31 | CA12 (Mikrobestrahlung durch Antikörper mit Betastrahler) |
Checkpoint-Inhibitoren | |
Nivolumab | PD-1 |
Pembrolizumab | PD-1 |
Spartalizumab | PD-1 |
Cemiplimab | PD-1 |
Durvalumab | PD-L1 |
Avelumab | PD-L1 |
Ipilimumab | CTLA-4 |
Tremelimumab | CTLA-4 |
Asunercept | CD95 |
weitere relevante Targets | |
Temsirolimus | mTOR-Weg |
Olaparib | PARP, SELP, NF1, PIK3CA, RB1 |
sonstige Therapieansätze | |
Selinexor | XPO-1 |
CUSP9v3 | Repurposing von verschiedenen Arzneistoffen als „Cocktail“ in Kombination mit TMZ [23] |
Immuntherapien | |
dentritische Impfungen | |
mRNA-Impfung | |
CAR-T-Therapie | in der Regel nur direkt während Operation in Tumorhöhle injizierbar (Blut-Hirn-Schranke); u. a. in Kombination mit Pembrolizumab getestet [25] |
onkolytische Viren |
Gibt es Möglichkeiten zur Prävention?
Die beste Therapie ist aber nach wie vor die Prävention. Die gestaltet sich im Fall des Glioblastoma multiforme als sehr schwierig, da wenige gesicherte Auslöser feststehen. In einigen Studien finden sich Hinweise auf weitere potenzielle Auslöser – leider kann hier (noch) nicht abschließend mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass tatsächlich eine Kausalität vorliegt. Trotzdem geben die Ergebnisse wichtige Hinweise auf der Suche nach möglichen Ursachen. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass Menschen nach Hirnverletzungen ein rund vierfach erhöhtes Risiko haben, an einem Gliom zu erkranken, wenn ein angeborener oder erworbener Verlust des p53-Tumorsuppressorgens vorliegt [16].
Betrachtet man die Verteilung von Glioblastoma multiforme zwischen den biologischen Geschlechtern ist auffällig, dass Männer ein deutlich höheres Risiko einer Erkrankung haben (1,6 : 1). Der Verdacht liegt nahe, dass die Sexualhormone in der Pathogenese eine Rolle spielen. Die Tatsache, dass das durchschnittliche Alter der ersten Erkrankung in etwa dem Alter der Menopause entspricht, kann ebenso gedeutet werden. Die Aktivierung des Androgenrezeptors (AR) scheint eine aktivierende Wirkung auf die Tumorgenese zu haben, während die Aktivierung des Östrogenrezeptors (Erβ) eine tumorprotektive Wirkung entfaltet [17, 18]. Rückenwind bekommen diese Daten durch die Beobachtung, dass Frauen ein erhöhtes Krebsrisiko nach einer Hysterektomie haben [19]; hier konnte ein erhöhtes Risiko für Schilddrüsen- und Hirntumoren festgestellt werden.
Weitere potenzielle Auslöser für Hirntumoren könnten Infektionen mit Viren sein. Wie bei vielen anderen Tumoren ebenfalls spielt die Mikroumgebung der Tumoren eine außerordentlich wichtige Rolle. Jene rückt immer mehr ins Zentrum der Forschung der Tumorgenese und seiner Therapie. Hierbei manipuliert der Tumor seine nächste Umgebung derart, dass er vom Immunsystem unerkannt bleibt. Humane Papillomviren (HPV), welche dafür bekannt sind, unter anderem Gebärmutterhalskrebs auszulösen, haben laut Robert Koch-Institut (RKI) zwölf Hochrisikotypen, welche karzinogen sind. Diese sind Meister darin, das Immunsystem lokal zu unterdrücken und damit eine Tumormikroumgebung zu kreieren, in denen der Tumor ungehindert wachsen kann. In Kopf-Hals-Karzinomen wurde nachgewiesen, dass humane Papillomviren TGF-β und den CC-Chemokin-Ligand-2 (CCL2) sekretieren. Unter deren Einfluss differenzieren sich Makrophagen in den M2-Typ aus, welche das Immunsystem unterdrücken und Vaskularisierung fördern, was zu Tumorwachstum führt [20]. In wenigen Studien wurden mittels PCR in Glioblastomgewebe DNA von HPV in knapp 30% der untersuchten Gewebe nachgewiesen und eine potenzielle Involviertheit von humanen Papillomviren in der Genese von Hirntumoren postuliert [21, 22]. Obwohl die Datenlage hier (noch) recht dünn ist, sei hiermit auf die Verfügbarkeit von Impfungen gegen HPV-Infektionen hingewiesen (Gardasil 9®, Cervarix®). |
Auf einen Blick
- Das Glioblastoma multiforme ist eine schwere Erkrankung, die viel interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen medizinischen, pharmazeutischen, molekulardiagnostischen und psychoonkologischen Teams benötigt.
- Apothekerinnen und Apothekern kommt aufgrund des starken Einsatzes oraler Zytostatika eine besondere Verantwortung zu. Ein aktives Hinweisen auf die korrekte Einnahme sowie ein Explorieren eventueller Nebenwirkungen kann die Therapie betroffener Personen aufwerten und helfen, diese schwere Erkrankung besser zu ertragen.
- Auch der Hinweis auf die Möglichkeit der Studienteilnahme sowie molekulardiagnostischer Untersuchungen können helfen, neue therapeutische Targets (sowohl für die Einzelperson als auch für die Forschung) zu finden.
- Auch wenn die Standardtherapie momentan lediglich für ein vergleichsweise kurzes Gesamtüberleben sorgen kann, so gibt es einige vielversprechende Forschungsansätze. Dies macht Hoffnung, diese Erkrankung in naher Zukunft besser adressieren zu können.
Literatur
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