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Pharmako-endogen!

Aktives Leben mit dem Essen harmonisieren

Was wir nach 25 Jahren über Orexine wissen

Orexine tragen den Appetit (griechisch orexis) im Namen: Essen ist Energie, und eine der wichtigsten Lebensfunktionen ist die Sicherung der Energiezufuhr. Und so harmonisieren die beiden Orexin-Neuropeptide, die vor 25 Jahren zum ersten Mal beschrieben wurden, die Nahrungszufuhr mit Emotionen, kognitiven Prozessen, Belohnung und Motivation, dem Schlaf-wach-Rhythmus und vitalen Körperfunktionen. Frei nach Bertolt Brecht: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Gehen Orexin-Nervenzellen verloren, dann überfällt uns eine bleierne Müdigkeit, das Leben versinkt in einem narkoleptischen Nebel, und der Appetit steigt. Spannend und hochinteressant sind diese Aktivitäts-Impulsgeber, die dafür sorgen, dass wir Energie verbrauchen – eigentlich unser Traum: Essen ohne Gewichtszunahme. Aber: zu viel Orexine, und wir sind „durch den Wind“. | Von Thomas Herdegen

Ursprünglich als Regulatoren von Appetit und Essensaufnahme beschrieben, umfasst das Orexin-System eine Vielzahl von Funktionen, die vegetative, kognitive und emotionale Prozesse harmonisieren. Die Nahrungsaufnahme – die immer mit Nahrungssuche, Nahrungsbereitstellung und Veränderungen der Wachheit und Aufmerksamkeit verbunden ist – ist dabei die zentrale „Sonne“, um die sich die Planeten der anderen Orexin-Funktionen drehen.

Lernziele

In diesem Beitrag erfahren Sie unter anderem

  • welche neurophysiologische Rolle Orexine spielen
  • Aufbau und Funktion des zentralnervösen Orexin-Systems
  • die pharmakologisch relevanten Angriffspunkte im Orexin-System
  • die zentralnervösen physiologischen Wirkungen von Orexinen und ihre Bedeutung für neurologische und psychiatrische Krankheiten
  • die Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneistoffen, die am Orexin-System angreifen

Entdeckung der Orexine

Die Orexine sind wie viele andere Neuropeptide evolutionär sehr alt, aber erst vor Kurzem in unsere Welt des Wissens eingedrungen. Es ist genau 25 Jahr her, seit 1998 in zwei Publikationen zum ersten Mal diese Neuropeptide beschrieben wurden [Prober 2018]: Sakurai et al. nannten die Neuropeptide Orexine bzw. Orexin A und Orexin B (OX-A bzw. OX-B) nach dem griechischen Wort „orexis“ = Appetit, weil sie im Tierversuch die Nahrungsaufnahme stimulierten und den Metabolismus veränderten. Lecea et al. gaben ihren Neuropeptiden den Namen Hypocretine (Hcrt1 und Hcrt2), da sie aus dem Hypothalamus sezerniert werden und eine hohe Homologie ihrer Aminosäuresequenzen mit Inkretinen und Sekretin aufweisen. Beide Begriffe sind austauschbar, jedoch hat sich „Orexine“ weltweit durchgesetzt.

Das Orexin-System

Bildung von Orexinen

Die beiden Orexine Orexin A (OX-A, syn. Hypocretin-1) und Orexin B (OX-B, syn. Hypocretin-2) werden im lateralen und posterioren Hypothalamus gebildet, von wo aus sie in zahlreiche Kerngebiete bzw. Orexin-Neurone projizieren bzw. transportiert werden und über ihre postsynaptischen Orexin-Rezeptoren die Zielzellen erregen (Tab. 1, 2). Menschen verfügen über schätzungsweise 50.000 bis 80.000 Orexin-Neurone, deren Zahl mit dem Alter wahrscheinlich abnimmt.

Tab. 1: Steckbrief von Orexinen
Struktur
Orexin-A: Peptid aus 33 Aminosäuren, 3,5 kDa
Orexin-B: Peptid aus 28 Aminosäuren, 2,9 kDa
Expression
Pre-Pro-Orexin aus 131 Aminosäuren (Chromosom 17)
Bildung
proteolytische Abspaltung aus dem Pre-Pro-Orexin
Abbau
proteolytisch via Proteasen

Beide Orexine werden durch ein gemeinsames Gen auf dem Chromosom 17 kodiert und entstehen durch hydrolytische Spaltung aus dem großen Vorläuferpeptid Pre-Pro-Orexin, das 131 Aminosäuren lang ist [Villano 2022] (s. Abb. 1, Tab. 1).

Orexin A (OX-A) ist 33 Aminosäuren lang und enthält zwei Disulfidbrücken. Es hat eine besonders große Affinität zum Orexin-1-Rezeptor, bindet aber auch an den Orexin-2-Rezeptor.

Orexin B (OX-B) ist 28 Aminosäuren lang. Das lineare Peptid unterscheidet sich vor allem im N-terminalen Ende von Orexin A. Orexin B bindet überwiegend an den Orexin-2-Rezeptor (s. Abb. 1). Beide Orexine sind strukturell mit den Neuropeptiden der Inkretin- und Sekretin-Familien verwandt.
 

Tab. 2: Projektionen von Orexin-Neuronen
Bildungsort
Projektion ins Zielgebiet
Wirkung (via Orexin-1-Rezeptor und/oder Orexin-2-­Rezeptor)
lateraler und posteriorer Hypothalamus
Locus coeruleus
Freisetzung von Noradrenalin mit Aktivierung von Wachheit
Ncl. raphe
Freisetzung von Serotonin mit Antriebssteigerung und Schlafregulation
ventrales Tegmentum
Freisetzung von Dopamin mit Belohnung und Suchtverhalten sowie Wachheit und Motivationssteigerung
basales Vorderhirn
Freisetzung von Acetylcholin mit Wachheit, Aufmerksamkeit und Motivation
paraventrikulärer Thalamus
Modulation von Schlaf, Belohnung, Kognition, Stress
Ncl. striae terminalis
Modulation von Wachheit, psychovegetative Homöostase
Ncl. tuberomamillaris
Freisetzung von Histamin, Modulation des Schlaf-wach-Rhythmus
Ncl. arcuatus
Kontrolle des Fressverhaltens und des Körpergewichts

Orexin-Rezeptoren

Orexin-Rezeptoren realisieren die Wirkungen der beiden Orexine. Es gibt zwei Orexin-Rezeptoren, die eine 64%ige Sequenzhomologie in ihren Aminosäuren aufweisen und beide zu den G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR) gehören [Chieffi 2017, Kaplan 2022, Villano 2022]. Ihre Aktivierung führt zu einer postsynaptischen Erregung, zumeist via Hemmung von Kalium-Kanälen und Förderung des Natrium­ionen-Einstroms, vor allem via Aktivierung von Natrium-Calcium-Austausch-Transportern. Zusätzlich kann der mTOR-Signalweg (mammalian target of rapamycin) aktiviert werden [Song 2023].

Abb. 1: Bildung und Wirkung von Orexinen. Orexin A und Orexin B werden von dem Vorläuferpeptid Pre-Pro-Orexin abgespalten. Der Orexin-1-Rezeptor ist selektiv für Orexin A, hingegen bindet der Orexin-2-Rezeptor unspezifisch Orexin A und B (nach [Villano 2022]).


Orexin-1-Rezeptor (OX1-R). Der Orexin-1-Rezeptor, exprimiert auf Chromosom 1, ist selektiv für das Orexin A, seine Aktivierung führt zur Zunahme der intrazellulären Calciumionen-Konzentration. Der Orexin-1-Rezeptor ist phylo­genetisch jünger als der Orexin-2-Rezeptor), daher seine selektivere Bindung. Er moduliert zahlreiche evolutionär höher entwickelte neuronale Schaltkreise.

Orexin-1-Rezeptoren sind vor allem im ventromedialen Hypothalamus, im Nucleus raphe, Locus coeruleus und im Hippocampus hochexprimiert.

Orexin-2-Rezeptor (OX2-R). Der Orexin-2-Rezeptor, exprimiert auf Chromosom 6, bindet mit gleicher Affinität Orexin A und Orexin B. Dieser „unspezifischere“ oder „unselektivere“ Orexin-2-Rezeptor hat sich von einem älteren Vorläuferrezeptor entwickelt, dessen Gen findet sich im Genom aller Wirbeltiere. Eine besonders hohe Orexin-2-Rezeptor-Dichte findet sich im Ncl. accumbens und im cerebralen Kortex.

In zahlreichen Kerngebieten sind Orexin-1- und Orexin-2-Rezeptoren gemeinsam exprimiert, es gibt aber auch individuelle Expressionen (Tab. 2, 3).
 

Tab. 3: Lokalisation der Orexin-Rezeptoren im Gehirn und ihre Wirkungen (Auswahl der Areale mit besonders hoher Expression)
Rezeptor
Lokalisation
Funktion bzw. Wirkung
aktiviert durch Orexin-A
Orexin-1-Rezeptor (Chromosom 1)
ventromedialer Hypothalamus
Wachheit, Appetitkontrolle und Energieverbrauch
Ncl. raphe dorsalis
Freisetzung von Serotonin
Locus coeruleus
Freisetzung von Noradrenalin
aktiviert durch Orexin-A und -B
Orexin-2-Rezeptor (Chromosom 6)
Ncl. accumbens
Motivation, Belohnung und Suchtverhalten
cerebraler Kortex
Aufmerksamkeit, Stabilisierung des Wachzustandes

Projektionen von Orexin-Neuronen

Die Orexin-Rezeptoren vermitteln zahlreiche Funktionen, was sich in den Arealen ihrer Expression widerspiegelt (s. Tab. 2). Die dichtesten Orexin-Projektionen und damit auch die höchste Dichte von Orexin-Rezeptoren finden sich in den monoaminergen und cholinergen Kerngebieten im Hirnstamm und Mittelhirn. Weitere wichtige Kerngebiete mit hoher Orexin-Rezeptor-Dichte sind der präfrontale Kortex und der Hippocampus sowie jene Kerngebiete, die Wachheit, Stress und Aufmerksamkeit modulieren, wie der Ncl. arcuatus oder der Ncl. tuberomamillaris. Hier eine kurze Beschreibung der wichtigsten Projektionen [Chieffi 2017, Villano 2022]:

Basales Vorderhirn. Die Stimulation der cholinergen Neuronen gibt einen wichtigen Anstoß für Wachheit und Aufmerksamkeit [Herdegen 2023a]. Das freigesetzte Acetylcholin stimuliert seinerseits den somatosensorischen Kortex, der weitere Wachheitsprogramme aktiviert, und unterdrückt den NREM-Schlaf. Über die Aktivierung von Glutamat im basalen Vor­derhirn stabilisiert Orexin die Wachheit und Aufmerksamkeit.

Locus coeruleus. Dichte Orexin-Projektionen stimulieren via Orexin-1-Rezep­toren die Freisetzung von Noradrenalin aus dem Locus coeruleus, wodurch der Übergang vom Schlaf in den Wachzustand getriggert wird. Während des REM-Schlafes sistiert die Freisetzung von Noradrenalin. Weiterhin aktivieren Orexine jene noradrenergen Projektionen zum präfrontalen Kortex, die die „kognitive“ Wachheit stimulieren sowie in der Peripherie die Aktivität von Noradrenalin im braunen „guten“ Fettgewebe modulieren. Grundsätzlich aktivieren Orexine das sym­pathische Nervensystem und damit auch Stressreaktionen.

Raphe-Kerne. Hier aktivieren Orexine die Freisetzung von Serotonin und verstärken serotonerge Belohnungsprozesse.

Ncl. tuberomamillaris. Diese Orexin-Projektionen treffen ins Herz der Schlaf-wach-Regulation mit Freisetzung der Wachmacher Histamin und Glutamat, was den Wachzustand konsolidiert [Herdegen, 2023b].

Ncl. striae terminalis. Dieser Kern des limbischen Systems setzt unter anderem das Corticotropin-Releasing Hormon frei – damit halten uns die Orexine im (Eu-)Stress aktiv und konsolidieren die Wachheit vor allem via Unterdrückung des Non-REM-Schlafes.

Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse. Über die sogenannte Stressachse mit ihren zahlreichen „Zuflüssen“ verursachen Orexine jenes motorische und vegetative Erregungsniveau, das neben dem Alert-Sein auch den körperlichen und muskulären Umsatz steigert. Die Rückseite dieser glänzenden Medaille ist die negative Wirkung einer Orexin-Überaktivität mit Schlaflosigkeit und psychomotorischer Erregung (s. u.).

Die physiologischen Funktionen von Orexinen

Die orexinergen Neurone integrieren zahlreiche emotionale und soziale Stimuli sowie Umweltreize [Chieffi 2017]. Aber sie sind auch selbst das Ziel anderer Netzwerke: Exzitation durch Glutamat (tonische Erregung), Cholecystokinin, Neurotensin, Oxytocin und Vasopressin; Inhibition durch Gamma-Aminobuttersäure (GABA), Noradrenalin (via α2-Adrenorezeptoren), Dopamin und Serotonin. Damit sind die Orexine in viele neurobiologische Schaltkreise involviert. Ein wichtiger Faktor ist auch CO2, das Orexin-Neurone hemmt, das heißt, auch die Atmung wirkt über die Konzentration der Blutgase auf das Orexin-System ein [Williams 2007] – wir wissen, dass Atmung Energie verbraucht und durch Wachheit stimuliert wird. Abb. 2 fasst all diese Interaktionen zusammen.
 

Abb. 2: Interaktionen von Orexinen und neuronalen Netzwerken. Orexine aus dem Hypothalamus interagieren mit zahlreichen Kerngebieten bzw. anderen Netzwerken wie denen der biogenen Amine, Acetylcholin oder GABA. Umgekehrt stimulieren und/oder hemmen diese Zielgebiete ihrerseits die orexinergen Kerngebiete (nach [Chieffi 2017]).


Schlaf-wach-Regulation

Bei der Schlaf-wach-Regulation geht es immer um mehr als nur um „Augen auf“ und „Augen zu“. Die wesentlichen Schlagworte im pathophysiologischen Kontext sind neben Schlaf (sleep) das Wachsein (wakefulness), Aufmerksamkeit (attention) und Aufgewecktsein (alertness) im Sinne von hellwach oder alert = wachsam sein. Damit verbunden ist immer die Modulation der Nahrungsaufnahme (vor allem der Nahrungssuche) bzw. des Gesättigtseins oder des Hungers.

Orexine sind essenziell für unseren Wachzustand. Die Stimulation orexinerger Neuronen in der Maus induziert flip-flop-artig den Übergang vom Schlaf in den Wachzustand [Adamanditis 2007], die Wachzeit wird verlängert, und die REM- wie Non-REM-Phasen werden verkürzt. Diese phylogenetisch alte Funktion der Orexine wird vor allem über Orexin-2-Rezeptoren vermittelt.

Orexine halten uns wach und „auf Trab“, indem sie Aktivitätszentren stimulieren wie die noradrenergen Neuronen des Locus coeruleus, die serotonergen Neuronen der Raphe-Kerne und die tuberomamillaren Wachheits-Kerne. Dadurch verhindern die Orexine den Übergang in den Schlaf, vor allem das Einsetzen von Non-REM-Schlaf-Phasen.

Nichts veranschaulicht besser die Bedeutung des Orexin-Systems als der Verlust der orexinergen Neuronen, der uns in einen Zustand schwerster Müdigkeit und Schläfrigkeit fallen lässt, die sogenannte Narkolepsie (s. Abschnitt „Narkolepsie). Wir wissen, dass gesunder Schlaf unsere kognitiven Fähigkeiten fördert. Daher ist es nicht überraschend, wenn eine durch Orexin-Mangel verursachte Narkolepsie mit kognitiven Einschränkungen einhergeht – wahrscheinlich auch eine Folge der verminderten Stimulation von noradrenergen und dopaminergen Neuronen.

Appetit und Energiehaushalt

Immer wieder stoßen wir auf den Zusammenhang von Schlaf- und Appetitregulation, wie es für Acetylcholin, Serotonin, Histamin oder Noradrenalin beschrieben wurde [Herdegen 2022a, c, 2023a] und wie es August Wilhelm Schlegel in seiner Shakespeare-Übersetzung des „Julius Caesar“ so trefflich wiedergibt: „Laß wohlbeleibte Männer um mich sein, …, die nachts gut schlafen ...“ [Herdegen 2023b]. Orexin macht aber hier eine Ausnahme: Es steigert den Appetit, aber es hält wach und erhöht den Energieverbrauch! Um nochmals den gleichen Dialog von Shakespeare zu bemühen, es trägt bei zu den „hohlen Augen … die Menschen sind gefährlich“.

Unser Wissen über die zentrale Funktion von Orexinen für das Fressverhalten kommt von Tierexperimenten, in denen die Injektion von Orexin A in den Hypothalamus die Nahrungsaufnahme steigert, während Antagonisten des Orexin-1-Rezeptors diese hemmen. Orexin B scheint dabei weniger relevant zu sein.

Jedoch stimuliert Orexin A nicht einfach die Nahrungsaufnahme per se. Gesteigert wird auch der Appetit auf „überflüssiges“ Essen jenseits eines physiologischen Energiebedarfes – wie zur Steigerung von hedonistischen Gefühlen („yammi, Schokolade!“) oder zu einer wie auch immer gearteten Belohnung sowie zur Lust auf zucker- und fetthaltiges Essen. Die Vorliebe für „wohltuendes“ Essen geht mit einer signifikanten Zunahme der Expression von Orexin-Rezep­toren im perifornicalen Bereich des Hypothalamus einher. Generell stimulieren ein „reizvolles“ Essen (das heißt, ein Essen, das sich aus der üblichen basalen Nahrungszufuhr durch besondere Reize hervorhebt) sowie ein besonders schmackhaftes Essen die Orexin-Freisetzung. Ein „circulus appetiticus“, der sich selbst verstärkt.

Energieverbrauch

Aber Orexine erhöhen neben der Wachheit auch den Energieverbrauch, im Unterschied zu anderen Appetit-stimulierenden Neuropeptiden und Transmittern, die den Energieverbrauch reduzieren und damit für den Fall eines Nahrungsmangels einem Energiedefizit vorbeugen. Beteiligt am Energieverbrauch ist wahrscheinlich der Wachzustand bzw. die Wachheit mit vermehrter Bewegung bzw. erhöhtem Muskeltonus. Orexine erhöhen die Sympathikus-Aktivität und stimulieren die aktivitätssteigernde Stressachse. Fehlt Orexin, dann fehlt auch der Energieverbrauch! Dies erklärt auch, warum Narkolepsie-Patienten mit ihrem Mangel an Orexinen nicht einfach abnehmen, wenn sie weniger essen [Schuld 2002].

Tierexperimente zeigen, dass vor allem das Orexin A maßgeblich für die Regulation des Energiehaushaltes ist. Es stimuliert die Nahrungsaufnahme über eine direkte Stimulation des lateralen Hypothalamus – dort werden die Neuronen durch den Blutzucker und die Nahrungshormone moduliert. Hohe Plasmakonzentrationen an Blutzucker und Leptin hemmen die orexinergen Neuronen, während niedrige Blutzucker- und Ghrelin-Spiegel diese stimulieren. Experimentelle Degeneration von orexinergen Neuronen führt im Tier zur Fresssucht – und Narkolepsie (s. o.) geht tatsächlich mit einer erhöhten Prävalenz einer Fresssucht einher [Yokobori 2011].

Das Orexin-System moduliert das Wachsein bei Nahrungsmangel und negativer Energiebilanz. Anders ausgedrückt: Orexine erhöhen die Wachheit in einem akuten Fasten- bzw. Hungerzustand. Dabei werden die Orexin-Neuronen durch Input sowohl aus dem hypothalamischen Ncl. arcuatus (wichtig für Appetit und Wachstum) unterstützt als auch vom Zentrum unserer zirkadianen Rhythmik, dem Nucleus suprachiasmaticus mit Melatonin als Zeiger des 24-Stunden-Uhrwerkes. Das Uhrwerk des Ncl. suprachiasmaticus ist per se ziemlich unempfindlich gegenüber emotionalen oder somatischen Zuständen. Erst Orexine und andere Neuropeptide wie Oxytocin [Herdegen 2023c] passen Bedürfnisse oder Änderungen des Stoffwechsels an das Verhalten und die physiologische Homöostase an und modulieren die Schlaf-wach-Rhythmik an die Verfügbarkeit von Nahrung bzw. Hungerzustände.

Belohnung und Motivation

Das Orexin-System spielt ebenfalls eine zentrale Rolle für unsere Motivation und Belohnungsprozesse. Dies ist nicht überraschend, wenn man seine Verstärker-Funktion für die Wachheit oder für eine „reizvolle“ Nahrungs­aufnahme bedenkt [James 2017]. Jedoch können Orexine aber auch in einem pathologisch aktivierten Belohnungssystem ein Suchtverhalten verstärken (s. u.). Gerade die Projektionen zum Locus coeruleus (Noradrenalin) und zum ventralen Tegmentum (Dopamin) verstärken die Assoziation zwischen Erregung und Sucht nach Belohnung [Gonzalez 2012].

Neuroplastizität und Gedächtnis

Zahlreiche Tierversuche legen nahe, dass Orexine die Neuro­plastizität steigern und somit auch das Lernen und die Gedächtnisbildung fördern kann – beides Funktionen, die mit erhöhter Aufmerksamkeit verbunden sind. Orexine können auch die Differenzierung von unreifen Neuronen in reife Neuronen hochsignifikant verstärken [Zhao 2014].

Passend zur integrativen Funktion des Orexin-Systems sind Orexine auch im sogenannten sozialen Gedächtnis wirksam, das zwischen vertrauten und neuen sozialen Gedächtnis­inhalten diskriminiert. In Orexin-knock-out-Mäusen ist das soziale Gedächtnis gestört, kann aber durch die Gabe von Orexin A wieder normalisiert werden.

Körperliche Betätigung verbessert kognitive Funktionen und Gedächtnis, unter anderem getriggert durch eine verstärkte Neurogenese bzw. Bildung von Neuronen im Hippocampus. Bekannte Triggerfaktoren dafür sind die neurotrophen Faktoren wie der neuronale Wachstumsfaktor BDNF (brain derived neurotrophic factor) oder der Insulin-like growth factor 1 (IGF-1). Orexine, besonders Orexin A, und der Orexin-1-Rezeptor gelten als neue wichtige Einfluss­größen der Neurogenese.

Krankheiten und Störungen des Orexin-Systems

Fresssucht und Orexin-Mangel

Fresssucht mit dem begleitenden Übergewicht ist ein multifaktorielles Geschehen, das die Lebensqualität und die Gesundheit drastisch vermindert und mit zahlreichen Störungen einhergeht wie einem metabolischen Syndrom, Diabetes mellitus Typ 2, koronarer Herzkrankheit oder Schlafapnoe und letztlich die Lebenserwartung verkürzt [Chieffi 2017].

Als prädisponierende Faktoren gelten dabei Störungen der non-exercise activity induced thermogenesis (NEAT, Aktivitätsthermogenese ohne Sport), das ist die Bildung der Körperwärme bzw. ein Energieverbrauch durch Alltagsaktivität wie Stehen oder Zappeln, also Energieverbrauch jenseits von willkürlich-sportlichen Aktivitäten. Daneben gibt es das Konzept der spontaneous physical activity (SPA), die jede Art von körperlicher Tätigkeit beschreibt, die nicht als willkürliche Bewegung gilt. Die Aktivitätsthermogenese ohne Sport bezieht sich auf den Energieverbrauch, während die nichtwillkürlichen Bewegungen die Arten der Aktivitäten beschreibt, die zur NEAT führen. Beides, NEAT und SPA, sind genetisch determiniert, und beide gelten als Hauptfaktoren für die Empfindlichkeit bzw. Resistenz bezüglich einer Gewichtszunahme.

Orexine wirken gegen die Fresssucht, indem sie SPA und NEAT bzw. den Energieverbrauch erhöhen. Im Tierversuch führt ein Orexin-Mangel zur Fresssucht und Gewichtszunahme, auch wenn weniger Kalorien zugeführt werden [Perez-Leighton 2012], und in Tieren mit experimenteller Nahrungs-induzierter Fresssucht ebenso wie in Menschen mit Fresssucht sind die Orexin-Spiegel und die Wirkung der Orexin-Rezeptoren vermindert. Umgekehrt verstärken Orexine die körperliche Tätigkeit ohne willkürliche Bewegung unter anderem durch vermehrtes Gehen und vermindertes Sitzen [Kotz 2017]. Tiere mit hoher intrinsischer SPA oder Orexin-induzierter SPA sind resistent gegen die Entwicklung einer Fresssucht.

Eine erhöhte Orexin-Freisetzung gilt als endogener Faktor, der das Ausmaß der körperlichen Aktivität widerspiegelt und den Energieverbrauch verbessert. So zeigen Menschen mit körperlicher Aktivität höhere Orexin-A-Plasmaspiegel als inaktive [Hao 2017]. Umgekehrt sind fettleibige Menschen wenig körperlich aktiv und haben niedrigere Orexin-A-Spiegel – Gewichtsverlust erhöht bei ihnen die Orexin-A-Spiegel und verbessert den Schlaf [Kotz 2012].

Schlafstörungen und Orexin-Überaktivität

Gestörte Schlafarchitektur, Schlaflosigkeit und Tagesmüdigkeit können mit einer Überaktivität des Orexin-Systems verbunden sein. Dabei verstärken Orexine auf zweierlei Weise die Schlaflosigkeit: Aktivierung der noradrenergen Neuronen im Locus coeruleus mit erhöhter Sympathikus-Aktivität (via Orexin-1-Rezeptoren) und Stimulation der hypothalamisch-hypophysären Nebennierenrinden-Achse (HPA, sogenannte Stressachse) (via Orexin-2-Rezeptoren) mit Aktivierung des Cortison-Systems [Palagini 2023]. Dabei entwickeln sich auch Symptome von Angststörungen und generell Störungen des psychovegetativen Wohlbefindens. Die dadurch provozierte psychovegetative Übererregung ist ein zentraler Faktor von Schlafstörungen, neurophysiologisch werden Non-REM- und REM-Schlaf instabil. All diese Störungen sind mit (Fehl-)Funktionen des Orexin-Systems verbunden.

Das Orexin-System triggert nicht nur Wachheit (s. o.), sondern wird selbst aktiviert z. B. vom limbischen System mit seinen emotionalen Aufladungen und Angstreaktionen (dies gilt für positive wie negative Emotionen bzw. Stimuli). Andererseits stehen die orexinergen Neuronen unter der Kontrolle von GABA, dem wichtigsten hemmenden Transmitter.

In Tierversuchen einschließlich Experimenten mit Fischen konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass die Überaktivierung des Orexin-Systems den REM- und Non-REM-Schlaf fragmentiert. Tatsächlich sind in Patienten mit Schlaf­störungen die Orexin-A-Spiegel im Plasma höher als bei guten Schläfern; es gibt aber keinerlei Assoziation zwischen Schlafqualität und genetischen Polymorphismen des Pre-Pro-Orexin-Gens oder der für die Orexin-Rezeptoren codierenden Gene [Tang 2017]. Bei Alzheimer-Patienten korre­lieren erhöhte Orexin-Spiegel im Liquor mit schlechter Schlafqualität und kognitiven Dysfunktionen [Liguori 2014]. Passenderweise können duale Orexin-Rezeptor-Antagonisten (DORA, s. u.) die psychovegetative Übererregung im Rahmen von Schlafstörungen bei Patienten mit Alzheimer-Demenz dämpfen.

Jedoch gilt auch festzuhalten, dass im Alter in mehreren Tierspezies einschließlich Primatenaffen die Zahl der orexinergen Neuronen abnimmt. Hier könnte ein Orexin-Mangel über die Störung des normalen Schlaf-wach-Rhythmus an altersbedingten Schlafstörungen beteiligt sein.

Narkolepsie

Diese neurologische Erkrankung, die in jedem Lebensalter auftreten kann, ist durchaus häufig, sie betrifft 1 von 2000 Menschen. Die Narkolepsie ist gekennzeichnet durch chronische Tagesmüdigkeit und unwiderstehliche Schlafattacken. Dazu können kataplektische Anfälle kommen, das heißt eine anfallsartige Schwäche der Muskulatur mit Sturzgefahr oder Unterbrechung von Haltefunktionen (Fallenlassen von Gegenständen). Dabei ist das Bewusstsein erhalten.

Es gilt die unbestrittene Kausalität, dass diese Erkrankung durch den Verlust von orexinergen Neuronen hervorgerufen wird und experimentell durch Orexin-Rezeptor-Agonisten normalisiert werden kann. Dieser monokausale Zusammenhang eröffnet die Option einer fast kausalen Therapie. Natürlich können wir die Degeneration orexinerger Neuronen nicht aufhalten, aber ähnlich wie bei der Degeneration von dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra pars compacta beim M. Parkinson könnten wir den fehlenden Transmitter durch spezifische Agonisten der Rezeptoren ersetzen – hier Agonisten der Orexin-Rezeptoren, dort Agonisten des Dopamin-2-Rezeptors. Die pharmakologische Therapie einer Narkolepsie besteht je nach Alter und Narkolepsie-Untergruppe in der Gabe von Weckaminen wie Modafinil oder Amphetaminen sowie dem neueren H3-Rezeptor-Antagonisten Pitolisant [Bassetti 2021].

Sucht und Orexin-Trigger

Orexine können ein Suchtverhalten verstärken – das liegt wahrscheinlich in der Natur aller motivationalen und aktivierenden Transmitter bzw. Hormone. Orexine steigern die Suche nach Belohnung und nach möglichen Suchtstoffen. Ein erster Hinweis auf diesen Zusammenhang kam von der Beobachtung, dass Narkolepsie-Patienten, die mit Amphet­aminen, also „Weck-Aminen“ behandelt wurden, kein Suchtverhalten für Amphetamine entwickeln. „Normale“ Wildtyp-Mäuse haben ein größeres Risiko, eine Morphin-Abhängigkeit zu entwickeln als Mäuse mit einem Orexin-knock-out. Umgekehrt vermindern Orexin-1-Rezeptor-Antagonisten das Suchtverhalten und den Rückfall im Tierversuch [Subramanian 2022]. Als Konsequenz dieser eindeutigen Befunde listet das amerikanische National Institute of Drug Abuse Orexin-1-Rezeptor-Antagonisten als neue Wirkstoffe gegen Opioid-Abhängigkeit.

Posttraumatische Stress-Erkrankung und zu viel Orexine

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind unter anderem gekennzeichnet durch eine Überaktivität der Stressachse, Schlafstörungen und Störungen der Angst­verarbeitung, besonders der fear extinction (das heißt die Abschwächung einer zuvor konditionierten Angstreaktion).Tierversuche und klinische Studien zeigen in den meisten Fällen übereinstimmend, dass die Ausprägung dieser Sym­ptome mit der Aktivität des Orexin-Systems korreliert [Kaplan 2022]. In Mäusen verbesserte die Hemmung des Orexin-1-Rezeptors die vorher gestörte fear extinction. Antagonisten der Orexin-Rezeptoren (DORA s. u.) gelten als mögliche therapeutische Option bei der posttraumatischen Belastungsstörung.

Neurodegenerative Erkrankungen – Orexine sind mal gut, mal schlecht

Schwere Störungen des Schlafes und der Schlafarchitektur sind Symptome zahlreicher neurodegenerativer Erkrankungen. Tatsächlich gibt es zahlreiche Befunde, dass Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson, Morbus Huntington oder die multiple Sklerose von Störungen des Orexin-Systems begleitet werden. Dabei ist unklar, ob diese Störungen zur Pathogenese der neurologischen Erkrankung beitragen oder eine sekundäre Folge sind oder beides. Überwiegend wird eine Abnahme der Funktion bzw. Wirkung beschrieben, es gibt aber auch einige Befunde über pathologische Überfunktionen. Hier soll ein kurzer Überblick über die Veränderungen des Orexin-Systems bei drei wichtigen neurologischen Krankheiten gegeben werden [Wang 2021, Villano 2022].

M. Alzheimer. Bei Alzheimer-Patienten wurde post mortem eine Abnahme orexinerger Neurone um circa 40% gefunden, erniedrigt war auch der Orexin-Gehalt im Liquor von Alzheimer-Patienten. Bei Patienten mit exzessiver Tagesschläfrigkeit waren die Orexin-A-Spiegel besonders niedrig [Fronczek 2012]. Umgekehrt war bei Alzheimer-Patienten ein erhöhter Orexin-Spiegel mit pathologisch fragmentiertem Schlaf verbunden [Zhou 2023].

Orexin-Neuronen haben ausgeprägte Projektionen zu denjenigen Neuronen des basalen Vorderhirns, die Acetylcholin bilden und freisetzen. Im Tierversuch konnte die Injektion von Orexin A in das basale Vorderhirn Alzheimer-assoziierte Symptome verbessern. Jedoch gibt es auch Hinweise darauf, dass die Spiegel von Orexinen im Plasma und/oder Liquor die neurotoxische Last von Aß-Peptiden und hyperphosphoryliertem Tau erhöhen. Es ist jedoch angesichts dieser widersprüchlichen Befunde unbestritten, dass bei Alzheimer-Patienten eine gestörte zirkadiane Rhythmik mit Unruhe mit erhöhten Orexin-Spiegeln assoziiert ist (s. u.).

M. Parkinson. Orexinerge Neuronen innervieren dopaminerge Kerngebiete und modulieren unter anderem das Schlaf-wach-Verhalten. Beides ist beim M. Parkinson gestört, daher ist das Orexin-System ein wichtiger Gegenstand der Parkinson-Forschung [Alrouji 2023, Wang 2021]. Auch bei Parkinson-Patienten war die Zahl der Orexin-Neuronen erniedrigt, aber die Orexin-Spiegel im Liquor lagen noch im normalen Bereich. Präklinische Experimente zeigen übereinstimmend, dass Orexin A und B dopaminerge Neuronen vor degenerativen Stimuli schützen. Die Gabe von Orexin A und B im Tier­versuch verstärkt die Entladung dopaminerger Neuronen, Hemmung der Orexin-1- und Orexin-2-Rezeptoren antagonisiert diese Aktivität; weiterhin verbessert eine Injektion von Orexin A in den Hippocampus das Gedächtnis in Mausmodellen für Morbus Parkinson.

Parkinson-Patienten leiden unter schweren Schlafstörungen einschließlich massiver Tagesmüdigkeit und Schlafattacken. Diese Symptome ähneln teilweise denen bei Narkolepsie, welche – wie oben beschrieben – durch einen Orexin-Mangel verursacht wird.

Multiple Sklerose. Hier erscheinen zwei Befunde bemerkenswert [Gencer 2019]. Die Plasmaspiegel von Orexin A waren in Patienten mit multipler Sklerose deutlich erniedrigt verglichen mit gesunden Kontrollpersonen. Und diese Abnahme korrelierte eindeutig mit der Progression der multiplen Sklerose, das heißt je progressiver die Erkrankung, desto niedriger die Orexin-A-Spiegel.

DORA und Rexante: Hemmung der Orexin-Rezeptoren als Schlafmittel

Wie oben beschrieben, sind Orexin-Rezeptoren an der Wachregulation beteiligt, jeder mit unterschiedlichen Wirkungen auf den Sympathikus und die Stressachse. Neben der Wachheit werden auch emotionale und kognitive Prozesse verstärkt, es kommt zu einer allgemeinen psychovegetativen Aktivierung. Diese Verstärkung kann aber auch negative Inhalte betreffen wie Angst – und so verhindern Orexine die Auslöschung bedrohlicher oder als bedrohlich empfundener Bilder bzw. Erlebnisse.

Duale Orexin-Rezeptor-Antagonisten

Duale Orexin-Rezeptor-Antagonisten (DORA), deren Nomenklatur mit dem Suffix -rexant endet, sind chemisch unterschiedliche Antagonisten von Orexin-1- und Orexin-2-Rezeptoren [Palagini 2023, Zhou 2023]. Duale Orexin-Rezeptor-Antagonisten bewirken nicht nur eine bloße Verkürzung der Einschlafzeit und/oder Zunahme der Schlafdauer, sie normalisieren auch übermäßige emotionale und psycho­pathologische Symptome, die mit überaktiven Erregungen (hyperarousal) bei Schlafstörungen verbunden sind. Denn mit der Hemmung des Orexin-Systems entfällt eine wichtige Aktivierungskomponente zahlreicher Transmitter-Systeme wie die der biogenen Amine oder Acetylcholin, die dysfunktional ebenfalls als „Unruhestifer“ wirken können.

Tab. 4: Pharmakologisch relevante Angriffspunkte im zentralen Orexin-System, Wirkstoffe und deren therapeutische Bedeutung
Angriffspunkt
Beeinflussung
Wirkstoffklasse o. Hauptvertreter
pharmakologisches Ziel
Orexin-1-Rezeptor und ­Orexin-2-Rezeptor
Hemmung
Rexante wie Daridorexant (Quviviq®) oder Suvorexant (Belsomra®)
Schlafstörungen infolge gesteigerter Wachheit
Orexin-1- Rezeptor
Hemmung
noch präklinisch bzw. experimentell
gegen Entzug und Craving bei Opioid-Sucht

Daridorexant. DORA gibt es schon seit fast zehn Jahren in den USA (Daridorexant, Lemborexant, Suvorexant), in Europa ist seit 2022 das Daridorexant (Quviviq®) bei Erwachsenen zugelassen mit der Indikation Schlafstörungen (Insomnie), deren Symptome seit mindestens drei Monaten anhalten und eine beträchtliche Auswirkung auf die Tagesaktivität haben, die Anwendungsdauer sollte laut Fachinformation so kurz wie möglich sein (Tab. 4). Daridorexant ist ein sogenanntes small molecule, das Orexin-1- und Orexin-2-Rezeptoren gleichermaßen hemmt. 25 mg oder 50 mg werden 30 Minuten vor dem Zubettgehen eingenommen. Interessanterweise gibt es klinische Daten für eine Wirksamkeit bis zu zwölf Monaten, es gibt keine Hinweise auf Entwicklung einer Abhängigkeit oder Gewöhnung oder eines Hangovers. Abb. 3 zeigt eine anhaltende Wirkung bis zu drei Monaten.

Daridorexant verlängert den REM- und Non-REM-Schlaf, neben Verlängerung der Schlafdauer reduziert es die Tagesschläfrigkeit. Eingeschränkt wird der Einsatz von Daridorexant dadurch, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) keinen Zusatznutzen im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie (kurzwirksame Benzodiazepine oder Non-Benzodiazepinrezeptor-Agonisten, gefolgt von Best Supportive Care) erkennen konnte. Die mäßigen Neben­wirkungen wie Somnolenz, abnorme Träume, Muskel­schwäche oder trockener Mund etc. führen nur selten zum Absetzen. Eine ausführliche Übersicht zu Daridorexant gibt Bruhn 2023.

Abb. 3: Klinische Effekte von Daridorexant. Die Wirkungen von Daridorexant halten über Monate an, hier gezeigt für drei Monate (nach [Steiger 2022]).


Ausblick: DORA bei Alzheimer-Patienten?

Alzheimer-Patienten leiden besonders unter Störungen des Schlaf-wach-Rhythmus, eine Herausforderung auch für Angehörige und das Pflegeteam. Bei Alzheimer-Patienten korrelieren erhöhte Orexin-Spiegel im Liquor mit schlechter Schlafqualität und kognitiven Dysfunktionen [Liguori 2014]. Von höchster Bedeutung ist der präklinische Befund, dass Orexine die Ablagerung von Aβ triggern sowie die Tau-vermittelte Neurodegeneration; in APP/PS1-Mäusen, einem Tiermodell mit Alzheimer-ähnlicher Neuropatho­logie, verbessern duale Orexin-Rezeptor-Antagonisten nicht nur den Schlaf, sondern vermindern die Bildung von Aβ-Plaques und Tau-Hyperphosphorylierung. Duale Orexin-Rezeptor-Antagonisten verbessern tatsächlich bei Alzheimer-Patienten den Schlaf und reduzieren die nächtlichen Wachphasen, ohne dass sich die Kognition verschlechtert [Zhou 2023].

Zusammenfassung und Ausblick

Orexine halten uns wach und körperlich wie geistig aktiv.

Als sanguinisches Neuropeptid verführen sie uns zum reizvollen Essen, das wir mit hedonistischen Lustgefühlen genießen, gleichzeitig wird der Energieumsatz gesteigert.

Aber zu viel Orexine oder ein überaktives Orexin-System verbreiten innere Unruhe und psychovegetative Erregung mit Aktivierung des Sympathikus und der Stressachse.

Die neuen dualen Orexin-Rezeptor-Antagonisten sind hilfreiche Neuropharmaka bei den Zuständen, in denen wir ein überaktives Orexin-System dämpfen müssen, wie z. B. bei Schlafstörungen aufgrund unphysiologischer Wachheit, gestörter Verarbeitung von Angsterfahrungen oder einer frei laufenden zirkadianen Rhythmik mit Unruhe bei Alzheimer-Patienten. |

Disclaimer

Der Autor versichert, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

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Autor

Prof. Dr. med. Thomas Herdegen, Studium der Medizin in Wien und Würzburg, Facharzt für experimentelle Pharmakologie, bis März 2023 stellvertretender Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie an der Universität Kiel, Autor der seit 2009 laufenden DAZ-Serie Pharmako-logisch! und Pharmako-endogen!

Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Universitäts-Klinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Hospitalstraße 4, 24105 Kiel

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