Arzneimittel und Therapie

Wenn Kühlmöglichkeiten fehlen

Dr. rer. nat. Birgit Schindler, Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, Cochrane Deutschland Stiftung

Insulin steht seit 1977 auf der Liste der unverzichtbaren Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ein aktuell neu veröffentlichter Cochrane-Review untersuchte, ob es möglich ist, Humaninsulin über den vom Hersteller empfohlenen Temperaturen zu lagern, und ob man geöffnete Insulin-Ampullen, -Pens und -Patronen länger verwenden kann als empfohlen.

Weltweit leben Millionen von Menschen mit Diabetes mellitus in Gegenden, in denen es keinen oder nur unzureichenden Zugang zu Gesundheitseinrichtungen oder Kühlmöglichkeiten gibt. So sind in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen für viele Menschen Strom und Kühlmöglich­keiten Luxusgüter. An Orten, die von Katastrophen, extremen Hitzeperioden aufgrund der Klima­krise oder Kriegen betroffen sind, wird die Versorgung noch komplizierter.

Ein Team von Cochrane-Autorinnen und -Autoren unter der Leitung von Bernd Richter vom Institut für Allgemeinmedizin der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf fand bei den Recherchen nur eine kleine klinische Studie, aber mehrere Laborstudien. Dass nur eine kleine klinische Studie gefunden wurde, erklären die Autorinnen und Autoren damit, dass es wahrscheinlich schwierig ist, Menschen zu finden, die bereit sind, nicht vorschriftsmäßig gelagertes Insulin zu verwenden.

In der klinischen Pilotstudie wurde Insulin untersucht, das sechs Wochen lang in einem Kühlschrank oder in einem unglasierten Tontopf gelagert wurde, dessen Kühlfunktion auf dem Verdunstungsprinzip basiert und der die Temperatur auf 25 bis 27 °C senkte. Sie umfasste acht gesunde Freiwillige. Bei diesen Probanden zeigte das im Tontopf gelagerte Insulin eine ähnlich blutzuckersenkende Wirkung wie das Insulin aus dem Kühlschrank.

Unveröffentlichte Daten zu Temperatur und Lagerbedingungen von drei pharmazeutischen Herstellern (Bioton, Eli Lilly und Novo Nordisk) legen nur geringe Wirkungsverluste nahe, die als klinisch nicht relevant eingeschätzt werden, wenn ungeöffnete Ampullen oder Patronen mit kurz wirkendem und mittellang wirkendem Humaninsulinen bei bis zu 25 °C für bis zu sechs Monate oder zwei Monate lang bei bis zu 37 °C gelagert wurden. Die Cochrane-Autorinnen und -Autoren fordern daher, dass die Hersteller von Humaninsulin den Zulassungsbehörden Daten zur Wärmestabilität zur Verfügung stellen, um die Empfehlungen zur Lagerung von Human­insulin zu aktualisieren.

Auch eine bis zu dreimonatige Lagerung bei Temperaturen, die den Tages- und Nachtschwankungen in tropischen Ländern ähneln, führte nicht zu einem klinisch relevanten Verlust der Wirkung von kurz und mittellang wirkenden Insulinen sowie Mischinsulinen, wie Daten aus einer Studie zeigen. Nach bestem Wissen lässt sich also derzeit sagen:

  • Ungeöffnete Insulin-Ampullen und -Patronen verlieren vermutlich kaum an Wirksamkeit, wenn sie über mehrere Monate bei hohen Temperaturen gelagert werden (bei Temperaturen von bis zu 25 °C maximal sechs Monate lang und bei Temperaturen von bis zu 37 °C maximal zwei Monate lang).
  • Fehlt eine strombetriebene Kühlmöglichkeit, gibt es einfache Alternativen, ohne die Stabilität des Wirkstoffs zu gefährden, z. B. indem man das Insulin in mit Wasser oder nassem Sand gefüllten und so gekühlten Tontöpfen aufbewahrt (Daten aus einer klinischen Pilotstudie über den Zeitraum von sechs Wochen).

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