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Schwerpunkt Lungenkrebs
Lungenkrebspatienten in der Apotheke
Was bei der pharmazeutischen Beratung zu Oralia zu beachten ist
Die zu beratende Zielgruppe umfasst vornehmlich Patienten, die an einem fortgeschrittenen Adenokarzinom mit einer nachgewiesenen und therapierbaren Treibermutation erkrankt sind. Diese Patientengruppe zeichnet ein weiteres Merkmal aus: Es handelt sich oft um Erkrankte, die nie geraucht hatten. Und eine weitere Besonderheit: Bei Patienten mit therapierbarer Treibermutation kann durch eine personalisierte Therapie eine wesentlich längere Überlebenszeit als durch eine Chemotherapie erzielt werden. Tabelle 1 zeigt, welche Therapieaspekte nun für diese Patienten und deren Angehörige von Belang sind.
Was will der Patient wissen? |
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Was muss der Beratende wissen? |
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Wie wirkt das Arzneimittel?
Möglicherweise steht die Frage nach der Wirkweise eines Medikaments im Raum. Hier kann der Patient über die Funktion eines zielgerichteten Arzneimittels informiert werden. Dieses richtet sich gegen Eigenschaften der Krebszellen, die für das Tumorwachstum wichtig sind. Das Medikament ist auf biologische Merkmale des Tumors ausgerichtet und nur, wenn die Tumorzellen diese Merkmale haben, kann die Behandlung nützen. Derzeit können bestimmte genetische Veränderungen bei einigen Unterarten des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms zielgerichtet (synonym verwendet: personalisiert bzw. stratifiziert) therapiert werden. Aktivierende EGFR-Mutationen und ALK-Translokationen sind derzeit die beiden molekularen Treibermutationen mit den meisten Behandlungsoptionen. EGFR-Mutationen treten häufiger bei Nicht- oder Leichtrauchern, Frauen oder Patienten mit asiatischer Herkunft auf. Patienten mit einer ALK-Translokation sind oftmals jünger, häufiger Nicht- oder Leichtraucher und befinden sich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium. Die Wahl eines geeigneten Wirkstoffs trifft der Onkologe, der in der Regel einem in Leitlinien festgelegten Algorithmus für die molekular stratifizierte Therapie in fortgeschrittenen Stadien folgt.
Lernziele
In diesem Artikel lernen Sie
- was die pharmazeutische Dienstleistung „Pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie“ beinhaltet,
- wie orale Zytostatika wirken,
- welche Einnahmehinweise Patienten mitgegeben werden sollten,
- welche pharmakokinetische und pharmakodynamische Wechselwirkungen beachtet werden sollten,
- welche Wechselwirkungen mit Präparaten aus der Selbstmedikation möglich sind und
- über welche Nebenwirkungen Patienten informiert werden sollten.
Wie muss das Arzneimittel eingenommen werden?
Die meisten der beim nicht-kleinzelligen Lungenkrebs verordneten Medikamente sind Tyrosinkinase-Hemmer (s. Tab. 2). Für sie gibt es keine allgemein gültige Aussage zur Einnahme. Einige können unabhängig, andere mit und wieder andere ohne Nahrung eingenommen werden. Im Einzelfall hilft ein Blick in die Fachinformation weiter. Die dort aufgeführte Empfehlung ist unbedingt zu beachten, was folgendes Beispiel zeigt: Wird Erlotinib mit Nahrung eingenommen, kann dies zu einer Verbesserung der Wirkstoffauflösung und in der Folge zu einer Steigerung der Bioverfügbarkeit mit einhergehender Toxizität führen. Tabelle 3 gibt einen Überblick zu den Einnahmezeitpunkten der in der oralen Tumortherapie eingesetzten Wirkstoffe bei Lungenkrebspatienten. Wie bei vergessener Einnahme vorzugehen ist, kann den jeweiligen Fachinformationen entnommen werden.
Wirkstoff | Arzneimittel (Beispiele) | Besonderheiten | Zugrunde liegende Mutation |
---|---|---|---|
Erlotinib | Tarceva®, Generika | Tyrosinkinase-Inhibitor der ersten Generation | EGFR-Mutationen |
Gefitinib | Iressa®, Generika | Tyrosinkinase-Inhibitor der ersten Generation | EGFR-Mutationen |
Afatinib | Giotrif® | Tyrosinkinase-Inhibitor der zweiten Generation | EGFR-Mutationen |
Osimertinib | Tagrisso® | Tyrosinkinase-Inhibitor der dritten Generation | EGFR-Mutationen |
Dacomitinib | Vizimpro® | EGFR-Mutation | |
Crizotinib | Xalkori® | Tyrosinkinase-Inhibitor der ersten Generation; wird kaum mehr eingesetzt | ALK-Translokation |
Alectinib | Alecensa® | häufig in der Erstlinie eingesetzt | ALK-Translokation |
Brigatinib | Alunbrig® | häufig in der Erstlinie eingesetzt | ALK-Translokation |
Lorlatinib | Lorviqua® | Tyrosinkinase-Inhibitor der dritten Generation | ALK-Translokation |
Ceritinib | Zykadia® | Tyrosinkinase-Inhibitor der zweiten Generation; wird kaum mehr eingesetzt | ALK-Translokation |
Dabrafenib | Tafinlar® | in Kombination mit Trametinib | BRAF-Mutation |
Trametinib | Mekinist® | in Kombination mit Dabrafenib | BRAF-Mutation |
Entrectinib | Rozlytrek® | ROS1-Translokation | |
Tepotinib | Tepmetko® | MET-Mutation | |
Selpercatinib | Retsevmo® | RET-Translokation | |
Pralsetinib | Gavreto® | RET-Translokation | |
Sotorasib | Lumykras® | erster KRAS-Inhibitor | KRAS-Mutation |
Larotrectinib | Vitrakvi® | NTRK-Translokation |
Einnahme mit der Nahrung | Einnahme ohne Nahrung | Einnahme unabhängig von der Nahrung |
---|---|---|
Alectinib Ceritinib* Tepotinib | Afatinib Dabrafenib Erlotinib** Pralsetinib** Trametinib | Brigatinib Crizotinib Entrectinib Dacomitinib Gefitinib Larotrectinib Lorlatinib Osimertinib Selpercatinib Sotorasib |
* Mahlzeit kann von einer leicht bis hin zu einer vollwertigen Mahlzeit variieren ** muss nüchtern eingenommen werden, da mit der Nahrung die Bioverfügbarkeit steigt. |
Das Arzneimittel sollte in der Originalverpackung aufbewahrt werden, um Verwechslungen zu vermeiden. Geeignet ist ein Platz, der vor starker Hitze, Feuchtigkeit und direkter Sonne geschützt ist (also nicht im Bad oder auf der Fensterbank). Ob die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigt sein kann, ist aus der Fachinformation ersichtlich.
Infos zu Einnahmemodalitäten
- Fachinformation
- Übersicht zu Einnahmezeitpunkten oraler Krebsmedikamente (DGOP-Datenbank); www.orale-krebstherapie.de/fuer-apotheker-aerzte-pta/beratungstool/
- Arzneimittelmonographien bei Onkopedia (teilweise mit Wechsel- und Nebenwirkungen); www.onkopedia.com/de/drug-assessment/guidelines
Treten Wechselwirkungen auf?
Viele Tyrosinkinase-Inhibitoren werden durch wichtige Enzymsysteme verstoffwechselt und durch Transportproteine ausgeschieden. Demzufolge ist das Risiko für Interaktionen mit anderen Arzneistoffen, Nahrungsergänzungsmitteln oder Nahrungsbestandteilen hoch. Was bedeutet das für die Praxis? Ein Lungenkrebspatient wird in der Regel mehrere Medikamente einnehmen. Um wichtige Interaktionen zwischen verschiedenen Arzneimitteln zu erkennen, empfiehlt sich eine Medikationsanalyse oder ein Blick in entsprechende Datenbanken. Bei der Beurteilung pharmakokinetischer und pharmakodynamischer Wechselwirkungen kann beispielsweise die Datenbank von Onkopedia konsultiert werden. Schwieriger ist die Einschätzung möglicher Wechselwirkungen zwischen dem oralen Krebsmedikament und pflanzlichen Präparaten, die nicht alle in entsprechenden Datenbanken gelistet sind.
Infos zu Interaktionen
- ABDA-Datenbank
- Hinweise zu Interaktionen mit Lebens- und Genussmitteln; „Drug interactions“ http://cpref.goldstandard.com/inter.asp?r=8084
- Einschätzung des Interaktions-Risikos bei Polypharmazie; Informationen des mediQ – Qualitätszentrum für Medikamentensicherheit Psychiatrische Dienste Aargau AG, www.mediq.ch/
- Arzneimittelmonographien bei Onkopedia (teilweise mit Wechsel- und Nebenwirkungen; www.onkopedia.com/de/drug-assessment/guidelines
Achtung Protonenpumpen-Inhibitoren!
Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf nicht verschreibungspflichtige Medikamente zu richten, die den pH-Wert im Magen beeinflussen. Die meisten Tyrosinkinase-Inhibitoren sind schwache Basen und haben vielfach eine pH-Wert-abhängige Löslichkeit. Ihre Bioverfügbarkeit kann durch den Magen-pH-Wert anhebender Arzneistoffe wie Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI), H2-Rezeptorenblocker und Antazida bis hin zu subtherapeutischen Dosen reduziert werden. Die mögliche Relevanz dieser Interaktion zeigt folgendes Beispiel: Die gleichzeitige Einnahme von Erlotinib und einem Protonenpumpen-Inhibitor führte einer Studie zufolge bei Lungenkrebspatienten zu einer Erhöhung des Sterberisikos um 21%. Eine Abnahme der Wirkstoffexposition bei gleichzeitiger Einnahme eines Protonenpumpen-Inhibitors wurde auch für weitere Tyrosinkinase-Inhibitoren gezeigt, so etwa für Gefitinib, Ceritinib und Dacomitinib.
Informationsmöglichkeiten für Patienten
Welche Nebenwirkungen treten auf
Die möglichen Nebenwirkungen von Tyrosinkinase-Inhibitoren und anderen Oralia sind vielfältig und müssen im Einzelfall der Fachinformation entnommen werden. Dasselbe gilt für besondere Warnhinweise. Für Brigatinib liegt auch eine Patientenkarte (Blaue-Hand-Brief, vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte genehmigtes Schulungsmaterial, www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/Schulungsmaterial/_functions/Schulungsmaterial_Formular.html?nn=926366) vor. Mögliche Nebenwirkungen von Tyrosinkinase-Inhibitoren sind beispielsweise
- Durchfall, Übelkeit
- Rötungen, Ausschlag, Juckreiz, Entzündungen oder Verhornung der Haut
- brüchige Haare oder Haarausfall
- Fehlfunktionen der Schilddrüse
- Leberschädigung
- Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen
- Schwellungen (Ödeme) an Armen und Beinen
- chronische Erschöpfung (Fatigue)
Management kutaner Nebenwirkungen
Viele Patienten entwickeln unter einer Therapie mit EGFR-Inhibitoren innerhalb der ersten Tage und Wochen kutane Nebenwirkungen. Am häufigsten treten ein papulopustulöses Exanthem, Hauttrockenheit sowie Pruritus auf. Die Therapieadhärenz der Patienten kann aufgrund der belastenden Symptomatik leiden, sodass eine Aufklärung über das Krankheitsbild und die Einleitung prophylaktischer Maßnahmen hilfreich sind. Zudem kann der Hinweis, dass kutane Nebenwirkungen mit einem besseren Therapieansprechen assoziiert sind, die Compliance stärken. Folgende prophylaktische Verhaltens- und Hautpflegemaßnahmen sollen berücksichtigt werden:
- Anwendung einer rückfettenden harnstoffhaltigen Basispflege zweimal täglich
- Verwenden von pH-Wert-neutralen, milden Duschzusätzen
- Vermeiden mechanischer, physikalischer und chemischer Hautirritationen
- konsequenter Sonnenschutz mit hohem Lichtschutzfaktor aufgrund der therapiebedingten gesteigerten Photosensitivität.
Was kann man sonst noch tun?
Da die meisten Tumorpatienten zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Erkrankung komplementärmedizinische Ergänzungen erwägen oder anwenden, ist es sinnvoll, den Patienten darauf anzusprechen. Dies hat mehrere Gründe: Für die wenigsten Maßnahmen liegen qualifizierte Aussagen zu einem Benefit vor und einige Maßnahmen können schaden oder mit den Tumortherapeutika interagieren (z. B. Johanniskraut-Extrakte). Die aktualisierte S3-Leitlinie zum Lungenkarzinom lehnt die Einnahme höher dosierter Antioxidantien – zumindest während der Chemo- oder Strahlentherapie – ab und sieht die Anwendung unausgewogener Krebsdiäten oder nicht erforderlicher Nahrungsergänzungsmittel kritisch. Bei der Einnahme pflanzlicher Präparate sollte geklärt werden, ob pharmakodynamische oder pharmakokinetische Interaktionen mit gleichzeitig eingenommenen Medikamenten vorliegen. Positiv („sollte erwogen werden“) wird der fachkundige Einsatz von Entspannungs- und Achtsamkeitsverfahren wie auch von Akupressur und Akupunktur gesehen, um therapiebedingte Beschwerden oder Belastungen zu verringern.
Dienstleistung „Pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie“
Mithilfe einer fundierten Betreuung soll die Arzneimitteltherapiesicherheit von Patienten unter einer oralen Tumortherapie verbessert werden. Dabei sollen arzneimittelbezogene Probleme erkannt und gelöst werden. Darüber hinaus sollen die Adhärenz und die Zusammenarbeit mit den betreuenden Heilberuflern gestärkt werden. Ein Schwerpunkt der „Pharmazeutischen Betreuung bei oraler Antitumortherapie“ umfasst die unter der Dienstleistung „Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation“ beschriebenen Leistungen. Anspruchsberechtigt sind versicherte Personen in der ambulanten Versorgung, die mit einer ärztlich verordneten oralen Antitumortherapie erstmalig ambulant beginnen oder eine weitere ärztlich verordnete orale Antitumortherapie als Folgetherapie beginnen. Zusätzlich erfolgt bei Bedarf zwei bis sechs Monate später ein weiteres Gespräch, um mögliche Probleme mit der oralen Antitumortherapie zu erkennen und zu lösen. Auch dadurch soll die Adhärenz unterstützt werden. Zu dieser Beratung sind Apotheker berechtigt, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, so die Teilnahme an der Fortbildung der Bundesapothekerkammer „Medikationsanalyse, Medikationsmanagement als Prozess“. Andere Fort- und Weiterbildungen (ATHINA, ARMIN, Apo-AMTS, Medikationsmanager BA KlinPharm, Weiterbildung Geriatrische Pharmazie, Weiterbildung Allgemeinpharmazie) werden ebenfalls als Qualifikation akzeptiert.
Infos zu integrativen Maßnahmen
- Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen Patientinnen und Patienten. S3-Leitlinie, Langversion 1.1, Stand: September 2021; AWMF-Registernummer: 032/055OL; www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/komplementaermedizin/
- Onkopedia – Komplementäre und alternative Therapieverfahren; www.onkopedia.com/de/news/komplementaere-und-alternative-therapieverfahren.
- Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms 2022; S3-Leitlinie, AWMF-Registernummer: 020/007OL; www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/lungenkarzinom/.
Eine Hilfestellung zur Einschätzung von Nutzen und Schaden komplementärmedizinischer Maßnahmen und Methoden bietet die S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin, die ausführlich auf verschiedene Möglichkeiten eingeht und deren Wirksamkeit beurteilt. |
Interessenkonflikte
Die Autorin versichert, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Literatur
Barth J (Hrsg.). Zytostatika in der Apotheke. 1. Auflage inklusive 7. Aktualisierungslieferung 2022, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart
Barth J. Einfluss von Einnahmezeitpunkt und Nahrung auf orale Tumortherapeutika. best practice onkologie 2022;9:418–423
Pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie. Informationen der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V., www.abda.de/pharmazeutische-dienstleistungen/pharmazeutischen-betreuung-bei-oraler-antitumortherapie/
Pospischil I et al. Arzneimittelexantheme unter modernen zielgerichteten Therapien - Immuncheckpoint- und EGFR-Inhibitoren. J Dtsch Dermatol Ges 2021;19(11):1621-1645, doi: 10.1111/ddg.14641_g. PMID: 34811897
Ritter C. Tyrosinkinaseinhibitor-Wechselwirkungen. Arzneimittelinteraktionen zwischen oralen TKI und pflanzlichen Präparaten. Uro-News 2022;26(6):18-23
Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen. S3-Leitlinie des Leitlinienprogramms Onkologie (Hrsg.); Stand: Juli 2020, (abgelaufen, in Überarbeitung); AWMF-Registernummer: 032/054OL, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/032-054OL
Zum "Schwerpunkt Lungenkrebs" gehört neben diesem auch der Beitrag: "Lichtblicke beim Lungenkarzinom: Neue Therapiemöglichkeiten verbessern die Prognose".
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