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Die letzte Woche
Mein liebes Tagebuch
Frust: Armin auf der „Health“-Tagung, aber ohne Apotheker. Einigkeit: Kassen und Apothekerverband wollen 1,77 Euro Kassenabschlag im Gesetz fixieren, aber holla! Position: Thüringer Ärzte- und Apotheker-Organisationen halten nichts vom Neuverblistern, aber was wäre, wenn’s bezahlt würde? Staunen: Druckdaten für Arzneipackungen im Internet, so leicht gehen Fälschungen. Mondpreis: Wie teuer darf ein neues Arzneimittel sein? Alles Themen in Echtzeit, mein liebes Tagebuch, und während wir unsere Apotheken mit schönen Postern zu apothekerlichen Leistungen schmücken, verteilen andere Rubbellose für die Rezepteinlösung. Apotheke ist ein bisschen Realsatire, oder?
4. August 2014
Die Woche begann mit Frust. Mein liebes Tagebuch, bevor ich weiterschreibe, überlege ich noch, ob ich’s heute lieber pflanzlich mache mit Baldrian, Passiflora und Lavendel oder gleich einen Betablocker reinziehe. Denn diese Meldung regt auf. Da soll im Oktober auf der Handelsblatt-Jahrestagung Health (gilt „traditionell als die wichtigste Veranstaltung für die deutsche Gesundheitsbranche“, so der Veranstalter) die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN), das Gemeinschaftsprojekt von Apothekern, Kassenärzten und der AOK plus, vorgestellt werden – und die Apotheker sind nicht dabei, nur je ein Vertreter der Ärzte und der Kassen. Laut Auskunft des Konferenzmanagements habe man mit Vertretern der Apothekerschaft gesprochen, diese hätten aber abgelehnt, die Themen seien wenig apothekenrelevant. Also, wenn das so stimmen sollte, dann gute Nacht Berlin. Eine Anfrage bei den beteiligten Apothekerverbänden von Thüringen und Sachsen habe es allerdings nicht gegeben, hieß es; von dort das Signal: man wäre gern gekommen. Schon klar, natürlich ist dieser Health-Kongress nicht der Nabel der Welt. Aber für mich ist eine Nichtteilnahme von Apothekern (egal ob sie von den Apothekern selbst verschuldet ist oder von den Veranstaltern) an der Diskussion über ein Projekt, in das Apotheker angeblich große Hoffnungen setzen, wieder so ein Zeichen: Die Apotheker sind nicht wichtig. Und am Ende schaffen sie sich selbst noch ab. Mein liebes Tagebuch, es ist zum Schreien. Wenn diese Nachlässigkeiten so weitergehen, wozu dann die Anstrengungen mit Perspektivpapier, mit Medikationsmanagement und allem anderen Pipapo? Wäre ich ABDA, würde ich überall dort, wo mein Vorzeigeprojekt auf der Agenda steht, vor Ort sein. Und würde mich notfalls aufdrängen. Aber hier kam von der Apothekerseite wohl nur Achselzucken: Hat doch keiner so richtig gefragt und ach ja, es geht doch mehr um kassenspezifische Themen. Mein Gott, mein liebes Tagebuch, ich glaub’s nicht.
5. August 2014
Da hatten wohl beide Seiten die Schnauze voll von Klagen, Prozessen und Schiedssprüchen. Jetzt haben sie sich verständigt, der GKV-Spitzenverband und der Deutsche Apothekerverband. Leider noch nicht in Sachen Retax, aber zum Thema Kassenabschlag. In einer gemeinsamen Initiative fordern sie Bundesregierung und Parlament auf, den Kassenabschlag für Rx-Arzneimittel dauerhaft auf 1,77 Euro per Gesetz festzuzurren. Ups, bei so viel Einigkeit wird man gleich stutzig. Na ja, mein liebes Tagebuch, da rechnet sich wohl jeder seine Vorteile aus. Ganz abgesehen davon, dass eine Lösung gefunden werden musste (der Kompromiss zum Kassenabschlag vom Mai 2013 drängte auf eine neue Verhandlung, wie’s nach 2015 weitergehen soll): Wenn die Politik dem Wunsch von GKV und DAV folgt (und warum sollte sie es nicht tun?), dann herrscht erst mal Ruhe an der Front, kein Verhandlungsstress. Die Kassen haben ihre 1,77 Euro Rabatt sicher, sie müssen nicht befürchten, dass die Apotheker Mehrbelastungen dagegenrechnen und auf eine Rabattsenkung drängen. Auch die Apotheken können zunächst mit 1,77 leben. Und sie können von Kassen und Politik bei Honorarforderungen nicht mit dem Argument vertröstet werden, der Kassenabschlag werde evtl. gesenkt und eine Anpassung des Honorars brauche es nicht. Hm, aber da hakt es: Wenn der Kassenabschlag gesetzlich fixiert ist, kann ihn die Politik ändern, z. B. erhöhen, wenn die Kassen klamm sind. Sonderopfer nennt man das dann. Ja, und wie sieht es mit der Honoraranpassung der Apotheker aus? Veränderungen bei den apothekerlichen Leistungen und Kosten für die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln können künftig nur noch über die Arzneimittelpreisverordnung berücksichtigt werden, heißt es im Textvorschlag für die Politik – also nicht mehr durch Drehen an der Schraube des Kassenabschlags. Na, mein lieber DAV, dann mal los. BtM-Gebühr und Rezepturpreisanpassung warten auch schon.
6. August 2014
Da sind sich die Thüringer Kammern und Verbände von Ärzten und Apothekern einig: „Eine undifferenzierte, massenhafte industrielle Neuverblisterung von Arzneimitteln kann keine zusätzlichen Vorteile generieren“ – Schluss mit Blister. In einem gemeinsamen Positionspapier zählen sie alle Nachteile der Verblisterei auf. Und ja, mein liebes Tagebuch, damit haben sie auch weitgehend Recht: Probleme bei kurzfristiger Therapieumstellung, keine Verblisterung von Salben, Zäpfchen, Tropfen, gefährdete Arzneimittelsicherheit, Probleme beim Pflegepersonal und und und. Aber, mal ohne Ideologie und Emotionen betrachtet: Es gibt auch Vorteile des Neuverblisterns. Und es ist nicht nur schlecht. Für den einen oder anderen Patienten, für so manches Heim kann es eine Verbesserung der Therapie bedeuten. Verständlich, das Positionspapier hat den Nerv der Blisterindustrie getroffen. Der Bundesverband Patientenindividueller Arzneimittelverblisterer (BPAV) und die Kohl-Tochter 7x4 Pharma zeigten sich irritiert und konterten. Es sei ein Vorwurfspapier, das neue anerkannte Studien und Untersuchungen ignoriere. Aber, mein liebes Tagebuch, bei allem Für und Wider, ein Makel haftet dem Neuverblistern an: Es wird nicht honoriert. Keiner will dafür bezahlen, der Patient nicht, die Kassen nicht, die Heime nicht. Die Kosten bleiben bei der Apotheke, die sich darauf einlässt, hängen. Und jetzt: was wäre, wenn? Wenn die Kassen den Blister mit x Euro bezahlen würden? Gäbe es noch die Widerstände bei den Apothekern? Das lassen wir hier mal so stehen.
Kennst du das, mein liebes Tagebuch: Fremdschämen. Dieses Gefühl kommt auf, wenn man von Kolleginnen und Kollegen hört, die immer noch glauben, man dürfe, könne oder müsse als Apotheke mit verbotenen Zugaben wie Boni und Gutscheinen die Kundschaft ködern. Neuester bekanntgewordener Fall: Rubbellose bei Rezepteinlösung! In der Apotheke! Hach, wie find ich das denn? Gerubbelt wird auf Jahrmärkten, bei Lotterien oder sonst wo. Aber Rubbellose gegen Rezept – das ist wirklich so was von daneben für einen Heilberuf. Und da wollen wir ernst genommen werden?
7. August 2014
Ach ja, falls mal eine Arzneimittelpackung ein bisschen gequetscht und unansehnlich wurde: druck dir ‘ne Neue. Die Druckdaten gibt’s im Internet – und mach dir deine eigene Chargennummer drauf und ein Verfalldatum, das dir passt. Mein liebes Tagebuch, was sich hier wie ein schlechter Scherz anhört, wird schon gemacht. Von kriminellen Fälscherbanden. Wie das Magazin Plusminus zeigte, haben Insider von Medikamentenverpackungen Druckdaten von Arzneipackungen auf Servern rund um die ganze Welt aufgespürt. Firmen wie Pfizer bestätigen, dass die Daten echt sind, man vermutet Datenklau. Möglichkeiten, die Daten abzugreifen, gibt es einige, die Druckdaten werden an Graphik-Agenturen, an Druckereien verschickt. Gelangen sie in falsche Hände, ist Fälschern Tür und Tor geöffnet. Sie beschaffen sich Wirkstoffe über Online-Shops der chemischen Industrie in Asien – auch so gut wie kein Problem, sagt Plusminus. Hologramme und andere Sicherheitsmerkmale seien ebenfalls auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Und fertig sind gefälschte Arzneipackungen, die in die Verteilerkette geschleust werden.
Mein liebes Tagebuch, so perfekt gefälschte Arzneiverpackungen lassen sich in der Apotheke nicht als Fälschung erkennen. Da kann nur Securpharm helfen mit einem 2D-Matrix-Code, der jede Packung zum nachprüfbaren Unikat macht. Das Sicherheitssystem wurde aufgrund der Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie auf den Weg gebracht, es soll bis 2018 umgesetzt werden. Ob wir angesichts der aufgetauchten Fälschungen aber noch bis 2018, bis dieses System EU-weit läuft, Zeit haben? Die Alternative wäre: gesetzlich festgeschriebene Lieferkette Hersteller – Großhandel – Apotheke, keine Zwischenhändler, keine Importe.
Diese Diskussion werden wir in den nächsten Jahren wohl noch häufiger führen: Wie teuer darf ein Arzneimittel sein? Aktuelles Beispiel ist die Auseinandersetzung um den Preis von Sovaldi, dem Präparat zur Behandlung der chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion. Der Gemeinsame Bundesausschuss hatte dem Wirkstoff Sofosbuvir Mitte Juli für bestimmte Patientengruppen einen beträchtlichen Zusatznutzen bescheinigt. Eine Tablette kostet stolze 700 Euro, eine Behandlung im Durchschnitt 50.000 bis 115.000 Euro. Alternative: Keine. Da schreien die Kassen auf, sogar die Politik (Spahn) meldet sich zu Wort: „Mondpreise“. Hmm, wer bestimmt, was ein Mondpreis ist? Vielleicht wird es vor diesem Hintergrund Zeit, sich Gedanken um die Preisfindung zu machen. Die forschende Industrie hat enorme Ausgaben (aber oft auch gute Gewinne), die Kassen haben hohe Ausgaben (aber oft auch Nutzen und Einsparungen durch neue Therapien), die Patienten haben immer höhere Beiträge (aber im Ernstfall auch Nutzen, Lebensqualität und Überlebenschancen). Mein liebes Tagebuch, wie bringt man dies alles unter einen Hut? Was ist unsere Gesellschaft bereit zu tragen?
8. August 2014
Der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) steigt aus dem Aktionärskreis des Apothekenrechenzentrums ARZ Haan AG aus. Zum Hintergrund dieser Entscheidung: Es gab unterschiedliche Auffassungen über die Geschäftspolitik, der AVWL hatte seine Beteiligung und den Stimmrechtsvertrag gekündigt. Jetzt ordnet das ARZ Haan seine Aktionärsstruktur neu. Auf der Hauptversammlung Ende August soll über einen entsprechenden Antrag abgestimmt werden. Für den AVWL bedeutet das, dass er bis spätestens Ende 2015 so rund 13 Millionen Euro bekommen dürfte. Kann er gut verwenden – für den Bau des neuen Verbandsgebäudes, das so um die 6. Mio. Kosten wird.
Hach, wir dürfen wieder Plakate bestellen, mein liebes Tagebuch. Die zweite Bestellwelle der ABDA-Imagekampagne „Näher am Patienten“ ist angelaufen. Sieben unterschiedliche Motive stehen zur Auswahl zum Leistungsspektrum der Apotheke, wie z. B. wohnortnahe Versorgung, Patientenorientierung, Rezepturen und Bringdienst. Nachdem die erste Welle einen mäßigen Erfolg hatte, könnten es dieses Mal doch ein wenig mehr Apotheken sein, die sich beteiligen. Jetzt macht die ABDA schon mal eine Kampagne… So schlecht sind die Poster doch gar nicht. Also los, alle mitmachen! Nichts wie rein ins Fax mit der Bestellung. Und dann die Plakate im September nett im Schaufenster aushängen, das Image aufpolieren und vor allem: das Image vorleben.
Sachsens CDU ist voller Ideen und Tatendrang. In ihrem Wahlprogramm (Wahltag in Sachsen ist der 31. August) machen sich die Christdemokraten Gedanken, wie sie die ländlichen Regionen attraktiv halten können, die Dörfer und die Kleinstädte. Diesmal soll das Leben nicht per Bus kommen. Nein, kleine Ortschaften sollen zentrale Anlaufpunkte erhalten, nicht nur Treffpunkte für Jung und Alt, sondern auch Bibliotheken, Post- und Bankautomaten, schnelles Internet und, ei der Daus, auch Apothekensprechstunden. Mein liebes Tagebuch, ist niedlich, gell? „Ein kleines Warenangebot und ein kleines Café könnten die Treffpunkte attraktiv machen“, meint die sächsische CDU im Überschwang des Tatendrangs. Na, da müssen wir uns doch sofort dran machen, eine Apothekensprechstunden-Betriebsordnung für das kleine Café auszuarbeiten. Und neben der Kuchentheke ein paar Aspirin, Omeprazols und Loperamids feilbieten, falls die Sahne schlecht war. Und die Beratungsapothekerin bekommt eine Zusatzausbildung zur Barista – mit ihren pharmazeutischen Galenikkenntnissen weiß sie, wie man den besten Espresso zubereitet. So geht Pharmazie mit der CDU in Sachsen.
10.08.2014, 08:00 Uhr