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KOSSENDEYS GEGENGEWICHT
Da fahre ich so richtig aus der Haut...
Was Lieferanten sich zuweilen leisten, führt bei Ann-Kathrin Kossendey-Koch schon mal zu einem Neurotransmitter-Gewitter im Kopf. Umso mehr ärgert es sie, wenn sich andere über den Service einer Apotheke aufregen, weil sich diese an Recht und Gesetz hält.
„Hast Du als Kind auch so gerne bei fremden Leuten geklingelt und bist weggelaufen, bevor jemand an die Tür kam? Dann ist Paketzusteller genau der richtige Job für Dich!“ So ungefähr lautet ein Gag bei Facebook, der seit einigen Tagen umgeht.
Wir haben jeden Tag mit ihnen zu tun – den Fahrern von Zustelldiensten und dem Großhandel.
Es gibt ganz Feine unter ihnen, die klingeln und warten, bis ihnen geöffnet wird. Die kurz grüßen, die Ware ordnungsgemäß abliefern und nach einer Unterschrift freundlich wieder verschwinden. Manche schließen sogar von alleine die Tür – die möchte man dann fast schon adoptieren. Wer jetzt meint, dass ein solches Verhalten normal sein sollte, schließlich ist der Lieferservice ja auch eine Dienstleistung und wir sind in diesem Fall die Kundschaft, den begrüße ich hiermit in der Realität.
Liefereingänge – eine schwierige Hürde?
Klingeln und Lieferanteneingänge zu benutzen erscheint für diverse Fahrer eine kaum überwindbare Hürde zu sein. Da rennt man schon mal gerne vorne in den HV, um mitten ins Beratungsgespräch zu Hämorrhoiden oder Vaginalmykose mit einem patzigen „Hier, Paket, Unterschrift!“ zu platzen. Oder aber der Lieferfahrer ist schneller am Apothekenpersonal vorbeigerannt als man „Aspirin“ buchstabieren kann, um im Backoffice-Bereich fix einen Unterzeichnungsberechtigten ausfindig zu machen.
Schnelligkeit ist eine Grundvoraussetzung, wenn man sich
etwas liefern lassen möchte. Klingelt der Bote nämlich ordnungsgemäß, heißt das
nicht, dass er auch wartet. Wenn nicht die Tür im selben Augenblick geöffnet
wird, in dem der Finger des Fahrers die Klingel loslässt, wird entweder Sturm geläutet oder sofort
vorne in den HV gerannt, wo wir dann wieder beim diskreten Kundengespräch
wären.
Mächtig „angepisst“
Letzte Woche wurden wir von Transoflex beliefert. Die junge Dame klingelte doch tatsächlich beim Lieferanteneingang – und das bereits nach achtmaliger Aufforderung, bitte nicht im HV an uns vorbei zu sprinten, um dann im Backoffice meiner Mitarbeiterin jedes Mal aufs Neue endlos zu erklären, warum sie keine Zeit hätte, durch den Lieferanteneingang zu kommen. Es klingelt also – und bevor unsere PKA die Tür öffnen kann, hört man schon ein Schimpfen und Maulen, ob wir ihr gefälligst mal was abnehmen könnten. Sie brachte mehrere Pakete mit einer Sackkarre und hatte einen großen Blumenkübel, den wir frecherweise bereits seit Jahren in der Ecke stehen haben, umgerissen, so dass die Erde im ganzen Eingang verteilt war. Durch den Krach neugierig geworden kam ich dazu und sagte zu der Fahrerin, dass ich ihr gleich Besen und Kehrblech bringen würde, damit sie den Dreck bitte wieder weg macht. Ihre Antwort war: „Was pissen Sie mich denn hier so an!“ Immerhin siezte sie mich.
Meine Synapsen im Gehirn reagierten aufgrund eines Neurotransmitter-Gewitters nicht in gewohnter Weise, so dass mein Blutdruck in Sekundenschnelle bedrohliche Ausmaße annahm und mein Sprachzentrum sich nicht mehr mit anderen Gehirnanteilen absprach. „Wenn in dieser Apotheke irgendwer, irgendwen anpisst, dann bin ich das!“ donnerte ich zurück. „Und außerdem dulde ich keine Fäkalsprache hier!“ Als Reaktion kam nur ein patziges „das ist keine Fäkalsprache“. Und auf meinen Hinweis, dass bei solchen sprachlichen Unsicherheiten ein anständiger Schulabschluss helfen könne, maulte die Gute noch: „Ich habe Abitur!“ Diesen Elfmeter verwandelte ich mit einem: „Tja, da haben Sie aber wohl nichts Anständiges draus gemacht!“ und wunderte mich dann auch nicht mehr, dass natürlich der Schaden von ihr nicht beseitigt wurde.
Mühsame Beschwerden
Ich gönnte mir daraufhin den Spaß, bei Transoflex anzurufen, und wurde durch nur drei Callcenter weitergeleitet, um 24 Stunden später von einem unmotivierten Vorgesetzten zurückgerufen zu werden, der dringend noch eine Fortbildung in Beschwerdemanagement braucht.
Der Chef eines anderen Fahrers, der unser Vordach mit seinem Lieferfahrzeug beim Rückwärtssetzen demoliert hat, diskutierte endlos mit mir darüber, dass er mir die Rechnung über die Reparatur, die längst von mir bezahlt war, ohne Mehrwertsteuer überweisen wollte. Es dauerte vier Telefonate, ihm den Sinn oder Unsinn von Vor- und Mehrwertsteuer zu erklären.
Aber mein absolutes Highlight ist eine Fahrerin unseres Großhandels, die um Hilfe bat, weil die Kisten so schwer seien und sie es im Rücken habe. Ich fragte mich zwar verwundert, was ich da wohl so Gewichtiges bestellt hätte und holte meinen Mann dazu, damit er der Frau tatkräftig helfen konnte. Es handelte sich um zwei kleine, definitiv nicht schwere Wannen. Hinten im Auto hatte die Fahrerin auch eine Sackkarre, aber sie hatte laut eigener Angabe keine Lust, die raus zu holen!
Servicearroganz, die Apotheken sich nicht erlauben können
An regenbogenfarbene Haare und kalten Zigarettenqualm ist man schon gewöhnt, zumindest wird so der Schweißgeruch etwas überdeckt. Aber an der patzigen Serviceignoranz störe ich mich immer noch, zumal meine Erwartungen sich eher an Bundesjugendspielen als an der Olympiade orientieren.
Und deshalb ärgert mich der Blogbeitrag von Tollabea, in der sie zwei Berliner Apotheken zu Unrecht Vorwürfe macht, da diese ihr die Abgabe der Pille ohne gültiges Rezept verweigert haben, umso mehr. Das wäre nicht serviceorientiert und nicht genug Einfühlungsvermögen ihr als Patientin gegenüber. Und es zeigt deutlich, dass unsere ganzen Leistungen für viel zu selbstverständlich genommen werden. Ich möchte mal wissen, was los wäre, wenn deutsche Apotheken einen Tag lang in Lieferfahrermanier ihre Kunden bedienen würden. Mit Kippe im Mundwinkel ungeduldig die Kunden anranzen, wenn nicht schnell genug das Kleingeld auf dem HV-Tisch liegt. Und ist das gewünschte Arzneimittel im Keller, kann sich das der Patient selber holen, schließlich hat die PTA Knieschmerzen.
Stimmungsmache ohne Hintergrundwissen
In vielen Apotheken wird tagtäglich das Beste zum Wohle des Patienten geleistet. Es wird telefoniert, gefaxt, verpackt, es werden Zeitschriften und Taschentücher verschenkt, es gibt fachlich fundierte, häufig sogar akademische Beratung, es wird sich bemüht. Alles innerhalb der uns durch Gesetze und Verordnungen eng gesteckten Grenzen. Und anstatt dies als einen der Grundpfeiler für Arzneimittelsicherheit in Deutschland zu sehen, wird den Apotheken die Verweigerung einer Straftat als engstirnig und nicht lösungsorientiert vorgeworfen. Stimmungsmache ohne Hintergrundwissen, das Apotheken-Bashing geht in die nächste Runde.
Und wenn es uns Apotheker in ein paar Jahren nicht mehr gibt, können wir noch nicht mal als Lieferfahrer anfangen, denn dafür sind wir viel zu kundenorientiert.
10 Kommentare
POP-Reihe und Blumenkübel
von Dr. Jochen Pfeifer am 27.01.2016 um 21:09 Uhr
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AW: ;)
von Ann-Katrin Kossendey-Koch am 27.01.2016 um 21:22 Uhr
AW: Nu mal langsam
von Dr. Christoph Klotz am 02.02.2016 um 14:12 Uhr
Kommerntar
von Alexander Zeitler am 27.01.2016 um 19:00 Uhr
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Nur bei uns ist das so
von Thomas Brongkoll am 27.01.2016 um 18:24 Uhr
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Ich auch :)
von Ann-Katrin Kossendey-Koch am 27.01.2016 um 13:46 Uhr
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Paketboten
von Stefan Siebert am 27.01.2016 um 13:20 Uhr
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AW: Den Wald vor lauter Bäumen...
von Ann-Katrin Kossendey-Koch am 27.01.2016 um 14:01 Uhr
Pech
von Barbara Buschow am 27.01.2016 um 12:16 Uhr
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abitur
von frank ebert am 27.01.2016 um 11:35 Uhr
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