BIAL und Der Test BIA 10-2474

Zwischen Himmel und Hölle

Rennes / Coronado - 31.01.2016, 06:00 Uhr

Internetseite des Pharmakonzerns Bial, Portugal: Informationen zum fehlgelaufenen Test auf der Startseite (Sreenshot / DAZ.online)

Internetseite des Pharmakonzerns Bial, Portugal: Informationen zum fehlgelaufenen Test auf der Startseite (Sreenshot / DAZ.online)


Wer ist das portugiesische Unternehmen Bial, dessen Arzneimitteltest für einen Versuchsteilnehmer tödlich endete und drei weitere schwer schädigte? Medizinjournalistin Edda Grabar über den tiefen Fall eines Aufsteigers.

Mittwoch, der 20. Januar 2016, sollte Luís Portelas großer Tag werden. Da sollte er - der Vorstandsvorsitzende von Bial, des ersten portugiesischen Pharmaunternehmens, das es auf die große Weltbühne geschafft hatte - die Ehrendoktorwürde der Universität von Coimbra erhalten.  Es ist eine der ältesten Hochschulen Europas. Mit prachtvollen Sälen und ehrfurchtsvollen Riten. Jede Fakultät trägt ihre eigene Farbe. Lila, das ist die Farbe der Pharmazeutischen Fakultät und die des Doktorhutes - mit Würde zu tragen. (Die Verleihung sehen Sie hier, Portelas ist ganz zu Ende des Beitrags zu sehen). 

Tiefe Ringe zeichnen sich unter den Augen von Luís Portela ab. Es ist Tag zehn nach dem ein Mensch infolge eines Arzneimitteltests, der im Auftrag seiner Firma erfolgte, starb - und fünf weitere mit teils schweren Schäden in das Krankenhaus von Rennes gebracht wurden. Es ist Tag fünf, nach dem die Vorfälle an die Öffentlichkeit kamen.

Es ist genau der Tag, an dem die Medien beginnen, nicht mehr nur von einem tragischen Unglück, sondern von fehlenden Dokumenten und riskantem Studienaufbau zu schreiben. Seitdem haben die Zweifel über diesen Versuch und seine Beteiligten in der Zwischenzeit nicht etwa ab-, sondern zugenommen. Hielten sich alle an die Regeln? Oder war  die Studie zu riskant angelegt? Haben die Ärzte des durchführenden Instituts Biotrials und die Kontrollbehörden versagt?  

In verschiedenen Gruppen wurde der Wirkstoff von Juli 2015 an getestet. Die, die nun an den Folgen leiden, erhielten erstmals die Dosis über mehrere Tage. Zunächst wurde kritisiert, dass sie alle an demselben Tag die Präparate erhielten - schon das sollte nach den international geltenden Regeln vermieden werden. Inzwischen aber veröffentlichte die französische Gesundheitsbehörde ANSM ein Dokument, das ein noch riskanteres Vorgehen belegt: Auch nachdem der erste Proband in die Klinik von Rennes eingeliefert wurde, erhielten die anderen fünf weiterhin BIA 10-2474.  

Das Urteil von Experten zu diesem Vorgehen fällt harsch aus. Oliver Cornely, Leiter für Klinische Studien an der Uniklinik Köln sagt zwar, dass es für Studien-Durchführende schwer sei, eine völlig ungewöhnliche unerwünschte Wirkung zu erkennen, „aber gerade deswegen muss jedes schwerwiegende Ereignis als durch die Studienmedikation verursacht angenommen werden". 

Weiter geht Markus Leweke, Leiter der Transnationalen Forschung in der Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim: „Ich persönlich würde eine Studie bis zur Klärung des Sachverhaltes sofort stoppen."  

Portugals Hoffnungsträger

Gewöhnlich liegt die Verantwortung beim Studienarzt in Absprache mit dem Sponsor. Wie die Kommunikation zwischen Bial und Biotrials ablief, weiß man nicht. Doch der Druck könnte aufseiten von Bial einigermaßen hoch gewesen sein. 110 Millionen Euro soll sich Bial von der Europäischen Investment Bank für die Entwicklung neuer Wirkstoffe - unter anderem auch BIA 10-2474 -  geliehen haben. Recherchen von DAZ.online zeigen, dass Luís Portelas Bial nicht das makellose Unternehmen ist, als das es am 20. Januar in Coimbra gefeiert wurde. 

Tatsächlich galt es bis zum Jahr 2014 als das Vorzeigeunternehmen Portugals darbender Wirtschaft. Über Jahrzehnte vertrieb es vor allem aus dem Ausland einlizensierte Arzneimittel für den heimischen Markt. Erst als Antonio Portelas 2003 bei seinem Vater Luís in das Geschäft einstieg, sollte das anders werden. Dieser hatte Wirtschaftswissenschaften studiert, sein pharmazeutisches Handwerkszeug bei Roche erlernt, wo er zum Schluss als Produkt-Manager für Hepatitis C wirkte.  

Von da an investierte das Vater-Sohn-Gespann Millionen in neue Labore, bauten eine eigene Forschungsabteilung auf und entwickelte das erste portugiesische Arzneimittel, das tatsächlich auf allen großen Märkten vertrieben wird: Zebinix (Wirkstoff: Eslicarbazepinacetat). Von Bial selbst wird es als Innovation bezeichnet. Markus Leweke beurteilt es eher als „ein besser verträgliches Nachfolgeprodukt des bereits bekannten Carbamapezin, das Epileptiker vor Krampfanfällen schützen soll“. Für Bial aber bedeutete es den Durchbruch.

Doch mit dem Ruhm kam wohl auch der Hunger

Bereits ein Jahr später war Bial in den bis dato größte Korruptionsskandal des portugiesischen Gesundheitssystems  verwickelt. Im Juli 2015 rückte die Polizei an und durchsuchte das Hauptquartier nahe Porto, sowie seine Zweigstellen etwa in Lissabon. Der Vorwurf: Ärzte sollten Bonus-Zahlungen für gefälschte Rezepte für Arzneimittel von Bial erhalten haben, es sollen Gelder für die Beteiligung an klinischen Studien gezahlt und Dokumente gefälscht worden sein. Doch die Nachforschungen liefen bislang ergebnislos

Im aktuellen Fall halten sich die portugiesischen Gesundheitsbehörden zurück. Als vor zehn Jahren das Biotech-Unternehmen Tegenero bei einem klinischen Versuch der Phase I sechs Menschen schwer schädigte, führten die zuständigen Kontrollbehörden bereits nach wenigen Tagen Inspektionen beim Hersteller durch. In Portugal ist dies fast drei Wochen nach den Vorfällen bisher noch nicht geschehen. 

Geteilter Meinung sind Experten auch über die zweite „Zielsetzung“ der Portugiesen: Die eigens gegründete Stiftung Bial Foundation unterstützt Forschungsprojekte der Physiopsychologie und Parapsychologie.

Zur Erinnerung - bei Letzterem handelt es sich um ungewöhnliche Wahrnehmungen. Telepathie, das Verändern von Objekten - die Älteren werden sich vielleicht noch an den Schweizer Uri Geller erinnern, der vor laufender Kamera seine Gabeln verbog. Dinge, die „ich mir nicht an die Fahnenstange hängen würde, wenn ich auf Pharmaentwicklung setzen will“, so der Experte eines Pharmaunternehmens, dessen Name nicht genannt werden soll. 

Verstoß gegen eigene Regeln?

Und nun ein toter Versuchsteilnehmer, drei Geschädigte und ein Studienprotokoll für den Arzneimitteltest, das Experten vor Rätsel stellt. Offenbar verstieß Bial gegen seine eigenen Grundsätze. Auf den Internetseiten des Unternehmens heißt es im Transparenz-Codex, man würde alle Studien bei dem öffentlichen Studienregister „clinicaltrials.gov“ registrieren. Geschehen ist das nicht. „Das bedeutet, dass man diese Ergebnisse niemals hätte publizieren können“, sagt Markus Leweke vom ZI-Mannheim. 

Und es wurde niemals eine wissenschaftliche Arbeit über BIA 10-2474 publiziert. Auch keine Computeranalysen, die zeigen, an was der Wirkstoff möglicherweise noch binden könnte. Dies hat Sean Ekins, der für „Collaborative Chemistry“ schreibt, inzwischen getan. Er fand, dass das Molekül hochgradig unspezifisch ist und nicht nur an einem Übertragungspfad beteiligt sein könnte.   

Die letzte Nachricht aber, dass Testpersonen weiter der Wirkstoff verabreicht wurde, obwohl sich bereits eine ungewöhnliche und schwere gesundheitliche Veränderung zeigte, dürfte Bial, das Auftragsforschungsinstitut sowie die zuständigen Gesundheitsbehörde und Ethikkommission noch weiter beschäftigen. 


Edda Grabar, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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