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In einem sensationellen Spiel hat die deutsche Handball-Nationalmannschaft die Europameisterschaft gewonnen. Einer ihrer Hauptsponsoren ist die AOK. Dürfen gesetzliche Krankenversicherungen in klammen Zeiten Gelder für Sponsoring ausgeben?
Gesetzliche Krankenversicherungen klagen über hohe Kosten für Arzneimittel, Ärzte und Kliniken sowie über Kosten durch Reformen im Gesundheitswesen. Im pharmazeutischen Bereich erhöhten sich laut Berechnung des Deutschen Apothekerverbands (DAV) die Ausgaben für Pharmaka von 31,3 auf 32,9 Milliarden Euro – das sind plus fünf Prozent. Hochpreisige innovative Arzneimittel erwiesen sich als wichtige Kostentreiber. Allein für Präparate zur Hepatitis C-Therapie mussten Versicherungen im Jahr 2015 rund 700 Millionen Euro mehr aufwenden. Kein Wunder, dass zum Jahreswechsel zwei Drittel aller GKVen ihre Zusatzbeiträge erhöhen mussten. Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass Gelder für Marketingaktionen vergleichsweise locker sitzen.
„Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“
DAZ.online hat bei allen großen GKVen nachgefragt, welche Projekte mit welchen Summen gefördert werden. Die Techniker Krankenkasse (TK), der BKK-Dachverband oder der AOK-Bundesverband waren nicht bereit, Details zu nennen. Jörg Bodanowitz von der DAK-Gesundheit sagte, ein explizites Sportsponsoring werde nicht betrieben. „Wir unterstützen Breitensportveranstaltungen und -aktivitäten, die primär einen präventionsorientierten Ansatz verfolgen. In geringem Umfang treiben wir im Kontext von Sportveranstaltungen Werbung.“ Auch er gab keine Zahlen weiter. Gegenüber DAZ.online erklärt Tobias Schmidt vom Bundesversicherungsamt Bonn: „Die Krankenkassen sind nicht verpflichtet, die Höhe ihrer Ausgaben für allgemeine Werbemaßnahmen, zu denen auch Sponsoringaktionen zählen, zu veröffentlichen.“ Gleichzeitig verweist er bei allen Werbemaßnahmen auf den „Grundsatz der Wirtschaftlichkeit“.
Eine Konkretisierung erfolge durch die „Gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätze der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenversicherung vom 11. November 2015 (Wettbewerbsgrundsätze 2016)“. Im Dokument heißt es: „Bei den Ausgaben für allgemeine Werbemaßnahmen ist das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. In der Regel ist dieser Grundsatz gewahrt, solange die jährlichen Ausgaben der einzelnen Krankenkasse für allgemeine Werbemaßnahmen – einschließlich der entsprechend auszuweisenden Verbandsbeitragsanteile – 0,15 Prozent der monatlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV je Mitglied nicht überschreiten.“ Schmidt ergänzt: „Auf das Jahr 2016 bezogen ergibt sich aus Randziffer 17 der Wettbewerbsgrundsätze ein angemessener Wert für Werbeausgaben in Höhe von 4,36 Euro pro Mitglied und Jahr.“ Diese Faustformel führt beispielhaft zu folgenden Zahlen:
Krankenkasse | Stand | Zahl der Mitglieder | Maximal mögliches Werbebudget |
AOK | Jahresdurchschnitt 2014 | Rund 80 Millionen Euro | |
BARMER GEK | 01.04.2015 | 6.716.376 | Rund 29 Millionen Euro |
BKK Mobil Oil* | 01.04.2015 | 744.205 | Rund 3,2 Millionen Euro |
IKK classic* | 01.11.2015 | 2.631.900 | Rund 11,3 Millionen Euro |
KKH Kaufmännische Krankenkasse | 01.01.2016 | 1.370.730 | Rund 5,7 Millionen Euro |
Techniker Krankenkasse | 01.01.2016 | 7.100.000 | Rund 31 Millionen Euro |
* Jeweils beispielhaft für andere BKKen oder IKKen
Mit entsprechenden Beträgen gelingt es, große Projekte zu stemmen. Einige Beispiele der letzten Monate.
Brot und Spiele
Marketingexperten der AOK hatten einen guten Riecher, indem sie die Handball-Nationalmannschaft als Partner gewannen. Schätzungen der FAZ zufolge fließen pro Jahr 700.000 bis eine Million Euro allein für das Trikotsponsoring. Insider sprechen von einer erfolgsabhängigen Prämie, die sich eher am oberen Rand bewege. Kein Einzelfall: Die Hanseatische Krankenkasse (HEK) unterstützt den Hamburger SV seit 2015/16 bis voraussichtlich bis 2017/18 als „exklusiver Gesundheitspartner“. Vorstände der Techniker Krankenkasse haben sich für den FC St. Pauli entschieden. TK-Gelder fließen seit Anfang 2015 für mindestens dreieinhalb Jahre in den Norden.
Actimonda fühlt sich der Alemannia Aachen bis 2018 verbunden. Bei der IKK Classic setzt man auf Severin Freund als Werbegesicht. Genaue Summen nennt auch hier niemand. In anderen Branchen, die aus Marketingbudgets kein Geheimnis machen, fließen bei ähnlichen Konstellationen mittlere sechsstellige Beträge. Auch die Knappschaft legt nach. Seit Anfang 2015 steht Bernd Stromberg, fiktiver stellvertretender Leiter der Abteilung Schadensregulierung bei CAPITOL, im Fokus. Christoph Maria Herbst erscheint als Testimonial auf Plakaten und in TV-Spots.
Reine Auslegungssache
Dass Krankenkassen derart massiv die Werbetrommel rühren, ist jedoch von oberster Stelle erwünscht. Der Gesetzgeber fordert von ihnen mehr Wettbewerb – nicht nur durch freiwillige Zusatzleistungen oder niedrigere Zusatzbeiträge. Marketing spielt eine zentrale Rolle. Das Bundesversicherungsamt fordert lediglich, Wettbewerb müsse bei Kassen „ihrem sozialen Auftrag angemessen sein“: Ein dehnbarer Begriff, wie die umstrittene „Stallwächterparty“ gezeigt hat. Knapp 19.000 Euro ließ die AOK Baden-Württemberg für ihre Präsenz beim Sommerevent in Baden-Württembergs Berliner Landesvertretung springen. Versicherte reagierten in Leserbriefen empört. Grund genug, jetzt verstärkt auf das Thema Handball zu setzen.
5 Kommentare
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von Orhon am 16.02.2016 um 12:09 Uhr
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Sponsoringvertrag mit dem DAV...
von Thorsten Dunckel am 16.02.2016 um 9:42 Uhr
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AW: ... und das Gebot, mit den anvertrauten Versichertengeldern sorgsam umzugehen??
von Doris Maria Krünägel-Schropp am 16.02.2016 um 9:22 Uhr
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