Zu Schwerfällig, zU Langsam

Patient WHO muss sich selbst heilen

Genf - 22.02.2016, 13:24 Uhr

Falsches Timing: Die WHO reagiert oft zu früh oder zu spät - wie hier im Kampf gegen das Zika-Virus. Kritiker fordern dringende Reformen ein. (Foto: dpa)

Falsches Timing: Die WHO reagiert oft zu früh oder zu spät - wie hier im Kampf gegen das Zika-Virus. Kritiker fordern dringende Reformen ein. (Foto: dpa)


Die Arbeit der WHO gerät immer stärker in die Kritik. Wie aus einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters hervorgeht, sehen Insider wie Experten die Organisation in einer handfesten Krise – und halten ihre Struktur für überkommen. Auf der Jahreshauptversammlung in Genf wurde der Ruf nach dem Wandel laut. „Wir müssen uns ändern”, forderten Delegierte auf der Konferenz ganz offen, es sei „nicht mehr die Zeit für Worte.”

In der jüngeren Vergangenheit hatte es immer wieder Vorwürfe gegen die Weltgesundheitsorganisation gehagelt: Sie sei zu schwerfällig, reagiere im Notfall zu langsam, setze falsche Prioritäten. Nils Daulaire, bis vor kurzem US-Repräsentant in einem Experten-Gremium der WHO, sagte gegenüber Reuters, die WHO „funktioniere nicht gut” und „könne in der heutigen Form keine zehn weiteren Jahre überleben.” Mitgliedsstaaten und Spender würden dringend erwarten, dass die Organisation ihre Probleme löse – und ansonsten ihr Geld abziehen.

Das Vorgehen der WHO lässt offenbar immer öfter das richtige Maß vermissen. Mal musste sie sich vorwerfen lassen, überzogen zu reagieren. Wenn es dann wirklich zählte, kam sie vielen nicht schnell genug in die Gänge. Kritisiert worden war unter anderen die Reaktion auf den Ausbruch der Schweinegrippe in 2009. Die WHO hatte die höchstmögliche Pandemie-Warnstufe ausgerufen – obwohl nicht mehr Menschen verstarben, als bei einer gewöhnlichen Grippewelle. Die Gesundheitsschützer wurden beschuldigt, unnötig Panik geschürt und lediglich der Pharmaindustrie in die Hände gespielt zu haben: weil Impfstoff in Massen geordert und dann nicht benötigt worden war.

Zögerliche Reaktion bei Ebola

Für übertrieben halten manche auch die Warnungen der zur WHO gehörigen Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC). Im Oktober vergangenen Jahres kommunizierte die IARC Forschungsergebnisse zunächst missverständlich. So war der Eindruck entstanden, Wurst sei gleichermaßen gesundheitsschädlich wie Zigaretten. Wenige Tage später ruderte die WHO mit einem Statement auf ihrer Homepage zurück, das deutlich vorsichtiger formuliert war.

Auf die Ebola-Krise hingegen reagierte die WHO zunächst zögerlich, wie Gesundheitsexperten verschiedener Länder beklagten. So habe die WHO die Situation anfangs nicht ernst genug genommen. Die Zentrale in Genf stufte den Ausbruch noch im Frühjahr 2014 als „relativ klein” ein – obwohl Ärzte ohne Grenzen verzweifelt den Ernst der Lage betonten. Erst im Sommer hatte die WHO ihre Einschätzung geändert und im August den Internationalen Medizinischen Notstand ausgerufen. WHO-Generaldirektorin Margaret Chan sagte daraufhin in einer Rede, man sei durch den Ebola-Ausbruch überwältigt worden, wie andere auch. Dadurch seien aber Reformen in der WHO vorangetrieben worden.

Ein ehemaliger WHO-Mitarbeiter äußerte gegenüber Reuters, es seien häufig Abstimmungsschwierigkeiten, die die Arbeit der Institution behindern. Und die seien die Folge eines Strukturproblems. Die Zentrale in Genf könne nicht direkt kontrollieren, was sich auf Länderebene abspielt. Dafür gibt es auch noch ein aktuelles Beispiel: Laut Reuters stufte die Pan American Health Organization (PAHO), die das Regionalbüro der WHO für Amerika betreibt, die Verbreitung des Zika-Virus schon im Mai 2015 als Notfall ein. Die WHO-Zentrale hingegen rief erst vor kurzem den Gesundheitsnotstand aus.

Finanzierung bleibt ein Problem

Die WHO hat offenbar Schwierigkeiten, die Arbeit verschiedener Einheiten global effektiv abzustimmen – was eine Umstrukturierung erforderlich macht, wie viele glauben. 194 Staaten sind Mitglied in der WHO, hauptsächlich sind es die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. Repräsentanten dieser Staaten bilden das oberste Entscheidungsgremium der Organisation, und kommen jährlich zur Hauptversammlung (World Health Assembly ) in Genf zusammen. Zum Verwaltungsapparat gehören das Hauptquartier in Genf und sechs Regionalbüros in anderen Ländern. Denen sind weitere 150 Länderbüros untergeordnet. Shin Young-soo, Direktor des Büros für die Region West-Pazifik in Manila, sagte bei seinem Amtsantritt, er halte die WHO für eine der kompliziertesten Organisationen, die existieren.

Ein weiteres Problem, dass die Arbeit der WHO behindert, scheint die Art ihrer Finanzierung zu sein. So machen regelmäßige Beiträge der Mitgliedsstaaten laut Reuters nur noch 20 Prozent des Budjets aus. 80 Prozent hingegen werden freiwillig von Staaten oder Institutionen gespendet. Das Problem: Diese Spenden sind in der Regel zweckgebunden. Großspender wie die Bill & Melinda Gates Stiftung haben eine eigene Vorstellung davon, in welche Art von Projekten ihre Gelder fließen sollen. In Folge kann die WHO einen Großteil ihres Budjets nicht spontan mobilisieren und ihr Handlungsspielraum ist in Notfällen eingeschränkt.

Die Kritik geht an der WHO keinesfalls spurlos vorbei. Ein Programm zur Erneuerung wurde bereits im vergangenen Jahr aufgelegt und wird auf der Internetseite vorgestellt. Auf der Hauptversammlung in Genf sagte Generaldirektorin Chan, man habe die Forderung nach Reformen „laut und deutlich” gehört. Allerdings stehen diese schon länger im Raum, ohne dass sich grundsätzlich etwas geändert hätte.

Zu breit aufgestellt

So hatte der britischen Think Tank Chatham House bereits 2014 die Arbeit der WHO analysiert. In dem Bericht wurden viele der Punkte aufgegriffen, für die die WHO immer noch kritisiert wird. Als Lösungsansatz wurde unter anderem eine stärkere Dezentralisierung vorgeschlagen, die aber bisher nicht erfolgte.

 Andere Experten halten die WHO laut Reuters im Grunde für viel zu breit aufgestellt. Anstatt sich bis auf kleinster Ebene für die öffentliche Gesundheit zu engagieren, sei es sinnvoller, Prioritäten zu setzen. Barbara Stocking, früher im Vorstand von Oxfam tätig, fordert beispielsweise, die WHO solle sich im wesentlichen auf Seuchen-Ausbrüche konzentrieren, anstatt sich von anderen Aufgaben „ablenken” zu lassen. „Wenn sie auf Gesundheitsnotstände in der Welt nicht reagieren kann, wofür ist sie dann da?”, so Stocking.


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