Kommentar zum EuGH-Entscheid

Krude, selektiv, zynisch

Stuttgart - 19.10.2016, 17:54 Uhr

Hier verkündete die erste Kammer des Europäischen Gerichtshof das Urteil zu den Rx-Boni. (Foto: Fessy)

Hier verkündete die erste Kammer des Europäischen Gerichtshof das Urteil zu den Rx-Boni. (Foto: Fessy)


Es ist ein hanebüchenes Urteil, das der Europäische Gerichtshof am heutigen Mittwoch verkündet hat: Krude in seiner Begründung, selektiv in der Wahrnehmung und verworren in seinen Schlussfolgerungen. Die Entscheidungskaskade der Luxemburger Richter ist dabei ebenso schlicht wie abwegig, kommentiert Dr. Christian Rotta.

Weil ausländische Versandapotheken ihre Kunden in Deutschland nicht so gut vor Ort beraten können wie  „traditionelle Apotheken“ und sie auch nicht in der Lage sind, eine „Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherstellen“, muss ihnen als einzige Möglichkeit, „den unmittelbaren Zugang zum Markt zu finden und auf diesem konkurrenzfähig zu bleiben“, der Preiswettbewerb eingeräumt werden. Er sei, so die Urteilsbegründung, für ausländische Arzneimittelversender ein „wichtigerer Wettbewerbsfaktor“ als für „traditionelle Apotheken“.

Dr. Christian Rotta,Geschäftsführer des Deutschen Apotheker Verlags

Mit anderen Worten heißt das: Weil ausländische Versandapotheken keine Gemeinwohlverpflichtungen wahrnehmen, müssen sie beim grenzüberschreitenden Arzneimittelversand preisrechtlich privilegiert werden. Nur noch purer Zynismus ist es, wenn in der Entscheidung darüber schwadroniert wird, dass es für „traditionelle Apotheken“ reizvoll sein könnte, sich im Wettbewerb gegenüber preisaktiven Versandapotheken durch die verstärkte „Herstellung von Rezepturarzneimitteln und die Bereitstellung eines gewissen Vorrats und Sortiments an Arzneimitteln“ zu profilieren. Geht’s noch?

Aber auch in anderer Hinsicht ist das Luxemburger Judikat eine schallende Ohrfeige: Die Ignoranz, mit der die EuGH-Entscheidung dem Urteil des deutschen Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes gegenübertritt, ist bemerkenswert. Der Senat, der sich aus den Präsidenten von Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundessozialgericht, Bundesfinanzhof und Bundesarbeitsgericht zusammensetzt, hatte 2012 in einer ausführlichen Entscheidung auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten luzide begründet, warum das deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für ausländische Versandapotheken gilt. Mittelbar hat sich dazu inzwischen auch schon das Bundesverfassungsgericht geäußert. Eine Auseinandersetzung mit dieser nach langen Auseinandersetzungen gefundenen einheitlichen Rechtsprechung der deutschen Gerichte, sucht man in der Luxemburger Entscheidung vergeblich. Stattdessen wird spekuliert und die eigene Rechtsdogmatik auf den Kopf gestellt. Es ist diese Arroganz der Macht, die nicht nur den Subsidiaritätsgedanken zwischen europäischer und mitgliedstaatlicher Ebene ad absurdum führt, sondern auch Wasser auf die Mühlen von Europaskeptikern ist. Jetzt ist die Politik gefordert, um zu retten, was zu retten ist. Und wer weiß: vielleicht wird ja aus dem Plan B, dem Versandhandelsverbot bei Rx-Arzneimitteln, ein Plan 1 A. Die Dialektik schlägt manchmal überraschende Kapriolen.


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11 Kommentare

RX-Urteil vom EUGH

von Dietmar Anzer am 25.10.2016 um 13:52 Uhr

Ich meine, wenn ein chronischer Kranker
viele Medikamente schon mal im
Monat benötigt ist es auch eine
hohe Eigenbelastung des Einzelnen.
Was nützt es einen Schwerbehinderten wenn die
Zumutgrenze der Zuzahlung bei 1% des
Jahresgrenze liegt, das noch akzeptabel ist.
Bei einem Nicht-Schwerbehinderten liegt sie
bei 2% des Jahreseinkommen und das sind
schon happige Zuzahlungen, bis eine
Freistellung von Zuzahlungen erfolgt.
Viele chronische Kranke, da zähle ich mich auch,
ist vor allem eine Versandapotheke wie
DocMorris eine Entlastung des Einkommens.
Ich muss deshalb achten wie viel Medikamente
kaufe ich in einer deutschen Apotheke und den
Rest in einer Versandapotheke um eine
hohe Belastung von Zuzahlungen im Monat zu
vermeiden.
Sie denken nur immer an die Apotheken und
nicht wie chronische Kranke dies aus eigener
Tasche zu bezahlen, aber dies ist den Verbänden egal.
Leute, die nur hin und da ein Medikament
brauchen belastet es nur sehr wenig, dies sollten
auch die Apothekenverbände berücksichtigen.
Ich plädiere für eine Aufhebung der Zuzahlungen
bei den Apotheken oder eine Senkung der
Zuzahlungen bei chronischen Kranken.

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EuGh Urteil

von Wolf Wagner am 20.10.2016 um 20:08 Uhr

In meinen Augen ist das Urteil,bzw. seine Folgen extrem systemgefährdend. Rx Boni sind nichts anderes als eine Beitragsrückerstattung von Versichertengeldern. Das die Höhe der Rückerstattung nun durch den einzelnen Apothekeninhaber im Rahmen des Wettbewerbs bestimmt wird, ist im SGB V nicht vorgesehen. De Fakto ist gar nicht der AM-Preis Gegenstand des neuen Wettbewerbs sondern lediglich das Honorar der Apotheker. Deshalb kann die nötige Reaktion nur die vollständige Trennung des Apothekerhonorars vom Arzneimittelpreis über eine Honorarordnung ähnlich der der anderen freien Berufe sein. An ein Verbot des Rx-Versandhandels kann ich nicht glauben. Das widerspricht nun wirklich dem Gedanken des freien Warenverkehrs im einheitlichen Wirtschaftsraum und ist extrem anfechtbar.
Wer stimmt mir zu? Der kann sichh gerne mit mir zusammenschließen und die nächste Regierung bearbeiten.

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Treffender Kommentar - jetzt erst recht!

von Uwe Hansmann am 20.10.2016 um 8:27 Uhr

Treffender Kommentar!

Und trotzdem und jetzt erst recht:

Ran an die Politik! Briefe an die zuständigen MdB und MdL. Meiner ist schon raus. Bei allem verständlichen Ärger - alleine wird ABDA/FS nichts reißen können. Hier ist jetzt wirklich Einigkeit gefragt!

Und ja: Wir haben im Vorfeld permanent den Finger in die Honorarwunde gelegt und gesagt, dass mit dem ganzen MM und Armin und Perspektivpapierwahnsinn der zweite Schritt vor dem ersten gemacht wird. Nützt bloß alles im Moment nichts - wir müssen mit der jetzigen, unschönen Situation umgehen.

Ulla Schmidt - lieber Michael Zeimke - hin oder her.

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krude, ja

von Karl Friedrich Müller am 20.10.2016 um 8:16 Uhr

nicht weniger zynisch ist das Verhalten von Kammern und ABDA. Kommt doch mit der Info gleich eine Drohung mit der Überwachung durch die Behörden.
man war im Vorfeld zu faul und überheblich, um gleich einen Plan breit zu halten. Und nun übt man sich "mit kollegialen Grüßen" in der Repression. Die schlauen Kollegen haben sowieso schon lange Absprachen mit Praxen. Hinweise darauf werden von den Kammern ignoriert.
Man glaubt doch seitens der Standesführung nicht,, das Recht könne nur für eine Seite gelten? Über kurz oder lang wird es auch für deute Apotheken eingeklagt werden und so nicht zu verhindern sein.
Das Urteil ist ein Fiasko für ehrlich arbeitende Apotheken.

So ist es halt, wenn man eine Standesführung hat, die sich von den Kollegen bis zu Rente bezahlen lässt, aber dafür nicht den Hintern hoch bringt.
Die Begründung, das die gute Arbeit der Apotheken herhalten muss für die Bevorzugung von DocMorris, ist abenteuerlich. Wir eine reine Abgabestelle gewünscht?
Für mich war DocMorris das Urteil im Vorfeld bekannt (siehe vorher angelaufene Werbekampagne). Da stellt sich mir die Frage, was den das Gericht für das Urteil erhalten hat.
Mein Vertrauen in das Recht ist jedenfalls stark beschädigt.

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Eugh zynisch

von Michael Zeimke am 20.10.2016 um 7:18 Uhr

Bitte nicht vergessen wer den Versandhandel für Rx eingeführt hat.
Ulla Schmidt ,früher KBW 8Kommunistischer Bund Westdeutschland ) heute SPD .

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Qualifikation

von gabriela aures am 19.10.2016 um 21:30 Uhr

Falls ausländische Schulabgänger wegen nicht ausreichender Qualifikation kein Jurastudium aufnehmen können, reicht es ab sofort, daß diese zur Einschreibung nachweislich mindestens 6 Folgen einer einschlägigen Dokusoap zu juristischen Themen im Privatfernsehen gesehen haben .
Kann nach mindestens 9 Semestern der Besitz einer Perlenkette, eines Burberryschals oder einer ledernen Aktentasche nachgewiesen, kann ohne weitere Prüfung das erste juristische Staatsexamen als "bestanden" angesehen werden.

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AW: Qualifikation

von Bernd Jas am 20.10.2016 um 16:57 Uhr

Die ersten Anwandlungen von Wahnsinn werden nicht der Kammer gemeldet, es besteht eine Friedenspflicht von 14 Tagen. Wird diese Frist im Anfallsfall überschritten, nehmen sie sich einen Juristen mit Aktentasche und gründen Sie mit Ihm eine Anti-Apotheken-Terror-Einheit mit Anschluß an ein asoziales Netzwerk.

EUgh-Urteil

von James am 19.10.2016 um 19:47 Uhr

Das ist nur die logische Konsequenz einer Standesvertretung die nichts aber auch garnichts für die Apotheker übrig hat und sich mit Sinnlosigkeiten aufhält.
Hut ab für jahrzehntelanges Versagen. Jetzt kommt alles zurück.

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Preisbindung

von Slaimi am 19.10.2016 um 18:52 Uhr

Als Apotheker und zukünftiger Existenzgründer kann ich nur noch Kopfschütteln.
Wäre es nicht langsam Zeit dass der Apotheker für seine Dienstleistungen angemessen bezahlt wird und Ihm den nötigen Respekt und Achtung entgegengebracht wird den er sich durch sein Studium und Engagement verdient hat?

Wenns nach mir ginge würde ich morgen sofort auf die Straße gehen und für die Apotheke vor Ort kämpfen.
Ich würde mir auch wünschen das die Apotheker komplett von der Packungsbezogene Vergütung entkoppelt werden und die Bezahlung der Apotheker ähnlich wie bei den Ärzten, über ein Budget oder Patientenpauschale abgerechnet werden. Somit wäre unsere Beratungsleistung tatsächlich vordergründig.

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EuGH-Urteil am 19.10.16

von Ursula Wochinger-Lux am 19.10.2016 um 18:52 Uhr

Die EuGH-Richter haben es geschafft, am 19.10.16 bestimmt
mindestens 200000 Apothekenangestellte zu EU-Gegnern zu machen.Respekt- das muss man erst mal schaffen.

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Kommentar von Dr. Christian Rotta

von Dr. Helmut Witzel am 19.10.2016 um 18:48 Uhr

Besser hätte man das Urteil kaum kommentieren können. Auch mich hat weniger das Urteil selbst (das war vermutlich längst gefällt) als die zynische Begründung erschüttert. Mit ähnlicher Argumentation könnte man auch den allgemeinen Waffenversandhandel oder die Freigabe der Kinderpornografie legalisieren.
Doch wer auf mögliche Rückendeckung aus der in der Regel eher uninformierten Bevölkerung hofft, schaue sich mal die zahlreichen "Bürgerkommentare" auf Spiegel-online zu diesem Thema an.

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