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Kommentar zum EuGH-Entscheid
Krude, selektiv, zynisch
Es ist ein hanebüchenes Urteil, das der Europäische Gerichtshof am heutigen Mittwoch verkündet hat: Krude in seiner Begründung, selektiv in der Wahrnehmung und verworren in seinen Schlussfolgerungen. Die Entscheidungskaskade der Luxemburger Richter ist dabei ebenso schlicht wie abwegig, kommentiert Dr. Christian Rotta.
Weil ausländische Versandapotheken ihre Kunden in Deutschland nicht so gut vor Ort beraten können wie „traditionelle Apotheken“ und sie auch nicht in der Lage sind, eine „Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherstellen“, muss ihnen als einzige Möglichkeit, „den unmittelbaren Zugang zum Markt zu finden und auf diesem konkurrenzfähig zu bleiben“, der Preiswettbewerb eingeräumt werden. Er sei, so die Urteilsbegründung, für ausländische Arzneimittelversender ein „wichtigerer Wettbewerbsfaktor“ als für „traditionelle Apotheken“.
Mit anderen Worten heißt das: Weil ausländische Versandapotheken keine Gemeinwohlverpflichtungen wahrnehmen, müssen sie beim grenzüberschreitenden Arzneimittelversand preisrechtlich privilegiert werden. Nur noch purer Zynismus ist es, wenn in der Entscheidung darüber schwadroniert wird, dass es für „traditionelle Apotheken“ reizvoll sein könnte, sich im Wettbewerb gegenüber preisaktiven Versandapotheken durch die verstärkte „Herstellung von Rezepturarzneimitteln und die Bereitstellung eines gewissen Vorrats und Sortiments an Arzneimitteln“ zu profilieren. Geht’s noch?
Aber auch in anderer Hinsicht ist das Luxemburger Judikat eine schallende Ohrfeige: Die Ignoranz, mit der die EuGH-Entscheidung dem Urteil des deutschen Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes gegenübertritt, ist bemerkenswert. Der Senat, der sich aus den Präsidenten von Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundessozialgericht, Bundesfinanzhof und Bundesarbeitsgericht zusammensetzt, hatte 2012 in einer ausführlichen Entscheidung auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten luzide begründet, warum das deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für ausländische Versandapotheken gilt. Mittelbar hat sich dazu inzwischen auch schon das Bundesverfassungsgericht geäußert. Eine Auseinandersetzung mit dieser nach langen Auseinandersetzungen gefundenen einheitlichen Rechtsprechung der deutschen Gerichte, sucht man in der Luxemburger Entscheidung vergeblich. Stattdessen wird spekuliert und die eigene Rechtsdogmatik auf den Kopf gestellt. Es ist diese Arroganz der Macht, die nicht nur den Subsidiaritätsgedanken zwischen europäischer und mitgliedstaatlicher Ebene ad absurdum führt, sondern auch Wasser auf die Mühlen von Europaskeptikern ist. Jetzt ist die Politik gefordert, um zu retten, was zu retten ist. Und wer weiß: vielleicht wird ja aus dem Plan B, dem Versandhandelsverbot bei Rx-Arzneimitteln, ein Plan 1 A. Die Dialektik schlägt manchmal überraschende Kapriolen.
11 Kommentare
RX-Urteil vom EUGH
von Dietmar Anzer am 25.10.2016 um 13:52 Uhr
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EuGh Urteil
von Wolf Wagner am 20.10.2016 um 20:08 Uhr
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Treffender Kommentar - jetzt erst recht!
von Uwe Hansmann am 20.10.2016 um 8:27 Uhr
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krude, ja
von Karl Friedrich Müller am 20.10.2016 um 8:16 Uhr
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Eugh zynisch
von Michael Zeimke am 20.10.2016 um 7:18 Uhr
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Qualifikation
von gabriela aures am 19.10.2016 um 21:30 Uhr
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AW: Qualifikation
von Bernd Jas am 20.10.2016 um 16:57 Uhr
EUgh-Urteil
von James am 19.10.2016 um 19:47 Uhr
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Preisbindung
von Slaimi am 19.10.2016 um 18:52 Uhr
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EuGH-Urteil am 19.10.16
von Ursula Wochinger-Lux am 19.10.2016 um 18:52 Uhr
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Kommentar von Dr. Christian Rotta
von Dr. Helmut Witzel am 19.10.2016 um 18:48 Uhr
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