Ängste bei Krebspatienten

Rauschdrogen als „Retter“

Remagen - 06.12.2016, 08:00 Uhr

Der Kubanische Kahlkopf (Psilocybe cubensis) enthält die halluzinogene Substanz Psilocybin. (Foto: epa-Bildfunk)

Der Kubanische Kahlkopf (Psilocybe cubensis) enthält die halluzinogene Substanz Psilocybin. (Foto: epa-Bildfunk)


Psychedelische Drogen können Krebspatienten helfen, ihre Depressionen und Ängste zu überwinden – eine gewagte These, die aber jetzt mit zwei sauberen, nach Expertenmeinung ermutigenden klinischen Studien wissenschaftlichen Nährstoff bekommen hat. 

Die halluzinogene Substanz Psilocybin aus Zauberpilzen könnte für Tumorpatienten, die nach ihrer Diagnose mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, zu einem „Rettungsanker“ werden. Darauf deuten zwei neue doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studien hin. Beide kombinierten einen psychedelischen Trip mit mehreren psychotherapeutischen Sitzungen. 

Erhöhung der Lebensqualität und weniger Todesangst 

In einer Studie der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, erhielten 51 Krebspatienten mit lebensbedrohlichen Diagnosen und Symptomen von Depressionen oder Angstzuständen zwei Psilocybin-Dosen im Abstand von 5 Wochen, eine relativ hohe (22 oder 30 mg/70 kg) und eine so niedrige (1 oder 3 mg/70 kg), dass ein Effekt unwahrscheinlich war. Die hohe Dosis verursachte einen starken Rückgang der depressiven Stimmung und Angst, verbunden mit einer Erhöhung der Lebensqualität und weniger Todesangst. Beim 6-Monats-Follow-up waren diese Veränderungen bei etwa 80% der Teilnehmer immer noch vorhanden. 

Sofortige und nachhaltige Verbesserung

In der zweiten Studie an der New York University (NYU) in New York City bekamen 29 Krebspatienten nach dem Zufallsprinzip entweder eine Einzeldosis Psilocybin (0,3 mg/kg) oder Niacin, eine Verbindung, die einige Nebenwirkungen von Psilocybin imitiert, ohne dessen halluzinogene Eigenschaften zu besitzen, ebenfalls in Verbindung mit Psychotherapie. Nach sieben Wochen wurde die Medikation gewechselt.  

Vor dem Crossover produzierte Psilocybin bei 83 Prozent der Versuchspersonen eine sofortige, erhebliche und nachhaltige Verbesserung der Depression. 58 Prozent berichten über deutlich weniger Ängste. Bei denjenigen, die zuerst Niacin bekommen hatten, erlebten nur 14 Prozent diese Effekte. Auch hier hielt die Wirkung beim Follow-up sechseinhalb Monate nach dem Cross-over bei 60 bis 80 Prozent der Versuchsteilnehmer weiter an. 

Lob von allen Seiten

Zwei Dinge haben die Psychiaterin Isabella Heuser an der Berliner Charité besonders verblüfft: Dass die Wirkung so schnell einsetzt und dass sie nach Monaten immer noch messbar ist. „Die Versuche sind zwar noch klein,“ meint Heuser, „aber die Tatsache, dass beide sehr ähnliche Ergebnisse liefern, ist sehr ermutigend." Guy Goodwin, Psychiater an der britischen University of Oxford pflichtet seiner deutschen Kollegin bei. „Ich denke, die Studien sind eine Art Landmark.“ sagt er. „Aber sie sind der Anfang von etwas, nicht das Ende oder der Beweis für etwas."

Für viele Patienten bedeuten die Ergebnisse aber noch viel mehr als dürre wissenschaftliche Erkenntnisse. Bei Dinah Bazer, einer 69-jährigen Frau aus Brooklyn, New York, die an der NYU-Studie teilnahm, wurde im Jahr 2010 Eierstockkrebs diagnostiziert. Chirurgie und Chemotherapie waren erfolgreich, aber sie war erfüllt von Ängsten und der Furcht davor, dass der Krebs zurückkommt. „Das hat mein ganzes Leben bestimmt und es ruiniert.“ sagt sie. „Diese Droge hat mein Leben gerettet." 

Kommt die Forschung wieder in Schwung?

Nach Meinung von Robin Carhart-Harris vom Imperial College in London, der sich wissenschaftlich mit psychedelischen Drogen beschäftigt, könnten die Studien deren therapeutisches Potenzial zu neuem Leben erwecken. In den 1960er-Jahren waren Psilocybin und LSD zur Behandlung von Depressionen oder Alkoholismus in zahlreichen Studien erprobt worden. Wegen ihres weit verbreiteten Missbrauchs wurden sie jedoch im Jahr 1970 durch den damaligen US-Präsident Richard Nixon verboten. Dadurch kam nahezu alle Forschung zum Erliegen. Sie begann erst wieder in den 1990er-Jahren, ist aber seither durch strenge Reglementierungen behindert.

In jedem Fall könnte die Behandlung vielen Patienten helfen, glaubt Stephen Ross, der die New Yorker Psilocybin-Studie geleitet hat. Die Food and Drug Administration überprüfe derzeit einen Antrag für eine Phase-III-Studie mit Psilocybin, und Ross ist zuversichtlich, dass sie genehmigt wird. Schließlich habe die Aufsichtsbehörde gerade erst grünes Licht für eine Phase-III-Studie mit einer anderen umstrittenen Droge erteilt: Ecstasy zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen.


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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