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Der digitale Wandel oder besser das, was sie darunter verstehen (Päckchen packen z. B.), ist für Gesundheitspolitiker und Kassenbosse das Goldene Kalb, um das sie Hand in Hand mit ausländischen Versandapotheken tanzen. Dass sie bei ihren euphorischen Freudentänzen unsere kleinen Apotheken zertrampeln, merken sie nicht. Arzneiversandhandel ist unverzichtbar, sagt digitaltrunken der BKK-Chef. Heißt es schon bald: Lieber Amazon als Apotheke vor Ort?
27. Februar 2017
Berlin ist abgehoben, weit weg von der Basis. Mein liebes Tagebuch, damit meine ich mal nicht unsere Berufsvertreter, sondern die SPD. Die Gesundheitspolitiker der SPD auf Bundesebene mauern, bewegen sich nicht. Sie wollen den Rx-Versand erhalten und kommen stattdessen mit weltfremden Vorschlägen wie temporäre Boni-Begrenzung um die Ecke. Eine andere SPD trifft man dagegen in den Ländern: Wo man auch hinschaut, bekennen sich hier die SPD-Politiker zu einem Rx-Versandverbot und stellen sich hinter die Apotheker. Im Land, an der Basis erkennen sie den Wert der Apotheke vor Ort und dass die flächendeckende Versorgung nicht durch Internetapotheken ersetzt werden kann. Jüngstes Beispiel ist der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke. Zuvor hatten sich auch schon die niedersächsische Gesundheitsministerin Cornelia Rundt und der gesundheitspolitische Sprecher der NRW-SPD, Michael Scheffler, pro Rx-Versandverbot ausgesprochen. Mein liebes Tagebuch, vielleicht sollten Lauterbach, Dittmar, Franke und Co. mal raus aus ihren Berliner Burgen in die Niederungen ihrer Länder gehen, um zu erfahren, was Apotheke heißt, und um zu sehen, wie Apotheke geht.
Ewiggestrige verkämpfen sich in einem Stellungskrieg, den sie nicht gewinnen können, und die Digitalisierung ist auch im Gesundheitswesen nicht mehr aufzuhalten – meint DocMorris Chef Olaf Heinrich in einem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. Mein liebes Tagebuch, die Ewiggestrigen sind digital vernetzt, machen Nacht- und Notdienste, geben BtM für Schwerstkranke ab, bereiten Rezepturen für lau, beraten vor Ort und liefern alle Arzneimittel gerne am gleichen Tag auch nach Hause. So sieht’s aus! Was kann da ein Päckchenpacker besser? Und nochmal: Was ist digital am Päckchenpacken und -verschicken? Meinen die Versender etwa den Bestellvorgang, der nur zum Teil per Internet erfolgt? Nur als Merksatz für den DocMorris-Chef: Die Vor-Ort-Apotheken haben Internet, sind per Mail und viele per Homepage, Facebook und WhatsApp erreichbar. Interessant auch, wie Heinrich das Verbot des Versandhandels in 21 europäischen Ländern interpretiert: Das sei etwas ganz anderes, weil nämlich eine Reihe von Ländern den Versandhandel nicht verboten, sondern ihn nie eingeführt habe. Darauf muss man erstmal kommen. Seltsame Sicht auf die Dinge. Und weil’s so nett ist, noch ein Bonmot: Den Apothekern gehe es darum, ihren Markt mit aller Macht zu verteidigen und abzuschotten. Mein liebes Tagebuch, so sind sie, die bösen Apotheker. Aber zum Glück gibt es DocMorris, der seine Pfründe überhaupt nicht mit aller Macht verteidigt und der bei einem Rx-Marktanteil von einem Prozent doch niemand platt machen will, nein. DocMorris als Kapitalgesellschaft darf halt leider keine Apotheken in Deutschland betreiben, deswegen bleibt nur ein bisschen Versandhandel, wenn man in Deutschland dabei sein möchte, jammert Heinrich. Mein liebes Tagebuch, mir kommen die Tränen. Sag mal, wer hat DocMo eigentlich auf den Markt gerufen?
28. Februar 2017
Dass Union und SPD beim Rx-Versandverbot keine gemeinsame Lösung finden, verspricht nichts Gutes. Jetzt wird sogar gemunkelt, dieses Thema könnte es bis in den Koalitionsausschuss schaffen, dem Spitzengremium der Regierungsparteien, besetzt u. a. mit Merkel, Seehofer und Gabriel. In diesem Elefanten-Gremium will niemand sein Gesicht verlieren und jeder will etwas aus der Sitzung mit nach Hause nehmen. Mein liebes Tagebuch, das sind die Kuhhandelssitzungen der Elefanten, bei denen es nicht immer um die beste Lösung geht: Stimme ich bei dem einen Gesetz deinem Vorschlag zu, musst du meinen Vorschlag beim andern Gesetz annehmen. Geschachere eben. Was dagegen wieder ein klein wenig Hoffnung gibt: Gröhe und Zypries, unsere neue SPD-Wirtschaftsministerin, wollen miteinander reden. Und außerdem geben die Bundestagsfraktionen selbst nicht auf und ringen um einen Kompromiss. Nächste Woche laden CDU-Nüßlein und SPD-Lauterbach Politiker und Apothekenexperten zu einem Fachgespräch ein. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
1. März 2017
Schluss mit Unterschriftensammeln – bis 1. März lief die ABDA-Unterschriftenaktion „Gesundheitssystem in Gefahr“ in den Apotheken. Kunden konnten sich mit ihrer Unterschrift zur Vor-Ort-Apotheke bekennen. Die Aktion war Teil der vom ABDA-Präsidenten angekündigten Initiative, nach dem EuGH-Urteil „aus allen Rohren“ schießen zu wollen. Ob die Aktion ein Knallfrosch war oder ein Donnerschlag wird sich noch zeigen, wenn die Unterschriften gezählt sind. Für Politiker beider Seiten war’s auf jeden Fall ein Kracher, der nicht begeisterte. Die Aktion habe Ängste geschürt, sei populistisch gewesen und antieuropäisch, meinte die SPD-Gesundheitspolitikerin Dittmar. Ach was, wirklich? Mein liebes Tagebuch, auf alle Fälle war’s eine Aktion, bei der man mit den Kunden ins Gespräch kommen und die Lage der Apotheke darstellen konnte. Und was wird nun aus den Unterschriften? Hoffen wir, dass die Aktion nicht endet wie die letzte große Unterschriften-Kampagne 2002, als Apotheken Unterschriften gegen den Versandhandel sammelten. Damals waren rund acht Millionen Unterschriften zusammengekommen, die die ABDA der parlamentarischen Staatssekretärin Schaich-Walch in mehreren Kisten übergab. Die Politik reagierte „not amused“, hinter den Kulissen hörte man, dass Ulla Schmidt richtig sauer gewesen sein soll und die Apotheker lange Zeit „unten durch waren“. Tja, das haben wir doch locker ausgehalten. Damals versprach die Politik vordergründig: „Rosinenpickerei werden wir nicht zulassen.“ Und was ist draus geworden?
Zum Beispiel findet der Chef des BKK-Dachverbands, Franz Knieps, den Rx-Versandhandel „unverzichtbar“. Wie das? Wo er doch selbst sagt, dass der Rx-Versand weniger als 1 Prozent des Rx-Umsatzes ausmache. Wie soll so etwas „unverzichtbar“ sein? Knieps hält auch die „Drohkulisse des Apothekensterbens“ für „absurd“. Mein liebes Tagebuch, vielleicht nimmt sich der BKK-Boss mal ein wenig Zeit zum Nachdenken. Vielleicht könnte ihm dann einfallen, dass ein ungleicher Wettbewerb zwischen ausländischen Versendern und deutschen Vor-Ort-Apotheken auf einmal immer mehr Menschen zu den Versendern abwandern lässt? Ist es für den BKKler noch so ein Rätsel, warum immer mehr kleine Geschäfte in den Städten schließen? Hat er schon mitbekommen, dass daran der Online-Handel schuld ist? Aber vermutlich will er gar nicht nachdenken. Denn das stünde seinen Zielen im Weg. Was er wirklich will: Preisvereinbarungen mit Versandapotheken. Es geht nur um Einsparungen für die Kassen. Ach ja, mein liebes Tagebuch, was Knieps auch noch sagte: Die Anforderungen an eine fachlich qualifizierte Beratung sei für alle Vertriebswege gleich hoch – „egal ob Apotheker vor Ort oder Pharmakologe an der Info-Hotline des Versandhändlers.“ Glaubt Knieps eigentlich, dass so eine Versandapotheke täglich 10.000 Kunden telefonisch kontaktiert?
2. März 2017
Angenommen, wir bekommen ein Rx-Versandverbot: Dann hätten wir erstmal viel erreicht, nur eines nicht: Ruhe. Mein liebes Tagebuch, auch nach einem Rx-Versandverbotsgesetz werden die Diskussionen, Forderungen, Prozesse weitergehen, darauf sollten wir uns einstellen. Deutlich wurde das bei einem Besuch des CDU-Gesundheitspolitikers Tino Sorge beim Landesapothekerverband Sachsen-Anhalt. Er sprach sich zwar für das Gröhesche Gesetz aus, aber man müsse über eine Weiterentwicklung des Systems nachdenken, „um gerade in Zeiten des digitalen Wandels und in Hinblick auf die Versandthematik einen Wettbewerb mit gleichen Waffen unter solidarischer Beteiligung aller Akteure, ob Apotheker vor Ort oder ausländische Versandapotheke, zu ermöglichen.“ Man sieht, die Digitalfalle schnappt da immer wieder zu. Und irgendwie sollen alle, Vor-Ort- und ausländische Versandapotheken, „solidarisch“ beim Wettbewerb dabei sein. Wie auch immer sich der Politiker das vorstellen mag, mein liebes Tagebuch, nach solchen und ähnlichen Weiterentwicklungen rufen nicht nur er. Und der digitale Wandel, das Goldene Kalb unserer Gesundheitspolitiker, ist immer dabei. So gesehen waren unsere hinter uns liegenden Apothekenjahre ein Ausflug auf den Ponyhof.
3. März 2017
Seit über einem Vierteljahr beschäftigt das EuGH-Urteil und seine Folgen die Politik, die Apotheker, die Krankenkassen. Gestritten wird um sichere und verlässliche Arzneimittelversorgung, ja, aber es geht auch um Geld. Böse Zungen sagen, es geht nur um Geld. Aber das stimmt so nicht. Nun ja, bei den Kassen wäre ich mir da allerdings nicht so sicher. Die muten ihren Versicherten so einiges zu, nur um Geld zu sparen, von den billigsten Rabattarzneimitteln, die nicht lieferbar sind, über knisternde, auslaufende Windeln bis hin zu Zytoverträgen, die für Patienten nur Nachteile bringen. Freilich, bei uns Apothekers geht es auch ums Geld: Wir fürchten einen unfairen Preiswettbewerb mit ausländischen Versendern, den wir nicht gewinnen können, ohne unsere Strukturen zu zerstören. Bliebe nämlich der Rx-Versand unter EuGH-Bedingungen, also mit freien Rx-Preisen durch ausländische Versandapotheken, mag die eine oder andere Kasse ein paar Euro sparen und einige Patienten sich über ein paar Euro Boni freuen. Aber in wenigen Jahren wird es dann wahrscheinlich die eine oder andere Apotheke nicht mehr geben. Es werden Überlegungen aufkommen, ob wir Apotheken noch alles so leisten können wie bisher, ob wir andere Strukturen brauchen… Es wird eine Erosion unseres Apothekenwesens einsetzen. Nehmen das die Politiker in Kauf, wenn sie vom digitalen Wandel, von mehr Wettbewerb, vom „wertvollen Versandhandel“ träumen? Oder können sie sich einfach nicht vorstellen, dass das alles eintreten wird? Vorsicht, es könnte alles sogar schneller gehen als gedacht! Der Superversender Amazon hält nicht still. Mit Büchern fing er klein an, heute liefert er fast alles, arbeitet an der same-day-delivery und kümmert sich sogar um Frischware, sprich Lebensmittel wie Obst, Fleisch, Fisch und Gemüse. Er ist ein Vollsortimenter, fast. Arzneimittel fehlen ihm noch, doch auch daran soll er, wie man hört, arbeiten. In- und ausländische Versandapos unter den Fittichen und im Auftrag von Amazon und das bei freiem Rx-Versand – sieht so der „digitale Wandel“ aus, von dem unsere Gesundheitspolitiker so schwärmen? Und was vor diesem Hintergrund, mein liebes Tagebuch, immer bizarrer wird: Warum kämpfen SPD-Gesundheitspolitiker so vehement für die Beteiligung von zwei, drei niederländischen (zum Teil schweizerisch/saudiarabischen) Versandapotheken? Richtig crazy, oder? Und nehmen dafür in Kauf, dass kleine inhabergeführte Betriebe bei uns eingehen? Mensch Lauterbach, Ihr SPD-Politiker habt es jetzt in der Hand, unsere Arzneiversorgung zu bezahlbaren Preisen und zu einer hervorragenden Qualität und Verlässlichkeit sicherzustellen – stimmt endlich fürs Rx-Versandverbot!
20 Kommentare
Das kleine Szenario der Digitalisierung aus Murksmany ...
von Christian Timme am 06.03.2017 um 7:17 Uhr
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Wettbewerb
von Reinhard Rokitta am 05.03.2017 um 21:04 Uhr
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Uneinsichtigkeiten und tiefe Einblicke
von Bernd Jas am 05.03.2017 um 16:12 Uhr
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AW: Uneinsichtigkeiten und tiefe Einblicke
von Christian Timme am 05.03.2017 um 16:37 Uhr
Paradigmenwechsel
von Reinhard Rodiger am 05.03.2017 um 15:21 Uhr
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Lösungsansatz eines Nicht-Pharmazeuten ... für CP ...
von Christian Timme am 05.03.2017 um 11:57 Uhr
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Uneinsichtigkeiten
von Christiane Patzelt am 05.03.2017 um 10:38 Uhr
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AW: Uneinsichtigkeiten ... bis zum Herzstillstand.
von Christian Timme am 05.03.2017 um 11:22 Uhr
SPD
von Frank Ebert am 05.03.2017 um 10:35 Uhr
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Sie können, sie wissen es nur noch nicht ...
von Christian Timme am 05.03.2017 um 10:34 Uhr
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Expertise
von Bernd Jas am 05.03.2017 um 9:46 Uhr
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Expertise
von Bernd Jas am 05.03.2017 um 9:45 Uhr
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AW: Expertise ... für Apothekenkunden
von Christian Timme am 05.03.2017 um 9:59 Uhr
CrossSelling ...
von Christian Timme am 05.03.2017 um 8:22 Uhr
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AW: CrossSelling
von Chrisitiane Patzelt am 05.03.2017 um 10:11 Uhr
AW: CrossSelling
von Hans G. Vischer am 05.03.2017 um 12:41 Uhr
AW: CrossSelling
von Christian Timme am 05.03.2017 um 16:07 Uhr
AW: CrossSelling in Echtzeit?
von Christian Timme am 05.03.2017 um 16:50 Uhr
AW: CrossSelling in Echtzeit?
von Christian Timme am 05.03.2017 um 16:51 Uhr
AW: Keine Ahnung, keiner hilft, noch nicht mal das Metier ...
von Christian Timme am 05.03.2017 um 21:18 Uhr
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