- DAZ.online
- News
- Spektrum
- Landtagsausschuss ...
Hessen
Landtagsausschuss debattiert über Studien in Kinderheimen
Aufgrund einer wissenschaftlichen Studie zu Arzneimittelversuchen an Heimkindern beschäftigte sich nun der hessische Landtag mit dem Thema: Eine Pharmazeutin war auf bundesweit rund 50 fragwürdige Fälle gestoßen.
Der Verdacht auf umfangreiche Medikamententests an Heimkindern vor Jahrzehnten in Hessen hat Ende vergangener Woche den Sozialausschuss des Landtags in Wiesbaden beschäftigt. Gehört wurde unter anderem die Pharmazeutin Sylvia Wagner, die bei ihren Forschungen auf entsprechende Hinweise gestoßen war. Sie fand Belege für bundesweit etwa 50 Versuchsreihen mit verschiedenen Medikamenten und Impfstoffen. Von dem Verdacht sind nach den Worten von Wagner unter anderem Einrichtungen in Marburg und Frankfurt in den Jahren 1950 bis 1970 betroffen.
So fand Wagner in den Archiven des Darmstädter Pharmakonzerns Merck einen Brief von 1957 – über die Lieferung von 20 Fläschchen des Neuroleptikums Decentan (Perphenazin) an das Hephata-Heim im nordhessischen Schwalmstadt-Treysa. Als Tropfen sei Decentan damals noch nicht auf dem Markt gewesen, erklärte Wagner laut der „Frankfurter Neuen Presse“. Der Vorstandssprecher des Trägers Hephata, Maik Dietrich-Gibhardt, betonte jedoch, dass es in Krankenakten keine Hinweise auf den Einsatz des Mittels gab.
Problematische Versuche an Säuglingen
Außerdem fand Wagner auch Unterlagen zu Studien mit Schluckimpfungen, die die Behringwerke in zwei Marburger Kinderheimen an Säuglingen durchgeführt haben sollen. „Die Kinder hatten keine Antikörper, weil sie ja nicht gestillt wurden“, sagte sie laut der Zeitung. „Das war für die Prüfung der Impfstoffe vorteilhaft und wurde gezielt ausgenutzt.“
Doch laut Wagner hätten sie aufgrund ihres schlechten körperlichen Zustands ein besonders hohes Risiko für die Entwicklung einer Infektion durch den damals verwendeten Lebendimpfstoff gehabt. Außerdem seien sie häufig in eine sechswöchige Quarantäne gesteckt worden, was aufgrund der ohnehin mangelnden Zuwendung für die Kinder sehr ungünstig gewesen sei. „Diese Folgen der Deprivation halten ein Leben lang an“, sagte Wagner laut der „Frankfurter Neuen Presse“. „Das kann sich zum Beispiel in einer gestörten Bindungsfähigkeit zeigen.“
Betroffenenvertreter fordert runden Tisch
Unter Betroffenen war die Anhörung mit Enttäuschung verbunden. „Die Institutionen mauern“, zitiert die Zeitung Helfried Gareis, einer der Vertreter des Vereins ehemaliger Heimkinder Frankfurt. „Es ist nach dieser Anhörung keineswegs sicher, dass es Konsequenzen geben wird.“ Er forderte die Pharmafirmen, Träger der Kinderheime sowie die Landtagspolitiker zur Einsetzung eines runden Tisches auf.
Der Medizin-Historiker Volker Roelcke von der Universität Gießen nannte die Hinweise auf die Tests „nicht wirklich eine Überraschung“. Immer wieder hätten sich Ärzte besonders verwundbare Gruppen gesucht, um gesetzliche Regeln zu umgehen, sagte der Professor. Roelcke will nach eigenen Worten der Frage nachgehen, ob es in einem größeren Heim in der Region Gießen Medikamententests gab. Die Akten aus der Einrichtung lägen ihm seit wenigen Tagen vor.
1 Kommentar
Arzneimittelstudien an Heimkindern.
von Martin MITCHELL am 15.11.2019 um 4:14 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.