Tumortherapie

Methadon-Berichte schüren unrealistische Erwartungen

Stuttgart - 12.07.2017, 15:00 Uhr

Nach Medienberichten über Methadon werden Ärzte von Patienten massiv unter Druck gesetzt, die Substanz zu verschreiben. (Foto: monropic / Fotolia)

Nach Medienberichten über Methadon werden Ärzte von Patienten massiv unter Druck gesetzt, die Substanz zu verschreiben. (Foto: monropic / Fotolia)


Eine Seite mit Fragen und Antworten zu Methadon in der Schmerz- und Tumortherapie wurde von der Website der Uniklinik Ulm gelöscht. Ebenso Pressemitteilungen, die von Forschungserfolgen zu diesem Thema berichten. Anhand von Zellkulturarbeiten und Tierversuchen hatte die Molekularbiologin Claudia Friesen eine Hypothese für die Anti-Tumor-Wirkung des Opioids aufgestellt. Offenbar haben Patienten infolge entsprechender Medienberichte Ärzte massiv unter Druck gesetzt, Methadon zu verschreiben. 

Viele Krebspatienten setzen offenbar aufgrund aktueller Medienberichte ihre Hoffnungen auf Methadon. Nach Fernsehbeiträgen in der ARD und auf „Stern TV“ folgte eine Vielzahl von Artikeln, die das für die Drogenersatztherapie zugelassene Arzneimittel teils fast als Wundermittel erscheinen lassen. So gibt es für den Einsatz in der Krebstherapie zwar Beobachtungen aus der Praxis sowie Versuche an Zellkulturen und Tiermodellen, jedoch keine kontrollierte Studie am Menschen.

Das Universitätsklinikum Ulm hatte sich bereits vergangenes Jahr kritisch zu dem Eindruck geäußert, den manche Medienberichte hinsichtlich der Wirksamkeit von Methadon bei bestimmten Krebsarten erweckten. In einer Stellungnahme wurde darauf hingewiesen, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die von der Arbeitsgruppe der Chemikerin Frau Dr. Friesen am Institut für Rechtsmedizin der Universität Ulm erhoben wurden, sich ausschließlich auf vorklinische Experimente entweder mit Zellkulturen oder tierexperimentellen Studien beziehen. Diese Daten ließen sich nicht automatisch auf die Situation beim Patienten übertragen. Daher hält man seitens der Universität Ulm den unkritischen Einsatz von Methadon außerhalb klinischer Studien für nicht gerechtfertigt. Der unkontrollierte Einsatz wecke bei Patienten unrealistische Erwartungen, die sich nachteilig für die Patienten auswirken können. So gebe es Berichte, dass Patienten im Glauben an die Wirksamkeit von Methadon gut wirksame Therapiekonzepte für sich abgelehnt haben, heißt es in einer Stellungnahme

Dies ist nun anscheinend tatsächlich teilweise der Fall. Nach einem Bericht der Südwest-Presse sagte Klinikdirektor Udo Kaisers, dass sich die Anrufe von Patienten mehren, die ihre Ärzte erheblich unter Druck setzen, um Methadon verschrieben zu bekommen – dabei lehnten sie „Therapien, die als wirksam bekannt sind“ ab. „Der Glaube, Methadon könnte das erhoffte Allheilmittel sein, ist gefährlich“, erklärte Kaisers. Eine Seite mit Fragen und Antworten zu Methadon, die sich an Patienten richtete, sowie Pressemeldungen über die Forschungserfolge von Friesen finden sich derzeit nicht auf der Homepage der Uniklinik. 

Kritiker werten die Zurückhaltung oftmals als Verschwörung der „Pharmaindustrie“ gegen ein günstiges Krebsmittel – sie werden auch die Entfernung einer Internetseite zur Methadontherapie auf der Klinikums-Homepage als Zensur sehen. Für medizinische Laien habe aufgrund der Berichterstattung in den Publikumsmedien der Eindruck entstehen können, „dass seitens des Universitätsklinikums mit Methadon eine Therapiemethode propagiert wird, die bei Krebserkrankungen hilft“, erklärte eine Kliniksprecherin gegenüber DAZ.online. Aufgrund der bisher nicht vorliegenden Daten mache sich das Klinikum diese Sicht jedoch nicht zu eigen. 

Forschungsgelder bewilligt

Am gestrigen Dienstag erklärte auch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, dass nach Ansicht von Pharmazeuten des Verbands aufgrund der fehlenden Daten die Aussagen zur Wirkung von Methadon bei Tumorpatienten „sehr kritisch zu hinterfragen und zu bewerten“ seien. Um zu untersuchen, inwiefern Methadon tatsächlich helfen kann, sollen nun klinische Studien am Menschen durchgeführt werden. Neben Friesen, die nach einer Meldung vom gestrigen Dienstag nun von der Uniklinik Unterstützung für eine Studienreihe zugesagt bekam, hat auch der Heidelberger Onkologe Prof. Dr. Wolfgang Wick einen Antrag auf Förderung bei der Deutschen Krebshilfe eingereicht. 


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4 Kommentare

Warum war die Uni Ulm so lange untätig?

von Dr Christian Kalvelage am 10.08.2017 um 16:34 Uhr

Die Universitätsklinik Ulm muss sich die Frage gefallen lassen, warum diese in den vergangenen zwei Jahren nicht eine Studie zum Thema Methadon (Verträgleichkeit, Krebstherapien etc) selber auf den Weg gebracht hat. Gerade von einer Universitätsklinik, die in der Krebstherapie einen sehr guten Ruf genießt und aufgrund er großen Patientenzahl für eine Studie prädestiniert wäre, hätte man erwarten können, die Laborergebnisse (inkl. Studie von 80 Patienten) des Team von Frau Dr. Friesen in neutralen Studien zu verifizieren. Geschehen ist aber leider bisher nichts. Jetzt auf Druck der Öffentlichkeit, hat die Uniklinik den ersten, zaghaften Schrift gemacht und erklärt, dass eine erste Studie mit Frau Dr. Friesen vereinbart wurde. Spät, aber hoffentlich nicht zu spät. Es bleibt der schale Nachgeschmack, dass Forschung und Praxis in Ulm nicht Hand in Hand arbeiten.

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Seltsamer Artikel

von Andreas Staubach am 16.07.2017 um 10:13 Uhr

Nachdem einzelne Ärzte und Patienten seit Jahren für die Beachtung oder Prüfung von Methadon kämpfen, kommt hier wieder die windelweiche Lobby-Antwort von den fehlenden Studien. Die Euphorie ist vollkommen überzogen, weil Studien fehlen. Da fühle ich mich verschaukelt. Die gute Nachricht in diesem Artikel: Die Studien kommen.

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Und welche Seite hat nun recht?!!

von Véronique Feldkamp am 15.07.2017 um 20:09 Uhr

Weder die Befürworter noch die Gegner können Ihre Ansichten mit einer Studie belegen. Es war richtig die empirische Ergebnisse aus der Praxis zu veröffentlichen, jetzt wird hoffentlich unparteiisch Forschung betrieben. So viele Menschen brauchen Hoffnung, Empathie und Hilfe. Die Wissenschaft ist gefordert, so rennen sie nicht zu Wunderheiler und Scharlatane. Denn DIE richten noch mehr Schäden an, als Methadon..

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Da hat wohl jemand Angst um Erträge

von Mick Bach am 13.07.2017 um 16:08 Uhr

Die Pharmalobby wehrt sich also jetzt gegen Ertragsverluste durch günstige vs. überteuerte Therapien in einem ihrer selbst finanzierten Sprachrohre?
Erschreckend ist, dass auch eine Universität vor dem Druck einknickt, die ja eigentlich neutral sein sollte.
Das ist sehr leicht durchschaubar...

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