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AOK-Hermann träumt vom Rx-Verivoxportal und Einsparungen satt. SPD-Dittmar träumt von der Quadratur der Apo-Kreise: starke Vor-Ort-Apos und starker Rx-Versand. LAV Ba-Wü und VSA träumen von digitalen Rezeptsammelstellen. Auch der Apothekertag träumte von neuen Botendienst-Sammelstellen-Zweigapo-Konzepten. Und mein liebes Tagebuch träumt von einem richtig guten Wahlergebnis für uns Apothekers. Aber so wirklich richtig!
18. September 2017
So stellt sich AOK-Hermann seinen Traum-Rx-Markt der Zukunft vor: Es gibt Höchstpreise für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die jede Apotheke nach Belieben unterschreiten kann. Der Versicherte profitiert von teilweise reduzierten gesetzlichen Zuzahlungen aufgrund der niedrigeren Apothekenverkaufspreise. Und mit Versandapotheken schließt die AOK dann, ach wie nett, individuelle Verträge, die das Vergütungsniveau regeln. Die Kassen veröffentlichen die Konditionen auf einem GKV-weiten Webportal, eine Art Verivox-Vergleichsportal für Rx-Arzneimittel und Kassenverträge. Auch hier kann der Patient dann durch Auswahl eines günstigen Versenders die Zuzahlung entsprechend einsparen. Mein liebes Tagebuch, der AOK-Mann hebt vollkommen ab, er ist im Einsparrausch, in Trance. Wenn die Versicherten also Zuzahlungen sparen wollen, müssen sie sich auf dem Vergleichsportal den für sie günstigsten Versender auswählen und dort bestellen. Das Schärfste am Hermann-Modell ist: Die Patienten müssen sich durch die Angebotsvielfalt quälen und sparen nur ein bisschen, denn Boni sollen durch die Höhe der Zuzahlung gedeckelt sein. Die AOK aber spart sich dumm und dämlich auf Kosten von Apotheken. Irgendwie irre, oder? Sein Traum klemmt allerdings: Wie er nämlich die Deckelung der Boni auf Zuzahlungsniveau erreichen will, erklärt er nicht – jeder ausländische Versender schert sich den Teufel um irgendwelche Deckelungsvorgaben. Laut EuGH-Urteil besteht für EU-Versender keine Preisbindung mehr. Vielleicht wacht die Politik bei Hermanns Träumen endlich mal auf, dass es so nicht weitergehen kann.
Gerüchte kamen auf, dass Amazon die im niederländischen Venlo ansässige Versandapo „Shop Apotheke“ übernehmen will, angeblich liefen schon Übernahmeverhandlungen. Mein liebes Tagebuch, wenn Amazon in den Arzneimittelmarkt einstiege, könnten sich wohl auch einige deutsche und holländische Versandhändler warm anziehen. Doch die Shop Apotheke, spezialisiert auf OTC-Arzneimittel, dementierte: „Es gibt aktuell keinerlei Gespräche oder Verhandlungen mit Amazon.“ Und Gespräche und Verhandlungen seien nach derzeitigem Stand auch für die Zukunft nicht beabsichtigt. Gefahr erstmal vorbei, aber keiner weiß, ob das so bleibt. Was mag da noch auf uns zu kommen…
19. September 2017
Manche Menschen auf dieser Welt verstehe ich nicht – obwohl sie deutsch sprechen und sogar aus meiner fränkischen Heimatstadt kommen. Sabine Dittmar gehört für mich zu diesen Menschen. Die Gesundheitsexpertin der SPD-Bundestagsfraktion hat sich von unten hochgearbeitet: Jahrgang 1964, Hauptschulabschluss, Kinderpflegerin, Abitur übers Bayernkolleg, drei Semester Physik und dann das ersehnte Medizinstudium mit dem Abschluss der Approbation und danach als Allgemeinmedizinerin tätig. Mein liebes Tagebuch, Respekt, gut gemacht, da gehört Ausdauer und Willenskraft dazu. Seit 1981 ist sie SPD-Mitglied, 2013 gelang ihr der Einzug in den Bundestag. In der Fraktion ist sie auch für Apothekenthemen zuständig. Und im Prinzip ist sie Apothekern wohlgesonnen: So hat sie sich beispielsweise für mehr Honorar bei Rezepturen und der BtM-Doku eingesetzt. Sie möchte die pharmakologische Kompetenz der Apotheker stärker in die Versorgung einbinden und mehr nutzen, auch beim Medikationsplan. Mein liebes Tagebuch, bis hierher alles gut – und dann kommt der Bruch: Der Rx-Versand müsse erhalten bleiben, die Patienten bräuchten den Versandhandel. Sie erklärt ihr Festhalten am Rx-Versand u. a. damit, dass ein Verbot die deutschen Versender einschränken würde, die sich auf Spezialmedikation beispielsweise für Mukoviszidose oder Parkinson fokussiert hätten. Mein liebes Tagebuch, dieses Problem der Spezialmedikation lässt sich doch anderweitig lösen, das müsste sich doch herumgesprochen haben, das versuchte man ihr doch auch zu erklären. Was Dittmar auch gerne sagt: Sie will die Apotheken vor Ort stärken und den deutschen Versandhandel nicht benachteiligen. Tja, ein Rx-Versandverbot wäre da doch genau das Richtige, zumal die deutschen Versender bisher kaum Rx versenden. Und dann sagt sie noch: „Die Befürchtungen, dass es nach dem EuGH-Urteil zu extremen Marktverschiebungen und Apothekenschließungen kommen würde, haben sich erfreulicherweise auch zehn Monate später in keiner Weise bewahrheitet.“ Liebe Frau Dittmar, die Entwicklung lässt sich doch nach zehn Monaten noch gar nicht seriös messen. Der Sog hin zum Rx-Versand entwickelt sich noch langsam, nimmt aber immer mehr Fahrt auf. Wollen Sie wirklich solange abwarten, bis es zu Marktverschiebungen kommt, bis Apotheken schließen müssen? Dann ist es wirklich zu spät. Warum wollen Sie das nicht verstehen, Frau Dittmar? Vermutlich sagt dann Ihre SPD: Oh, auf dem Land gibt es keine Apotheken mehr, die flächendeckende Versorgung ist gefährdet – gut dass es den Versandhandel gibt, das haben wir schon immer gesagt.“ Verstehen Sie, Frau Dittmar, dass wir Apothekers das als perfide empfinden?
Wir Apothekers haben das nie geschafft, aber bei den Kassenärzten klappt es mit einer rituellen jährlichen Gründlichkeit: die einmal jährlichen Verhandlungen übers Ärztehonorar fürs nächste Jahr. Knapp eine Milliarde Euro mehr soll es für die Kassenärzte im nächsten Jahr geben. Mein liebes Tagebuch, ja, das kassenärztliche Honorar wird anders gebildet als das Apothekerhonorar. Was allerdings auch mit den Apothekern stattfinden könnte: eine jährliche Verhandlung über die Anpassung des Honorars. Aber Politik – und Kassen sowieso – sträuben sich dagegen. Apotheker, Heilberufler zweiter Klasse?
20. September 2017
Versandhandel muss nicht sein, es gibt Alternativen und die sind einfach besser und schneller: Botendienst, Rezeptsammelstelle, Click & Collect. Mein liebes Tagebuch, warum wird dafür nicht stärker getrommelt? Von der ABDA, aber auch von den Apotheken selbst? Erst vor Kurzem erlebte ich in einer Veranstaltung mit Politikern und Bürgern, dass es sogar Patienten gibt, denen der Botendienst von Apotheken nicht bekannt war – sie wussten nicht, dass ihre Apotheke nicht vorhandene Arzneimittel per Boten nach Hause liefert. Sollte dies die Apotheke ihren Patienten noch nie angeboten haben oder gar keinen Botendienst haben, nutzt sie ihre Chancen nicht. Botendienst – mein liebes Tagebuch, klar, es ist eine Serviceleistung der Apotheke, die kostet: einen Fahrer, eventuell sogar qualifiziertes Personal (PTA), ein Auto (besonders schön, wenn’s ein E-Fahrzeug ist), ein Fahrrad (schön, wenn es ein E-Bike ist, mit abschließbarem Transportbehälter). Wenn man’s gerne noch professioneller hat, dann kann man zur Planung und Steuerung der Botendienste Apps und Programme der Warenwirtschaftssysteme verwenden (bieten manche Softwarehäuser an). Wenn man in der Apotheke noch stärker auf Botendienste setzt, kann man auch eine Versandhandelserlaubnis ins Auge fassen – die Anforderungen sind erfüllbar und die Erlaubnisgebühr (je nach Kammer unterschiedlich) ist erschwinglich. Der Vorteil: Die Apotheke ist bei der Auslieferung flexibler, sie kann eingesandte Rezepte durch Fahrer ausliefern lassen. Was Apotheken ebenfalls noch viel stärker einsetzen und ihren Patienten aktiv anbieten sollten, um dem Versandhandel die Stirn zu zeigen: Click & Collect, die Vorbestellung von Arzneimitteln per Telefon, Fax, E-Mail oder – noch besser – per App, mit der Möglichkeit, Rezepte abzufotografieren. So kann der Patient sicher sein, dass seine Arzneimittel vorhanden sind und er nicht zweimal gehen muss, und die Apotheke hat ausreichend Zeit, Arzneimittel zu bestellen.
Mein liebes Tagebuch, bemerkenswert zu diesem Thema ist ein Antrag auf dem diesjährigen Apothekertag, der sich mit der Weiterentwicklung des Systems der wohnortnahen Versorgung durch die Vor-Ort-Apotheke befasst. Er regt an, hierzu Konzepte zu entwickeln oder Änderungen anzustoßen, und über Rezeptsammelstellen, Botendienste, Not- und Zweigapotheken nachzudenken. Gut so – über eine Weiterentwicklung dieser Instrumente hätte schon längst nachgedacht werden müssen. Wir können doch nicht einfach zusehen, wie die Patienten die Versender mit Rezepten füttern.
Eine interessante Entwicklung könnte sich vor dem Hintergrund neuer digitaler Konzepte mit der digitalen Rezeptsammelstelle abzeichnen, die der Rezeptabrechner VSA (Nowenti Group, Awinta) mit dem LAV Baden-Württemberg auf der Expopharm vorstellte. Es ist eine Art Miniterminal. Der Patient steckt sein Rezept in das Gerät. Das Rezept wird gescannt, über die VSA an die Apotheke übertragen, so dass die Apotheke die Arzneimittel bereits vorab zusammenstellen kann. Der Patient kann an dieser digitalen Rezeptsammelstelle außerdem eine Textnachricht an die Apotheke schicken, weitere OTC-Arzneimittel bestellen oder telefonischen Kontakt zur Apotheke herstellen. Vorteil für die Apotheke ist: Der erste Weg, um nur die Rezeptsammelstelle zu leeren, entfällt. Sie kann gleich einen Fahrer mit den Arzneimitteln zum Patienten schicken. Allerdings muss der/die Fahrer(in) pharmazeutisches Personal sein, denn zuerst müssen die Original-Rezepte beim digitalen Briefkasten abgeholt und geprüft werden, bevor sie dann an den Patienten ausgeliefert werden. Mein liebes Tagebuch, das hört sich doch voll digital und innovativ an, das könnte ein guter Beitrag sein, um flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Und es ist legal und letztlich weitaus besser als Hüffenhardt, denn der Patient erhält seine Arzneimittel zuhause vom pharmazeutischen Personal ausgehändigt, nicht von einer Maschine. Die ersten Geräte laufen jetzt im Testbetrieb an, werden evtl. optimiert – und dann kann’s losgehen. Dann wird man auch wissen, was dieser „digitale Rezeptsammelstelle" kosten wird und wie es mit Aufstellmöglichkeiten aussieht. Denn das Terminal wird nicht wie heutige Rezeptsammelstellen an die Hauswand gehängt, sondern muss in einem geschlossenen Raum installiert werden. Mein liebes Tagebuch, wir sind gespannt auf die weitere Entwicklung.
21. September 2017
Jetzt rennen sie uns fast die Bude ein: Politiker aller Couleur, die noch schnell vor der Wahl die Apotheke entdecken und einen Besuch abstatten. Zum Beispiel der FDP-Politiker Jörg Berens, der bei Gabriele Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, vorbeischaute. Das Pikante dabei: Berens ist seit 2014 hauptberuflich Social-Media-Manager beim Versender DocMorris. Mein liebes Tagebuch, wir wissen ja, wie die FDP neuerdings tickt: Ja zum Rx-Versand und Ja zum Fremd- und Mehrbesitz. Trotz dieser Ansichten lud Overwiening den Jung-Politiker (Jahrgang1979) in ihre Apotheke ein, zeigte ihm Kapselherstellung, Warenwirtschaftssystem und so manch anderes, was für eine Vor-Ort-Apotheke typisch ist. Politisch waren sich beide darin einig, dass Apotheker stärker beim Medikationsplan eingebunden werden sollten. Aber das war’s dann auch schon weitgehend mit den Gemeinsamkeiten. Beim EuGH-Urteil und Rx-Versandverbot lagen sie diametral auseinander. Dennoch, mein liebes Tagebuch, im Gespräch bleiben ist nie verkehrt. Und das war wohl dann auch das Verbindende.
Auch sie hat ihre Ankündigung wahr gemacht und eine Apotheke besucht: Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) war bei Apotheker Günter Wickop in Darmstadt zu Gast. Mein liebes Tagebuch, wir erinnern uns: Sie hatte im August DocMorris einen spektakulären Besuch abgestattet, woraufhin ich mit ihr ein Interview führte. Denn ich empfand dies als Schlag ins Gesicht der deutschen Apothekerinnen und Apotheker. Im Gespräch mit mir zeigte sie immerhin ein bisschen Verständnis für diese Ansicht und klar, sie würde auch eine deutsche Apotheke besuchen. Also, jetzt war sie in der Einhorn-Apotheke in ihrem bisherigen Wahlkreis Darmstadt. Zypries Ansicht: Das Internet verändert Berufsfelder, auch Apotheker müssen sich was einfallen lassen – wie wär’s mit einer gemeinsamen Versandhandelsplattform. Apotheker Wickop konnte sie damit nicht überzeugen, in Österreich beispielsweise habe eine gemeinsame Plattform nicht funktioniert. Auch bei anderen Fragen kamen sie nicht zusammen. Zypries staunte allerdings, mit welcher Begeisterung so manche Apotheke die technischen Veränderungen begleitet und dass Wickops Apotheke schon lange automatisierte Systeme zur Erkennung von Wechselwirkungen nutze. Überzeugend war der Besuch für den Apotheker letztlich nicht. Mein liebes Tagebuch, kann ich gut verstehen. Irgendwie sind die vorgefertigten Meinungen bei den SPD-Politikern fest engrammiert, Umdenken nicht mehr möglich, selbst wenn sie bessere Dinge vor Augen geführt bekommen. Übrigens, Zypries wird nicht mehr antreten, sie will sich dann etwas um das Digitale in der Stadt kümmern…
22. September 2017
Es gibt sie noch, die FDPler ohne 3D, also ohne Dreitagebart, Denglisch-Vokabular, Digi-Rausch, aber dafür mit Durchblick. Heiner Garg, Sozial- und Gesundheitsminister in Schleswig-Holstein, ist einer von den seltenen Exemplaren. Auf einer Veranstaltung der Interessengemeinschaft der Heilberufe in Kiel sagte er: „Die Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes ist Unfug“ und stellte sich damit gegen einen Beschluss des FDP-Parteitags und gegen seinen Vorsitzenden Lindner. Schön, mein liebes Tagebuch, dass es diese FDP-Spezies noch gibt, ist aber leider nicht FDP-Mainstream.
24. September 2017
So, und jetzt ist’s soweit. Endlich. Wir wählen! Heute! Wenn wir es nicht schon per Briefwahl gemacht haben. Und heute Abend wissen wir mehr. Groko – oder reicht es doch für eine neue Farbkombi mit Schwarz? Z. B. Jamaika – wäre womöglich nur ultralustig, aber sonst Banane. Mein liebes Tagebuch, die nächste Legislaturperiode wird unser Schicksal entscheidend beeinflussen.
7 Kommentare
Quo vadis 2
von Ulrich Ströh am 24.09.2017 um 19:38 Uhr
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Es ist vorbei
von Karl Friedrich Müller am 24.09.2017 um 15:49 Uhr
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Wahl
von Dr. Radman am 24.09.2017 um 11:40 Uhr
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Wahl
von Frank ebert am 24.09.2017 um 10:29 Uhr
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Warten auf wen?
von Christian Giese am 24.09.2017 um 9:47 Uhr
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AW: Warten auf ...
von Andreas P. Schenkel am 24.09.2017 um 13:10 Uhr
Quo vadis?
von Ulrich Ströh am 24.09.2017 um 9:12 Uhr
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