Neuer Wirkmechanismus bei Antidepressiva?

SSRI wirken antidepressiv - auch ohne Reuptake-Hemmung

Selektive Serontonin-Wiederaufnahmehemmer, kurz SSRI, erhöhen die Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt, indem sie die Wiederaufnahme des Neurotransmitters hemmen. Mehr Serotonin – weniger Depression. Nur: In ersten Studien zeigt sich, dass SSRI auch antidepressiv können, wenn der Reuptake-Rezeptor fehlt und SSRI eigentlich gar keinen Angriffspunkt haben. Wie das funktioniert, fanden nun Freiburger Forscher heraus.

SSRI wirken antidepressiv - auch ohne Reuptake-Hemmung

Wie wirken Antidepressiva? Die Frage scheint einfach, ist aber tatsächlich nicht trivial. Denn antidepressive Wirkstoffe gleichen einen Mangel an Monoaminen aus – vorwiegend Serotonin. So hemmen Selektive Serotonin Reuptake-Inhibitoren (SSRI) das Serotonin-Recycling und erhöhen auf diese Weise Serotonin im synaptischen Spalt, was den antidepressiven Effekt vermittelt. Das ist die These, sie erklärt die Depressionslösung – teilweise zumindest. Denn die Monoamin-Hypothese ist zwar seit Jahrzehnten etabliert, dennoch löst sie die Frage nach der antidepressiven Wirkung nicht hinreichend und erschöpfend.

Dass die Monoamine die einzigen Stellschrauben bei Depressionen sind, dieser Theorie wiederspricht auch der Erfolg, den therapierefraktäre depressive Patienten teilweise mit einer intravenösen Ketamin-Behandlung erfahren. 

Auch wenn Ketamin wohl nicht nachhaltig antidepressiv wirkt, so bessert sich bei einem Drittel der Patienten die Depressionssymptomatik dafür innerhalb kürzester Zeit. Ketamin blockiert – als Injektionsanästhetikum – exzitatorische Glutamat-Rezeptoren. Laut aktuellem Stand der Wissenschaft führt Ketamin über einen mTOR-vermittelten Pathway relativ rasch zur Aktivierung von Nervenwachstumsfaktoren – die wohl auch die akut einsetzende antidepressive Wirkung vermitteln. 

SSRI nicht nur durch Reuptake-Hemmung antidepressiv

Würden sich Depressionen unter SSRI allein durch die Wiederaufnahmehemmung bessern, dürften SSRI bei Patienten, die gar keine Reuptake-Rezeptoren haben – und somit keinen Angriffspunkt für SSRI – auch keine antidepressiven Effekt ausbilden. Das ist aber nicht so. Denn Freiburger Forscher fanden nun heraus, dass SSRI auch dann einen antidepressiven Effekt vermitteln, wenn der Reuptake-Transporter fehlt, an dem sie normalerweise angreifen. 

„Zu unserer großen Überraschung zeigte sich auch bei Tieren ohne Serotonin-Transporter ein antidepressiver Effekt“.

Prof. Dr. Claus Normann, Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg

Diesen Effekt zeigten Rezeptor-defiziente Knockout-Mäuse: „Zu unserer großen Überraschung zeigte sich auch bei Tieren ohne Serotonin-Transporter ein antidepressiver Effekt“, sagt der Leiter der Studie. Prof. Dr. Claus Normann ist Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. Ihre Ergebnisse veröffentlichte jetzt das Fachmagazin Biological Psychiatry.

SSRI hemmen Calciumkanäle

Wo greifen also SSRI noch an? Die Freiburger Forscher konnten zeigen, dass SSRI direkt spannungsabhängige L-Typ-Calciumkanäle im Hippocampus der Mäuse blockierten. Diese Calcium-Blockade wirkt sich positiv auf die Entwicklung von Langzeitdepressionen aus und schützt laut den Forschern vor stressbedingten Depressionen.

Neuer Angriffspunkt für Antidepressiva?

SSRI scheinen, Calciumkanal-vermittelt, neuronale Schaltstellen zu beeinflussen, die vor chronischem Stress und seinen negativen Auswirkungen schützen. Stichwort ist hier die „neuronale Plastizität“. Selektive Serotonin Reuptake-Inhibitoren erleichtern es Nervenzellen offenbar, neue Verknüpfungen zu anderen Nervenzellen zu bilden. Dieser Effekt scheint unabhängig von der Serotonin-Wiederaufnahmehemmung zu sein. Diese Vernetzbarkeit ist bedeutend, um sich an neue Reize und Stress anpassen zu können. Bei Patienten mit Depressionen ist diese Fähigkeit jedoch vermindert.

Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Zukunft? „Unsere Erkenntnisse können helfen, Medikamente zu entwickeln, die ganz gezielt den neu entdeckten Wirkmechanismus angreifen. Das könnte Menschen helfen, bei denen bisherige Medikamente nicht oder kaum gewirkt haben“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Claus Normann.

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