Interpharm-Vorschau

Antikörper zur Migräneprophylaxe – nur neu oder auch ein Therapiedurchbruch?

Stuttgart - 05.02.2019, 07:00 Uhr

Antikörper (rot) blockieren den CGRP-Rezeptor (blau), dass der natürliche Ligand CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide, gelb) nicht mehr binden kann. CGRP hat eine Schlüsselposition in der Migränepathologie. (j/Foto: imago)

Antikörper (rot) blockieren den CGRP-Rezeptor (blau), dass der natürliche Ligand CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide, gelb) nicht mehr binden kann. CGRP hat eine Schlüsselposition in der Migränepathologie. (j/Foto: imago)


Im vergangenen Jahr kam der erste CGRP-Antikörper auf den deutschen Markt, ein weiterer ist bereits zugelassen. Sie sind die ersten Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse, die spezifisch für die Migräneprophylaxe entwickelt wurde. Doch stellen die Antikörper auch einen therapeutischen Durchbruch dar, gab es hier ungedeckten Bedarf? Wir haben mit dem Bonner Pharmazeuten Professor Gerd Bendas gesprochen, der auf der Interpharm 2019 diese Wirkstoffklasse vorstellen wird.

DAZ.online: In Ihrem Interpharm-Vortrag wird es um CGRP-Antikörper gehen, die zur Migräneprophylaxe eingesetzt werden. Es handelt sich dabei um ein völlig neues Wirkprinzip. Stellen die Antikörper ihrer Meinung nach auch aus therapeutischer Sicht einen Durchbruch dar? Gab es hier einen ungedeckten Bedarf?

Bendas: Angesichts der hohen Prävalenz der Migräneerkrankung von über 10 Prozent und des Leidensdrucks der betroffenen Patienten existiert ohne Zweifel ein ungedeckter Bedarf in der Optimierung der Pharmakotherapie, insbesondere der medikamentösen Prophylaxe. Die hierfür bisher eingesetzten leitliniengerechten Wirkstoffe sind unter anderem bestimmte Betablocker, der Calciumantagonist Flunarizin oder die Antiepileptika Topiramat oder Valproinsäure, die aber eben nicht für diese Indikation entwickelt wurden. Trotz einer evidenzbasierten Wirksamkeit weisen sie diverse Anwendungsbeschränkungen für bestimmte Patienten und verschiedene Nebenwirkungen auf. Daraus resultiert eine bisher geringe Akzeptanz der medikamentösen Prophylaxe, Fachkreise sprechen von nur circa 20 Prozent der behandlungsbedürftigen Migränepatienten in der Prophylaxe. Auch die Adhärenz der Patienten in der Prophylaxe ist sehr gering. Dies könnte sich grundlegend durch die CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide)-Antikörper ändern. Durch die funktionelle Blockierung des CGRP wird erstmals eine Struktur gehemmt, die unmittelbar in die Migränepathologie eingebunden ist. Daher zeigen die Antikörper eine sehr gute Verträglichkeit und eine ausgesprochen geringe Nebenwirkungsrate. Durch die nur einmal monatliche subkutane Applikation durch die Patienten selbst resultiert hieraus eine wesentlich bessere Akzeptanz und Adhärenz der Patienten. Realistisch muss man aber feststellen, dass der therapeutische Erfolg etwas hinter den erhofften Erwartungen der Studien zurückblieb und die bisherigen Wirkstoffe in der Prophylaxe nicht überflügelt. Für den direkten Vergleich fehlen aktuell aber auch Studiendaten. Also, ist dies nun ein therapeutischer Durchbruch? Hinsichtlich der therapeutischen Wirksamkeit eigentlich nur bedingt; aber absolut in Hinblick auf eine akzeptierte und nebenwirkungsarme Prophylaxe der Patienten bei hoher Adhärenz.

Am 15. und 16. März findet in Stuttgart die Interpharm statt. Ein Themenblock des wissenschaftlichen Kongresses befasst mit den Wirkmechanismen innovativer Therapiekonzepte, unter anderem den CGRP-Antikörpern.

Das volle Programm und weitere Informationen finden Sie hier.

DAZ.online: Preislich spielen die Antikörper in einer ganz anderen Liga als andere, zum Teil auch gut erprobte Arzneimittel zur Migräneprophylaxe. Sollen die also erst zum Einsatz kommen, wenn alle anderen Möglichkeiten nicht wirksam waren? In der Zulassung gibt es so eine Einschränkung ja nicht.

Bendas: Das ist ein sehr entscheidender Punkt, der zweifelsohne die zukünftige therapeutische Anwendung der CGRP-Antikörper deutlich limitieren wird. Vergleicht man den ersten zugelassenen Antikörper Erenumab mit Propranolol oder Metoprolol hinsichtlich der Kosten in der Migräneprophylaxe, wird es in Anbetracht der bis zu 100fach höheren täglichen Therapiekosten des Antikörpers zwingend notwendig sein, über Preise zu reden. Aus der therapeutischen Zulassung ergeben sich diese Anwendungsbeschränkungen nicht. Entscheidend für eine mögliche Kostenerstattung und damit Anwendung in bestimmten Patientengruppen wird das gegenwärtig Bewertungsverfahren durch den Gemeinsamen Bundesausschuss sein. Der Hersteller hat hierfür eine vorerst zeitlich limitierte Erstattung der Therapiekosten für solche schwer betroffenen Migränepatienten beantragt, bei denen vorangegangene vier beziehungsweise fünf Therapieversuche der Prophylaxe (episodische beziehungsweise chronische Migräne) erfolglos verlaufen sind. 



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