T-Zell-Reaktivität vernachlässigt

SARS-CoV-2: Ist die Grundimmunität höher als angenommen?

Remagen - 14.10.2020, 07:00 Uhr

Die meisten Experten gehen aktuell davon aus, dass für eine Herdenimmunität gegenüber SARS-CoV-2 mindestens 60 Prozent der Menschen immun/geimpft sein müssen. Manche Wissenschaftler gehen von einer erheblich niedrigeren Herdenimmunitätsschwelle aus. Was steckt dahinter? (x / Foto: pinkeyes / stock.adobe.com)

Die meisten Experten gehen aktuell davon aus, dass für eine Herdenimmunität gegenüber SARS-CoV-2 mindestens 
60 Prozent der Menschen immun/geimpft sein müssen. Manche Wissenschaftler gehen von einer erheblich niedrigeren Herdenimmunitätsschwelle aus. Was steckt dahinter? (x / Foto: pinkeyes / stock.adobe.com)


Die weltweiten Reaktionen auf das neuartige Coronavirus gehen von der Annahme aus, dass das Virus ohne vorbestehende Immunität in die Bevölkerung gelangt ist, aber ist das tatsächlich der Fall? Und könnte, wenn das nicht zutrifft, die Schwelle für die Herdenimmunität deutlich niedriger liegen als bisher angenommen? Ein Mitherausgeber des British Medical Journal hat die wissenschaftliche Datenlage dazu näher in Augenschein genommen. 

Seroprävalenz-Untersuchungen zur Messung von Antikörpern sind bis dato die bevorzugte Methode, um zu messen, wie hoch der Anteil in einer bestimmten Population ist, der bereits mit SARS-CoV-2 infiziert wurde. Die Frage nach der Immunität oder gar einer etwaigen Herdenimmunität ist damit aber noch lange nicht beantwortet. Assistenzprofessor Peter Doshi, Mitherausgeber des British Medical Journal, setzt sich im BMJ mit der aktuellen Forschung zu diesem Thema auseinander. Er kommt zu dem Ergebnis, dass „Pandemieplaner“ einige grundlegende Annahmen zur Messung der Anfälligkeit der Bevölkerung für das Virus und zur Überwachung der Ausbreitung überdenken sollten. „Vielleicht war es ein wenig naiv, Messungen wie Serologietests durchzuführen, um festzustellen, wie viele Menschen mit dem Virus infiziert waren“, zitiert er den Immunologen Assistenzprofessor Marcus Buggert vom schwedischen Karolinska-Institut. „Vielleicht gibt es da draußen ja mehr Immunität.“

Laut Doshi haben mindestens sechs Studien SARS-CoV-2-reaktive T-Zellen bei Menschen ohne Exposition gegenüber dem Virus dokumentiert, und zwar bei 20 bis 50 Prozent der Untersuchten. In einer Studie mit Spenderblutproben, die zwischen 2015 und 2018 in den USA entnommen wurden, zeigten 50 Prozent verschiedene Formen der T-Zell-Reaktivität gegenüber SARS-CoV-2. In Singapur analysierte ein Team Proben von Personen ohne Kontakt oder persönliche Vorgeschichte mit SARS oder COVID-19. Zwölf von 26 Proben, die vor Juli 2019 entnommen worden waren, wiesen eine Reaktivität gegenüber SARS-CoV-2 auf, ebenso wie sieben von elf Personen, die gegen das Virus seronegativ waren. Als Ursprung eines solchen Immungedächtnisses werden sogenannte Erkältungs-Coronaviren vermutet, weil diese eng mit dem COVID-19-Erreger verwandt sind. Die Literaturberichte werfen für Doshi die Frage auf, wie neu das Pandemievirus wirklich ist. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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