Sozialgericht Karlsruhe

Kein Sativex, wenn es noch andere Behandlungsoptionen gibt

Berlin - 23.02.2022, 16:00 Uhr

Das Cannabis-Fertigarzneimittel Sativex müssen Kassen erst übernehmen, wenn eine andere Behandlungsmöglichkeit nicht besteht. (x / Foto: Almirall)

Das Cannabis-Fertigarzneimittel Sativex müssen Kassen erst übernehmen, wenn eine andere Behandlungsmöglichkeit nicht besteht. (x / Foto: Almirall)


Krankenkassen müssen erst dann für eine Versorgung mit Cannabisarzneimitteln aufkommen, wenn geeignete, allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende alternative Behandlungsmethoden nicht mehr zur Verfügung stehen. Das Sozialgericht Karlsruhe wies aus diesem Grund die Klage eines Versicherten ab, der von seiner Kasse mit Sativex versorgt werden will.

Seit knapp fünf Jahren können Patienten Medizinal-Cannabis auf Kassenkosten erhalten, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Anforderungen gibt § 31 Abs. 6 SGB V vor. Die Norm umfasst neben Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten auch Fertigarzneimittel wie Sativex. Doch die Patient:innen und ihre Behandler:innen haben es nicht immer leicht, die Krankenkassen davon zu überzeugen, dass in ihrem Fall die Voraussetzungen vorliegen.

§ 31 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch

Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn

1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung

a) nicht zur Verfügung steht oder

b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,

2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.

Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. (…)

Dass der Wunsch von Patienten, eine Cannabistherapie zu erhalten, oft größer ist als die Bereitschaft der Kassen, diese zu bezahlen, zeigen die zahlreichen Gerichtsentscheidungen zum Thema. Gerade die Frage, wann eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, beschäftigt die Sozialgerichte der Republik immer wieder. Ihre Urteile fallen dabei je nach Einzelfall unterschiedlich aus.

Das Sozialgericht Karlsruhe hat nun über die Klage eines 27-jährigen Auszubildenden gegen seine Krankenkasse entschieden. Bei dem Mann hatten die behandelnden Ärzte ein chronisches Schmerzsyndrom diagnostiziert: Er leidet unter starken dauerhaften Schmerzen, vor allem im Bereich des unteren Rückens mit Ausstrahlungen in beide Beine. Die zunächst verschriebenen Schmerzmittel führten nicht zur erhofften Linderung der Schmerzsymptomatik. Der behandelnde Arzt verordnete dem Kläger deshalb Sativex – ein Fertigarzneimittel in Form eines Mundsprays, das Cannabisextrakte enthält und üblicherweise zur Behandlung von Multipler Sklerose verwendet wird. Mit dieser Medikation konnte eine deutliche Schmerzlinderung erreicht werden.

Die Kasse zeigte sich dennoch nicht bereit, die Kosten zu übernehmen. Sie verwies auf alternative Behandlungsmöglichkeiten, die noch nicht ausgeschöpft seien. In Betracht kämen etwa eine sogenannte multimodale Therapie, ein aktivierendes Training, Rehabilitationsbehandlungen und eine psychotherapeutische Mitbehandlung.

Das Sozialgericht Karlsruhe gab der Krankenkasse recht. Eine Versorgung mit Cannabisarzneimitteln komme nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen in Betracht. Diese seien im Fall des Klägers nicht erfüllt. Hier mangelt es auch schon an einer „richtigen“ Verordnung – der behandelnde Arzt hatte nämlich lediglich ein Privatrezept ausgestellt. Aber das Gericht meint auch, dass die Behandlungsmöglichkeiten noch keineswegs ausgeschöpft seien. Stünden noch verschiedene allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmöglichkeiten als Alternative zur Verfügung, sei eine Versorgung mit Cannabisarzneimitteln nach geltender Gesetzeslage ausgeschlossen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; es kann vom Kläger mit der Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart angefochten werden.

Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2022, Az.: S 15 KR 2520/20


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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