- DAZ.online
- News
- Spektrum
- Tropfen zum Glück
Nur ein paar Tropfen einer gering dosierten Arznei täglich und man fühlt sich besser, arbeitet konzentrierter, lebt angstfrei und ist von Kopfschmerzen erlöst. Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Aber genau das verspricht das Microdosing, der Konsum geringer Dosen Psychedelika. Lange Zeit war die Forschung an diesen psychotropen Wirkstoffen politisch eingeschränkt, nun gewinnen die Substanzen wieder an Interesse. Halten die Versprechen der Microdoser der wissenschaftlichen Überprüfung stand?
Beim sogenannten Microdosing handelt es sich um ein relativ junges Phänomen. In Deutschland beispielsweise steigen die Google-Suchanfragen zu diesem Thema seit 2014 stetig an. Ein Microdoser nimmt geringe Dosen an psychedelisch wirksamen Substanzen ein, die keine oder nur minimal wahrnehmbare akute Effekte bzw. zumindest keine halluzinogene Wirkung mehr hervorrufen.
Lysergsäureethylamid (LSD) und psilocybinhaltige Pilze (Magic Mushrooms) sind zwar die am meisten zum Microdosing verwendeten Psychedelika, aber auch andere Substanzen wie Mescalin (3,4,5-Trimethoxyphenethylamin) aus dem Peyote-Kaktus, MDMA (3,4-Methylendioxy-N-methyl- amphetamin) und Ayuhuasca (Pflanzensud aus der Liane Banisteriopsis caapi und N,N-Dimethyl-tryptamin-haltigen Blättern des Kaffeestrauchgewächses Psychotria viridis) kommen ebenso zum Einsatz. Alle teilen aber eine strukturelle Verwandschaft zu dem Neurotransmitter Serotonin. Die psychedelischen Wirkungen, die mit hohen Dosen auftreten, werden deshalb auch hauptsächlich über den 5-HT2A-Rezeptor vermittelt.
Solch ein Drogentrip ist aber nicht das Ziel der Microdoser. Statt nach Selbstentgrenzung suchen sie nach Selbstoptimierung. In Umfragen berichten sie, dass sie der Konsum der geringen Psychedelikadosen mit Energie auflädt und sie konzentrierter und effektiver arbeiten lässt. Selbst Migräneattacken gehörten durch das Microdosing der Vergangenheit an.
Mehr zum Thema
Schnelle und anhaltende Wirkung
Psilocybin bei schweren Depressionen
Neue Netzwerke entstehen
Wie verändert Psilocybin das Gehirn bei Depression?
Was Microdosing praktisch für den Einzelnen bedeutet, buchstabiert jeder Konsument für sich selber aus. LSD beispielsweis, welches meist in Form von Blottern, also LSD-haltigem Filterpapier gehandelt wird, wird von den Microdosern entsprechend ihrer persönlichen Dosis (meist 5 – 10 µg) zerschnitten oder in Wasser oder Alkohol wieder aufgelöst und über das entsprechende Volumen dosiert. Pilze wiederum werden in Teilen gegessen oder zerhackt, verkapselt und eingenommen. Wie hoch so eine Mikrodosis letztendlich ausfällt und wie oft sie konsumiert wird, beispielsweise täglich oder alle zwei Tage oder ganz anders, das findet jeder Microdoser für sich selbst heraus.
Beruhen die Effekte des Microdosings nur auf dem Placebo-Effekt?
Diese vielfältigen Optionen des Microdosings machen es Wissenschaftlern natürlich schwer, das Verfahren zu überprüfen. Eine britische Arbeitsgruppe hatte deshalb die Idee, die Microdoser selbst ihre Praxis verblinden zu lassen. 246 Teilnehmer füllten ihre üblichen Mikrodosen (in den meisten Fällen LSD oder Pilze) in Kapseln und packten sie mit Placebos in bestimmten Mustern in codierte Briefumschläge, die ihnen zur Hälfte dann in einem semi-zufälligen Verfahren wieder zugelost wurden. Die Wissenschaftler etablierten so ein placebokontrolliertes Microdosing-Verfahren über vier Wochen mit zwei Microdosings pro Woche. Die Ergebnisse schienen auf den ersten Blick alle Versprechen der Microdoser einzulösen. Die Teilnehmer fühlten sich über die Dauer der Studie immer besser, zufriedener und achtsamer – nur, dass auch die Placebo-Teilnehmer an diesem Glück teilhatten. Die Probanden waren verblüfft: So konzentriert wie während der Studien und so lebhaft war seine Farbwahrnehmung noch nie, berichtet ein Teilnehmer aus der Placebogruppe. Beruhen die Effekte des Microdosings also nur auf dem Placebo-Effekt?
Nutzen derzeit weder widerlegt, noch bewiesen
Diese Studie kratzt nur an der Oberfläche der Thematik.Ein Nutzen des Microdosings kann derzeit weder widerlegt noch bewiesen werden. Was genau eine Mikrodosis ausmacht, welche neurologischen Effekte tatsächlich nachgewiesen sind und wie es mit der Sicherheit der Praxis aussieht, können Sie in der aktuellen DAZ 2022, Nr. 22 S. 44 erfahren.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.