Nach Apotheker-Kritik

Rbb-Programmchef bezieht Stellung zu umstrittenem Homöopathie-Beitrag

Berlin - 28.06.2022, 17:29 Uhr

Die Homöopathie-Regale in den Apotheken sind nicht von allen gern gesehen. (c / Foto: Adobe Stock / Gerhard Seybert)

Die Homöopathie-Regale in den Apotheken sind nicht von allen gern gesehen. (c / Foto: Adobe Stock / Gerhard Seybert)


Der Beitrag „Gefährliche Homöopathie und die Rolle der Apotheker“ des Politmagazins „Kontraste“ sorgte im Mai für Aufsehen. In einem ausführlichen Brief kritisierte ein Apotheker aus Westfalen-Lippe die Darstellung als überspitzt – nun äußert sich rbb-Programmchef Jan Schulte-Kellinghaus zu den Vorwürfen und räumt punktuell Unschärfen ein.

An der Homöopathie scheiden sich die Geister. Während die einen das Geschäft mit den Globuli für reine Geldmacherei halten, glauben andere fest daran, dass Kügelchen, Dilutionen und Co. eine besonders nebenwirkungsarme Alternative zur Schulmedizin seien und verzichten zugunsten homöopathischer Mittel sogar bei schweren Erkrankungen auf Therapien mit belegtem Nutzen. Mit diesem Spannungsfeld beschäftigte sich ein Beitrag im Politmagazin „Kontraste“ vom 19. Mai dieses Jahres.

Darin ging es insbesondere auch um die Rolle der Apotheker:innen, die solche Präparate verkaufen: Dem Beitrag zufolge sind sie über ihre Berufsordnungen verpflichtet, in jedem Beratungsgespräch zu einem homöopathischen Mittel darüber aufzuklären, dass eine Wirksamkeit dieses Produkts über den Placeboeffekt hinaus bisher nicht belegt ist. Dieser Pflicht kämen sie oftmals nicht nach. Zudem sei es ihnen nach dem Heilmittelwerbegesetz verboten, im Zusammenhang mit Homöopathika konkrete Indikationen zu nennen.

Ein Apotheker wehrt sich

Das sieht ein Apotheker aus Westfalen-Lippe anders – in einem ausführlichen Brief an den SWR-Intendanten Kai Gniffke wehrt er sich gegen diese Auslegung der Vorschriften, die aus seiner Sicht unzutreffend ist. Weder könne das Heilmittelwerbegesetz (HWG) unmittelbar auf das persönliche Beratungsgespräch angewendet werden, noch sehen die apothekerlichen Berufsordnungen vor, dass Apo­theker eine verpflichtende Bewer­tung der verfüg­baren wissen­schaftlichen Evidenz in jede Beratung einschließen müssen. Zudem, schreibt der Apotheker, werde die Gefährlichkeit dieser Produktgruppe überspitzt dargestellt. Sie sei nicht als Alternative zu einer wirksamen schulmedizinischen Behandlung einzusetzen, sondern als Add-on – so könne sie zumindest keinen Schaden anrichten.

Nun antwortet ihm zuständigkeitshalber der Programmchef des rbb, Jan Schulte-Kellinghaus, auf seine Zuschrift. „In Ihrem Schreiben legen Sie ausführlich dar, inwiefern Sie die Berichterstattung der ‚Kontraste‘-Redaktion für kritikwürdig halten und stellen am Ende die Frage, ob die Sendung den Ansprüchen an ‚seriöse Information des öffentlich-rechtlichen Rundfunks‘ entspricht“, fasst Schulte-Kellinghaus zusammen. „Gern habe ich Ihre Kritikpunkte aufgenommen und darüber ausführlich mit der Redaktion gesprochen.“

„Ergebnisoffen und aufwendig recherchiert“

Grundsätzlich stellt sich der Programmchef hinter die Redaktion: „Aus meiner Perspektive hat die Redaktion auch bei diesem Beitrag ergebnisoffen und aufwendig recherchiert“, betont er. Was die Gefährlichkeit von Homöopathika betrifft, zeige der Beitrag zunächst, dass „in manchen Apotheken Homöopathika als (alleinige) Alternative zu herkömmlichen Arzneimitteln empfohlen werden, auch bei schweren Erkrankungen wie etwa Corona. Das, so die Meinung der Redaktion, ist problematisch, weil die alleinige Einnahme von Homöopathika bei ernsthaften Erkrankungen auch schwerwiegende Folgen haben kann – etwa, weil andere geeignete Therapien unterbleiben.“ 

Dabei gehe die Gefahr nicht von den homöopathischen Mitteln selbst aus, sondern vom Umgang mit diesen. „In diesem Sinn hat die Redaktion den Begriff ‚gefährlich‘ verwendet. Das halte ich grundsätzlich für vertretbar.“ Dennoch haben die Anmerkungen des Apothekers in seinen Augen offenbar eine gewisse Berechtigung. „Ihre Kritik, der Beitrag habe diese Ebenen nicht deutlich genug unterschieden, nehme ich sehr ernst und habe das auch gegenüber der Redaktion so geäußert“, schreibt Schulte-Kellinghaus.

Fordern die Berufsordnung einen Hinweis auf fehlende Evidenz?

Sauer aufgestoßen war dem Apotheker vor allem die Einschätzung, der Berufsstand sei nach seinen Berufsordnungen dazu verpflichtet, bei der Beratung stets darauf hinzuweisen, dass es an Evidenz bezüglich der Wirksamkeit bei Homöopathika mangelt. Hierzu zitiert Schulte-Kellinghaus aus der Berufsordnung der Apothekerkammer Berlin:


I. Allgemeine Grundsätze der Berufsausübung
§ 1 Aufgaben der Apothekerin und des Apothekers

(1) Apothekerinnen und Apotheker haben die öffentliche Aufgabe, die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Sie beraten über Wirkungen und Risiken von Arzneimitteln und Medizinprodukten und ihre sachgemäße Anwendung.


§ 2 Gewissenhafte Berufsausübung
 Apothekerinnen und Apotheker haben den Beruf gewissenhaft auszuüben und dabei den Stand von Wissenschaft und Technik zu beachten. 
II. Pflichten gegenüber Patientinnen und Patienten

§ 7 Beratung

(1) Apothekerinnen und Apotheker haben die Pflicht, Patientinnen und Patienten über Arzneimittel und Medizinprodukte herstellerunabhängig aktiv zu beraten und zu informieren.“
 

Berufsordnung der Apothekerkammer Berlin


Der Programmchef erläutert: „Daraus ergibt sich, so die Einschätzungen der Redaktion und zahlreicher Experten, dass Apothekerinnen und Apotheker die Kunden aktiv über die Wirkung von Arzneimitteln nach dem Stand der Wissenschaft beraten sollen. Dies beinhalte auch, dass fehlende Erkenntnisse über eine Wirkung eines Arzneimittels dem Kunden nicht unterschlagen werden dürften.“

Darf man bei der Beratung Indikationen nennen?

Auch auf das Nennen von Indikationen im Beratungsgespräch geht Schulte-Kellinghaus ein – allerdings nur punktuell. In seinem Brief hebt der Apotheker hervor, dass es durchaus homöopathische Präparate gibt, die eine Zulassung und damit auch eine Indikation besitzen. „Das trifft so zu“, räumt Schulte-Kellinghaus ein. „Allerdings waren diese wenigen Ausnahmen nicht Gegenstand der Berichterstattung, denn bei diesen handelt es sich nicht um klassische Homöopathika. Der Beitrag bezog sich auf hochverdünnte, registrierte Homöopathika, wie sie landläufig bekannt sind (im Sinne Samuel Hahnemanns).“ Auf den Hinweis, das HWG ließe sich nicht eins zu eins auf das apothekerliche Beratungsgespräch anwenden, geht er nicht ein.

Zusammenfassend hält er fest, dass der Beitrag sich „kritisch mit dem Umgang mancher Apotheker mit hochverdünnten homöopathischen Mitteln“ auseinandersetze. Dies könne gesundheitsgefährdende Folgen haben. „Ausgangspunkt dieser Kritik waren die investigativen Recherchen der Redaktion in Apotheken im gesamten Bundesgebiet. Dass es sehr wohl auch viele andere Apothekerinnen und Apotheker gibt, die sich beim Verkauf von Homöopathika verantwortungsbewusst verhalten, ist selbstverständlich richtig und hätte im Beitrag deutlicher angesprochen werden können. Dies ist ein Punkt, den ich sehe und den ich gegenüber den Autoren auch angesprochen habe.“

Passiert immer wieder, aber nicht immer und überall

Die beanstandeten Aussagen, Homöopathie bei schweren Erkrankungen einzusetzen, sei per se gefährlich und in der Berufsordnung für Apotheker sollte ein verpflichtender Hinweis auf wissenschaftliche Beratung zu homöopathischen Arzneimitteln enthalten sein, habe er so jedoch nicht finden können. „Hingegen heißt es etwa im Beitrag: ‚Immer wieder klären Apotheker ihre Kunden nicht wissenschaftlich auf‘– es wird also explizit gesagt, dass dies‚ immer wieder‘ passiert, jedoch selbstverständlich nicht immer oder überall.“

Für den Programmchef ist es unbestritten, dass „Kontraste“ für seriöse Informationen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stehe. „Allerdings ist ‚Kontraste‘ ein investigatives Politikmagazin, das in der Regel keine nachrichtlichen Stücke produziert, sondern Hintergründe aufdeckt, Zusammenhänge erklärt und immer wieder auch Stellung bezieht“, ordnet er ein. „Dabei legen die Kolleginnen und Kollegen der Redaktion auch den Finger in die Wunde, decken Missstände auf und formulieren zugespitzt. In dem von Ihnen kritisierten Film hätte die Redaktion an der einen oder anderen Stelle möglicherweise deutlicher auf Unterschiede hinweisen können.“ Dennoch versichert Schulte-Kellinghaus, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk und insbesondere auch der rbb regelmäßig darüber berichtet, wie homöopathische Mittel sehr wohl als Placebo Patientinnen und Patienten helfen können – etwa im Jahr 2020 in dem Film „Die Wahrheit über Homöopathie“.


Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Kommentar des RBB-Programmchefs

von Dorf-Apothekerin am 29.06.2022 um 16:35 Uhr

Die Aussage "fehlende Erkenntnisse über die Wirkung eines Arzneimittels" macht deutlich, wie wenig die Redaktion sich mit der Homöopathie an sich auseinandergesetzt hat. Die Menge der Literatur, die eben diese Erkenntnisse liefert ist grenzenlos. Nur ist es eine Erfahrungsmedizin, die so individuell angepasst werden muß, dass sie mit den Prüfkriterien der Gießkannenmedizin nicht erfasst werden kann. Die Unfähigkeit Prüfkriterien zu entwickeln sagt aber noch nichts über die Wirkung dieser Methode aus.
Ich gehe z.B. so weit zu sagen: Das Fehlen von Arnica D200 als add on in den Rettungsfahrzeugen kommt unterlassener Hilfeleistung gleich. Die Zahl der Unfalltoten und die Intensität der Unfallfolgen würde deutlich reduziert werden.
Die Anzahl der Arztpraxen, die beide Methoden sinnvoll kombiniert haben und deshalb nicht enden wollenden Zulauf hatten, sinkt leider zu Lasten einer Hochleistungsmedizin, die mit alltäglichen Problemen nicht mehr umgehen kann.
Anstatt nur über die Gefährlichkeit von einseitigen Therapien zu recherchieren, wäre es klüger gewesen, sich ein Bild über die Menge der Anlaufstellen im Gesundheitswesen zu machen, die erstaunliche Ergebnisse bringen, weil sie in Kenntnis von Möglichkeiten und Grenzen beider Methoden die individuellen Therapien geschickt ausgelotet haben.

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