Untersuchungen von Greifswalder Forschern

Thromboserisiko anscheinend ausschließlich bei Vektorimpfstoffen

Düsseldorf - 05.07.2022, 10:45 Uhr

Die seltenen thrombotischen Erkrankungen betreffen Impfstoffe auf Adenovirus-Vektorbasis, also AstraZeneca und Johnson & Johnson. (Visualisierung: Tatiana Shepeleva / AdobeStock) 

Die seltenen thrombotischen Erkrankungen betreffen Impfstoffe auf Adenovirus-Vektorbasis, also AstraZeneca und Johnson & Johnson. (Visualisierung: Tatiana Shepeleva / AdobeStock) 


Die Forscher der Universitätsmedizin Greifswald haben nach der Aufklärung der Ursache von Hirnvenenthrombosen nach COVID-19-Impfungen nun mit einer Studie zeigen können, dass allein das Impfstoffdesign der Vektorimpfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson die sehr seltene Impfnebenwirkung auslösen kann. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt im „New England Journal of Medicine“.

Sinusvenenthrombose nach COVID-19-Impfung – diese sehr seltene Impfkomplikation brachte im März 2021 Unruhe in die COVID-19-Impfkampagne. Die Impfung mit dem Vektorimpfstoff von AstraZeneca, der mittlerweile den Namen Vaxzevria trägt, wurde unterbrochen und schließlich nur noch für Personen über 60 Jahren empfohlen.

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Unter anderem Forscher aus der Gruppe um Professor Andreas Greinacher, Leiter des Institutes für Transfusionsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald, hatten die Ursachen der impfstoffinduzierten immunthrombotischen Thrombozytopenie (Vaccine-induced immune thrombotic thrombocytopenia VITT) aufklären können und einen Labortest sowie eine Behandlungsmöglichkeit entwickelt.

Nun veröffentlichten die Forscher im Fachmagazin „New England Journal of Medicine“ die Ergebnisse einer Studie, die belegen, dass ausschließlich das Impfstoffdesign der Vektorimpfstoffe Vaxzevria und Jcovden (COVID-19-Impfstoff Ad26.COV2-S von Johnson & Johnson) verantwortlich ist für die sehr seltene Nebenwirkung – und nicht das Spike-Protein oder eine SARS-CoV-2 Infektion.

Anti-PF4-Antikörper lösen die Thrombose aus

Als Ursache hatten die Forscher festgestellt, dass Antikörper gegen das Thrombozytenprotein Plättchenfaktor 4 (PF4) gebildet werden, die die Blutgerinnung stark aktivieren. Die Antikörper werden durch Bestandteile im Impfstoff, die sich an PF4 binden, ausgelöst.

Mit einer Studie an 69 Patienten aus ganz Deutschland, die eine VITT durchgemacht hatten, konnte nun die Erstautorin der Veröffentlichung, die Ärztin Dr. Linda Schönborn aus Greinachers Team, „sicher widerlegen“, dass diese Antikörper die Folge einer Immunantwort gegen das SARS-CoV-2 oder gegen das in allen Vakzinen direkt oder indirekt enthaltene Spike-Protein des Virus sind.

„Von den 69 VITT-Patienten haben elf Frauen und Männer im weiteren Verlauf eine COVID-19-Erkrankung durchlaufen. Bei keinem der Patientinnen und Patienten stiegen nach COVID-19 die Anti-PF4-Antikörper wieder an. Niemand entwickelte erneut eine Thrombozytopenie oder eine neue Thrombose“, erklärt Schönborn.

Studie mit VITT-Überlebenden belegt Unabhängigkeit der Anti-PF4-Antikörper vom Spike-Protein

„Wenn beide Immunantworten miteinander verbunden wären, müssten VITT-Überlebende mit einer COVID-19-Erkrankung einen Anstieg der Anti-PF4-Antikörper zeigen, der möglicherweise sogar eine Thrombozytopenie und Thrombose erneut auslöst. Das geschieht jedoch nicht. Damit gibt es nach bisherigen laborbasierten Studienergebnissen nun erstmals auch den wissenschaftlichen Nachweis anhand tatsächlich erkrankter Menschen, der einen Zusammenhang zwischen der Anti-SARS-CoV-2- und der Anti-PF4-Immunantwort ausschließt“, sagt sie.

Die Forscher nahmen dazu in regelmäßigen Abständen Blutproben der 69 Patienten und erhoben den Antikörperstatus. Die Ergebnisse stellten klar, dass die seltenen thrombotischen Erkrankungen allein ein Problem der Zusammensetzung der Impfstoffe auf Adenovirus-Vektorbasis, also AstraZeneca und Johnson & Johnson, sind, die durch eine Modifizierung der Impfstoffe ausgeräumt werden könnten, erklären die Forscher.

Außerdem erhoben die Mediziner, wie viele der 69 Patienten nach ihrer ersten Impfung mit AstraZeneca oder Johnson & Johnson eine zweite oder auch dritte Impfung mit einem mRNA-Impfstoff (Pfizer/Biontech oder Moderna) erhielten und wie viel dennoch an COVID-19 erkrankten. 45 Patienten erhielten so weitere Impfungen, 14 davon auch die dritte. Von den nicht zusätzlich geimpften 24 Patienten erkrankten sieben mild an COVID-19, von den 45 zusätzlich Geimpften nur zwei (ebenfalls mild). Darrus ziehen die Greifswalder den Schluss, dies unterstütze das Konzept, VITT-Betroffenen weitere Impfungen gegen COVID-19 mit einem mRNA-Impfstoff anzubieten. 

„Unser Befund, dass COVID-19 bei VITT-Patienten keine Anti-PF4-Antikörper reaktiviert und Thrombosen auslöst, liefert weitere Einblicke in die Entstehung, Entwicklung und Behandlung von VITT und erleichtert die Entscheidungsfindung bezüglich einer weiteren COVID-19-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff“, sagt Greinacher.

Kritische Komponente in den Vektorimpfstoffen ist noch unbekannt

Was genau allerdings die kritische Komponente in den adenovirusbasierten Vektorimpfstoffen ist, sei noch nicht identifiziert. „Dieses ist im Moment noch unklar und Gegenstand aktiver Forschung“, sagt Greinacher. Als weitere Forschung müsse da zunächst der Faktor identifiziert werden, der mit PF4 Komplexe bildet. „Dabei insbesondere der AstraZeneca-Impfstoff weit über 1.000 Proteine enthält, die aus der Zelllinie stammen, in denen das Virus vermehrt wird, ist es eine Herausforderung, den eigentlichen Bindungspartner von PF4 zu finden“, sagt der Professor.

„Grundsätzlich erfordere es weitere Forschung, um den Faktor im Adenovirus-basierten Impfstoffen zu identifizieren, welcher die Immunreaktion auslöst, um dann Strategien zu entwickeln, um den Impfstoff möglicherweise zu verändern“, sagt er.

„Wir versuchen derzeit den Bindungspartner von PF4 zu finden, welcher zur Konformationsänderung führt, der die Immunreaktion ausgelöst und versuchen die Immunzellen besser zu verstehen, die an der unerwünschten Impfnebenwirkung beteiligt sind“, erklärt er die nächsten Ziele seiner Forschungsgruppe.

Das Konzept der Vektorimpfstoffe auf Basis von Adenoviren findet auch Anwendung unter anderem beim russischen Sputnik V-Impfstoff gegen COVID-19 oder auch beim Ebola-Impfstoff cAd3-ZEBOV von GlaxoSmithKline. „Zu unerwünschten Wirkungen des Sputnik V-Impfstoff gibt es keine Information. Auch zum Ebolaimpfstoff gibt es keinen Hinweis auf eine VITT, aber die Anzahl der geimpften Patienten ist gering und aus Ländern in denen Ebola geimpft wird gibt es auch keine Meldungen einer VITT, obwohl in diesen Ländern nahezu ausschließlich der AstraZeneca-Impfstoff verwendet wird. Wir wissen derzeit nicht, ob dieses darauf beruht, dass die Patienten nicht erkannt werden, oder ob vielleicht ein Schutzfaktor vorliegt“, sagt der Professor.

Wirkweise Vektorimpfstoffe

Auch Vektorimpfstoffe wie Vaxzevria von AstraZeneca oder Jcovden von Johnson & Johnson sind keine klassischen Impfstoffe, bei denen dem Immunsystem direkt ein Antigen präsentiert wird. Ganz ähnlich wie die mRNA-Impfstoffe von Biontech oder Moderna transportieren auch diese Vakzinen zunächst die Bauanleitung für das Spike-Protein des SARS-CoV-2 in Muskelzellen, wo das Protein dann synthetisiert und auf der Zelloberfläche dem Immunsystem dargeboten wird. Als Vektor fungieren bei Vaxzevria und Jcovden allerdings nicht wie bei den mRNA-Impfstoffen Lipidhüllen, sondern die entkernten Hüllen von Adenoviren (die in ihrer aktiven Form insbesondere grippale Infekte und ähnliche Erkrankungen auslösen). Die Adenoviren werden biotechnologisch hergestellt. Die Impfkomplikation der potenziell tödlich verlaufenden Sinusvenenthrombose ist sehr selten. Ihre Häufigkeit wird im Bereich von 1 auf 100.000 Geimpften geschätzt.


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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