Warnung des PRAC

Meningeome unter Belara und Zoely

Stuttgart - 12.07.2022, 15:15 Uhr

Vorsicht bei der Empfängnisverhütung: Belara und Zoely sollten nicht zu lange angewendet werden. (s / Packshots - Belara: Gedeon Richter Pharma GmbH, Zoely: MSD)

Vorsicht bei der Empfängnisverhütung: Belara und Zoely sollten nicht zu lange angewendet werden. (s / Packshots - Belara: Gedeon Richter Pharma GmbH, Zoely: MSD)


Der Pharmakovigilanzausschuss der EMA empfiehlt, bei der Anwendung von Hormonpräparaten mit den Gestagenen Chlormadinon und Nomegestrol, die niedrigste Dosierung einzusetzen und die Einnahme so kurz wie möglich zu halten. Was steckt hinter dieser Empfehlung? 

Grund für die am 8. Juli 2022 ausgesprochene Empfehlung ist ein erhöhtes Risiko von Meningeomen, die dem PRAC – dem für die Risikobewertung von Arzneimitteln zuständigen Ausschuss der EMA – unter Behandlung mit Chlormadinon und Nomegestrel aufgefallen sind. Konkret kam der Risikoausschuss zu dieser neuen Einschätzung, nachdem er zwei epidemiologische Studien aus Frankreich und zudem Sicherheitsdaten über Nebenwirkungen, die seit Zulassung der Gestagen-haltigen Arzneimittel fortlaufend erhoben werden, analysiert hatte. 

Und: „Diese Daten haben gezeigt, dass das Risiko für Meningeome mit zunehmender Dosis und Behandlungsdauer steigt“, schreibt der PRAC. Dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer Behandlung mit hochdosiertem Chlormadinon oder Nomegestrol und Meningeomen vorliegt, passt auch zu der Beobachtung, dass nach Absetzen der Gestagene die Meningeome wieder kleiner wurden. 
Bei hochdosiertem Chlormadinon denkt der PRAC an tägliche Dosen von 5 mg bis 10 mg und bei Nomegestrol von 3,75 mg bis 5 mg.

Was ist ein Meningeom?

Bei einem Meningeom handelt es sich um einen Hirntumor, der aus der Hirnhaut entsteht. In aller Regel ist er gutartig, wächst langsam und hat eine günstige Prognose. Allerdings kann die Lage des Meningeoms im Gehirn und Rückenmark – trotz überwiegender Gutartigkeit – in „seltenen Fällen ernste Probleme“ verursachen, erklärt der PRAC.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterteilt Meningeome in drei Grade:

  • WHO-Grad I: >85 Prozent aller Meningeome, gutartig, operativ meist komplett entfernbar und prognostisch günstig.
  • WHO-Grad II: etwa 10 Prozent aller Meningeome, erhöhtes Wachstumspotenzial, hohe Rezidivrate nach OP.
  • WHO-Grad III: 2–3 Prozent aller Meningeome, sogenanntes anaplastisches Meningeom, bösartig, Metastasierung möglich, Strahlentherapie postoperativ indiziert, ungünstige Prognose.

Als Risikofaktoren für ein Meningeom zählt den Wissenschaftlern der französischen epidemiologischen Studien zufolge Alter (vor allem ab 50 Jahren), weibliches Geschlecht, eine Neurofibromatose Typ 2 (erbliche Tumorerkrankung), eine Strahlenbehandlung des Gehirns im Kindesalter sowie endogene Sexualhormone und Gestagene. So sei ein möglicher Zusammenhang zwischen Sexualhormonen und Meningeomen seit langem bekannt und lasse sich dadurch erklären, dass vorwiegend Frauen (und weniger Männer) ein Meningeom entwickeln, sowie dass auch eine Schwangerschaft das Wachstum eines Meningeoms beschleunigen könne (nach Entbindung nimmt die Wachstumsgeschwindigkeit hingegen wieder ab). 

In 60 bis 80 Prozent der Meningeome ließen sich zudem Progesteronrezeptoren im Tumorgewebe nachweisen, was auch von der Lokalisation des Tumors abhängt. So sollen vor allem Meningeome an der Schädelbasis über viele Progesteronrezeptoren verfügen, was den Wissenschaftlern der französischen Studie zu Nomegestrol und zu Chlormadinon zufolge auch zu ihrer Beobachtung passt: Unter Nomegetrolacetat (3,75 mg bis 5 mg) und Chlormadinonacetat (5 mg bis 10 mg) herrschten Meningeome der Schädelbasis vor.

Da Meningeome meist langsam wachsen, können Symptome – wie Kopfschmerzen, Gang-, Seh-, Sprech- und Sensibilitätsstörungen oder neurologische Ausfälle wie Krampfanfälle – erst im Verlauf der Erkrankung auftreten.

So wenig und so kurz wie möglich 

Der PRAC empfiehlt nun, dass Ärzte und Ärztinnen diese beiden synthetischen Gestagene nun noch verordnen sollen, wenn sich andere Gestagene oder Maßnahmen für die Behandlung der vorliegenden gynäkologischen Beschwerden nicht eignen. Sodann sollen Patientinnen Chlormadinon und Nomegestrol in der niedrigsten wirksamen Dosis für die kürzestmögliche Zeit anwenden. Zudem dürfen Patientinnen, die bereits an einem Meningeom leiden, weder Chlormadinon noch Nomegestol erhalten.

Auf Meningeome überwachen

Für sinnvoll erachtet es der Risikoausschuss zudem, wenn Patientinnen unter Chlormadinon- beziehungsweise Nomegestrol-Therapie auf typische Meningeomsymptome überwacht werden, also Sehveränderungen, Hörverlust oder Ohrensausen, Geruchsverlust, Kopfschmerzen, Gedächtnisverlust, Krampfanfälle und Schwäche in Armen oder Beinen gehören können. Lässt sich ein Meningeom nachweisen, müssen die Patientinnen ihre Chlormadinon- oder Nomegestrol-Therapie „dauerhaft“ absetzen. Der PRAC will zudem, dass alle Produktinformationen Chlormadinon- und Nomegestrol-haltiger Arzneimittel – so nicht bereits aufgeführt – über die mögliche Nebenwirkung der Gestagene informieren.

Wo werden Chlormadinon und Nomegestrol angewendet?

Eingesetzt werden die Gestagene Chlormadinon und Nomegestrol bei gynäkologischen Erkrankungen – wie Amenorrhoe (Ausbleiben der Periode), anderen Menstruationsstörungen, Endometriose, Gebärmutterblutungen, Hormonersatztherapie oder zur Verhütung. Chlormadinon gibt es als Monopräparat – z. B. Chlormadinon 2 mg fem Jenapharm zur Hormonersatztherapie oder bei Menstruationsbeschwerden oder Mastodynie (Spannungsgefühle Brust) – oder in zahlreichen Präparaten in Kombination mit Ethinylestradiol (z. B. Belara®, Bellissima®, Monahexal®) zur Empfängnisverhütung. Nomegestrol findet sich als Gestagen derzeit in Kombination mit Estradiol nur in einem Arzneimittel: in der Antibabypille Zoely®.

Frankreich hat Risikoüberprüfung angestoßen 

Das Verfahren zur Sicherheitsbewertung Chlormadinon- und Nomegestrol-haltiger Arzneimittel hat der PRAC bereits am 1. Oktober 2021 gestartet – auf Drängen der französischen Arzneimittelbehörde (ANSM, Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé). Nun leitet der PRAC seine Einschätzung an einen weiteren Ausschuss bei der EMA weiter, den Humanarzneimittelausschuss (CHMP), der sodann eine endgültige Stellungnahme der EMA abgibt. Eine rechtgültige Entscheidung trifft am Ende die Europäische Kommission.


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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