Forschungsprojekt

EU-Millionen für mehr Sicherheit bei der Polymedikation

Düsseldorf - 20.07.2022, 15:15 Uhr

Je mehr Arzneimittel desto mehr potenzielle Probleme. das Projekt SafePolyMed befasst sich der Verbesserung der Sicherheit. (Foto: mirsad/AdobeStock)

Je mehr Arzneimittel desto mehr potenzielle Probleme. das Projekt SafePolyMed befasst sich der Verbesserung der Sicherheit. (Foto: mirsad/AdobeStock)


Mit Fördergeld der EU forschen in den kommenden dreieinhalb Jahren internationale Wissenschaftler im Projekt „SafePolyMed – Verbesserung der Sicherheit bei der Polymedikation durch Management von Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Genen“. Koordiniert wird das Projekt im Saarland

5.650.442,81 Euro – exakt so viel Geld aus dem EU-Programm Horizon Europe steht für ein neues Forschungsprojekt zur Verfügung, bei dem „die Sicherheit bei der Polymedikation“ verbessert werden soll, und zwar durch „Management von Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Genen“. SafePolyMed  heißt das auf dreieinhalb Jahre angelegte internationale Forschungsprojekt, an dem Wissenschaftler aus Deutschland, Estland, Finnland, Griechenland, Slowenien und den Niederlanden beteiligt sind. Als ein Ergebnis wollen die Forscher so zukünftig ein webbasiertes Risikobewertungssystem zur Verfügung stellen, mit dem Ärzte, Apotheker und Patienten das Risiko für unerwünschte Wechselwirkungen bei der Einnahme mehrerer Medikamente individuell bewerten können.

Damit will man gleichzeitig berücksichtigen, dass viele Patienten fünf oder mehr Arzneimittel gleichzeitig einnehmen, dass viele an mehreren Krankheiten leiden und dass es auch unterschiedliche Wechselwirkungen bei verschiedenen Patientengruppen durch die genetische Vielfalt gibt. Rund 197000 Todesfälle jährlich gehen nach einer Schätzung der Europäischen Kommission in Europa auf das Konto unerwünschter Arzneimittelwirkungen.

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Evidenzbasiertes Risikobewertungssystem für Wechselwirkungen

Fünf Hauptziele definiert das Projekt im Factsheet. So soll das „neuartiges, evidenzbasiertes Risikobewertungssystem“ entwickelt werden, um Risikopatienten zu identifizieren, bei denen Wechselwirkungen nicht nur zwischen einzelnen Wirkstoffen, sondern auch zwischen Wirkstoffen und Genen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen führen können. Dieses Scoring-System soll dabei Ärzten und Apothekern als ein neues innovatives Instrument zur Verfügung stehen. Dabei will man unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Maschinenlernen auf der Basis großer „Real-World“-Datensätze die entsprechenden Risikobewertungen herausarbeiten.

„Trotz der Tatsache, dass Arzneimittel-Wirkstoff-Wechselwirkungen und Arzneimittel-Gen-Wechselwirkungen eng miteinander verknüpft sind, werden sie in der klinischen Praxis immer noch als getrennte Einheiten betrachtet. Daher ist ein ganzheitlicherer Ansatz erforderlich, der die einzelnen Krankheitszustände und die Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Genen berücksichtigt“, heißt es von Seiten der Projektkoordinatoren.

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„Im Rahmen von SafePolyMed werden wir Techniken des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz einsetzen, um große reale Datensätze zu analysieren, die genomische Informationen, demografische Daten, aktuelle und chronische Gesundheitszustände sowie medikamentenbezogene Details einzelner Patienten erfassen und integrieren, um ein besseres Verständnis des Risikos einzelner Patienten für schlechte Behandlungsergebnisse zu erlangen und personalisiertere Therapieentscheidungen zu treffen“, fasst der Projektkoordinator Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes das Vorhaben zusammen.

„Ein zentrales Ziel des Projekts ist es, eine verbesserte klinische Entscheidungsfindung zu ermöglichen, indem die Leistungsfähigkeit umfangreicher genetischer Risikoinformationen mit klinischen und Ergebnisdaten genutzt wird, um das Ansprechen auf die Behandlung besser vorherzusagen und Patienten entsprechend zu stratifizieren. Wir freuen uns, Teil dieser ehrgeizigen und wichtigen Initiative zu sein“, sagt Professor Samuli Ripatti vom Institut für Molekulare Medizin Finnland an der Universität Helsinki. Die Finnen steuern so unter anderem eine polygenische Risikobewertung zu den Datensätzen bei.

 

Patientenfragebögen als Basis fürs Maschinenlernen

Außerdem sei die Arzneimittelsicherheit stark mit dem Dosierungsschema verbunden, sagt Lehr. „Daher werden wir unsere Analysen mit mechanistischen mathematischen Modellen ergänzen, um komplexe Arzneimittelinteraktionen besser beurteilen und eine auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Dosisanpassung berechnen zu können.“ 

Dementsprechend sind die weiteren Hauptziele des Projekts, die „Identifizierung und Validierung von ,Patient reported outcome measures‘“, also durch Patienten berichtete Ergebnisse. Dabei will man mit Europäischen Patientenorganisationen zusammenarbeiten. „Eine systematische Dokumentation des von den Patienten selbst wahrgenommenen Gesundheitszustands mittels spezifischer Fragebögen, so genannter ,patient-reported outcome measures (PROMs)‘, kann helfen, Probleme im Zusammenhang mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen frühzeitig zu erkennen. Daher werden wir PROMs für die Bewertung der Sicherheit in der Arzneimitteltherapie, insbesondere von Nebenwirkungen, für verschiedene Patientengruppen entwickeln“, erklärt Lehr dazu. Diese Ergebnisse fließen dann ebenfalls in die durch die Künstliche Intelligenz ausgewerteten Datensätze ein. 

Als drittes Ziel wollen die Forscher künftig auch die Patienten selbst befähigen, ihre Therapien selbst zu verwalten, zu überprüfen. Dazu soll es ein elektronisches Tool geben, das außerdem Aufklärung über die verschiedenen Wechselwirkungen bietet und es ermöglicht, dass Patienten selbst Feedback über beobachtete unerwünschte Arzneimittelwirkungen geben. 

„Mathematische Modellierung“ geben die Forscher als ein weiteres Ziel an. Damit soll es später möglich sein, individualisierte Dosisanpassungen für sichere und wirksame Dosierungsschemata über eine webbasierte Entscheidungshilfe zu erstellen.  
 

Webbasierter benutzerfreundlicher Prototyp des Tools als Ziel

Auf dem aufbauend sollen schließlich abschließend die so entwickelten Tools mit einer Proof-of-Principle-Studie mit repräsentativem Patienten-Kohorten an verschiedenen europäischen klinischen Standorten validiert werden.

Als Endergebnis der interdisziplinären Forschung, bei der neben Pharmazeuten und Ärzte vor allem auch etwa Bioinformatiker eine entscheidende Rolle spielen werden, soll „SafePolyMed“ schließlich den Prototyp eines „benutzer-freundlichen, webbasierten Systems zur Unterstützung klinischer Entscheidungen“ darstellen – als Werkzeug für Ärzte und Apotheker aber auch für Patienten.

Gestartet ist das Projekt Anfang Juni 2022. Die insgesamt bislang elf Projektpartner verfolgen dabei unterschiedliche Ansätze. So plant man etwa seitens der Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik, eine Medikamentenmanagementplattform zu schaffen, die mit bestehenden europäischen Gesundheitsplattformen verknüpft werden könne. Unter anderem will man damit in Kooperation mit Patientenorganisationen eine Basis für Schulungen schaffen.

Außer im eigenen Webauftritt des Projekts unter www.safepolymed.eu lassen sich Fortschritte auch auf Twitter nachlesen unter https://twitter.com/safepolymed .


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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