Kein Token-Versand per E-Mail

KV Schleswig-Holstein steigt aus E-Rezept-Rollout aus

Berlin - 22.08.2022, 14:40 Uhr

Die KVSH wird nach eigenen Angaben die bereits terminierten Schulungen abschließen, ihre Erreichbarkeit zu speziellen E-Rezept-Fragen aufrechterhalten und sich unterstützend einschalten, falls eine Alltagstauglichkeit absehbar ist. (Foto: Alliance /AdobeStcok)

Die KVSH wird nach eigenen Angaben die bereits terminierten Schulungen abschließen, ihre Erreichbarkeit zu speziellen E-Rezept-Fragen aufrechterhalten und sich unterstützend einschalten, falls eine Alltagstauglichkeit absehbar ist. (Foto: Alliance /AdobeStcok)


Die Kassenärzte in Schleswig-Holstein machen nicht mehr mit beim geplanten E-Rezept-Rollout ab 1. September. Nur wenige Tage vor dem Start informiert die KVSH jetzt darüber, dass sie sich aus dem Projekt zurückzieht. Hintergrund ist, dass die Landesdatenschutzbeauftrage das Weiterleiten des Tokens per E-Mail an die Versicherten für unzulässig erklärt hat. Sind Apotheken-Apps schuld an der Misere?

Der Start des E-Rezepts war in der Vergangenheit immer wieder verschoben worden. Nun sollte es wirklich losgehen, wenn auch zunächst nur in Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe: In diesen Bezirken sollten die elektronischen Verschreibungen Schritt für Schritt das Muster 16 ablösen, eng begleitet von der Gematik. Doch jetzt droht das Projekt im hohen Norden zu scheitern: Wie die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) in einer Pressemitteilung bekannt gibt, zieht sie sich aus dem ab 1. September geplanten Rollout zurück.

Hintergrund ist demnach, dass die Landesdatenschutzbeauftragte Marit Hansen das Verschicken des E-Rezept-Tokens per E-Mail an die Versicherten untersagt habe. „Damit ist der für Patienten praktikabelste Transportweg versperrt“, schreibt die KVSH. Der Arztsoftware-Hersteller medisoftware hat bereits darüber informiert, dass die Funktion kurzfristig deaktiviert werden wird. „Wir bedauern diese Entwicklung sehr, zumal dieser komfortable Übermittlungsweg zu den meistgenutzten in den Praxen gehört“, betont das Unternehmen, dessen Produkt nach Angaben des Unternehmens etwa 1.200 Arztpraxen, MVZ und Krankenhäuser in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern nutzen. Einem Sprecher der KVSH zufolge dürfte mit dieser Entscheidung auch das Weiterleiten per SMS hinfällig sein. Eine Anfrage der DAZ an die Landesdatenschutzbeauftragte selbst blieb bisher unbeantwortet. 

Die KVSH will unter den gegebenen Umständen nun nicht mehr am E-Rezept-Rollout mitwirken. „Der Nutzen des E-Rezepts liegt für Arztpraxen im Komfort der bürokratiearmen Erstellung und für Patienten in der Einsparung mehrfacher Wege, was insbesondere für Menschen in ländlichen Bereichen vorteilhaft wäre“, erläutert dazu KVSH-Chefin Monika Schliffke. „Beides kann momentan nicht erreicht werden.“

Datenschützer: Transfer-QR-Codes sind Gesundheitsdaten

Laut einer Nachricht des Landesdatenschutzes seien auch die vom Praxisverwaltungssystem erzeugten datenlosen Transfer-QR-Codes als Gesundheitsdaten einzustufen, berichtet die KV weiter. Denn es sei zu berücksichtigen, dass „auf dem Markt frei erhältliche Apps aus dem Apothekenumfeld jeder Person, die befugt oder unbefugt im Besitz des QR-Codes ist, die Kenntnisnahme von Daten einer Verordnung ermöglicht“. Beim Hochladen in solche Apps würden die Daten ermittelt und dem App-Nutzenden angezeigt.

In der analogen Welt ende die formale Arzthaftung mit der Übergabe des Rezepts an den Patienten, erklärt die KVSH. Ob dieser damit Medikamente abholt oder nicht, das Rezept verliert, verkauft oder bei Facebook einstellt, liege nicht im Verantwortungsbereich des Arztes. „Das ist in der digitalen Welt offenbar sehr anders“, sagt Schliffke. „Wir lassen die Praxen nicht in eine Falle laufen, denn die Praxen würden für diesen Missbrauch haften. Die Funktionalität, einen datenlosen Code als Anhang zu versenden, ist firmenseitig umgehend unterbunden worden.“

KV findet Argumentation des Datenschutzes formal nachvollziehbar – aber nicht inhaltlich 

Die Argumentation des Datenschutzes, den die KVSH selbst eingeschaltet hatte, sei zwar formal, aber nicht inhaltlich nachvollziehbar, denn sie beeinträchtige das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zum Umgang mit seinen eigenen Daten. „Das Gesetz ist offenbar so zu lesen, dass kein Versicherter a. einer digitalen Übertragung eines datenlosen QR-Codes an sich selbst, b. an einen bevollmächtigten Dritten oder c. an die Apotheke seiner Wahl zustimmen kann“, fasst die KVSH zusammen.

Es sei zwar gut, wenn im Vorweg des Rollouts auch „die absurdesten Problemstellungen“ erkannt würden. Dies hätte nach deren Einschätzung aber schon in der Testphase der Gematik geschehen müssen, denn die schleswig-holsteinischen Praxen hätten wesentlich zum Erreichen der Gematik-Quote beigetragen. Nun hoffe man, dass nicht auch noch das von der KV Westfalen-Lippe initiierte eGK-Verfahren dem Datenschutz zum Opfer fällt, weil auch elektronische Gesundheitskarten fehlerhaft oder missbräuchlich verwendet werden könnten.

Damit gibt es noch drei Optionen digitaler Wege: die Gematik-App, das Einstellen in die elektronische Patientenakte (ePA) und das Übermitteln des Tokens an eine Apotheke via KIM. „Die Gematik-App kann momentan kaum genutzt werden, weil es aufgrund fehlender Chips an NFC-fähigen Gesundheitskarten mangelt, nur wenige Patienten die geforderten Smartphone-Typen haben und die Einrichtung der App durch Verbot des Video-Ident-Verfahrens der Krankenkassen erschwert wird“, kritisiert die KVSH.

99 Prozent Papierausdrucke

Das Einstellen in eine ePA scheitere an deren minimalem Vorhandensein und die Code-Übertragung per Kommunikationsdienst KIM an Apotheken an der Tatsache, dass in Schleswig-Holstein nur eine Handvoll Apotheken bisher mit KIM-Modulen und -Adressen ausgestattet seien. Es könnten nur einzelne Praxen diesen Weg nutzen, sofern ein Patient dies gestatte. KIM in Apotheken ist keine politische Vorgabe für die Bezeichnung E-Rezept-ready. „Das läuft auf 99 Prozent Papierausdrucke hinaus, was keinem unserer Ziele zur Digitalisierung auch nur annähernd nahekommt. Die Zählung der Gematik zu E-Rezepten zeigt dann auch keinen Digitalisierungsgrad an“, resümiert die KV-Vorsitzende.

Die KVSH wird nach eigenen Angaben die bereits terminierten Schulungen abschließen, ihre Erreichbarkeit zu speziellen E-Rezept-Fragen aufrechterhalten und sich unterstützend einschalten, falls durch Gesetzesanpassungen und/oder technische Gematik-Aktivitäten eine praxis- und patientengerechte Alltagstauglichkeit absehbar ist.


Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

eRezept-Aus, Schleswig-Holstein

von Scarabäus am 23.08.2022 um 17:00 Uhr

Gott-sei-Dank gibt es noch Restvernunft in diesem Land. Dieser digitale Berliner Flughafen names E-Rezept gehört abgewickelt. Wenn ein Land nicht mal seine Energieversorgung sicherstellen kann, ist der Digitalisierungswahn absolut fehl am Platz. Auch wenn wir nicht mehr unsere Schaufenster beleuchten dürfen: Ohne Strom gibt's sowieso keine E-Rezepte!

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E-Rezept Entwicklungsmängel

von Martin Gansheimer am 23.08.2022 um 9:08 Uhr

Aus meiner Sicht stellt sich die Frage was in den letzten Jahren im Projekt E-Rezept eigentlich richtig gemacht wurde.

Müsste man nicht als 1. Schritt, wenn man ein e-Rezept (oder eine andere vernetzte Anwendung) entwickelt, sich Gedanken über den Übertragungsweg machen und diese beantworten?

Solange nicht Schritt 1 geklärt ist, brauch ich doch nicht Milliarden € in die folgende Entwicklung stecken, ohne das ich ein tragfähiges Fundament habe (der Übertragungsweg, die Art der Vernetzung) auf den ich aufbauen kann.

Sinn und einzige Daseinsberechtigung eines E-Rezeptes ist doch die Übertragung der Verordnung und Vernetzung zwischen den einzelnen Leistungserbringern und den Patienten zu verbessern (und das möglichst ohne Papier, denn dann wäre es nicht ein Deut besser als das was wir schon vorher hatten).

Warum wurde das wie der Übertragung nicht als aller erstes geklärt?
Was haben die Herren im BMG und in der Gematik eigentlich die ganze Zeit (mit sehr viel Geld) gemacht.
Wie inkompetent muss man sein wenn man beim Hausbau mit den Dach beginnt?

Ich wette wenn man ein solches Projekt federführend echten IT-Experten (SAP & Co.) überlassen hätte, und nur die Umsetzung fachlich und datenschutzkonform beaufsichtigt hätte, hätten wir das E-Rezept spätestens nach 12 Monaten zu einem Bruchteil der Kosten (keine Konnektoren mit technischen Prinzipien aus Zeiten von vor mindestens 20 Jahren)

Wieso gibt es in Deutschland zig e-Projekte nebenher (Personalausweis, Führerschein, eGK, eRezept....) ohne Vernetzung? Was ist ein e-Projekt ohne Vernetzung? Der Sinn müsste doch Vernetzung (und damit gleichbedeutend Zentralisierung) sein. Eine dezentrale Vernetzung ist ohne jegliche Funktion.

Warum schaut man nicht einmal genauer nach Estland, Finnland usw. die haben es doch auch hinbekommen?
(mit einen Bruchteil des Aufwandes in einen Bruchteil der Zeit) Warum vernetzt man nicht alles über den digitalen Personalausweis (dann wäre die GK komplett überflüssig ), andere Länder (die ich schon genannt habe) machen sehr gute Erfahrungen damit.

Wieso landen in Deutschland Geld, Entscheidungsgewalt und Ressourcen immer bei denjenigen die keine Ahnung haben und bestenfalls damit die Taschen Dritter oder noch schlimmer die eigenen Taschen vollgestopft werden?

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AW: E-Rezept Entwicklungsmängel

von Thilo Braun am 23.08.2022 um 10:43 Uhr

Der Übertragungsweg war / ist schon geklärt, nämlichn alles über die TI. Zentrales Medium sollte die eRezept App der Gematik sein. Versäumt wurde allerdings den Usern = Patienten die Nutzung und Vorteile der App frühzeitig aufzuzeigen und ebenso wurde versäumt, zunächst flächendeckend die neuen Karten mitsamt den nötigen Zugängen einzuführen BEVOR eine solche App mit entsprechenden Verpflichtungen gefordert wird. Für die User ist es zeitaufwendig einerseits an den Code zu kommen und die Anmeldung in der App und die technische Nutzung der NFC Verbindung mit den jeweiligen Telefonen gestaltet sich auch eher schwierig. Deswegen nutzt fast niemand die eRezept App.

Das ganze System wurde eben behördengesteuert von Technikern entwickelt und geht völlig an den Anforderungen der Praxis vorbei. Daher besteht die Digitalisierung tatsächlich im Ausdruck des QR Codes und dessen Vorlage bei der gewählten Apotheke. Einziger Vorteil ist wohl noch die leichtere Abrechenbarkeit de Medikamentes in der Warenbuchhaltung der Apotheken.

Nanu?

von Karl Friedrich Müller am 22.08.2022 um 22:09 Uhr

Keine Reaktion?
Das ist doch ein derber Schlag für die eRezept Enthusiasten, vor allem in unserer kritiklosen Standesvertretung, DAV UND ABDA.
Jubel, Trubel , Heiterkeit, leider ohne Hirn.
Ein viel zu kompliziertes Konstrukt, dass auch noch gegen uns gerichtet ist. Nur für die Versender wichtig. Man will allen Ernstes deutsche Betriebe und Arbeitsplätze für ausländische Kapitalisten vernichten. Zum Wohle des Volkes natürlich. Total gaga und kriminell.
Beerdigen, Beenden und etwas Neues machen MIT ECHTEM NUTZEN FÜR ÄRZTE APOTHEKEN PATIENTEN. Und vor allem: unkompliziert.

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