Modellprojekt

Apotheker in Großbritannien sollen lernen, selbst zu verschreiben

Marseille - 29.08.2022, 14:30 Uhr

In Großbritannien sollen zukünftig Apotheker:innen selbst öfter Arzneimittel verschreiben. (s / Foto: Jacob Lund / AdobeStock)

In Großbritannien sollen zukünftig Apotheker:innen selbst öfter Arzneimittel verschreiben. (s / Foto: Jacob Lund / AdobeStock)


In Großbritannien sollen Apotheker in Zukunft öfter selbst Arzneimittel verschreiben können. Der National Health Service (NHS) in England finanziert tausende neue Fortbildungsplätze und unterstützt in einem Modellprojekt Apotheker, die Rezepte ausstellen wollen.

Dass auch Apotheker Medikamente verschreiben können, ist in Großbritannien theoretisch schon länger möglich. In der Praxis wurde es bisher aber nur wenig umgesetzt. Im Jahr 2003 wurden dort erstmals Apotheker zu „supplementary prescribers“ ausgebildet, was sich in etwa mit „ergänzende Verschreiber“ übersetzen lässt. Sie konnten Arzneimittel verschreiben, aber nur unter bestimmten Bedingungen. So musste der behandelnde Arzt zuvor die Diagnose gestellt haben und sie mussten sich eng mit dem Arzt über einen Behandlungsplan abstimmen. Auch waren Betäubungsmittel zunächst von der Verschreibung durch Apotheker ausgenommen.

Seit 2006 ist es britischen Apothekern nun grundsätzlich auch erlaubt, selbstständig Diagnosen zu stellen und alle zugelassenen Arzneimittel zu verschreiben, wenn sie eine entsprechende Zusatzausbildung absolviert haben. Die Bezeichnung für solche Apotheker lautet „independent prescribers (IP)“, was soviel heißt wie „unabhängige Verschreiber“. Ähnliche Fortbildungen gibt es in Großbritannien auch für Pflegekräfte, Hebammen und Physiotherapeuten.

Britisches Fortbildungsprogramm zum Independent Prescriber

Nur wenige Apotheker hatten aber zunächst die Zusatzqualifikation als IP erworben: Bis 2016 waren lediglich 2.224 der Apotheker in Großbritannien auch IPs, weniger als 4 Prozent. Bis zum Jahr 2020 stieg ihre Anzahl dann auf 7.348, was etwa 11 Prozent der britischen Apotheker entsprach. Auch die Zahl der Verschreibungen stieg deutlich an: Im Jahr 2015 wurden von Apothekern, die außerhalb von Krankenhäusern arbeiten, 6,2 Millionen Verschreibungen ausgestellt. 2020 waren es mit 32,5 Millionen Verschreibungen schon fünfmal mehr. Nun soll die Arbeit der IPs noch weiter gefördert werden.

Über das Fortbildungsprogramm des National Health Service (NHS) werden in den kommenden vier Jahren 3.000 Zusatzausbildungen zum IP angeboten, auf die sich Apotheker in England bewerben können. Finanziert wird die Weiterbildung aus einem Fortbildungsfonds für Pharmazeuten, der mit insgesamt rund 16 Millionen britischen Pfund (rund 19 Millionen Euro) ausgestattet wurde. Das berufsbegleitende Programm dauert zehn Monate und umfasst 400 Unterrichtsstunden sowie ein zwölftägiges Praktikum. 

Zu wenige Mentoren für „Verschreiber“-Fortbildung

Theoretisch ist das Programm für alle Apotheker offen, Teilnehmer müssen aber eine Bedingung erfüllen: Sie müssen bereits bei der Bewerbung einen Designated Prescribing Practitioner (DPP) benennen können, eine Art Mentor, der sie während der Ausbildung begleitet. Das kann zum Beispiel ein Arzt, eine Pflegekraft oder ein Apotheker sein, der oder die bereits mindestens drei Jahre Erfahrung mit Verschreibungen hat. Die angehenden IPs müssen belegen können, dass sie neben dem Theorie-Unterricht durch ihren DPP praktisch angeleitet werden. 

Wie das „Pharmaceutical Journal“ berichtet, mangelt es allerdings an solchen Mentoren, die bereit sind, an dem Programm teilzunehmen. Auch deshalb, weil diese nicht dafür entlohnt werden, IPs auszubilden. William Swain, Lehrkraft an der University College London School of Pharmacy, sagte gegenüber dem „Pharmaceutical Journal“, die 3.000 Fortbildungsplätze für Apotheker seien „zweifelsohne ein Schritt nach vorne für den Beruf“. Er kritisierte allerdings auch: „Leider wurde bei der Finanzierung nicht der Mangel an Supervisoren berücksichtigt und ich vermute, dass viele Apotheker Probleme haben werden, einen DPP zu finden.“ 

Wichtig sei zudem, dass Apotheker, die jetzt die Fortbildung zum Independent Prescriber beginnen, danach in der Praxis auch wirklich Verschreibungen ausstellen werden. Denn nur so könnten sie selbst als Supervisoren für die nächste Generation von IPs zur Verfügung stehen. So bekommen Apotheker, die als IP ausgebildet sind, offenbar im Alltag nicht immer Gelegenheit, auch wirklich Rezepte auszustellen. Der NHS in England hat daher zusätzlich ein Programm aufgelegt, um die Arbeit der bereits ausgebildeten IPs im kommenden Jahr auszuweiten. 

Großbritannien plant mehr Verschreibungen in Apotheken

Im Rahmen eines Modellprojekts sollen bald in jeder Region Englands von Apothekern Rezepte ausgestellt werden. Ausdrücklich sollen dabei nun auch in niedergelassenen Apotheken Verschreibungen von IPs angeboten werden, die vom NHS voll finanziert werden. Bisher hatten ausgebildete IPs in England vor allem in Kliniken oder bei Ärzten gearbeitet und es hatte an Möglichkeiten gefehlt, darüber hinaus Verschreibungen mit dem NHS anzurechnen. In Wales gibt es hingegen bereits das Programm „Choose Pharmacy“, an dem niedergelassene Apotheker mit IP-Qualifikation teilnehmen können und dann vom NHS für ihre Verschreibungen bezahlt werden. Und in Schottland können niedergelassene IPs im Programm „Pharmacy First Plus“ ihren Service für Patienten mit chronischen Krankheiten anbieten.

Daniel Webb, chief pharmaceutical officer des NHS für England, sagte gegenüber dem „Pharmaceutical Journal“, man wolle nun den „Testlauf“ starten, um das System auch in England weiter auszubauen.

Gareth Jones, director of corporate affairs bei der britischen National Pharmacy Association, begrüßte die Initiative des NHS. „Verschreibungen durch Apotheker sind ein möglicher Gamechanger und müssen in niedergelassenen Apotheken alltäglich werden“, sagte Jones gegenüber dem „Pharmaceutical Journal“. Schließlich würden dadurch andere Bereiche des Gesundheitssystems und die Ärzte entlastet. 


Irene Habich, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Apotheker-Verschreibung.

von Roland Mückschel am 30.08.2022 um 11:07 Uhr

Ach Herrje! In England muss es echt brennen.

Hoffe bei euch arbeiten keine deutschen Ärzte
in entscheidender Position.

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