Zuckersüßes Beratungswissen – Teil 16

Süßstoffe verändern die Darmflora

Münchingen - 02.09.2022, 13:30 Uhr

Süßstoffe erhöhen den Blutzuckerspiegel und verändern das Darmmikrobiom. (Foto: Towfiqu / AdobeStock)

Süßstoffe erhöhen den Blutzuckerspiegel und verändern das Darmmikrobiom. (Foto: Towfiqu / AdobeStock)


Mit Light-Drinks und Süßstofftabletten glauben viele, etwas Gutes für ihre Gesundheit zu tun. Doch wie eine Studie zeigt, können Süßstoffe den Zuckerstoffwechsel bedenklich beeinflussen.

Nach aktueller wissenschaftlicher Bewertung haben Süßstoffe wie Aspartam, Cyclamat, Saccharin, Sucralose und Co. weder Einfluss auf den Blutzuckerspiegel noch steigern sie das Hungergefühl. So liest man es zum Beispiel auf der Internetseite der Deutschen Diabetes Hilfe. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rechtfertigt den Einsatz von Süßstoffen als Mittel zur Gewichtsregulation. In der Praxis erleben wir jedoch immer wieder, dass adipöse Menschen, die oft sehr hohe Mengen süßstoffhaltiger Getränke zu sich nehmen, dadurch keinesfalls Pfunde verlieren.

Süßstoffe beeinflussen das Mikrobiom 

Schon seit längerem besteht der Verdacht, dass kalorienfreie Süßstoffe auf die im Darm lebenden Mikroorganismen, unser Mikrobiom, einwirken. Das Mikrobiom wiederum beeinflusst unser Immunsystem, unseren Stoffwechsel und unser Hormonsystem – das alles ist seit einigen Jahren Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung und wird in Zukunft sicher noch spannende Ergebnisse liefern.

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Ein israelisches Biologen-Team hat den Einfluss kalorienfreier Süßungsmittel auf den Zuckerstoffwechsel von Menschen und Mäusen untersucht und die Studienergebnisse nun in einer anerkannten Fachzeitschrift veröffentlicht. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass der Einsatz von Süßstoffen im menschlichen Körper nicht „unbedeutend“ ist. Sie konnten nicht nur die Vermutung bestätigen, dass die Zuckerersatzstoffe auf das menschliche Mikrobiom einwirken, sondern es gelang ihnen durch verfeinerte Methoden exakt zu messen, wie sich die einzelnen Bakterienstämme durch den Kontakt mit Süßstoffen zahlenmäßig verändern und ob das Mikrobiom in der Folge anders agiert.

Süßstoffe erhöhen den Blutzuckerspiegel

Die ausgewählten freiwilligen Probanden waren bis zum Beginn der Studie keine Süßstoffkonsumenten. In vier Gruppen eingeteilt, mussten sie zwei Wochen lang täglich Tabletten mit Saccharin, Sucralose, Aspartam oder Stevia einnehmen. Zwei weitere Gruppen erhielten zur Kontrolle Placebo-Tabletten. Vor, während und nach der Einnahmephase wurden immer wieder klassische orale Glucosetoleranz-Tests durchgeführt. Mit deren Hilfe lässt sich die Funktionsfähigkeit des Glucosestoffwechsels überprüfen.

Verglichen mit Placebo zeigte sich, dass der Konsum von Süßstoffen zu besonders hohen Blutzuckerspitzen führte. Besonders ausgeprägt war das bei den Probanden, die Saccharin und Sucralose zu sich genommen hatten. Nach einer mehrtägigen Einnahmepause normalisierte sich die Blutzuckerregulation wieder.

Übertragenes Mikrobiom erzeugt ähnliche Effekte

Bei allen Probanden, die Süßstoffe eingenommen hatten, also auch in der Gruppe der Aspartam- und Stevia-Anwender, fanden die Forscher Veränderungen im Mikrobiom. Am stärksten waren diese in den Saccharin- und Sucralose-Gruppen, die zuvor auch die höchsten Blutzuckerspiegel gezeigt hatten. Erklären lässt sich das dadurch, dass sowohl Saccharin als auch Sucralose besonders lange Verweilzeiten im Darm und damit intensiven Kontakt mit der Darmflora haben.

Im nächsten Schritt wollten die Forscher wissen, ob die gestörte Blutzuckerregulation tatsächlich im Zusammenhang mit dem veränderten Mikrobiom steht. Hier kommen nun die anfangs erwähnten Mäuse ins Spiel. Diese wurden unter sterilen Bedingungen aufgezogen und verfügten deshalb über kein eigenes Mikrobiom. Sie waren also perfekt dafür geeignet, um mit Hilfe von Stuhlproben der menschlichen Probanden eine entsprechende Darmflora aufzubauen. Und tatsächlich bewirkte das übergesiedelte Mikrobiom, dass die Mäuse ähnliche Blutzuckerregulationsstörungen zeigten wie die jeweiligen Spender der Stuhlproben.

Langzeitstudien nötig

Das israelische Forscherteam weist darauf hin, dass weitere Studien, vor allem Langzeitstudien erforderlich sind, um genauere Aussagen zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Süßstoffen zu machen. Unstrittig sei aber, dass die kalorienfreien Zuckerersatzstoffe den menschlichen Körper nicht einfach durchlaufen, ohne auf ihn einzuwirken: „Sie sind nicht so unbedeutend wie ursprünglich angenommen.“

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Diese Aussage hat vor allem Bedeutung vor dem Hintergrund, dass in vielen industriell hergestellten Lebensmitteln und Getränken, aber auch in Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln kalorienfreie Süßstoffe verwendet werden. Die Wissenschaftler betonen in ihrer Veröffentlichung, wie schwierig es war, überhaupt Probanden zu finden, die vorher keine Süßstoffe aufgenommen hatten. Weite Teile der Bevölkerung nehmen Süßstoffe zu sich, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Andererseits wäre es nicht angemessen, aufgrund der jetzt veröffentlichten Erkenntnisse Süßstoffe generell zu verteufeln, man müsste nur gezielter auswählen. Und wer als Alternative Zucker zu sich nimmt, verändert das Gleichgewicht seines Mikrobioms ebenfalls. Ernährungsmediziner Prof. Dr. Martin Smollich, Uniklinik Lübeck, regt in einem Kommentar zu der aktuellen Studie an, Süßstoffe nicht im Vergleich zu Placebo zu testen, sondern zu Zucker. Das würde dem Verhalten der Menschen in der Realität entsprechen. 


Reinhild Berger, Apothekerin
redaktion@daz.online


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