Pädiater erwartet für Kinder gefährliche Influenzasaison

„Alle Kinder von sechs Monaten bis fünf Jahren gegen Grippe impfen!“

Stuttgart - 20.10.2022, 10:45 Uhr

In Australienwurde eine schwere Grippewelle befürchtet. Die Regierung stuft die Auswirkungen der bisherigen Saison allerdings als gering bis moderat ein. (Foto: Zerophoto / AdobeStock)

In Australienwurde eine schwere Grippewelle befürchtet. Die Regierung stuft die Auswirkungen der bisherigen Saison allerdings als gering bis moderat ein. (Foto: Zerophoto / AdobeStock)


In den Medien wird darüber spekuliert, wie sich die aktuelle Grippesaison entwickeln könnte. Um Rückschlüsse auf Deutschland zu ziehen, werden häufig Daten aus der Influenzasaison in Australien herangezogen. Dort entfiel dieses Jahr der Großteil der laborbestätigten Influenzafälle auf Kinder und Jugendliche. Welche Empfehlungen leiten sich daraus für Deutschland ab? 

Wie aus dem australischen Influenza Surveillance Report Nr. 14 (26. September bis 9. Oktober 2022) hervorgeht, befindet sich die Zahl der laborbestätigten Influenzafälle auf einem niedrigeren Stand als im Durchschnitt zu dieser Zeit in vorherigen Jahren. Sie begann dieses Jahr im Vergleich zu den Vorjahren 2017 bis 2021 früher und höher zu steigen, sank aber auch rapide ab, sodass sie bereits in der zweiten Julihälfte unter dem Fünfjahresdurchschnitt lag. 

Die Melderaten der laborbestätigten Influenzafälle lagen am höchsten in der Altersklasse der Fünf- bis Neunjährigen (2154 pro 100.000 Einwohner), darauf folgten Kinder unter fünf Jahren und Kinder von 10 bis 14 Jahren. Seit April 2022 waren 55,8% der hospitalisierten Influenzafälle unter 16-Jährige.

Welche Rückschlüsse lassen sich auf Deutschland ziehen?

Kinder im Fokus

Prof. Dr. Markus Rose, der ärztliche Leiter des Bereichs Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und CF am Olgahospital, Klinikum Stuttgart, weist auf die pandemiebedingt eingeschränkten Kontakte und das damit fehlende natürliche Training des Immunsystems hin. Das mache sich besonders bei Kindern und Jugendlichen bemerkbar. Zudem sei auch ein Anstieg der Allergiebereitschaft bemerkbar. 

Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die australischen Daten befürchtet Rose, dass auch hier eine schwere Grippewelle drohen könnte. Allein in seiner Klinik würden derzeit sieben Kinder mit Lungeninfektionen aufgrund von Influenzaviren stationär behandelt. „Im letzten Jahr hatten wir mit dem respiratorischen Synzytial-Virus eine ähnliche Situation, auch da waren die hohen Infektionszahlen aus Australien ein Vorbote für das, was uns erwartet hat“, erklärt Rose.

In Bezug auf die Grippeimpfung sollte insbesondere an Kinder gedacht werden, was er folgendermaßen begründet: „Da Kinder eine wichtige Risikogruppe für die echte Virusgrippe sind, wäre es noch besser, grundsätzlich alle Kinder von sechs Monaten bis fünf Jahren gegen Grippe impfen zu lassen, wie es die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt.“ Ein klares Argument für eine Impfung sei zudem, dass Kinder eine erhebliche Rolle bei der Übertragung der Viren spielen. Dies sei deutlich mehr der Fall bei Influenza­viren als beispielsweise bei SARS-CoV-2. Zudem könnten ungeimpfte, infizierte Kinder auch eine Gefahr für abwehrschwache Kontaktpersonen darstellen.

Atemwegsviren verbreiten sich ungebremst

Der Leiter des Nationalen Referenzzentrums (NRZ) für Influenzaviren am Robert Koch-Institut (RKI), Berlin, Dr. Ralf Dürrwald, erläutert, dass der Verlauf einer Grippesaison von vielen Faktoren abhängt und sich nicht generell vorhersagen lässt. Die Schwere einer Grippewelle könne erst im Nachhinein beurteilt werden. „Was wir anhand unserer Surveillance-Systeme aktuell sehen, ist, dass sich Atemwegsviren zurzeit weitgehend ungebremst in der Bevölkerung verbreiten können – und damit auch Influenza­viren“, berichtet Dürrwald. 

Die Zahl der an das RKI übermittelten Influenzafälle ist seit September deutlich gestiegen. Allerdings sei eine Interpretation dieses Anstiegs schwierig. Bei Anzeichen einer Atemwegsinfektion wird ein Test auf COVID-19 und gegebenenfalls auf Influenza empfohlen, was dazu führt, dass Influenzafälle detektiert werden und in den Melde­daten auftauchen, die in den vergangenen (vorpandemischen) Jahren um diese Zeit einfach nicht erfasst wurden, so Rose. Er betont, dass das RKI die Entwicklung natürlich weiter sehr genau beobachtet und die Meldedaten im Kontext anderer Surveillance-Ergebnisse bewertet.


Literatur

Australian Influenza surveillance report No. 14, 2022. Bericht des Australian Government Department of Health and Aged Care, 26. September bis 9. Oktober 2022


Desiree Aberle, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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