Nun hat sich der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit vier Fällen zur Cannabisversorgung befasst. In seinen am vergangenen Donnerstag gefällten Urteilen hat er sich mit Genehmigungsfragen auseinandergesetzt und im Weiteren einige Voraussetzungen präzisiert. Die Urteilsgründe liegen noch nicht schriftlich vor – doch ein Terminbericht zeigt bereits recht detailliert auf, worauf es den Richter:innen ankommt und woran sich Entscheidungen der Kassen und Gerichte künftig messen lassen müssen.
Demnach dürfen Krankenkassen bei Vorliegen schwerer Erkrankungen die Verordnung von Cannabis zur Krankenbehandlung nur genehmigen, wenn der behandelnde Arzt hierfür eine besonders sorgfältige und umfassende Einschätzung abgegeben hat. Sind die hohen Anforderungen an diese Einschätzung erfüllt, darf die Krankenkasse das Ergebnis der ärztlichen Abwägung nur darauf hin überprüfen, ob dieses völlig unplausibel ist.
„Schwerwiegend“ ist eine Erkrankung laut BSG, wenn sie lebensbedrohlich ist oder sie die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Letzteres ergibt sich dabei nicht allein aus der ärztlichen Diagnose. Entscheidend seien Funktionsstörungen und -verluste, Schmerzen, Schwäche und Hilfebedarf bei den Verrichtungen des täglichen Lebens, welche die Lebensqualität beeinträchtigen.
Wenn es noch eine Standardtherapie gibt
Der Senat hat zudem entschieden, dass Cannabis auch verordnet werden darf, wenn noch Standardtherapien zur Verfügung stehen. Hierfür muss der behandelnde Arzt beziehungsweise die behandelnde Ärztin aber den Krankheitszustand umfassend dokumentieren, Therapiealternativen analysieren und die Erfolgschancen und Risiken der Therapien sorgfältig abwägen. Die Krankenkassen dürfen eine solche ärztliche Einschätzung im Gegenzug nur daraufhin überprüfen, ob die Grundlagen der Entscheidung vollständig und nachvollziehbar sind und das Abwägungsergebnis nicht völlig unplausibel ist.
Ob eine Suchtmittelabhängigkeit der Verordnung von Cannabis entgegensteht, hat der Arzt oder die Ärztin im Einzelfall ebenfalls sorgfältig abzuwägen. Er oder sie hat sich möglichst genaue Kenntnis vom bisherigen Konsumverhalten, möglichen schädlichen Wirkungen des bisherigen Konsums und einer eventuellen Abhängigkeit zu verschaffen. Auf dieser Grundlage unterfällt es der ärztlichen Beurteilung, ob eine Kontraindikation vorliegt oder welche Vorkehrungen gegen einen Missbrauch des verordneten Cannabis zu treffen sind.
Nur Anspruch auf das günstigste Mittel
Nicht zuletzt stellt das BSG fest, dass Versicherte bei voraussichtlich gleicher Geeignetheit von Cannabisblüten, Cannabisextrakten und Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon nur einen Anspruch auf Versorgung mit dem kostengünstigsten Mittel haben. Die Krankenkasse sei berechtigt, trotz Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen die Genehmigung der beabsichtigten Verordnung zu verweigern und auf eine günstigere, voraussichtlich gleich geeignete Darreichungsform zu verweisen. Dem/der behandelnden Arzt oder Ärztin stehe bei der Auswahl von Darreichungsform und Menge insoweit kein Einschätzungsspielraum zu.
Bundessozialgericht, Urteile vom 10. November 2023, Az.: B 1 KR 21/21 R, B 1 KR 28/21 R, B 1 KR 9/22 R, B 1 KR 19/22 R. (Link führt jeweils zum Terminbericht)
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