EIGENTLICH könnte ich stolz darauf sein, Apotheker zu sein. Bin ich aber nicht mehr! Im Gegenteil, ich beginne immer mehr, mich zu schämen.
Was unser Team (und ganz viele Apothekenteams in Deutschland) in den zurückliegenden Monaten geleistet hat, verdient Respekt und Anerkennung. Die politischen Weichenstellungen für Apotheken zollen unserem Berufsstand aber weder Respekt noch Anerkennung. Im Gegenteil! Warum ist das so? Weil unser Berufsstand seit Jahrzehnten seinen Niedergang passiv erduldet und nicht angemessen um seinen Fortbestand kämpft.
Nach meinem Verständnis haben „wir Apotheken“ nicht nur für die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu sorgen. Es ist auch unsere Aufgabe, alles dafür zu tun, dass die Rahmenbedingungen stimmen, um diesem Versorgungsauftrag nachkommen zu können. Das tun wir nicht!
Aktuell werden Apotheken von der SPD-Gesundheitssprecherin sogar als „Hamsterer“ hingestellt. Ohne Worte. Was z. B. die Lieferengpässe für Arzneimittel angeht, übernehmen in erster Linie Ärztevertreter unsere Aufgabe (!), diese Missstände wirksam anzuprangern. Aktuell fordern sie z. B. private „Arzneimittelflohmärkte“. OMG! Am 15. Dezember 2022 höre ich in den Nachrichten, dass der Verband der Kinder- und Jugendärzte darauf hinweist, dass die Gesundheit Ihrer Patientengruppe massiv gefährdet ist, weil die Arzneimittelversorgung aufgrund von Lieferengpassen nicht gewährleistet ist. Obwohl diese Thema Kernbereich der Apotheken ist und wir die Problematik der Lieferengpässe schon seit Monaten / Jahren sehen, haben wir es versäumt, unsere Gesellschaft und die Politik frühzeitig und nachhaltig drauf hinzuweisen. Ebenso, wie wir seit Jahrzehnten die stetig wachsende Zahl der Missstände in unserem Habitat / Arbeitsumfeld geduldig und leidensfähig hinnehmen und keine angemessenen Reaktionen zeigen.
Ein Grund für die auch während der Coronakrise noch „halbwegs“ funktionierende Gesundheitsversorgung liegt in der dezentralen und engagierten Arbeit der selbstständigen Heilberufler Vor Ort. Dieses System zerstört das Bundesgesundheitsministerium „lobbygesteuert“ seit Jahren und möchte es nun in ein zentralisiertes System mit Arzneimittelversand, Onlinedoctor und Hotlines überführen. „Schöne neue Welt“.
Kein Personal für Rezepturen
Aus dem Apothekenalltag:
Im gerade zurückliegenden Nachtdienst habe ich unseren letzten Fiebersaft abgegeben. An unserem Autoschalter hören wir die kranken Kinder schreien und können nicht mehr helfen. Für Eigenherstellungen von z. B. Fiebersäften fehlt uns leider das Personal u.v.m.
Apotheken benötigen für Kunden- / Patientenbesuche mit der Problematik der „Nichtlieferbarkeit“ einen erheblichen zusätzlichen Zeitaufwand für Erklärung der Situation, Suche nach Ausweichpräparaten direkt am Point of Sale, anschließende Recherche und ggf. Rücksprache mit der verordnenden Praxis. Die Bedienzeiten pro Kunde / Patient, und damit die Kosten, vervielfachen sich!
Eine besorgte Mutter bittet mich im Apothekennotdienst telefonisch um eine Diagnose für Ihr krankes Kleinkind, weil die Wartezeit bei der Arztnotdienstnummer „116117“ 81 Minuten beträgt.
Die telefonische Kontaktaufnahme mit ärztlichen Notfallpraxen „116 117“ wegen „Nichtlieferbarkeit und Substitution“ scheitert, weil die Praxen im Unterschied zu Notdienst-Apotheken nicht 24/7 besetzt sind. Patienten werden dann nach zeitintensivem Bemühen durch uns unverrichteter Dinge wieder „auf die Reise geschickt“.
Extreme psychische Belastung im Team
Unser Apothekenteam ist durch massiven Personalmangel bei gleichzeitig deutlich erhöhtem, nicht wertschöpfendem (!) Arbeitsaufkommen psychisch extrem belastet. Wir diskutieren im Team, wen wir für wie lange einmal für ein paar Stunden zum Regenerieren nach Hause schicken können. Mitarbeiter*innen machen ihren wohlverdienten Urlaub im Wissen, dass der Rest des Teams in dieser Zeit völlig am Limit ist und anschließend auch Urlaub braucht.
Ich kann eine junge PTA aus Osteuropa (EU) zur dringend benötigten Verstärkung unseres Teams nicht einstellen, weil die Bearbeitungszeit für die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Ausbildung beim Regierungspräsidium in Darmstadt (nach telefonischer Rücksprache) aktuell mindestens sechs bis neun Monate dauert.
Urlaub zur Erholung und Erhaltung der Arbeitskraft für Apothekeninhaber*innen bedingt immer häufiger Betriebsferien, also kurzzeitige Schließungen, weil keine approbierten Vertretungen verfügbar sind. Apotheker in Festanstellungen sind häufig nur noch mit Dienstwagen, Dienstwohnung und massiv überzogenen Gehaltsforderungen zu bekommen.
Nur über die „Not“ der Ärzte wird gesprochen
All diese „Schmankerl“ im Hinterkopf, höre ich kürzlich einen weiteren perfekt aufgebauten Radiobeitrag über einen Ärztestreik in Hessen. Der Redakteur berichtet umfassend über die „Not“ der Ärzte, macht auf strukturelle Missstände in Ihrem Bereich aufmerksam und führt aus, dass die Ärzte der Auffassung sind, dass die „ANHEBUNG“ (!) ihrer Vergütung im kommenden Jahr nicht ausreiche!
Politikerbesuche sind Maßnahme mit begrenzter Wirkung
Derweil freuen wir Apotheker*innen uns, wenn Politiker*innen einmal auf Einladung in unsere Apotheke kommen, sich gemeinsam mit Inhabern*innen ablichten lassen und anschließend kundtun, dass sie „viele Informationen“ mit nach Wiesbaden oder Berlin nehmen. Wir lesen dann als Bildunterschrift, dass wir „Gehör gefunden haben“, dass es uns gelungen sei, auf die Situation der Apotheke hinzuweisen.
Dass es sich in den meisten Fällen nur um Politiker der „zweiten und dritten Reihe“ handelt, die eher wenig zu entscheiden haben und die das „Event“ nur als weiteren Termin IHRER Öffentlichkeitsarbeit sehen, ist leider Realität. Ebenso wie die Tatsache, dass die Politiker erschreckend wenig über die Situation in den Apotheken wissen und die mitgenommenen Informationen sicher ganz schnell in ihren Mülleimern landen, weil ihnen andere Probleme dringender erscheinen. Ich halte die Politikerbesuche und Gespräche von Kolleginnen und Kollegen an der Basis für ehrenwert. Aber leider ist das nur ein (!) Aspekt einer wirkungsvollen Öffentlichkeitsarbeit, eine (!) Maßnahme mit begrenzter Wirkung.
Die überwiegende Zahl der Apotheker*innen empfiehlt ihren Kindern, einen anderen Beruf zu ergreifen. Als Apothekenleiter in dritter Generation tue ich das auch. Ich möchte, dass unsere Kinder einen Beruf ergreifen, der Freude macht und eine positive Zukunftsperspektive hat.
Die Erhöhung des GKV-Rabatts ...
Ein Diskussionsbeitrag auf der diesjährigen Expopharm in München: „Die Erhöhung des GKV-Rabatts zulasten der Apotheken ab 2023 ist in etwa so, als wenn ein Arbeitgeber zu seinem Arbeitnehmer sagt: Du hast in der Vergangenheit viele Überstunden gemacht und damit reichlich Geld verdient. Deshalb werden wir Deinen Stundenlohn im kommenden Jahr reduzieren.“ Hierzu möchte ich die „fiktive“ Antwort der Institution „Öffentliche Apotheke“ ergänzen: „Das finde ich jetzt aber nicht ganz so toll, wenn wir weniger bekommen sollen, aber was kann ich denn sonst noch als kalkulatorische Null-Nummer oder Draufleger für die Gesellschaft tun?“
Unser Gutmenschentum führt zum Entzug der wirtschaftlichen Grundlage
Das in unserem Berufsstand weit verbreitete Gutmenschentum mag für unsere Arbeit als Heilberufler hilfreich sein. Aber grenzenlose Kompromissbereitschaft, Verzicht sogar auf berechtigte Forderungen / Zusagen und immer wieder „Ja, das müssen wir so hinnehmen – es hätte ja viel schlimmer kommen können!“ führt dazu, dass uns die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird, um dieses heilberufliche Gutmenschentum zum Wohle der Gesellschaft weiter pflegen zu können! Schlussendlich werden Marktteilnehmer, die ihre Interessen besser vertreten als wir, unsere Aufgaben übernehmen. Nicht unbedingt zum gesundheitlichen Wohl unserer Gesellschaft.
Fehlende Öffentlichkeitsarbeit rächt sich
Die Apotheken machen einen tollen Job. Das sagen viele! Das, was unser Berufsstand aber seit Jahrzehnten an Öffentlichkeitsarbeit und für die „Positionierung im Gesundheitswesen“ tut / nicht tut, rächt sich.
Die katastrophalen Bedingungen des Apothekenalltags und die rabenschwarze Zukunftsprognose werden von der Gesellschaft und der Politik nicht wahrgenommen. Anderen Gesundheitsdienstleistern hingegen gelingt es, ihre Situation und ihre Forderungen öffentlich darzustellen. Politiker müssen denken: „Bei den Apotheken ist doch alles in Ordnung, die beschweren sich ja nicht (wahrnehmbar).“ Oder: „Mit den Apotheken können wir es ja machen und sie grenzenlos melken.“ Man nimmt es denen, bei denen am wenigsten Widerstand zu erwarten ist. Und wenig Widerstand, das können wir Apotheker*innen gut!
Einzige Berufsgruppe, deren Vergütung staatlich verordnet reduziert wird
Wir Apothekeninhaber*innen sind nach meiner Kenntnis die einzige Berufsgruppe, deren Vergütung im kommenden Jahr staatlich verordnet reduziert wird. In den Medien höre ich täglich von neuen Gruppen, deren Vergütung angehoben wird!
Durch die aktuellen Weichenstellungen des Gesundheitsministeriums wird sich der Fortgang der Zerstörung der Institution „Öffentliche Apotheke“ und damit der Niedergang der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beschleunigen.
Die beschriebenen „Vorgänge“ bestimmen unseren Apothekenalltag und unsere Zukunft. Der Punkt, das alles weiter so hinzunehmen, ist schon lange überschritten. Unser Kuschelkurs mit der Politik und das Verhandeln aus der Position einer grundlos selbst auferlegten Schwäche führt die Institution Apotheken in eine auf breiter Fläche existenzbedrohende Situation!
Vertritt unsere Standesvertretung wirklich unseren Stand?
Apotheker*innen, die sich Gedanken um die Zukunft machen, müssen (sich) zumindest diese Fragen stellen:
Ist noch was zu retten oder ist der Niedergang unumkehrbar?
Vertritt unsere Standesvertretung wirklich unseren Stand? Die Tatsache, dass die Basis sich nicht rührt und leidgewohnt erstaunlich viel hinnimmt, spricht dafür! Oder sind alle happy? Dann sollten wir weiter so machen und hätten die Konsequenzen nicht besser verdient!
Vielleicht sehen viele selbständige Apothekern*innen die Entwicklung und die Konsequenzen nicht. Fehlt ihnen vielleicht ein Stück weit unternehmerisches Verständnis und sie sind daher so passiv? Sie stemmen Tag für Tag den Apothekenalltag und strampeln im Hamsterrad immer weiter, bis sie gesundheitlich und / oder unternehmerisch „fertig haben“.
Ich bin nicht der Auffassung, wir sollten weiterhin alles hinnehmen, und möchte zudem gern Sascha Lobo zitieren: „Die Probleme des 21. Jahrhunderts lassen sich nicht mit Denkweisen und Mitteln des 20 Jahrhunderts lösen.“ Aus zahlreichen Gesprächen weiß ich, dass es Kollegen*innen gibt, die ebenso denken. Wie viele???
Wir „Apotheken“ müssen selbstbewusst sein und auftreten
Die Zeit des Bittens und Bettelns ist schon lange vorbei. Wenn wir Apotheken unsere Forderungen (ja, Forderungen!!!) der Politik nicht mit Nachdruck vortragen, werden wir abgeschafft. Wir „Apotheken“ müssen selbstbewusst sein und auftreten, um etwas zu erreichen. Andere Marktteilnehmer im Gesundheitswesen tun dies und haben Erfolg.
Unser Ziel muss sein, die Institution „Öffentliche Apotheke“ wieder attraktiv zu machen. Für alle derzeit „Aktiven“ und, um „Nachwuchs“ zu generieren.
Die Unterzeichner fordern unsere Standesvertretung auf, wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen, um der Institution „Öffentliche Apotheke“ eine angemessene Zukunft zu ermöglichen:
- Neudefinition unseres Selbstverständnisses als leistungsstarker Gesundheitsdienstleister „Positionierung der öffentlichen Apotheke“.
- Erstellung eines Konzeptpapieres mit unseren Forderungen (!). Selbstbewusster Dialog mit der Politik bzgl. dieser Forderungen zu den Rahmenbedingungen unseres Arbeitens.
- Durchführung mehrerer tageweiser Streiks aller Öffentlichen Apotheken nach Fahrplan (nur Notdienstbetrieb) – lieber mal einen Tag auf Einnahmen verzichten (diese zum Großteil auf Folgetage verschieben) als den kontinuierlichen Niedergang verwalten.
- Flankierend bundesweite Aktionen Öffentlichkeitsarbeit durch Anzeigen und Pressearbeit unter Zuhilfenahme von professionellen PR-Beratern.
- Zahlreiche gesetzliche Rahmenbedingungen gehören auf den Prüfstand und der Realität angepasst. Beispielsweise: Notdienstregelung, Öffnungszeiten-Vorgaben, Vertretungsregelungen, Ausbildungsordnung.
Apotheker Gunther Böttrich
Inhaber Burg Apotheke Volkmarsen / Geschäftsführer promosi GmbH
9 Kommentare
Kollege Böttrich
von Wolfgang Steffan am 23.12.2022 um 12:39 Uhr
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Deppen der Nation
von Gerhard Zibulak am 23.12.2022 um 9:52 Uhr
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ABDA Aktion dringend notwendig
von Christel Kellner-Wedler am 22.12.2022 um 23:54 Uhr
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Brief an die ABDA
von Martin Straulino am 22.12.2022 um 18:45 Uhr
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Die Deppen der Nation
von Christiane Reuter am 22.12.2022 um 18:20 Uhr
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Danke!
von Susanne Crauser am 22.12.2022 um 18:20 Uhr
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Veränderungen dringend notwendig
von Linda F. am 22.12.2022 um 15:14 Uhr
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Danke!
von Thomas Eper am 22.12.2022 um 13:44 Uhr
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AW: Danke
von Linda F. am 22.12.2022 um 15:04 Uhr
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