Bundesgerichtshof

EuGH muss sich mit Arzneimittelvertrieb über Amazon-Marktplatz befassen

Berlin - 12.01.2023, 11:00 Uhr

Arzneimittelvertrieb via Amazon legal oder nicht? Und wer darf bei einem möglichen Verstoß gegen die DSGVO klagen? (Foto: Gerichtshof der Europäischen Union)

Arzneimittelvertrieb via Amazon legal oder nicht? Und wer darf bei einem möglichen Verstoß gegen die DSGVO klagen? (Foto: Gerichtshof der Europäischen Union)


Seit rund fünf Jahren beschäftigen sich die Gerichte mit der Frage, ob eine Apotheke, die Arzneimittel über den Amazon-Marktplatz vertreibt und dabei auch Gesundheitsdaten erhebt, gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstößt. Ebenso, ob apothekenrechtliche Normen verletzt sind. Seit 2020 liegen zwei solcher Fälle beim Bundesgerichtshof – und dieser hat sie nun in eine weitere Verlängerung geschickt: Der Europäische Gerichtshof soll vorab klären, ob der klagende Apotheker wegen DSGVO-Verstößen überhaupt wettbewerbsrechtlich gegen einen Kollegen vorgehen darf. 

Der Münchner Apotheker Hermann Vogel Jr. hat einen langen Atem. Im Jahr 2017 machte er gegen zwei (Versand-)Apotheker aus Sachsen-Anhalt, die Arzneimittel über den Amazon-Marktplatz anboten, Unterlassungsansprüche geltend. Er ist überzeugt, dass dieses Geschäftsmodell gegen das Datenschutzrecht, also die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), verstößt. Unter anderem sei für die Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten im Rahmen des Bestellprozesses keine Einwilligung eingeholt worden. Vogel rügte aber auch Verstöße gegen verschiedene apothekenrechtliche Normen. 

In erster Instanz gingen die beiden ähnlich gelagerten Verfahren unterschiedlich aus: Das Landgericht Dessau-Roßlau entschied im März 2018, die Veräußerung apothekenpflichtiger Produkte über die Plattform Amazon Marketplace verletze datenschutzrechtliche und berufsrechtliche Vorschriften. Dieser Vertrieb sei unzulässig, solange nicht sichergestellt werde, dass der Kunde beim Bestellvorgang seine ausdrückliche Einwilligung in die Verarbeitung von Gesundheitsdaten erteile. An der Klagebefugnis Vogels zweifelte das Gericht nicht. Das Landgericht Magdeburg wies Vogels Klage hingegen ab. Verstöße gegen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes, des Heilmittelwerbegesetzes, der Apothekenbetriebsordnung und der Berufsordnung für Apotheker lägen nicht vor. Und hinsichtlich etwaiger DSGVO-Verstöße sei ein einzelner Apotheker nicht klagebefugt. Die DSGVO enthalte ein abschließendes Sanktionssystem, das den Wettbewerber nicht einschließe.

Das Oberlandesgericht Naumburg entschied dann Ende 2019 in zweiter Instanz in beiden Verfahren, dass die Regelungen der DSGVO in der konkreten Fallkonstellation als Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 3a UWG anzusehen. Die beklagten Apotheker verarbeiteten im Rahmen der Bestellungen Gesundheitsdaten ihrer Kunden (Art. 9 Abs. 1 DSGVO) – ohne die notwendige Einwilligung. Einen Verstoß gegen die weiteren – apothekenrechtlichen – Vorschriften sah das Oberlandesgericht jedoch nicht.

Bundesgerichtshof hat schon einmal auf den EuGH gewartet

Beide Fälle landeten dann vor dem Bundesgerichtshof. Auch hier ließ man sich Zeit. Der zuständige Zivilsenat setzte die Verfahren erst einmal aus, weil er eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) abwarten wollte. Der war nämlich bereits mit einer Frage des Bundesgerichtshofs befasst, wer DSGVO-Verstöße abmahnen darf. Dabei ging es um Spiele von Drittanbietern bei Facebook und zugehörige Datenübermittlungen. Geklagt hatte der Verbraucherzentrale Bundesverband. Die Frage lautete: Dürfen auch Mitbewerber, nach nationalem Recht berechtigte Verbänden, Einrichtungen und Kammern wegen solcher Verstöße im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten vorgehen? Die Richter:innen in Luxemburg entschieden daraufhin im April 2022, dass Verbände wie die Verbraucherzentrale durchaus anstelle der Nutzer:innen selbst gegen Internet-Riesen vor Gericht ziehen dürfen – auch ohne konkreten Auftrag Betroffener. Offen ließen sie jedoch den Fall, dass eine einzelne Person in solchen Datenschutzfällen gegen Mitbewerber vorgeht. Die Entscheidung half dem BGH-Zivilsenat also nicht weiter.

Im vergangenen September wurde dann vor dem Bundesgerichtshof verhandelt. Am heutigen Donnerstag stand die Entscheidung an. Doch diese fiel nicht in der Sache. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof die Verfahren erneut ausgesetzt und dem EuGH zwei Fragen vorgelegt. Zum einen: Stehen die Regelungen in Kapitel VIII der DSGVO nationalen Regelungen entgegen, die – neben den Eingriffsbefugnissen der zur Überwachung und Durchsetzung der Verordnung zuständigen Aufsichtsbehörden und den Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen – Mitbewerbern die Befugnis einräumen, wegen DSGVO-Verstößen gegen den Verletzer im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken vorzugehen. Kurz gesagt: Durfte Vogel gegen seine Kollegen vor Gericht ziehen?

Geht es überhaupt um Gesundheitsdaten im Sinne des EU-Datenschutzrechts?

Außerdem hat der Bundesgerichtshof den EuGH gefragt, ob es sich im vorliegenden Fall überhaupt um Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO sowie Daten über Gesundheit im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Richtlinie) handelt. Gemeint sind die Daten, die Kunden eines Apothekers, der auf einer Internet-Verkaufsplattform als Verkäufer auftritt, bei der Bestellung von zwar apothekenpflichtigen, nicht aber verschreibungspflichtigen Medikamenten auf der Verkaufsplattform eingeben (Name des Kunden, Lieferadresse und die für die Individualisierung des bestellten apothekenpflichtigen Medikaments notwendigen Informationen).

Nun ist also erneut der EuGH am Zug. Apotheker Vogel wünscht sich nach wie vor, dass auch ein Verstoß gegen apothekenrechtliche Normen höchstrichterlich festgestellt wird. Doch noch steht in den Sternen, wie Karlsruhe entscheiden wird. Gleich wie es juristisch ausgeht – aus pharmazeutischer Sicht hält Vogel die Plattformen im Arzneimittelbereich bereits für gescheitert. 

Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 12. Januar 2023 - I ZR 222/19 und I ZR 223/19


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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