Neuer Ansatz bei Antibiotika-Resistenz

Störung der bakteriellen Kommunikation hilft Antibiotikum bei der Arbeit

Düsseldorf - 10.02.2023, 13:46 Uhr

LecA (grün) bindet an die Oberfläche von Wirtszellen (linkes Bild). Bei Zugabe eines der neu entwickelten glycomimetischen Inhibitoren (rechtes Bild), wird das Binden von LecA verhindert. (Bild: Francesca Rosato, Dorina Reith/University of Freiburg | helmholtz-hips.de)

LecA (grün) bindet an die Oberfläche von Wirtszellen (linkes Bild). Bei Zugabe eines der neu entwickelten glycomimetischen Inhibitoren (rechtes Bild), wird das Binden von LecA verhindert. (Bild: Francesca Rosato, Dorina Reith/University of Freiburg | helmholtz-hips.de)


Forscher am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) haben jetzt einen neuen Weg veröffentlicht, Infektionen mit Pseudomonas aeruginosa trotz zunehmender Antibiotika-Resistenz bekämpfen zu können. Dazu störten sie die Kommunikation der Bakterien untereinander.

Pseudomonas aeruginosa ist ein sehr verbreitetes gramnegatives Stäbchenbakterium, das praktisch überall vorkommt – besonders da, wo es feucht ist. Das Bakterium ist ein wahrer Überlebenskünstler. Es existiert auch ohne Sauerstoff gut und vermag sogar auf Ölen und Diesel zu überleben (wo es für die sogenannte Diesel-Pest mitverantwortlich ist). Leider siedelt es aber auch manchmal in tierischen oder menschlichen Körpern, besonders bei Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Das Spektrum möglicher Krankheiten, die der Keim dann auslöst, ist groß und reicht von Wund- und Harnwegsinfektionen bis zu Lungenentzündungen und Blutvergiftung. Besonders Menschen, die an zystischer Fibrose leiden, sind von Lungenentzündungen durch P. aeruginosa betroffen. Auch bei der künstlichen Beatmung ist der Keim gefürchtet. Da die Bakterien sogar in destilliertem Wasser überleben können und resistent gegen den Seifenbestandteil SDS (Natriumlaurylsulfat) sind – und sich damit Basishygiene-Maßnahmen erfolgreich widersetzen, gehört Pseudomonas aeruginosa zu den häufigsten nosokomialen, also Krankenhaus-Keimen.

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Erschwerend hinzu kommt, dass die Pseudomonaden bereits von Natur aus eine Reihe von Antibiotika-Resistenzen mitbringen. Das liegt bereits in ihrer weiten Verbreitung begründet. In zahlreichen natürlichen Lebensräumen haben die Bakterien diese Resistenzen im Kampf um Lebensraum mit Pilzen und anderen Organismen entwickelt, von denen viele unserer medizinisch genutzten Antibiotika stammen. Natürlicherweise sind Antibiotika schließlich Mittel im Kampf um Lebensraum – und Resistenzgene die evolutionsbedingte Antwort darauf. Bei der Therapie von Pseudomonaden erschwert das allerdings den Behandlungserfolg erheblich – abgesehen davon, dass durch die von Menschen übermäßig angewendeten Antibiotika ständig neue Resistenzen entstehen.

Blockierte Kommunikation führt zu geringerer Pathogenität

Die Suche nach neuen Antibiotika ist daher ein wichtiger Forschungsbereich. Forscher am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) in Saarbrücken haben nun aber einen ganz anderen Ansatz verfolgt und damit eine neue Wirkstoffklasse im Kampf gegen Pseudomonas-Infektionen eröffnet. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher aus der Arbeitsgruppe um Dr. Martin Empting, Leiter der Gruppe Antivirale und Antivirulenzwirkstoffe am HIPS, jetzt im Fachmagazin Advanced Science.

Statt konkret nach neuen, die Bakterien abtötenden Wirkstoffen zu suchen, setzten die Wissenschaftler bei der Kommunikation der Bakterien untereinander an. Diese interagieren, indem sie Botenstoffe absondern und von anderen Bakterien rezipieren. Mit diesen biochemischen Botenstoffen funktioniert etwa das sogenannte Quorum sensing. Damit erhalten die Bakterien Informationen darüber, wie viele andere Individuen ihrer Art sie umgeben. Einige wenige Pseudomonaden verhalten sich so anders als eine ganze Kolonie. Abhängig von der Anzahl – also abhängig von der Konzentration der Botenstoffe – bilden die Bakterien so etwa Biofilme, indem sie klebriges Alginat produzieren oder sekretieren Toxine, die ihnen im menschlichen Körper beispielsweise das Immunsystem fernhalten. Diese Eigenschaften sind oft fatal für den Infizierten.

Blockiert man aber etwa Rezeptoren für diese Botenstoffe, dann unterbleiben einige dieser die Pathogenität erhöhenden Ereignisse. Empting und sein Team nahmen sich dabei explizit den „Pseudomonas quinolone signaling receptor“ (PqsR) vor und suchten nach Wirkstoffen, die diesen Rezeptor wirksam inhibieren konnten. Der Rezeptor ist auch als „multiple virulence factor regulator“ bekannt. Wird er durch seinen natürlichen Liganden HHQ (2-Heptyl-4-hydroxychinolin) aktiviert, produziert P. aeruginosa entzündungsfördernde Substanzen und die gefürchteten Biofilme, die sie vor dem Immunsystem, aber auch vor vielen Antibiotika schützen.

Optimierte Inhibitoren in Zellkultur und im Mausmodell getestet

Ausgehend vom natürlichen Liganden des PqsR entwickelten die Forscher als Inhibitor wirkende Moleküle. Bei der Entwicklung halfen unter anderem Röntgenstrukturanalysen des PqsR. „Da wir bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe immer eine potenzielle Anwendung am Menschen als Ziel haben, mussten wir neben einer ausgezeichneten Wirksamkeit auch gute pharmakologische Eigenschaften erreichen und unerwünschte Nebenwirkungen minimieren“, sagt Empting. „Das war nicht immer einfach, da selbst kleine Änderungen am Molekül oft große Auswirkung auf dessen Eigenschaften haben, aber wir können mit unserem Ergebnis sehr zufrieden sein.“

Die optimierten Substanzen testeten die Forscher zum einen in der Zellkultur daraufhin, ob konkret das entzündungsfördernden Molekül Pyocyanin vermindert produziert wird. Dazu gaben sie die PqsR-Inhibitoren zu klinischen Isolaten von P. aeruginosa. Darüber hinaus zeigte sich, dass der neue Wirkstoff Biofilme auflösen kann und die Wirkung des Antibiotikums Tobramycin verstärkt.

Im Mausmodell zeigten die Saarbrücker dann, dass die gemeinsame Gabe von Tobramycin und dem neuen PqsR-Inhibitor die Infektion mit P. aeruginosa deutlich besser bekämpfen konnte, als eine der beiden Substanzen alleine.

Pathogenspezifischer Ansatz schützt das Mikrobiom

Allerdings ist der Ansatz sehr spezifisch auf den Erreger P. aeruginosa ausgerichtet. „Wir haben es hier mit einem sogenannten ‚pathogenspezifischen‘ Ansatz zu tun“, erklärt Empting. „Das hat den Vorteil, dass wir die gute Bakterienflora – das ‚kommensale Mikrobiom‘ – nicht schädigen. Es muss aber sichergestellt werden, dass bei einer festgestellten Infektion im Patienten wirklich das Bakterium P. aeruginosa vorliegt. P. aeruginosa verursacht häufig langwierige und schwer behandelbare Infektionen zum Beispiel in der Lunge und weist dabei oftmals Antibiotikaresistenzen auf. Dieser Umstand hat zur Folge, dass in diesen Patientengruppen chronische Infektionen mit P. aeruginosa diagnostiziert werden können und somit hier die pathogenspezifischen Ansätze gezielt eingesetzt werden können“, sagt der Forscher. Generalisierbare Ansätze zur Hemmung der bakteriellen Kommunikation könnten aber eventuell durch Eingriff in andere ‚gebräuchlichere‘ Kommunikationspfade wie die auf Homoserinlacton basierenden Quorum Sensing-Systeme erreicht werden, sagt Empting.

Wenn Bakterien antimikrobiellen Substanzen trotzen

Gefährlich resistent

Bis zu einem Therapeutikum auf Basis der PqsR-Inhibitoren sei es allerdings noch ein weiter Weg. „Bevor die Verbindung das erste Mal am Menschen zum Einsatz kommen kann, müssen die aufwendigen Schritte der präklinischen Entwicklung durchlaufen werden. Dies beinhaltet unter anderem die Entwicklung von Herstellungs- und Qualitätssicherungsprozessen sowie Studien zur Sicherstellung der Anwendungssicherheit. Dies wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen, da solche Studien aus dem akademischen Umfeld heraus nur mühsam zu bewerkstelligen sind und derzeit der Wirkstoffmarkt im Bereich der Antiinfektiva für ‚Big Pharma‘ nicht attraktiv ist“, sagt er.

Therapeutikum möglicherweise in einigen Jahren

Resistenzbildung fürchtet Empting bislang nicht für die Wirkstoffklasse: „In der Tat, ist es schwierig, in klassischen Laborbedingungen Resistenzen gegen unsere Substanzen zu erzeugen, da die Verbindungen die Bakterien nicht abtöten, sondern lediglich ihre krankmachenden Eigenschaften ausschalten. Wir wissen noch nicht, ob aber beim Einsatz im infizierten Organismus – unter Anwesenheit des Immunsystems – nicht doch ein Selektionsdruck hin zu Resistenzbildung vorherrscht. Dies bedarf noch weiterer Forschung“, sagt er.

Die Hipps-Forscher wollen ihre Entwicklung in jedem Fall weiter voranbringen. „Unsere konkreten nächsten Schritte sind die Entwicklung von geeigneten Formulierungen zur Applikation über verschiedene Routen auf der einen Seite und die Untersuchung der Pharmakodynamik-Pharmakokinetik Beziehungen auf der anderen Seite“, sagt er. „Wir sehen das Potenzial, dass unsere Verbindungen bei Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen wie Mukoviszidose oder Bronchiektase und damit verbundenen P. aeruginosa-Infektionen in einigen Jahren therapeutisch zum Einsatz kommen könnten.“


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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