Projekt ImageTox

Wirkstoffforschung: KI soll Zebrafischlarven schneller „auswerten“ können

Düsseldorf - 07.03.2023, 15:45 Uhr

Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme einer Zebrafischlarve, in der neutrophile Granulozyten grün markiert wurden. (Foto: HIPS/Jonas Baumann)

Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme einer Zebrafischlarve, in der neutrophile Granulozyten grün markiert wurden. (Foto: HIPS/Jonas Baumann)


Forschende des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) und des CISPA Helmholtz-Zentrums für Informationssicherheit wollen gemeinsam ein auf Maschinenlernen und Künstlicher Intelligenz basierendes System entwickeln, das optische Auswertungen am Mikroskop beschleunigen soll. So soll im Tierversuch an einem Zebrafischlarven-Modell die Wirkstoffforschung beschleunigt werden können. 

Zebrafischlarven könnten nach Meinung der Forschenden am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) in Saarbrücken ein echter „Gamechanger“ in der Wirkstoffforschung werden. „Das Besondere an den Larven ist, dass sie schon in den ersten 120 Stunden nach der Befruchtung ein Organsystem mit Nieren und Leber ausbilden. Ob ein Wirkstoff vom Organismus abgebaut werden kann oder toxische Nebenwirkungen zeigt, kann an ihnen daher viel besser getestet werden als an einfachen Zellkulturmodellen“, erklärt Dr. Jennifer Herrmann, Teamleiterin Biologie am HIPS. Damit lassen sich Versuche an höher entwickelten Tieren wie Mäusen sogar zum Teil ersetzen – für die Erforschung dieses Modells haben die Forschenden bereits den Forschungspreis „Alternativen zu Tierversuchen“ des saarländischen Umweltministeriums erhalten.

Allerdings hat das System seine Grenzen: „Die Larven messen zirka 5 Millimeter in der Länge und nur einige hundert Mikrometer im Durchmesser. Damit sind sie sehr klein. Selbst phänotypisch ausgeprägte Effekte lassen sich nur mikroskopisch beobachten. Um statistisch aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen, werden Untersuchungen an mindestens ein bis drei Kontrollgruppen sowie mindestens fünf Behandlungsgruppen à 20 Larven durchgeführt. Ein einziger Test umfasst damit schnell eine Gesamtzahl von mehr als 120 Larven. Die Beobachtung und Bewertung von Substanzeffekten via manueller Auswertung ist deshalb sehr zeitintensiv, wodurch die Anzahl der parallel durchführbaren Tests limitiert ist“, sagt Herrmann. Am HIPS setzt man das Tiermodell aktuell deshalb nur in kleinem Maßstab ein.

KI könnte besser mikroskopieren als der Mensch

Das soll sich allerdings in der Zukunft ändern. Um dieses Modell auch im größeren Maßstab einsetzen zu können, setzen die Forschenden des HIPS auf Künstliche Intelligenz. Dazu arbeiten sie mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des CISPA Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit aus dem Helmholtz-Forschungsverbund zusammen, die ihre Expertise beim Thema Maschinenlernen beisteuern. „Wir werden Methoden des maschinellen Lernens entwickeln, die bildbasiert schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Entwicklung der Larven nach einer Testung vorhersagen und Anomalien erkennen können. Somit können viele Versuchsreihen vorzeitig beendet werden, was Zeit und Geld spart. Außerdem können wir damit einen hohen Grad der Automatisierung der Experimente erreichen. Wir vermuten zudem, dass solche Algorithmen sogar die menschlichen Fähigkeiten, Mikroskopie-Daten zu analysieren und zu interpretieren, überschreiten können“, erklärt Professor Dr. Mario Fritz vom CISPA. ImageTox ist der Name des Projekts, das sich später möglicherweise auch auf andere optisch auswertbare Testsysteme ausweiten lassen könnte.

„Durch eine automatisierte Bonitur (eine fachgerechte qualitative Bewertung) der Larventests mithilfe eines computergestützten, mikroskopischen Systems sowie der Effektbewertung durch eine KI und ,machine-learning‘ kann dieser Prozess praktisch ohne manuellen Einsatz ablaufen. Hierdurch können mehr Substanzen in kürzerer Zeit als potenzielle Wirkstoffkandidaten identifiziert oder ausgeschlossen werden, noch bevor sie im weiteren Verlauf im Nagermodell getestet würden“, sagt Herrmann. Durch die automatisierte Auswertung der Tests sei darüber hinaus eine Bonitur zu jedem beliebigen Zeitpunkt während des bis zu 120 Stunden andauernden Experiments realisierbar, wodurch kontinuierliche Effektbeobachtungen außerhalb der „normalen Arbeitszeit“ ohne jeglichen personellen Einsatz möglich würden. „Hierdurch soll eine Früherkennung potenzieller negativer Substanzeffekte in der Larve erreicht werden. Wird ein solcher Effekt durch die KI detektiert, kann der Test sofort beendet werden, wodurch die Testdauer signifikant verkürzt werden kann. Des Weiteren soll eine rein objektive Effektbewertung durch die KI erreicht werden, um subjektive Eindrücke eines menschlichen Experimentators auszuschließen“, erklären die Forschenden.

KI-System könnte sich auf andere Testsysteme anwenden lassen

Grundsätzlich könnte sich ImageTox dann auch für andere biologische Testsysteme, Tiermodelle oder Zellkulturen nutzen lassen, die sich optisch auswerten lassen. „Zum einen entwickelt ImageTox neue Methodik für die Bildanalyse und insbesondere die Analyse von Zeitreihen. Hier kommen moderne Methoden der künstlichen Intelligenz zum Einsatz. Die Methodik ist in großen Teilen nicht spezifisch für den konkreten Anwendungsfall. Die aktuelle Planung sieht eine Entwicklung und Evaluation der Methodik für die Zebrafischlarve vor. Wir sind aber auch daran interessiert die Anwendbarkeit in anderen Feldern zu explorieren, wollen aber nicht über die Effektivität bei einem solchen Transfer spekulieren“, sagen die HIPS- und CISPA-Forschenden.

Bis es so weit ist, ist aber noch viel zu tun. „Zunächst muss das computergestützte Mikroskopiersystem so programmiert werden, dass es automatisch den Embryo beziehungsweise die Larve erkennt, darauf fokussiert und eine scharfe Aufnahme erzeugt wird. Alternativ werden Methoden erprobt, die es erlauben die Larve in einer bestimmten Position zu fixieren. Zeitgleich wird die KI darauf trainiert, gesunde Embryonen beziehungsweise Fischlarven zu erkennen, um im nächsten Schritt expositionsbedingte Veränderungen zu detektieren. Diese beinhalten neben dem Tod der Larve – als worst-case – primär Missbildungen wie zum Beispiel ein Ausbleiben der Schwanzablösung vom Dottersack, fehlende Entwicklung der Somiten (Strukturen in der Embryonalentwicklung), fehlende Ausbildung des Auges oder perikardiale Ödeme“, erklärt Herrmann.

Auch komplexere toxikologische Effekte sollen überprüfbar werden

Rund eineinhalb Jahre, schätzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, würden für diesen Teil des Projektes benötigt. In einem zweiten Projektteil will man das Zebrafischlarven-Modell ausweiten, um auch komplexere toxikologische Effekte von Wirkstoffkandidaten testen zu können. „Im zweiten Teil des Projekts sind Untersuchungen kardiotoxischer Effekte durch die Ermittlung der Herzschlagrate sowie von Herzrhythmusstörungen durch die KI geplant“, erklärt Herrmann. Eine maschinengestützte Auswertung solcher Effekte sei bereits am HIPS etabliert. „Ziel des Projekts ist die Kombination aus allgemeiner Toxizitätstestung mit der Beobachtung kardiotoxischer Effekte innerhalb eines Versuchslaufs und so die Gesamtzahl an Larventests zu verringern.“

Darüber hinaus verfüge das HIPS über eine Vielzahl an verschiedenen „Organotox-Zebrabärblingslinien“, bei denen jeweils ein Organ oder Kompartiment über einen spezifischen Fluoreszenzmarker verfüge. „Die KI soll die Effektstärke über die Veränderung der Fluoreszenzintensität des betroffenen Organs im Vergleich zu einer Kontrollgruppe quantifizieren“, sagen die Forschenden. Weitere eineinhalb Jahre soll dieser Teil des Projektes ImageTox voraussichtlich benötigen, sagen sie.

Insgesamt soll das dann KI-verbesserte biologische Testsystem dann später helfen, bereits in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung neuer Wirkstoffe deren Sicherheit effizient zu prüfen.


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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