Hot Melt Extrusion / Fused Deposition Modeling

Ein Schritt näher an der Tablette aus dem Apotheken-Drucker

Düsseldorf - 08.03.2023, 09:15 Uhr

Druck einer Tablette. (Foto: HHU Düsseldorf / th-koeln.de)

Druck einer Tablette. (Foto: HHU Düsseldorf / th-koeln.de)


Forschenden der Technischen Universität Köln und der Uni Düsseldorf haben gemeinsam mit dem Pharmaunternehmen Merck und dem Forschungsunternehmen Gen-Plus ein neues Verfahren entwickelt, mit dem sich Tabletten im 3D-Druck etwa in der Apotheke produzieren lassen.

3D-Drucker klangen vor nicht allzu langer Zeit noch nach Science-Fiction. Mittlerweile haben sie in vielen Bereichen der Produktion längst erfolgreich Einzug gehalten. Von kleinsten Kunststoff-Bauteilen bis hin zur riesigen metallenen Schiffsschraube – oder unlängst auch ganze Häuser – vieles können die 3D-Drucker bereits herstellen. Ein Bereich, in dem sich das Herstellungsverfahren aber noch schwertut, ist allerdings die Pharmazie.

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Forschende der Technischen Hochschule Köln und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie der Unternehmen Merck und Gen-Plus wollen diesen Umstand nun aber ändern. Den bisherigen Verfahren haben sie jetzt zwei neue hinzugefügt, die sie nun bis zur Marktreife entwickeln wollen.

Die Verfahren erinnern an gängige 3D-Drucker besonders für den Hobby-Bereich, in denen Kunststofffilamente aufgeschmolzen und durch den Drucker in eine neue Form gebracht werden. Bei den Verfahren „Hot Melt Extrusion“ und „Fused Deposition Modeling“, die die Forschenden im nun abgeschlossenen Projekt „PolyPrint – Prozesssichere und reproduzierbare Herstellung pharmazeutischer Darreichungsformen nach dem FLM“ entwickelt haben, handelt sich um Abwandlungen eben jener weitverbreiteten Fused Layer Modeling (FLM)-Methode, bei der 3D-Objekte in Schichten aus verflüssigtem Kunststoff entstehen.

Kunststoff-Filamente enthalten gleichmäßig Wirkstoffe

Bei der „Hot Melt Extrusion“ werden spezielle Kunststoffe aufgeschmolzen und mit pharmazeutischen Wirkstoffen vermischt. Es entstehen dabei Filamente mit einer gleichmäßig verteilten Menge der Wirkstoffe. Diese mit Wirkstoff beladenen Filamente dienen dann im 3D-Drucker vor Ort als Ausgangsmaterial, um im „Fused Deposit Modeling“-Verfahren zu Tabletten mit individualisierter Dosierung verarbeitet zu werden. Neben den Verfahren entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch die dafür notwendigen Polymere, die wasserlöslich sein müssen, bei niedriger Temperatur verarbeitbar und dennoch thermostabil. Die neu entwickelten pharmazeutischen Polymere stammen dabei von Merck.

Außerdem entwickelten die Forschenden im Labor für Fertigungssysteme der TH Köln einen Prototyp eines für dieses Verfahren geeigneten 3D-Druckers, der den Richtlinien der „Good Manufacturing Practice“ nach dem EU-GMP-Leitfaden für Anlagen in der pharmazeutischen Produktion entspricht.

Aktuell hat dieser zwei Druckköpfe, die Filamente mit unterschiedlichen Wirkstoffen verarbeiten und nacheinander oder im Wechsel eine Tablette drucken können. In der Zukunft soll das System bis zu acht Druckköpfe besitzen. Der Druckraum ist dabei komplett abgekapselt und alle Komponenten, die mit Material in Berührung kommen, lassen sich leicht reinigen. Der wassergekühlte Druckkopf ist auch für brüchige Filamente geeignet. Die Tabletten entstehen dann in Schichten und lassen sich hinsichtlich der Dosierung, aber auch der Zusammensetzung der Wirkstoffe individualisieren – aber auch die Geometrie soll steuerbar sein.

An der Entwicklung der Polymere und der „Hot Melt Extrusion“ arbeiteten das Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und die Firma Gen-Plus. Der Extruder, der Polymere und Wirkstoffe vermischt, kann dabei auch bei sehr geringen Dosierungen von 0,1 Prozent Wirkstoff Filamente erstellen, die vollständig homogen sind, sagen die Forschenden.

Marktreife soll in rund zweieinhalb Jahren möglich sein

Bis diese Drucker aber in Apotheken stehen können, wird wohl noch etwas Zeit vergehen. „Damit die Systeme in der Praxis Anwendung finden können, müssen diese zunächst zur Marktreife gebracht werden“, erklärt Fabian Loose, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik der TU Köln. „Unter anderem bedeutet dies die Optimierung der einzelnen Baugruppen hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Produktion. Für eine breite Anwendung mangelt es aktuell noch an der Materialvielfalt. Zurzeit gibt es nicht viele Polymer-Wirkstoffkombination, die für den 3D-Druck geeignet sind. Daran wird aber geforscht“, sagt Loose.

Die Entwicklung zur Marktreife des Drucksystems werde voraussichtlich zweieinhalb Jahre in Anspruch nehmen, so der Wissenschaftler. „Dies wird in unserer Ausgründung ‚goatAM‘ durchgeführt. Wir stehen bereits im engen Austausch mit mehreren Klinikapotheken und Pharmaunternehmen, die ersten Maschinenanfragen an uns gesendet haben. Nach Erlangen der Marktreife werden die Drucksysteme zunächst vorrangig Anwendung in Forschungseinrichtungen und klinischen Studien finden“, sagt Loose.

Die Vorteile des Verfahrens seien dabei vielfältig, sagt er. „Durch die exakte Dosierung anhand der Analyse von Biomarkern wird eine zu hohe Dosierung ausgeschlossen. Das Brechen von Tabletten ist damit obsolet. Die Kombination von mehreren Wirkstoffen in einer Tablette sowie die Möglichkeit die Freisetzung der Wirkstoffe zu steuern, reduzieren die Anzahl der eingenommenen Tabletten und verringern die Chance diese falsch einzunehmen. Die Folge ist Gesundheit für alle ungeachtet von Alter, Ethnie, Geschlecht oder medizinischer Vorgeschichte“, erklärt er.

Verschiedenartige Tablettenformen, per 3D Druckverfahren hergestellt (Bild: GenPlus GmbH / th-koeln.de)

Außerdem könnten gesammelte Daten bei der Produktion individueller Darreichungsformen helfen, den „Gender-Data-Gap“ zu füllen und für eine Gleichstellung der Geschlechter bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe sorgen. Der „Normpatient“ werde so überflüssig. „Und durch die ‚on demand‘-Produktion von individuellen Darreichungsformen werden nur die Tabletten in der Menge hergestellt, die vom Patienten auch tatsächlich verbraucht werden. Dadurch wird die Überproduktion reduziert. Dies senkt die für Medikamente sehr hohen Entsorgungskosten drastisch. Da orale Darreichungsformen nur in der den Packungsgrößen verkauft werden, die auch tatsächlich einzunehmen sind, sinkt das Risiko, dass Tabletten falsch entsorgt werden und somit wird die Umweltbelastung reduziert“, sagt Loose.

Ferner könnten durch die Fertigung von kleinen Chargengrößen Medikamente schneller in frühen klinischen Studien eingesetzt werden. „In Kombination mit den im doprOne (so der Name des Prototypen) verbauten Sensoriken zur Qualitätskontrolle werden bei der Wirkstoffentwicklung Analysezeiten reduziert. Dies erlaubt letztendlich eine schnelle Reaktion auf sich rasch ausbreitende Krankheiten. Die Notwendigkeit dafür hat nicht zuletzt die COVID-19 Pandemie verdeutlicht“, sagt der Forscher.

Individuell gedruckte Medikamente ermöglichen es auch, die Freisetzung der Wirkstoffe an den Körper etwa über bestimmte Geometrien oder Oberflächen zu steuern, heißt es von den Forschenden. So habe man eine Tablette zur Behandlung von Parkinson mit drei Wirkstoffen entwickelt, bei der sich die Wirkstoffe nacheinander aus der Tablette lösen und so eine optimale, aufeinander abgestimmte Wirkung zeigen.

Pharmazeutischen Polymere sind noch in der Entwicklung

Seine Grenzen zeige das System bei der Produktion großer Chargengrößen. „Hier sind gängige Fertigungsverfahren schneller und wirtschaftlicher. Allerdings zielt das 3D-Druckverfahren nicht auf solche Mengen ab. Ziel ist die Produktion von maximal Monatschargen (30 Tabletten) derselben Geometrie beziehungsweise Dosierung“, erklärt Loose.

Weitere Grenzen seien bislang die verwendbaren Polymere. „Diese befinden sich zu großen Teilen noch in der Entwicklung. Hierbei schränkt das Verfahren selbst ein, welche Wirkstoffe geeignet sind. Wirkstoff-Polymer-Kombinationen müssen beispielsweise in der Lage sein, das erneute Aufschmelzen ohne Degradation zu überstehen. Ebenfalls sind bei der Produktion der Halbzeuge (der Filamente in dem Fall) aktuell nur Wirkstoffbeladungen von 30 Prozent und in den seltensten Fällen 50 Prozent erreicht worden“, sagt der Ingenieur.

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Ein weiterer Vorteil des Systems sei, dass es grundsätzlich „materialoffen“ sei. Das heißt, dass auch eigene Zusammensetzungen verwendet werden könnten, „sofern das dafür notwendige Knowhow und Equipment zur Verfügung steht“, sagt Loose. „Tatsächlich ist die Verarbeitung eigener Rezepturen sogar ein Wunsch von uns. Aus diesem Grund bietet unsere Ausgründung neben dem Vertrieb der Maschinen auch ein Angebot zur Parameterentwicklung an. Dabei unterstützen wir mit unserem Knowhow im 3D-Druck bei der Entwicklung geeigneter Produktionsparameter auf unserer Maschine. Für die Auswahl geeigneter Wirkstoff-Polymer-Kombinationen planen wir eng mit Formulierungsentwicklern zusammenzuarbeiten, um auch hier bei der Verarbeitung der eigenen Rezepturen auf unserem Drucksystem unterstützen zu können.“

Darüber hinaus würden nach Markteinführung fertige Filamente an die 3D-Drucker-Besitzer verkauft werden, die nur noch einfach in den Drucker eingesetzt werden müssten. Künftig solle der Drucker dabei bis zur Marktreife noch deutlich kleiner werden und dann etwa auf einen Schreibtisch passen, sagt Loose.

Der Wissenschaftler rechnet auch nicht damit, dass für die gedruckten Tabletten neue Richtlinien nötig würden: „Nach unserem Verständnis fällt die Produktion von Arzneimitteln auf unserer Maschine unter §7 der Apothekenbetriebsordnung und unterliegt damit den gängigen Vorschriften der Rezepturenherstellung. Demnach sind keine neuen Regularien notwendig“, sagt Loose.


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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