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Mögliches Breitbandantibiotikum aus Albicidin
Neue Antibiotika – wie aus einem Pflanzengift ein Therapeutikum werden kann
Forscher der Technischen Universität Berlin arbeiten seit Jahren an der Aufklärung der Struktur und der Wirkungsweise von Albicidin, einem für Pflanzen giftigen Toxin aus einem pflanzenpathogenen Bakterium. Nun konnten sie dem Molekül „bei der Arbeit zusehen“ - ein wichtiger Schritt bei der Weiterentwicklung zu einem möglichen neuen Breitband-Antibiotikum.
Immer mehr Antibiotika verlieren zunehmend ihren therapeutischen Nutzen, weil sich Resistenzen immer weiter ausbreiten. Allerdings bietet die Natur durchaus noch Möglichkeiten an, die sich als „medizinische Waffe“ gegen pathogene Bakterien nutzen lassen – manchmal stammen sie aus ungewöhnlichen Quellen. Albicidin ist ein solcher Kandidat, an dem bereits seit den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts geforscht wird. Es handelt sich dabei um ein Toxin, das von dem pflanzenpathogenen Bakterium Xanthomonas albilineans produziert wird, dem Erreger der Blattbrandkrankheit beim Zuckerrohr.
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Das Toxin ist dabei der eigentliche Auslöser der pathogenen Wirkung, denn es hemmt das Enzym DNA-Gyrase innerhalb der Chloroplasten der Pflanzenzellen. Die Gyrase bewirkt das sogenannte Supercoiling der Erbinformation, eine Spiralisierung der DNA, die für eine kompakte Verpackung etwa bei der Zellteilung sorgt, sowie beim partiellen Ablesen von Genen notwendig ist.
Da die Chloroplasten evolutionär von Bakterien abstammen, hat Albicidin ebenfalls eine Wirkung auf bakterielle DNA-Gyrasen. Dementsprechend lässt es sich als ein Antibiotikum aus der Klasse der Gyrase-Hemmer betrachten. Diese grundsätzliche bakterizide Wirkung ist bereits seit längerem bekannt, die Struktur des Pflanzentoxins aber konnte erst im Jahr 2015 eine Forschergruppe der Technischen Universität Berlin um den Biochemiker Professor Dr. Roderich Süssmuth vom Fachbereich Organische und Biologische Chemie aufklären.
Auch die Totalsynthese gelang den Forschern 2015. Anders als andere Gyrase-Hemmer, wie die Fluorchinolone und deren Verwandte, ist Albicidin ein recht großes Molekül – und überdies ein Peptid, das aus p-Aminobenzoesäuren und Cyanoalanin zusammengesetzt ist. Mit den zahlreichen zyklischen Molekülteilen hat es durchaus strukturelle Ähnlichkeiten zu den Chinolonen.
Genauer Wirkmechanismus mit Tausenden Schnappschüssen am Elektronenmikroskop aufgeklärt
Was noch nicht bekannt war, war der genaue Wirkmechanismus des Albicidins. Die Forscher um Süssmuth haben diesen nun in Zusammenarbeit mit Forschern um Dr. Dmitry Ghilarov am John Innes Centre in Norwich (Großbritannien) und um Professor Jonathan Heddle an der Jagiellonen-Universität Krakau (Polen) aufklären können. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt im Fachmagazin Nature Catalysis.
Mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie konnten die Forscher dem Toxin bei seiner Arbeit regelrecht zusehen. Dabei werden biologische Proben in kürzester Zeit auf Temperaturen ≲ -150 Grad Celsius gebracht. Mit der Elektronenmikroskopie lassen sich dann so diese Strukturen als unverfälschte, nahezu artefaktfreie Momentaufnahmen abbilden. Die Forscher machten dabei Tausende „Schnappschüsse“, die per Computer ausgewertet ein Bild lieferten, wie Albicidin mit der Gyrase und der DNA interagiert. Das Peptid bindet dabei in einer Art L-Form an das Enzym und die Bakterien-DNA. Dabei verhindert sie, dass die Gyrase die DNA-Enden wieder zusammenfügen kann, die sie bei ihrer Aufgabe normalerweise kurzzeitig durchtrennen muss, um sie effizient aufzuwinden. Die Wirkung ähnele einem Schraubenschlüssel, der zwischen zwei laufende Zahnräder geworfen werde und diese blockiere, schreiben die Forscher.
Mit der Aufklärung des Wirkmechanismus sei der Weg frei geworden, durch rationales Design Albicidin-Derivate zu entwerfen, die eine noch bessere Wirkung etwa gegen multiresistente Bakterien haben könnten. „Trotz seines bekannten antibiotischen Potenzials und seiner geringen Toxizität in vorklinischen Experimenten ist es notwendig, die Struktur und Zusammensetzung des doch recht großen Albicidin-Moleküls für seine Verwendung als Arzneimittel zu optimieren“, sagt Süssmuth. „In der Chemie sprechen wir hierbei von einem ‚rationalen Design‘ des Moleküls. Das wurde aber bisher verhindert durch die Tatsache, dass wir nicht genau wussten, wie Albicidin mit der Gyrase interagiert.“
Auf den Ergebnissen aufbauend entwickelten die Forscher bereits Derivate des Albicidins. „Jetzt, da wir ein strukturelles Verständnis haben, können wir die Anzahl der Bindungsstellen zwischen Albicidin und der Gyrase erhöhen und weitere Modifikationen an dem Molekül vornehmen, um seine Wirksamkeit und die pharmakologischen Eigenschaften zu verbessern“, sagt Süssmuth. Am Computer entstanden so Derivate der ursprünglichen Struktur mit verbesserten Eigenschaften, die die Forscher auch im Labor synthetisierten. In ersten Versuchen hätten sich diese Varianten bereits in kleinen Konzentrationen als wirksam gegen viele multiresistente Erreger von nosokomialen Infektionen gezeigt.
Ungewöhnliche Größe des Moleküls kein Hemmnis bei der Arzneimittelentwicklung
Die Größe des Moleküls sei dabei nicht unbedingt ein Hemmnis bei der Entwicklung zum Therapeutikum. „In der Tat entspricht Albicidin nicht dem klassischen ‚small molecule‘ wie viele andere Wirkstoffe, sondern ist größer. Es handelt sich um eine ungewöhnliche Peptidstruktur. Gerade aber in den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass Peptide durchaus erfolgreiche Wirkstoffe sein können. Die Größe kann eine Einschränkung für eine ‚orale‘ Gabe sein, muss aber nicht“, sagt Süssmuth. Gerade bei der Entwicklung lebensrettender Therapien gegen multiresistente Bakterien, sei eine potenzielle Applikation als Infusion nicht unbedingt ein Hinderungsgrund für eine Medikamentenentwicklung, sagt er. „Hauptsache der Patient überlebt und für einen solchen Einsatz wäre das Albicidin oder deren Derivate gedacht.“
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Ein Vorteil der Molekülstruktur des Albicidins sei, dass sie gut variiert werden könne und daraus viele Derivate abgeleitet werden könnten, um eine Optimierung der Eigenschaften zu betreiben. „Es wurden bereits einige Hundert Derivate synthetisiert. Die Grenzen werden immer durch den Verlust der antibakteriellen Aktivität oder mögliche toxische Effekte gesetzt“, sagt der Forscher.
Die andersartige Struktur eines Derivats hat auch Auswirkungen auf die möglichen Resistenzen dagegen. Bestehende Resistenzen gegen Albicidin, wie den Resistenzfaktor AlbD, haben die Forscher um Süssmuth bereits in der Vergangenheit erforscht. „Resistenzfaktoren und deren Erforschung sind immer wichtig für das Verständnis, wie ein Antibiotikum wirkt. Wir haben in der Tat Varianten parat, die diese Resistenz umgehen. Es gibt aber auch andere Resistenzfaktoren, wie beispielsweise Bindeproteine. Auch hier versuchen wir Strategien zu deren Überwindung zu entwickeln. Insgesamt muss man aber sagen, dass sich früher oder später immer Resistenzen entwickeln werden – gegen jedes Antibiotikum - wie auch die Geschichte der Antibiotika im Allgemeinen zeigt. Mit der Forschung und durch Anwendung neuer Antibiotika kaufen wir uns immer nur Zeit“, sagt er.
Ende der Präklinik in etwa drei bis vier Jahren erwartet
Die nächsten Schritte auf dem Weg zu einem möglichen neuen Breitbandantibiotikum seien eine noch breitere Profilierung des antibakteriellen Wirkspektrums, etwa mit Infektionsmodellen im Tier vorzunehmen und dann den Bereich der Toxikologie zu erforschen, sagt Süssmuth. „Die Zeitschiene ist hier mit drei bis vier Jahren anzusetzen. Damit lässt sich die präklinische Evaluierung abschließen und daran müssten sich die klinischen Phasen im Menschen anschließen. Das Wichtigste aber ist das Geld, um eine solche Forschung zu unterstützen. Diesbezüglich wurde in den letzten Jahren vom Staat beziehungsweise von europäischen Staaten zu wenig getan, und es ist nicht angezeigt, solche Projekte sich selbst zu überlassen. Man braucht Förderungen, wie sie beispielsweise aktuell im Energiesektor getätigt werden“, sagt der Forscher.
Man arbeite nun an der Synthese weiterer Derivate, um das Profil bezüglich Wirkspektrum und pharmakokinetischen Eigenschaften zu modulieren und permanent zu verbessern. „Außerdem stellen wir im Labor die Resistenzentwicklung nach, um auch dieser mit Strategien entgegenzuwirken. Aber wie bereits gesagt, muss sich nun eine breitere Profilierung im Tierexperiment anschließen, die ebenfalls Geld braucht und die eine Arbeitsgruppe an einer Universität nicht alleine stemmen kann. Wir sind mit verschiedenen Firmen im Gespräch, um mit dem Projekt weiter nach vorn zu kommen“, erklärt der Professor die nächsten Schritte. Albicidin könnte so eine ganz neue Klasse von Gyrase-Hemmern hervorbringen – wegen der ganz anderen Struktur des Moleküls wohl möglicherweise auch ohne das breite Spektrum an unerwünschten und langfristigen Wirkungen der Flourchinolone.
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