Im Mausmodell

Synthetisches Insulin glucoseabhängig freisetzen – wie Nanopartikel dabei helfen

Krefeld - 25.05.2023, 09:15 Uhr

Insulinpumpen haben die Individualisierung der Diabetes-Therapie vorangetrieben. Doch lassen sich auch auf Ebene der Insulin-Formulierung noch Fortschritte erzielen? (Foto: click_and_photo / AdobeStock)

Insulinpumpen haben die Individualisierung der Diabetes-Therapie vorangetrieben. Doch lassen sich auch auf Ebene der Insulin-Formulierung noch Fortschritte erzielen? (Foto: click_and_photo / AdobeStock)


Lipid-Nanopartikel als Darreichungsform von Arzneimitteln dürften den meisten Apothekern und Apothekerinnen vor allem seit der Corona-Impfstoffentwicklung ein Begriff sein. Chinesische Forscher haben nun aber auch entsprechende Formulierungen von Insulin an Mäusen getestet. Ziel der Forschung ist es, Darreichungsformen für Menschen mit Diabetes zu entwickeln, aus denen das Insulin abhängig vom Glucosespiegel im Blut freigesetzt wird. So könnten gefährliche Hypoglykämien vermieden werden. Doch wie würde so ein Nanopartikel-Insulin-Abgabesystem funktionieren?

Synthetisches beziehungsweise gentechnisch hergestelltes rekombinantes Human-Insulin ist neben Antibiotika wahrscheinlich eine der größten pharmazeutischen Errungenschaften der Menschheit. Schließlich lässt sich damit ein unbehandelt tödlich verlaufender Diabetes mellitus zwar nicht heilen, aber heutzutage sehr lange überleben. Die Gabe von Insulin per Injektion – in der Regel mehrmals am Tag und bei Typ-1-Diabetes bislang alternativlos – hat allerdings auch ihre Nachteile. Eine falsche Dosierung oder der falsche Zeitpunkt der Insulingabe sind möglich, sodass viele Menschen mit Diabetes dauerhaft in der Gefahr sind, eine Über- oder auch lebensgefährliche Unterzuckerung zu erleiden.

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Seit Juli 1921, als erstmals ein blutzuckersenkender Extrakt aus der Bauchspeicheldrüse von Hunden gewonnen wurde, hat sich mit der Entwicklung von neueren rekombinanten Basal- und Bolus­insulinen zwar viel getan, doch es gibt noch viel Entwicklungspotenzial. In der DAZ 18/2023 war zu lesen, welche zahlreichen innovativen Insuline sich derzeit in der Pipeline befinden: Erforscht wird etwa 

  • ultraschnell wirkendes Insulin,
  • Basal-Insulin, das nur noch einmal wöchentlich appliziert werden muss,
  • Insulin zur oralen Einnahme und auch
  • „smartes“ Insulin.

Denn an die feine und schnelle Regulierung der natürlichen Insulinfreisetzung aus den Betazellen der Bauchspeicheldrüse in Abhängigkeit vom Glucosespiegel im Blut reichen auch künstliche Systeme wie Insulinpumpen mit entsprechenden Sensoren bislang nur ungefähr heran. „Smarte“ Systeme beziehungsweise Darreichungsformen für die glucoseabhängige Insulinfreisetzung würden die Diabetes-Therapie daher maßgeblich verbessern, und werden zumindest im Tiermodell bereits erforscht: Chinesische Forscher um die Professoren Jinqiang Wang und Zhen Gu von der Zhejiang-Universität, dem Zhejiang-Krebskrankenhaus und der Universität von Hongkong haben ein Trägersystem im Mausmodell erprobt, das mit Insulin beladen über einen längeren Zeitraum im Blut verweilt und dort abhängig von der Glucosekonzentration das Hormon freigibt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt in der internationalen Edition des Fachmagazins „Angewandte Chemie“. Das Trägersystem soll die Funktion der Beta-Zellen nachahmen, künftig aber auch mit einem Abgabegerät kombiniert werden, das mit einem elektronischen Zuckersensor gekoppelt ist, schlagen die Forscher vor. Die Insulin-Abgabe würde also nicht allein über die neue Darreichungsform gesteuert werden.

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Ähnliche Trägersysteme, die aus Polymeren bestehen, sind in der Vergangenheit für Insulin bereits vorgeschlagen worden – deren Schwachpunkte liegen aber unter anderem darin, dass sie als „Zuckersensor“ das Enzym Glucoseoxidase tragen. Diese wirkt jedoch frei im Körper toxisch.

Stattdessen setzen die Chinesen in ihrer Arbeit auf die physikalischen Eigenschaften des Insulins. Dieses 51 Aminosäuren „große“ Peptidhormon trägt nämlich überwiegend negative Ladungen. Die positiv geladene Lipid-Nanopartikel (LNP, siehe Abbildung) mit glucoseempfindlichen Elementen, heißt es in der Zusammenfassung der Studie, machen sich die Forscher zunutze, um das Insulin (in der Abbildung violett) abhängig von der Glucose-Konzentration (in der Abbildung grün) des umgebenden Mediums abgeben zu lassen – oder genauer: „Hier haben wir kationische Lipide vom Typ quartäres Amin auf Phenylboronsäurebasis entwickelt, die sich in einer wässrigen Lösung selbst zu kugelförmigen Lipid-Nanopartikeln zusammensetzen können. Beim Mischen von Insulin und den Lipid-Nanopartikeln entsteht aufgrund der elektrostatischen Anziehung sofort ein heterostrukturierter Insulinkomplex. In einer hyperglykämierelevanten Glucoselösung werden Lipid-Nanopartikel mit der Zeit weniger positiv geladen, was zu einer verringerten Anziehung und anschließender Insulinfreisetzung führt“, erklären die Forscher in ihrer Arbeit – auch anhand einer Abbildung:

(Bild: Wiley-VCH)

Das heißt, das Trägermolekül ist positiv geladen, belädt sich entsprechend mit dem Insulin und verliert in einer höher konzentrierten Glucoselösung sowohl positive Ladungen als auch damit gleichzeitig Insulinmoleküle, die so indirekt konzentrationsabhängig freigesetzt werden. Denn bei hohem Zuckerspiegel gehen einige Lipide der Nanopartikel chemische Bindungen mit der Glucose ein, verringern dabei die positive Ladung der Oberfläche und beschleunigen im gleichen Maße die Freisetzung des Insulins.

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Die Forscher haben die Insulin-Formulierung nun im Mausmodell mit Typ-1-Diabetes-Mäusen getestet und wie es in einer entsprechenden Pressemitteilung heißt, „konnte der Blutzuckerspiegel so über sechs Stunden im Normbereich gehalten werden. Nach Glucoseinjektion sank der Blutzuckerspiegel der behandelten Diabetes-Mäuse genauso rasch auf ein normales Niveau wie bei gesunden Mäusen.“ Doch trotz der positiven Ergebnisse ist „smartes“ Insulin noch Zukunftsmusik.


Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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