Kassen verweigern Bezahlung selbst hergestellter Fiebersäfte

Nullretax-Schock für Apotheken

Berlin - 19.06.2023, 17:50 Uhr

Als die Not am größten war, stellten die Apotheken Fiebersäfte für Kinder her. Nun retaxieren Kassen sie auf Null, wenn eine Dosierungsangabe fehlte. (Foto: IMAGO / Marc Schüler)

Als die Not am größten war, stellten die Apotheken Fiebersäfte für Kinder her. Nun retaxieren Kassen sie auf Null, wenn eine Dosierungsangabe fehlte. (Foto: IMAGO / Marc Schüler)


Zahlreichen Apotheken flattern derzeit Nullretaxationen ins Haus: Offenbar sieht sich vor allem die IKK classic berufen, Rezepte über selbst hergestellte Fiebersäfte für Kinder zu beanstanden. Der Grund: die fehlende Dosierungsangabe. DAV-Chef Hans-Peter Hubmann spricht von einem „perfiden Spiel“ der Krankenkassen – und setzt darauf, dass das Lieferengpassgesetz Schluss macht mit solchen Auswüchsen.

In den sozialen Medien häufen sich die Meldungen über Retaxationen der IKK classic: So schreibt beispielsweise Apotheker Björn Schittenhelm auf Linkedin über ein Fiebersaft-Rezept vom 29. Dezember 2022. Bekanntlich ein äußerst rares Gut zu dieser Zeit. Daher versprechen auch die Krankenkassen, bei Rezepturen die Mehrkosten für ihre Versicherten zu übernehmen und die Apotheken unkompliziert handeln zu lassen. Und das tun sie – sie helfen, wo sie können und stellen die wichtigen Kinderarzneimittel selbst her. Jetzt erhielt Schittenhelm jedoch von der IKK classic Nullretaxationen über genau diesen Vorgang. Die Begründung: Die Dosierung fehlt auf dem Rezept. Dabei wurden die Kundinnen und Kunden durchaus beraten und über die Dosierung informiert. Doch eine kleine Dokumentation fehlt – und schon gibt es gar kein Geld, trotz selbstverständlich angefallener Sach- und Personalkosten. Auch andere Apotheker:innen sehen sich derzeit derartigen Beanstandungen ausgesetzt.

Wie die ABDA jetzt in ihrem Newsroom erklärt, haben sich in den vergangenen Tagen zahlreiche Apotheken an sie gewendet, um ihren Ärger über diese Nullretaxationen Luft zu machen. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), ist ebenfalls erschüttert über die „missachtenden Briefe“ der Kassen: „Es ist schon wirklich ein perfides Spiel, das die Krankenkassen da betrieben. Wir leben in einem System, in dem durch den Sparwahn der Krankenkassen keine Fiebersäfte für Kinder mehr lieferbar sind. Da wir unsere kleinen Patientinnen und Patienten und deren Eltern inmitten einer Erkältungswelle nicht unversorgt nach Hause gehen lassen wollten, haben wir die Fiebersäfte oft selbst hergestellt – und damit Kindern und Eltern schnell und unkompliziert weitergeholfen. Monate später erreichen uns nun Briefe, insbesondere der IKK Classic, in denen Beträge in Höhe von 20 oder 30 Euro nicht ausgezahlt werden können, weil wir vergessen haben ein Kreuz zu setzen oder die Dosierung nicht richtig angegeben haben.“ Für Hubmann beweist dieses Verhalten nicht nur, wie weit weg die Kassen-Mitarbeiter:innen von der täglichen Versorgung sind. „Es zeigt auch, wie wenig Menschlichkeit und Wertschätzung in den rund 100 Krankenkassen dieses Landes vorhanden ist.“

Der DAV-Vorsitzende sieht sich durch die Vorfälle bestärkt in der politischen Arbeit. Diese Woche wird voraussichtlich das Arzneimittellieferengpassgesetz (ALBVVG) vom Bundestag verabschiedet. Die Hoffnung ist groß, dass ein Änderungsantrag einfließen wird, mit dem Nullretaxationen ein Ende bereitet wird. Hubmann sagt: „Schon während unseres Protesttages haben wir auf die Absurdität der Nullretaxationen hingewiesen und sind damit bei einigen Politikerinnen und Politiker auf Verständnis gestoßen. Das aktuelle Beispiel der Fiebersaft-Retax-Welle aus dem IKK-Lager hilft uns bei unserer Argumentation ein gutes Stück weiter.“ Der DAV-Chef ist überzeugt, dass jede:r vernünftige Gesundheitspolitiker:in erkennen muss, „dass es hier nicht mehr um eine anständige, gute Versorgung geht, sondern nur darum, den Apotheken zu schaden.“


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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5 Kommentare

Unsere IKK...

von Minando am 21.06.2023 um 14:10 Uhr

..ist nie um innovative Ansätze verlegen um Probleme des Gesungheitswesen zu beheben.
Heute: 'Dann behalten wir das Geld eben selbst'.

Mit freundlichen Grüssen
Ein IKK Sponsor

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Retax Fiebersaft

von Scarabäus am 20.06.2023 um 12:22 Uhr

Ich habe mich von Beginn an mit Selbstherstellungen zurückgehalten (schon wegen der dünnen Personaldecke). Meine Abneigung gegenüber gutgemeinter Eigeninitiative wurde wiedermal bestärkt. Wir sind nicht die Problembüttel eines mittlerweile völlig heruntergewirtschafteten planwirtschaftlichen Gesundheitssystems. Fazit: Wenn's nicht's gibt, ist eben Schluss. Pech gehabt! Denkt eben mal beim nächsten Wahlkreuz daran...

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AW: Retax Fiebersaft

von Norman Diersch am 21.06.2023 um 10:09 Uhr

Ich kann Sie zum Teil verstehen, trotzdem würde ich sehr ungern im Einzugsgebiet von Ihnen mit meinen Kindern leben wollen und dann vielleicht noch abhängig zu sein. Da gruselt es mich schon sehr.

Fehlende Dosierung

von Conny am 20.06.2023 um 7:46 Uhr

Natürlich Mafiamethoden der Krankenkassen. Müsste ein grosser Aufhänger in der Bild werden. Aber auch selber schuld.Eine Dosierungsanleitung ist jetzt nicht das Schwierigste.

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Wann ist der nächste Protest

von Vanessa Herkert am 19.06.2023 um 20:49 Uhr

Wieder ein Beispiel mehr, dass zeigt dass bei Kassen und im BMG keinerlei Wissen über den Wert von Apotheken vorhanden ist.
Der Protest Tag sollte nur der Anfang einer Protest Reihe sein, um zu verdeutlichen wie eklatant die Situation ist!

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