Aus alt mach neu

Lassen sich inhalative Narkotika recyclen?

Stuttgart - 21.06.2023, 07:00 Uhr

Die unter der Narkose ausgeatmete Luft wird über das Abluftsystem des Krankenhauses nach außen geleitet. Hier lässt sich ein Filter zwischenschalten, um die Narkosemittel zu recyceln. (Foto: Robert Kneschke / Adobe Stock)

Die unter der Narkose ausgeatmete Luft wird über das Abluftsystem des Krankenhauses nach außen geleitet. Hier lässt sich ein Filter zwischenschalten, um die Narkosemittel zu recyceln. (Foto: Robert Kneschke / Adobe Stock)


Inhalative Narkosemittel sorgen für einen reibungslosen Ablauf im OP – leider tragen sie aufgrund ihres hohen Treibhauspotenzials auch nicht unerheblich zum Klimawandel bei. Da diese Arzneimittel kaum metabolisiert werden, bieten sie sich für ein Recycling an. Entsprechende Filter sind bereits in mehreren deutschen Kliniken im Einsatz. Welchen Beitrag zum Klimaschutz können diese leisten?

Egal ob Weisheitszahnextraktion, Kaiserschnitt oder Hüftersatz – ohne Anästhetika lässt sich kein medizinischer Eingriff denken. Während bei kleinen Eingriffen eine lokale Betäubung ausreichen mag, sind bei größeren Operationen oft Allgemeinanästhetika nötig, die intravenös oder inhalativ gegeben das Bewusstsein ausschalten. Als Inhalationsanästhetika zum Einsatz kommen insbesondere Lachgas (N2O) und die volatilen Anästhetika Isofluran, Sevofluran und Desfluran. Letztere liegen in flüssiger Form vor und werden vor der Inhalation verdampft. Der Wirkmechanismus der gut hypnotisch sowie schwach analgetisch und muskelrelaxierend wirkenden Substanzen ist noch nicht geklärt.

Bekannt ist hingegen, dass es sich bei diesen drei Substanzen um Fluorkohlenwasserstoffe (FKW) bzw. bei Isofluran um einen Fluorchlorkohlenwasserstoff (FCKW) mit hohem Treibhauspotenzial handelt. In Bezug auf die jeweils gleiche Masse und über einen Zeitraum von 100 Jahren trägt Sevofluran 130-mal, Isofluran 510-mal und Desfluran sogar 2540-mal so stark zum Treibhauseffekt und damit zur Erderwärmung bei wie CO2. Das hohe Treibhauspotenzial führt auch dazu, dass inhalative Narkotika einen erheblichen Anteil der klimarelevanten Emissionen eines Krankenhauses ausmachen können – im Fall des brasilianischen Albert Einstein Krankenhauses (São Paulo) ganze 35 Prozent.

Da die volatilen Anästhetika weitestgehend unmetabolisiert pulmonal eliminiert werden, ist das Recycling der verwendeten Substanzen ein Ansatz zur Verringerung der narkosebedingten Klimaschäden. Bereits auf dem Markt erhältlich ist das Filtersystem CONTRAfluranTM. Dieser Filter wird am Abluftschlauch des Narkosegerätes eingebaut und so die Ausatemluft in ihn eingeleitet. Hier adsorbiert das volatile Anästhetikum an das enthaltene Aktivkohlegranulat. Ist dessen Kapazitätsgrenze erreicht, kann der Filter ersetzt und an die anbietende Firma zurückgeschickt werden. Diese bereitet die Aktivkohle auf und gewinnt das volatile Anästhetikum zurück. Beides kann anschließend erneut eingesetzt werden.

An vielen Kliniken kam dieses System bereits zum Einsatz, etwa am Marienkrankenhaus Kassel, am Uniklinikum Aachen und auch an mehreren Standorten der Helios Kliniken. Letztere berichten, dass Dank des Filters mehr als 90 Prozent des aufgefangenen Narkosegases recycelt werden können. Auf einen Haken beim Recycling weist Professor Christian Schulz (Universität Bayreuth und KLUG e.V.) in einer Antwort auf den LinkedIn Post von Helios-CEO Robert Möller hin.


„Super, dass #Helios das Problem angeht. Eine Zahl ist allerdings irreführend: es mag sein, dass 90% des in den Aktivkohlefiltern aufgefangenen Gases recycelt werden können. Das Problem ist aber, dass unter optimalen Bedingungen nur 50% des eingesetzten Gases in den Filtern landen. Der Rest gelangt eben doch in die Atmosphäre.“

Prof. Dr. med. Christian Schulz (Universität Bayreuth & KLUG e.V.) auf LinkedIn


Aber warum landet ein erheblicher Anteil des Anästhetikums gar nicht erst im Filter? Schlicht aus dem Grund, dass die Patient:innen zum Zeitpunkt der Extubation das Arzneimittel noch nicht vollständig per Ausatmung eliminiert hatten. Ein Anteil der volatilen Anästhetika wird also im Aufwachraum und ggf. danach ausgeatmet, wenn die Patient:innen nicht mehr an Narkosegerät und Filter angeschlossen sind.

Weitere Maßnahmen nötig

Das Recycling der Flurane ist also ein sinnvoller Baustein zur Reduktion der Treibhausgasemissionen von Krankenhäusern, es braucht aber offensichtlich weitere Maßnahmen. Vorschläge hierfür wurden beispielsweise im Rahmen des Klik green-Projektes erarbeitet, eines vom Bundesumweltministerium geförderten Projekt für mehr Klimaschutz in Krankenhäusern. Hier ist beispielsweise zu lesen, dass sich durch die Minimal-Flow-Technik mit reduziertem Frischgasfluss die Menge des benötigten Narkosemittels um bis zu 60 Prozent verringern lässt. Auch mit Rückatemsystemen wird weniger Narkosemittel benötigt. In solchen Systemen wird die Ausatemluft mithilfe von Ca(OH)2 von CO2 befreit (es entstehen Calciumcarbonat und Wasser) und anschließend dem Patienten wieder zugeführt. Auch die Anwendung alternativer Narkoseverfahren wie etwa Spinal- oder Periduralanästhesie oder Totale intravenöse Anästhesie (TIVA) sind eine Überlegung wert – aber auch eine sorgfältige Prüfung. So berechnete eine australische Studie die jeweils für die Narkose bei einer Knieersatzoperation anfallenden Emissionen für eine Inhalationsanästhesie, eine Spinalanäs­thesie oder einer gemischten Anästhesie. Tatsächlich schnitten hier die gemischte und die spinale Betäubung schlechter ab als die Inhalationsanästhesie, da sie einen hohen Einsatz steriler Materialien erforderten. Entscheidend hierfür war auch, dass für die inhalative Narkose kein Desfluran verwendet wurde, welches mit dem höchsten Treibhauspotenzial zu Buche schlägt.

Greifswalder Forscher setzen auf Plasmatechnik

Mit neuen Ansätzen gegen Arzneimittel-Rückstände im Wasser

Eine weitere Empfehlung von Klik green lautet daher auch Desfluran zu vermeiden, wann immer möglich und auf das preiswertere und kinetisch ähnliche Sevofluran auszuweichen. Ein Vorreiter in dieser Hinsicht sind England und Schottland. Beide Landesteile des Vereinigten Königreiches haben den Einsatz von Desfluran bereits unterbunden. Schottland mit sofortiger Wirkung, in England gilt eine Übergangsfrist bis 2024.


Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.