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Sozialgericht bestätigt Nullretax
Fast 10.000 Euro Retax wegen 11 Euro Schaden
Das sind die Fälle, die Apotheken verzweifeln lassen – und mit denen glücklicherweise bald Schluss sein wird: Jahrelang lang stritt ein Apotheker mit einer Krankenkasse um die Bezahlung einer Rechnung über rund 10.000 Euro. Nun hat das Sozialgericht Lübeck entschieden, dass die Kasse zu Recht auf Null retaxiert hat, weil kein Rabattarzneimittel abgegeben wurde. Dabei lag der tatsächliche Schaden offenbar nur bei 11 Euro.
Seit ziemlich exakt zehn Jahren sind die Vorgaben der Rechtsprechung klar: Krankenkassen dürfen Apotheken, die ohne erkennbaren Grund und trotz eines bestehenden Rabattvertrags nicht das Rabattarzneimittel, sondern ein anderes Präparat abgeben, auf Null retaxieren. Dies entschied im Juli 2013 das Bundessozialgericht in zwei Musterprozessen. Was im bürgerlichen Recht, dem Vertragsrecht, nicht denkbar wäre, hielten die Sozialrichter im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung für zulässig. Hier stehe der Kasse ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu – und zwar ohne jeden Abzug, weil der Apotheke im Fall der Missachtung des Substitutionsgebots kein Vergütungsanspruch entstanden sei.
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Das Urteil erschütterte die Apothekerschaft – und machte für die Krankenkassen den Weg für Nullretaxationen im großen Stil frei. Trotzdem versuchten Apotheken immer wieder, die aufrechnenden Kassen auf dem Klagewege zu stoppen. Besonders fuchste sie, dass in der Regel im Dunkeln blieb, was den Kassen durch nicht beachtete Rabattverträge wirklich entging – die mit den Herstellern ausgehandelten Nachlässe sind schließlich nicht öffentlich.
Hamburger Apotheker wehrte sich gegen Humira-Nullretax
Auch ein Apotheker aus Hamburg wollte nicht akzeptieren, dass die Hanseatische Krankenkasse ihn auf fast 10.000 Euro hat sitzen lassen. Im Juli 2018 – vor fünf Jahren – hatte er ein Rezept über 2x Humira 40 mg 6 Fertigspritzen N3 (PZN 12399059) erhalten. Hierbei handelt es sich um ein Produkt, für das ein Rabattvertrag der beklagten Kasse mit dem Hersteller existierte – daneben gab es acht weitere Verträge über wirkstoffgleiche Produkte anderer Hersteller. Die Apotheke gab jedoch ein wirkstoffgleiches Produkt ab, für das kein Rabattvertrag existierte.
Zunächst zahlte die HEK die Rechnung abzüglich Apothekenrabatt. Doch im Februar 2019 teilte sie dem Apotheker mit, dass sie die Abrechnung beanstande und daher 9.790,66 Euro mit künftigen Forderungen verrechnen werde (Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem Apothekenrabatt). Der Apotheker erhob in der Folge Einspruch und Widerspruch. Er reichte Bestätigungen des Großhandels nach, dass das verordnete Arzneimittel nicht lieferbar gewesen sei. Ein Großhändler erklärte dies auch für eines der Rabattarzneimittel, ein anderer für vier, ein weiterer für acht der insgesamt neun rabattierten Produkte. Das reichte der Kasse alles nicht. Sie rechnete auf und so erhob der Pharmazeut im Juni 2020 Klage. Er berief sich dabei auf verschiedene Gründe, unter anderem verstrichene Fristen des Arzneiversorgungsvertrags (AVV) und den Umstand, dass der Kasse kein relevanter Schaden entstanden sei.
Sozialgericht Lübeck weist Klage ab
Nach jahrelangem Hin und Her hat das Sozialgericht Lübeck die Klage jetzt abgewiesen – und sich dabei vor allem auf die eingangs genannte grundlegende Entscheidung des Bundessozialgerichts berufen. Die Apotheke sei danach verpflichtet, „bei jeder Verordnung selbständig zu prüfen, ob Arzneimittel existieren, für die eine Rabattvereinbarung besteht, und diese vorrangig abzugeben“. Ein nicht rabattiertes, gleichartiges Produkt dürfe sie nur dann abgeben, wenn kein rabattiertes Arzneimittel verfügbar sei. Und die Nichtverfügbarkeit müsse gemäß § 4 Abs. 8 AVV auf der Abrechnung vermerkt sein – und sei auf Nachfrage nachzuweisen. Der Vermerk fehlte, die Nachweise reichten auch dem Gericht nicht. Die Begründung ist somit letztlich nicht wirklich verwunderlich, aber weiterhin sehr schwer bis gar nicht verständlich.
Im Zuge der Gerichtsverhandlung wurde sogar bekannt, wie hoch der Schaden für die Kasse war – im Urteil ist von einem „niedrigen zweistelligen“ Betrag die Rede. De facto sollen es 11 Euro gewesen sein. Doch das Gericht betont ausdrücklich, dass der tatsächliche Schaden nicht von Relevanz sei. Dazu führt es aus:
„Zunächst ist ein solcher Schaden regelmäßig aufgrund der Struktur der Rabattverträge nicht für den einzelnen Versorgungsfall zu beziffern. Denn der Rabatt beschränkt sich nicht auf den – hier nur sehr geringfügig niedrigeren – Abgabepreis für das einzelne Arzneimittel. Vielmehr sehen die Rabattverträge auch gestufte Rabatte für insgesamt aufgrund des Vertrages abgegebene Produkte vor. Diese fallen bei bestimmten Abgabemengen an und können nicht unmittelbar der einzelnen Arzneimittelversorgung zugeordnet werden. Die Pflicht zur Abgabe rabattierter Arzneimittel dient damit nicht nur der Einsparung bei individuellem Abgabepreis, sondern auch dazu, insgesamt durch die Abgabe einer größeren Anzahl Medikamente des gleichen Herstellers weitere Rabatte für die Versichertengemeinschaft zu erzielen. Die gesetzliche Regelung dient also dem Schutz des Rabattsystems als solchem“.
Künftig wird es solche Urteile hoffentlich nicht mehr geben. Denn in den kommenden Tagen soll das Arzneimittellieferengpass- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) in Kraft treten. Und dieses sieht in einem neuen Absatz des § 129 SGB V eine Reihe von Retaxausschlüssen beziehungsweise -einschränkungen vor. Das betrifft auch den Fall, dass eine Apotheke trotz existierendem Rabattvertrag kein Rabattvertragsarzneimittel abgegeben hat. Dann ist „eine Retaxation des abgegebenen Arzneimittels ausgeschlossen“, heißt es künftig in Absatz 4d. In diesen Fällen besteht dann lediglich kein Anspruch auf die Vergütung nach der Arzneimittelpreisverordnung (Fixzuschlag von 8,35 Euro plus 3 Prozent). Rückwirkend soll die Regelung allerdings nicht gelten.
Sozialgericht Lübeck, Az.: S 51 KR 281/20
11 Kommentare
Verdienst der Krankenkassen
von Dorf-Apothekerin am 12.07.2023 um 18:22 Uhr
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Austauschbarkeit Biosimilar?
von HCA am 12.07.2023 um 8:19 Uhr
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AW: Austauschbarkeit Biosimilar
von DAZ-Redaktion am 12.07.2023 um 10:57 Uhr
Unveränderlich?
von Karl Friedrich Müller am 11.07.2023 um 11:24 Uhr
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Exempel
von Dr. House am 11.07.2023 um 10:37 Uhr
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Nullretax
von Peter Füssel am 11.07.2023 um 10:21 Uhr
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Viele ungeklärte Fragen
von Daniela Hänel am 10.07.2023 um 21:37 Uhr
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Null-Retax
von Dorf-Apothekerin am 10.07.2023 um 21:06 Uhr
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AW: Null-Retax
von Kirsten Sucker am 11.07.2023 um 16:52 Uhr
Hat alten Namen
von ratatosk am 10.07.2023 um 18:52 Uhr
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?????
von Dr. Radman am 10.07.2023 um 16:27 Uhr
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