Erkrankungsverlauf verlangsamt – aber nicht aufgehalten

USA: Lecanemab als erster Antikörper gegen Alzheimer regulär zugelassen

Stuttgart - 27.07.2023, 11:00 Uhr

Aufhalten oder heilen kann Lecanemab eine Alzheimer-Erkrankung nicht – aber wohl ein wenig bremsen. (Foto: SewcreamStudio / AdobeStock)

Aufhalten oder heilen kann Lecanemab eine Alzheimer-Erkrankung nicht – aber wohl ein wenig bremsen. (Foto: SewcreamStudio / AdobeStock)


Auf der Entwicklung von gegen Beta-Amyloide gerichteten Antikörpern liegt in der Alzheimer-Forschung große Hoffnung. Nachdem Hersteller Eisai zu Jahresbeginn weitere positive Studiendaten vorlegen konnte, überführte die US-amerikanische Arzneimittelaufsichtsbehörde FDA die – bisher im beschleunigten Zulassungsverfahren erteilte – Zulassung in eine reguläre.

Die Ablagerung von Beta-Amyloiden im Gehirn ist kennzeichnend für die neurodegenerative und bisher unheilbare Erkrankung Morbus Alzheimer. Eben hier setzt der humanisierte monoklonale IgG1-Antikörper Lecanemab (Leqembi®) an. Er bindet an lösliche Amyloid-beta (Aβ)-Protofibrillen und markiert sie dadurch für den Abbau durch Immunzellen. Dass es nach der Infusion von 10 mg Wirkstoff pro kg Körpergewicht alle zwei Wochen bei Patient:innen in einem frühen Alzheimerstadium tatsächlich zu einer signifikanten Reduktion der Amyloid-Ablagerung kam, überzeugte die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA im Januar dieses Jahres dazu, Leqembi® im beschleunigten Zulassungsverfahren zuzulassen [1].

Ein beschleunigtes Zulassungsverfahren kann die FDA für solche Medikamente wählen, die sich gegen schwere Erkrankungen richten, die bis dato nur unzureichend behandelbar (unmet medical need) sind. In diesem Verfahren genügt ein Nachweis über die Erfüllung von Surrogatendpunkten, die die Wirksamkeit nicht unmittelbar beweisen, aber mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit auf einen klinischen Nutzen hinweisen, für die beschleunigte Zulassung. Einen solchen Surrogatendpunkt stellt im Falle von Alzheimer die Abnahme der Amyloid-Ablagerungen dar [2].

Klinischer Endpunkt ersetzt Surrogatendpunkt

Daher hatte die FDA dem Hersteller Eisai gemeinsam mit der beschleunigten Zulassung auch Auflagen für die Zeit nach der Markteinführung ausgesprochen – allem voran die Durchführung einer Bestätigungsstudie, die den klinischen Nutzen des Antikörpers überprüft. Eine solche Phase-III-Studie ist unter dem Namen CLARITY AD zu Jahresbeginn veröffentlicht und mittlerweile auch von der FDA überprüft worden [2, 3].

Den primären Studienendpunkt stellen hierbei Veränderungen im Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes (CDR-SB) dar, einer klinischen Skala, für die die Fähigkeiten der Patient:innen in den Bereichen Gedächtnis, Orientierungs-, Urteilsvermögen, Körperpflege, Hobbys und Gemeinschaftsangelegenheiten (community affairs) herangezogen werden. Auf dieser Skala bedeutet ein Ergebnis von 0 Punkten die Freiheit von Einschränkungen und ein Ergebnis von 18 Punkten steht für die maximale Ausprägung der Alzheimer-Erkrankung [4].

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Von den 1795 eingeschlossenen Studienteilnehmenden mit Alzheimer in einem frühen Stadium erhielt nun jeweils die Hälfte Lecanemab (10 mg/kg KG alle zwei Wochen), die andere Hälfte ein Placebo. Nach 18 Monaten hatte sich in der Verumgruppe der Wert auf der CDR-SB-Skala von durchschnittlich 3,2 um 1,21 verschlechtert. In der Placebogruppe fand eine Verschlechterung von ebenfalls 3,2 um 1,66 statt. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war statistisch signifikant. Zu seiner klinischen Relevanz schreibt das Ärzteblatt, diese würde „von Experten jedoch als zweifelhaft eingestuft“ [3,5]. Das von der FDA beauftragte Peripheral and Central Nervous System Drugs Advisory Committee überzeugte die Studie hingegen. Einstimmig sprach sich das Komitee dafür aus, dass die Studienergebnisse den klinischen Nutzen in der vorgegebenen Indikation verifizieren [2].

ARIAs – Vorsicht Nebenwirkungen

Somit wird Leqembi® weiterhin für Patient:innen mit Alzheimer im Frühstadium (milde Demenz oder milde kognitive Einschränkungen) in den USA zur Verfügung stehen. Häufige Nebenwirkungen des Präparates stellen hierbei Kopfschmerzen, Reaktionen auf die Infusion sowie sogenannte amyloid-related imaging abnormalities (ARIAs) dar. Bei Letzteren handelt es sich um temporäre Schwellungen bestimmter Hirnareale, die oft symptomfrei bleiben, in seltenen Fällen aber auch gefährlich werden können. Da Menschen, die homozygote Träger des ApoE ε4-Allels sind, ein erhöhtes Risiko für eine ARIA haben, sollte vor Therapiebeginn eine Testung des ApoE ε4-Status erfolgen [6].

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Kein neues Alzheimer-Medikament für Europa

Die Jahrestherapiekosten schätzt die Alzheimer Forschung Initiative e.V. auf 26.500 US-Dollar und weist darauf hin, dass diese bislang nicht von amerikanischen Krankenversicherungen übernommen werden. Ebenfalls meldet die Initiative, dass auch bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA bereits ein Zulassungsantrag gestellt wurde. Eine Entscheidung noch in diesem Jahr hält die Initiative für möglich [7].

Quellen

[1] FDA Grants Accelerated Approval for Alzheimer’s Disease Treatment. FDA News Release. 06.01.2023. www.fda.gov/news-events/press-announcements/fda-grants-accelerated-approval-alzheimers-disease-treatment

[2] FDA Converts Novel Alzheimer’s Disease Treatment to Traditional Approval. FDA News release. 06.07.2023. www.fda.gov/news-events/press-announcements/fda-converts-novel-alzheimers-disease-treatment-traditional-approval

[3] Van Dyck CH et al. Lecanemab in Early Alzheimer’s Disease. NJEM. 2023;388(1):9-21. doi: 10.1056/NEJMoa2212948.

[4] Tzeng RC et al. Sum of boxes of the clinical dementia rating scale highly predicts conversion or reversion in predementia stages. Front Aging Neurosci. 2022;14:1021792. doi: 10.3389/fnagi.2022.1021792

[5] Morbus Alzheimer: FDA lässt Antikörper Lecanemab endgültig zu. Artikel auf aerzteblatt.de. 07.07.2023. www.aerzteblatt.de/nachrichten/144474/Morbus-Alzheimer-FDA-laesst-Antikoerper-Lecanemab-endgueltig-zu

[6] Leqembi® Full Prescribing Information. Stand Juli 2023. www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2023/761269s001lbl.pdf

[7] Leqembi (Lecanemab): Neues Alzheimer-Medikament. Informationen der Alzheimer Forschung Initiative e.V. Stand 07.07.2023. www.alzheimer-forschung.de/forschung/aktuell/ban2401/


Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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