Diskussion zur Honorarverteilung Teil 2

Die Tücke steckt im Detail

01.08.2023, 17:50 Uhr

Die Honorarverteilungsdebatte ist ein heißes Eisen. (Foto: Olivier Le Moal / AdobeStock)

Die Honorarverteilungsdebatte ist ein heißes Eisen. (Foto: Olivier Le Moal / AdobeStock)


„Zielgerecht nach Bedürftigkeit und Relevanz fördern“ – ist das, was aus dem Lehrbuch der Sozialpolitik stammen könnte, auf die Apothekenrealität übertragbar? Über welches Umverteilungsvolumen reden wir überhaupt und rechtfertigt der potenzielle Nutzen neue Verwaltungsstrukturen? Im zweiten Teil seiner Analyse unterlegt AWA-Herausgeber Professor Reinhard Herzog die Möglichkeiten einer (Um-)Verteilung mit konkreten Zahlen.

Die Diskussion trifft ins Mark, weil „Verteilung“ schnell zur „Umverteilung“ wird und damit Gewinner und Verlierer generiert – niemand will aber etwas verlieren oder zwangsweise abgeben müssen. In der sanfteren Variante gäbe es zwar für alle etwas zusätzlich, für die einen nur etwas weniger als für die anderen. Das ist immer noch ein gutes Stück weg von der favorisierten Wunschvariante: Alle bekommen gleichermaßen einen (kräftigen) Zuschlag. Doch woran bemisst man dieses Honorar-Plus angesichts einer hohen Gewinnspreizung? Sind intelligentere Ansätze denkbar?

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Füllen wir die Denkmodelle mit Zahlen. Wie in Teil 1 ausgeführt, eignet sich als Schlüsselparameter für eine Honorarverteilung die Zahl der abgegebenen Rx-Packungen, und hier nur Fertigarzneimittel ohne Impfstoffe, Rezepturarzneimittel und ggf. ohne Institutionsbelieferung wie Krankenhäuser.

Eine modellhafte Verteilung, fußend auf einer modifizierten Umsatzverteilung, zeigt Abbildung 1. Man würde annehmen, dass die größten Apotheken exorbitante Rx-Packungszahlen im höheren Hunderttausenderbereich absetzen. Das ist aber in einer Vielzahl der Fälle nicht so, denn gerade bei diesen Apotheken finden wir viel Spezialversorgung: Parenteralia, Institutionsbelieferung, Heimversorgung, Impfstoffversorgung in großem Maßstab und etliches mehr. Mit „Straßenumsatz“ generieren nur die wenigsten deutlich zweistellige Millionenumsätze. Würde man ernsthaft in die Konstruktion und Parametrisierung eines Umverteilungsmodells einsteigen, wären bereinigte, aktuelle Rx-Daten heranzuziehen, wie sie nur gesamthaft im Nacht- und Notdienstfonds vorliegen. Prinzipiell machbar ist das. Hier wurde in den Modellannahmen der Spezialumsatz in den höchsten Umsatzklassen geschätzt und herausgerechnet.

Quelle: AWA
Abb. 1: Kumulative Rx-Packungsverteilung (© Prof. Dr. R. Herzog)

Mathematisch lässt sich die kumulative Verteilung mittels höhergradiger Polynome recht exakt beschreiben (Abb. 1). Basierend auf einer solchen Funktion ließe sich ein Verteilungsmechanismus konstruieren, der dynamisch Jahr für Jahr angepasst und zwischen „Gebern“ und „Nehmern“ centgenau differenzieren könnte. Die Alternative wären „verständlichere“ Staffeln nach Anzahl von Rx-Packungen, die jährlich dynamisiert werden.

Doch wie sinnvoll wäre das? Was käme überhaupt an Masse zustande und steht das in Relation zum Aufwand? Hierzu bedienen wir uns eines stark vereinfachten Modells der Einteilung der Apotheken in Viertel (Quartile, Tabelle 1). Bis auf wenige Prozentpunkte genau trifft das die Lage ganz gut (real dürften etwa 42 Prozent, 28 Prozent, 18 Prozent und 12 Prozent der Apotheken die einzelnen Quartile der Rx-Packungen abdecken). Die prinzipiellen Vor- und Nachteile werden so schnell sichtbar und die in Rede stehenden Summen erhalten zumindest einen groben Umriss, der sich auch bei feinerer Aufgliederung nicht grundlegend verändern würde.

Quelle: AWA
Tab. 1: Ein einfaches Modell einer Apotheken-Packungsverteilung

Die unbeliebteste Variante wäre eine Umverteilung aus dem bestehenden Topf. Insgesamt macht das Rx-Festhonorar – ohne Abgaben an die Fonds für pharmazeutische Dienstleistungen und Notdienst – rund 5,1 Milliarden Euro netto p. a. aus. Doch was könnten wir realistisch den einen nehmen, um es anderen zu geben? Wenn wir das oberste Quartil, gebildet nach Rx-Packungszahlen (nicht Umsatz!) zu den Gebern erklären, reden wir über rund 185 Millionen „anrechenbare“ Rx-Fertigarzneimittelpackungen (ohne Impfstoffe, Rezeptursubstanzen). Nimmt man 1,00 Euro netto weg, entspräche dies 185 Millionen Euro, bei 2,00 Euro wären es 370 Millionen Euro – um das dann exakt wem zu geben? Würde man eins zu eins in das unterste Quartil umverteilen, bekämen die Apotheken dort jedenfalls im Schnitt jene 1 Euro bis 2 Euro pro Packung.

Das dürfte in dieser Pauschalität nicht zielführend sein, denn damit rettet man keinen versorgungsrelevanten, abgelegenen Landstandort. Abseits dieser Frage stechen aber die absoluten Beträge ins Auge. Es sind nur wenige Prozent des Gesamthonorars, obwohl wir bereits ein ganzes Quartil nach Packungen (und jede achte bis zehnte Apotheke) als Zahler herangezogen haben. Die Grenze würde bereits bei rund 60.000 Rx-Packungen p. a. liegen, um abgeben zu müssen. Setzt man die Grenzen höher an (oder gestaffelte Abschläge), kommt noch weniger Umverteilungsmasse zusammen.

Gleichzeitig könnten 2,00 Euro weniger je Rx-Packung manch größerer Apotheke mit schwachen Umsatzrenditen und einem breiten Angebotsspektrum das Genick brechen. Das wäre sicher nicht die Regel, aber einige spektakuläre Pleiten sind wahrscheinlich. Setzt man den Abschlag auf 1 Euro oder weniger, landen wir wieder nur bei eher symbolischen Beträgen, bei welchen sich auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines beträchtlichen Verwaltungsaufwands stellt. Um den einheitlichen Abgabepreis zu sichern, käme nur ein Fondsmodell infrage, damit es keine Anreize zum Umleiten von Packungen in „billigere“ Apotheken gäbe, was den Sinn der Förderung Kleinerer völlig konterkarieren würde.

Zwischenfazit 1: „Nimm es den Reichen, gib es den Armen“ – das klingt sozial(romantisch), aber es fehlt hier schlicht an Masse, die realistisch ohne starke Nebenwirkungen zu verteilen ist – und das mit hohem Aufwand samt Streitpotenzial.

Für alle mehr, aber gestaffelt

Sympathischer klingt es, allen mehr zu geben, aber eben nicht gleichermaßen. So hat dieses Modell seinen Reiz, wenn man mit der „ökonomischen Sozialbrille“ von oben darauf schaut. Beispielhafte Ausgestaltungsvarianten zeigt Tabelle 2, auch lineare Modelle ohne Staffelung. Um überhaupt nennenswerte Ersparnisse etwa gegenüber dem ABDA-Wunsch (plus 3,65 Euro) zu erzielen, muss man schon robust abstaffeln, wie bei Variante D und abgeschwächt C. Die Unterschiede ebnen sich bei einem Staffelmodell (die ersten 20.000 Packungen plus 4 Euro, die nächsten 10.000 plus ... Euro usw. je Apotheke) weiter ein.

Quelle: AWA
Tab. 2: Zuschlagsvarianten Rx-Festhonorar und die Kosten, quartilsweise

Wie oben müsste das Honorarplus zentral verwaltet und der Zuschlag über einen Fonds apothekenindividuell ausgezahlt werden, um je nach Apotheke unterschiedliche Rx-Listenpreise gegenüber den Krankenkassen oder Privatpatienten zu vermeiden. Dazu wäre technisch ein einheitlicher Verrechnungszuschlag anhand der Gesamthonorarsumme und der variierenden Rx-Packungszahlen stets neu zu bestimmen. Grundsätzlich steht bei unterschiedlichen Zuschlägen die Frage der Wettbewerbsverzerrung im Raum, mit diversen rechtlichen und praktischen Implikationen. Eine pauschale Bevorzugung kleinerer Apotheken wäre gerade in dichtbesiedelten, gut versorgten Regionen nicht unproblematisch. Filial- und Familienverbünde könnten zudem geneigt sein, Rezepte in ihren Apotheken zu verteilen, um die Packungsgrenzen für sich optimal zu nutzen.

Zwischenfazit 2: Der Charme verblasst schnell, stecken die Tücken doch im Detail. Auch hier gilt: Will man nennenswert gegenüber einem einheitlichen Zuschlag für alle sparen, muss man kräftig abstaffeln, mit allerlei Folgeproblemen.

3-Prozent-Aufschlag antasten?

Ein Prozentpunkt Aufschlag auf den Listen-Rx-Einkaufspreis steht bundesweit für rund 400 Millionen Euro Rohertrag (Fertigarzneimittel ohne Impfstoffe und Rezepturpräparate), je Apotheke 22.000 Euro. In einen Festzuschlag gewandelt, entspräche das statistisch gut 0,50 Euro je Rx-Packung. Kaufmännisch sind 3 Prozent Aufschlag kaum etwas – welcher Einzelhandel kalkuliert so? Diese Komponente kann nur im Rahmen einer umfassenden Honorarreform diskutiert werden, bei welcher man präzise die kaufmännisch-preisabhängigen Komponenten und das (Beratungs-)Honorar auseinanderdividieren muss. Im Moment überlappt sich das.

Handlungskonsequenzen

Und nun? Der Charme der Umverteilung auf der Metaebene entzaubert sich im Konkreten. Die analytische Betrachtung fördert schlicht zu wenig Verteilungsmasse zutage, wenn man nicht neue Probleme provozieren will. In jedem Fall wäre es eine Großbaustelle, auch administrativ.

Was ist denn unser Kernziel? Vorderhand eine flächendeckende Arzneimittelversorgung, die durch weitere Leistungen ergänzt wird. Über die Ausgestaltung der „Flächendeckung“ lässt sich trefflich streiten (wir greifen dieses Thema noch auf). Grundproblem: Welche Eigenschaften qualifizieren bei einer „Versorgungssteuerung“ für die Bedürftigkeit und Versorgungsrelevanz? Dicke Bretter, die erst noch zu bohren wären! Einstweilen gilt es, die gegebene Struktur zu stabilisieren und für eine Weiterentwicklung zu präparieren. Abbildung 2 zeigt die Umrisse.

Quelle: AWA
Abb. 2: Modell einer künftigen Apothekenfinanzierung (Verordnungsbereich)

Zentrales und umfassendstes Element bleibt eine für alle gleich ausgestaltete Basisfinanzierung. Diese wäre nun einem Inflations- und Kostenausgleich des Verordnungssegments zu unterziehen. Kompromisslinie: Wir nehmen die Wirtschaftslage des Vor-Corona-Jahres 2019, projizieren dies auf die Kosten- und Ertragslage 2024 und passen das Rx-Festhonorar anteilig an. Die Summen dürften ähnlich wie bei den stringenten Abstaffelmodellen ausfallen.

Zukunftsperspektive „neue Leistungstöpfe und Fonds“?

Ausgebaut werden sollten separate „Leistungstöpfe“ auf Basis evidenzbasierter Nutzenbetrachtungen sowie ein Strukturfonds für regionale Versorgungsnotlagen. Diese Töpfe werden zusätzlich seitens der Kostenträger finanziert. Die dort klar definierten Leistungen müssen wirtschaftlich selbsttragend ohne Quersubventionierungsbedarf (wie oft heute) sein. Künftige Beispiele wären die individualisierte Arzneimittelversorgung (unter anderem Verblisterung), Präventions- und Testleistungen, medikationsbezogene Datenpflege als Vorstufe zur Medikationsanalyse, eine selbsttragende Rezepturhonorierung sowie Pay-for-Performance-Elemente (etwa pharmazeutisch-ökonomische Optimierung von Hochpreis-Therapien). Gleichzeitig gilt es, den Leistungsumfang des Basis-Rx-Honorars klar zu definieren und abzugrenzen.

Und dabei niemals vergessen: eine ernsthafte Entbürokratisierung und Verschlankung des Apothekenbetriebs, ergänzt durch die Erschließung neuer Marktsegmente in einer digitalen, technisierten, mit immer mehr (Test-)Diagnostik und Sensorik gespickten Welt. Dann hätte es jeder selbst in der Hand, weitere Leistungsbausteine über eine tragfähige Grundfinanzierung hinaus anzubieten. Die Differenzierung würde auf der Leistungsebene erfolgen und nicht über eine erzwungene Umverteilung.

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Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, DAZ-Autor
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Diskussion zur Honorarverteilung

von Uwe Hüsgen am 02.08.2023 um 15:36 Uhr

Ich frage mich, ob es statt dieser von R. Herzog begnadet entwickelten „Statistischen Hochseilakrobatik“ nicht auch ein Apotheken-spezifischer EBM, wie er z.B. schon im DAZ-Beitrag Nr. 29/2016 (Denkmodell Kassen¬apothekerliche Vereinigung) angedacht wurde, tun würde?
In diesem Zusammenhang stellt sich, z.B. auch vor dem Hintergrund der U.S.-Studie „Auswirkungen von Private-Equity im Gesundheitswesen“, die Frage, ob unternehmerisch exzellent geführte Großapotheken(-Verbünde) ggf. ein Störfaktor bei der von der Gesundheitspolitik geforderten flächendeckenden Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, die auch von der ABDA mitgetragen wird, sein könnten?

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