Cabotegravir-Depot-Injektion gegen HIV

Zulassungsempfehlung für neue Langzeit-PrEP

Stuttgart - 03.08.2023, 10:45 Uhr

Wird Cabotegravir von der EU-Kommission tatsächlich zur PrEP zugelassen, müssten Betroffene nicht mehr täglich Tabletten schlucken. (Foto: Tina / AdobeStock)

Wird Cabotegravir von der EU-Kommission tatsächlich zur PrEP zugelassen, müssten Betroffene nicht mehr täglich Tabletten schlucken. (Foto: Tina / AdobeStock)


Mit sechs Injektionen pro Jahr könnte bald eine neue HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) die bisherige (orale) PrEP vereinfachen. Denn für den HIV-Integrase-Inhibitor Cabotegravir in einer Depotspritze (Apretude) hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) kürzlich eine Zulassungsempfehlung ausgesprochen. Allerdings ist bei der neuen PrEP auch an Nachteile zu denken. 

Bei der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) nehmen HIV-negative Personen vorsorglich antivirale Arzneimittel ein, um sich vor einer potenziellen HIV-Infektion zu schützen. In Deutschland ist in dieser Indikation bisher nur eine orale Therapie gegen HIV-1 zugelassen, bei der eine tägliche Einnahme erforderlich ist. Sie besteht aus der Kombination des Nucleotid-analogen Reverse-Transkriptase-Inhibitors (NTRTI) Tenofovirdisoproxilfumarat und dem nucleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NRTI) Emtricitabin (z. B. Truvada). In den USA gibt es eine weitere zugelassene Option zur HIV-PrEP: Die Firma ViiV Healthcare brachte den Wirkstoff Cabotegravir dort 2021 als PrEP auf den Markt.

Nun soll Cabotegravir in Kombination mit Safer-Sex-Praktiken zur PrEP gegen HIV-1 auch in Europa zugelassen werden. Das geht aus einer Zulassungsempfehlung der europäischen Arzneimittelbehörde vom 21. Juli hervor. Kommt es zur Zulassung durch die EU-Kommission, soll Cabotegravir unter dem Handelsnamen Apretude verfügbar werden – für Erwachsene und Jugendliche mit hohem Risiko für eine HIV-Infektion und einem Körpergewicht ab 35 Kilogramm. Apretude soll dann als 30-mg-Filmtabletten und als 600-mg-Depot-Injektion in den Handel kommen. Die Tabletten können über einen Zeitraum von circa einem Monat vor der ersten Cabotegravir-Injektion eingenommen werden, um die Verträglichkeit des Wirkstoffes zu beurteilen [1-5].

Cabotegravir als Langzeit-PrEP bietet Vorteile …

In der Erhaltungsphase müsste die Cabotegravir-Injektion nur alle zwei Monate intramuskulär gespritzt werden, damit würden für Betroffene sechs Injektionen pro Jahr anstehen. Für Personen, die nicht immer an die tägliche Einnahme von Tabletten denken, könnte der langanhaltende Schutz also von Vorteil sein. 

Zwei doppelblinde Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit (HPTN083 und HPTN04) belegten, dass die zweimonatige Cabotegravir-Depotinjektion im Vergleich zur oralen Standardtherapie mit Tenofovirdisoproxilfumarat und Emtricitabin besser wirksam ist. In der Studie HPTN084 waren die Probandinnen 3224 Frauen aus Subsahara-Afrika, bei ihnen konnte das Risiko am HIV-1 zu erkranken um 90% gesenkt werden [1, 6, 7]. 

An der Studie HPTN083 nahmen 4570 cisgender Männer und transgender Frauen teil, die Geschlechtsverkehr mit Männern haben. Sie umfasste 43 Standorte unter anderem Brasilien, USA, Südafrika und Vietnam. Das Risiko an einer HIV-Infektion zu erkranken, wurde durch Cabotegravir im Vergleich zur Standardbehandlung in dieser Gruppe um 69% gesenkt [1, 5].

… aber auch Nachteile

Die Cabotegravir-Depotinjektion muss von medizinischem Fachpersonal vorgenommen werden, dazu müssten Betroffene immer wieder eine Praxis aufsuchen. Diese Hürde könnte ein Nachteil der Injektion sein. Nebenwirkungen wie Reaktionen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen, Fieber, Müdigkeit, Rückenschmerzen, Muskelschmerzen und Ausschlag können auftreten [7]. 

Ein weiterer Nachteil der Cabotegravir-Depotinjektion ist, dass sie nicht kurzfristig abgesetzt werden kann. Der Wirkstoff verbleibt nach der Beendigung der Therapie noch bis zu einem Jahr im Blut. Kommt es in diesem Zeitraum zu einer HIV-Infektion, wird das Virus nicht ausreichend unterdrückt und bildet Mutationen, um sich anzupassen. Das begünstigt die Bildung von Resistenzen und beeinträchtigt die spätere Behandlung der HIV-Infektion. „Um dies zu vermeiden, sollte nach der Beendigung der Cabotegravir-PrEP möglicherweise ein Jahr lang eine orale PrEP mit Tenofovir und Emtricitabin genommen werden, um sich vor einer HIV-Infektion möglichst sicher zu schützen. Eine PrEP mit Cabotegravir sollte also gut überlegt und für mehrere Jahre angedacht sein“, erklärte die Deutsche Aidshilfe 2021 in einer Mitteilung [4, 7].

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Cabotegravir ist ein Integrase-Inhibitor gegen HIV-1 und verhindert, dass die virale Integrase die virale DNA in das Genom der menschlichen Wirtszellen einbaut. Zur antiretroviralen Therapie gegen HIV-1 ist Cabotegravir (Vocabria) auch in Deutschland bereits auf dem Markt und wird in Kombination mit dem nicht-nucleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) Rilpivirin (Rekambys) eingesetzt. Auch hier muss nur an sechs Tagen pro Jahr eine Arzneimittelapplikation erfolgen, was nicht nur in der HIV-Prävention, sondern auch in der HIV-Therapie als Vorteil bewertet werden kann. 

HIV-Prävalenz und Risikogruppen

Global sind laut WHO Ende 2022 ca. 39 Millionen Menschen mit dem Humanen Immunodefizienz-Virus (HIV) infiziert, zwei Drittel der Infizierten leben in afrikanischen Ländern. Bei den Viren wird zwischen HIV-1 und HIV-2 differenziert, weltweit ausgebreitet hat sich vor allem HIV-1. Laut Schätzung des Robert Koch Instituts (RKI) lebten in Deutschland Ende 2020 91.400 HIV-Infizierte, die Zahl der diagnostizierten Neuinfektionen lag 2021 bei 1800, vorbehaltlich der geringen Inanspruchnahme von Tests aufgrund der Corona-Pandemie. Im europäischen Vergleich ist die Prävalenz in Deutschland eher niedrig und das Risiko beschränkt sich hauptsächlich auf Bevölkerungsgruppen mit besonders hohem Risiko. Zu diesen zählen Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten (MSM, ca. 65%), Personen mit Herkunft aus Ländern mit hoher HIV-Verbreitung und i. v. Drogen-Konsumierende (10%). 

Seit September 2019 übernehmen in Deutschland die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten der PrEP und der Begleituntersuchung für anspruchsberechtigte Personen ab dem 16. Lebensjahr [8, 9].

Literatur

[1] Apretude, Cabotegravir. Information der European Medicines Agency (EMA), Stand: 21. Juli 2023, www.ema.europa.eu/en/medicines/human/summaries-opinion/apretude

[2] Apretude (Cabotegravir) Highlights of Prescribing Information, Dezember 2021, www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2021/215499s000lbl.pdf

[3] Fachinformation Truvada der Gilead Sciences GmbH, Stand: Januar 2023

[4] Fachinformation Vocabria der ViiV Healthcare GmbH, Stand: Januar 2023

[5] HPTN 083. Study Summary des HIV Prevention Trials Network, Stand: Juli 2020, www.hptn.org/research/studies/hptn083

[6] HPTN 084. Study Summary des HIV Prevention Trials Network, Stand: November 2020, www.hptn.org/research/studies/hptn084

[7] USA: Depotspritze zur HIV-Prophylaxe PrEP zugelassen. Information der Deutschen Aidshilfe e.V., Stand: Dezember 2021, www.aidshilfe.de/meldung/apretude-hiv-prep

[8] HIV-Infektion/AIDS. Information des Robert Koch Institut (RKI), Stand Juni 2022, www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_HIV_AIDS.html

[9] Welt-AIDS-Tag - neue Daten zu HIV/AIDS in Deutschland. Information des Robert Koch Institut (RKI), Stand: November 2022, www.rki.de/DE/Content/Service/Presse/Pressemitteilungen/2022/08_2022.html


Julia Stützle, Apothekerin und Volontärin


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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